Hier kommt das Abwasser in den Fluss. Die Rolle eines Sachverständigen sorgt für Aufregung.

Geheimsache Thaya: Streit um Abwasserdaten von Chemiekonzern

Auf Wunsch des Unternehmens Jungbunzlauer verschweigen Landwirtschaftsministerium und Land Niederösterreich bestimmte Informationen zur Abwasserbelastung der Thaya. Der Amtssachverständige des Landes arbeitete früher für das betroffene Unternehmen.

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Die bunten Blätter im schmalen Streifen des Auwaldes leuchten in den letzten Strahlen der Herbstsonne, ein paar Meter weiter unten bahnt sich die Thaya ihren Weg. Das dunkle Wasser fließt friedlich dahin, doch der Schein trügt. Hier - unweit von Laa an der Thaya im niederösterreichisch-tschechischen Grenzgebiet - birgt der Fluss ein Geheimnis, das nicht gelüftet werden darf. So haben es die Behörden entschieden. Und das sorgt für Streit.

Gut fünf Kilometer entfernt betreibt die Firma Jungbunzlauer - ein internationaler Chemiekonzern - ein riesiges Werk, wo hauptsächlich Zitronensäure hergestellt wird: rund 250.000 Tonnen pro Jahr. Rein rechnerisch entspricht das der Hälfte des europäischen Jahresbedarfs - etwa für die Konservierung von Lebensmitteln und Fertiggerichten.

Bei der Produktion entsteht allerdings Abwasser, und das nicht zu knapp. Per Bescheid darf Jungbunzlauer pro Tag bis zu 40.000 Kubikmeter über kilometerlange Rohre in die Thaya leiten. Das sind 40 Millionen Liter. Zwar durchläuft das Abwasser im Werk eine eigene Betriebskläranlage. Vollständig abgebaut können alle belastenden Inhaltsstoffe dabei aber nicht werden. Bis zu bestimmten Grenzwerten darf Jungbunzlauer diese einleiten. Das wird behördlich durch Messungen überwacht.

Diese Messergebnisse sind es, die ein Landwirt, der einige Kilometer flussabwärts einen Biohof betreibt, gerne kennen würde. Eigentlich ein klarer Fall für das sogenannte Umweltinformationsgesetz, das eine weitgehende Auskunftspflicht von Behörden vorsieht.

Der Bauer beantragte also im Dezember 2018 bei der Bezirkshauptmannschaft (BH) Mistelbach die Herausgabe der Messdaten. Vom damaligen Ministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus wiederum begehrte er die Übermittlung des Expertenberichts über die "stoffliche Belastung" der Thaya aus dem Jahr 2015, der im Auftrag des Ministeriums erstellt worden war.

Doch Jungbunzlauer war dagegen. Das Umweltinformationsgesetz sieht die Möglichkeit vor, dass Daten dann nicht herausgegeben werden müssen, wenn dadurch Rückschlüsse auf Geschäfts-und Betriebsgeheimnisse eines betroffenen Unternehmens gezogen werden könnten und sich daraus ein-mehr als geringfügiger-wirtschaftlicher Nachteil ergeben würde. Auf diesen Passus berief sich der Chemiekonzern in Bezug auf bestimmte Daten. Die BH Mistelbach zog einen Amtssachverständigen bei, der die Behauptung des Unternehmens als "plausibel und nachvollziehbar" einstufte. Daraufhin übermittelte die Behörde dem Landwirt zwar Tabellen mit Messergebnissen. Einzelne Punkte, die Jungbunzlauer nicht offenlegen wollte, blieben jedoch leer.

Das Ministerium wiederum forderte Jungbunzlauer auf, jene Stellen im Expertenbericht zur Thaya zu schwärzen, die aus Sicht des Unternehmens geheim bleiben sollten. Der Konzern tat dies aber nicht, sondern legte umgekehrt jenen Teil des Berichts vor, mit dessen Herausgabe man kein Problem hatte. Dies waren allerdings nur die Seiten 9 bis 32-von insgesamt 142.

Das Ministerium selbst sah sich nicht dazu verpflichtet, auf den restlichen Seiten gezielt die geheim zu haltenden Informationen herauszufiltern, sondern gab nur die 24 Seiten weiter. Dass man die konkreten Detailinhalte einer ernsthaften Prüfung unterzogen hätte, geht aus dem Bescheid, der profil vorliegt, nicht hervor. Das Ministerium verwies hingegen auf das - durchaus anders gelagerte - Verfahren an der BH Mistelbach und den dort beigezogenen Amtssachverständigen.

Würde dieses Beispiel Schule machen, das Umweltinformationsgesetz wäre wohl bald totes Recht. Der Anwalt des Landwirts, Wolfram Proksch, erklärt im Gespräch mit profil, dass sein Mandant die Felder des Biohofs mit Wasser aus der Thaya bewässere. Proksch kritisiert einerseits, dass die Behörden nicht alle Daten herausgeben, und andererseits, dass sie sogar das Gutachten des Amtssachverständigen unter Verschluss halten würden. Damit könne der Betroffene die Begründung der Auskunftsverweigerung nicht überprüfen. Proksch meint, das Umweltinformationsgesetz würde ad absurdum geführt.

Tatsächlich gibt es Auffälligkeiten, die im konkreten Fall ein genaues Hinsehen unerlässlich machen.

11. August 2020, Verhandlungssaal 1 am Landesverwaltungsgericht Niederösterreich in St. Pölten:

Der Landwirt hatte gegen die Vorgehensweise des Ministeriums Beschwerde eingelegt. An diesem Tag fand eine mündliche Verhandlung statt. Beigezogen war jener Amtssachverständige, der in seiner "Plausibilitätsprüfung" für die BH Mistelbach Jungbunzlauer recht gegeben hatte. Nun stellte sich die Frage nach seiner Kompetenz im Bereich der Produktion von Zitronensäure. Er gab freimütig zu Protokoll: "Ich habe das Studium der technischen Chemie absolviert, Studienzweig Biotechnologie. Anschließend habe ich bei der Firma Jungbunzlauer gearbeitet, zuständig für die Abwasserreinigungsanlage. (...) Anschließend ging ich zurück an die TU Wien und habe die Dissertation über die Abwasseranlage der Firma Jungbunzlauer verfasst. Dann wechselte ich zum Land NÖ. Ich bin zuständig für betriebliche Abwasserreinigungsanlagen generell. Unter anderem für die Firma Jungbunzlauer."

Zusammengefasst heißt das: Im Amt der Niederösterreichischen Landesregierung gibt es einen Mitarbeiter, der bei Jungbunzlauer gearbeitet hat und jetzt aufseiten der Behörde für Jungbunzlauer zuständig ist. Die Tätigkeit im Unternehmen ist zwar lange her: 1988 schied er dort aus. Danach feilte der Mann allerdings jahrelang an seiner Dissertation - und zwar über Jungbunzlauer. Und 1995, im schon durchaus reiferen Alter von Mitte 30, stellte er der wissenschaftlichen Arbeit folgende Dankesworte voran: "Die Firma, von der ich im Rahmen meiner Arbeit volle Unterstützung bei den zur Optimierung der Abwasserreinigungsanlage erforderlichen Untersuchungen erhielt, werde ich nie vergessen."

Beim Land Niederösterreich, wo der Mann seit 2006 mit Jungbunzlauer befasst ist, sieht man auf profil-Anfrage keinen Anschein einer Befangenheit. Anders beurteilt das Rechtsanwalt Wolfgang List, der eine Bürgerinitiative vertritt und sich ebenfalls mit Jungbunzlauer befasst. Er meint: "Für mich ist komplett klar, dass zumindest der Anschein einer Befangenheit gegeben ist." Auch das Landesverwaltungsgericht dürfte durchaus verwundert über die Konstellation gewesen sein. Im Verhandlungsprotokoll steht: "Von der weiteren Beziehung (sic!) des Amtssachverständigen wird daher vorerst Abstand genommen."
 

Vom Gerichtssaal in St. Pölten zur Thaya an der tschechischen Grenze: Hier gibt es Auffälligkeiten in Bezug auf einzelne Messwerte. Konkret lag die Konzentration von Chlorid 2018 über dem von der sogenannten Qualitätszielverordnung vorgesehenen Richtwert. Dies bestätigte man seitens des Landes auf profil-Anfrage. Der zulässige Maximalwert sei aber nicht überschritten worden.

Für die Wasserqualität ist es dennoch kein gutes Zeichen. Die Richtwertüberschreitung führt man sowohl beim Land als auch bei Jungbunzlauer auf den niedrigen Wasserstand der Thaya 2018 zurück. Seitens des Unternehmens heißt es, man habe bereits ein Projekt vorgelegt, um erhöhte Konzentrationen in Zukunft zu verhindern: "Wir arbeiten daran, dass sich eine solche Situation nicht wiederholen kann." Biologische Untersuchungen würden "keine Beeinträchtigungen" zeigen, weshalb man "einen Einklang mit der Qualitätszielverordnung als gegeben" ansehe. Laut Land Niederösterreich wird derzeit ein Bericht zum Thaya-Monitoring behördlich geprüft, der in erster Linie Maßnahmen zur Senkung der Abwassertemperatur enthalte.

Rechtsanwalt List sagt: "Wir haben aufgrund vorliegender Messergebnisse die BH Mistelbach ersucht, zu überprüfen, ob die Betriebskläranlage dem Stand der Technik entspricht." Bei Jungbunzlauer ist man überzeugt, dass dies der Fall ist. Das Unternehmen betont, dass behördliche Grenzwerte "zu keinem Zeitpunkt" überschritten worden seien.

Auf Anfrage weist man bei Jungbunzlauer übrigens "jegliche Abhängigkeit von oder Einflussnahme durch" den früheren Mitarbeiter und nunmehrigen Sachverständigen zugunsten des Unternehmens zurück. Die aktuell gültige Bewilligung wurde von der BH Mistelbach Anfang 2016 erteilt. Auch damals war der Mann im Verfahren mit von der Partie-nicht als Amtssachverständiger, sondern als Vertreter des sogenannten Wasserwirtschaftlichen Planungsorgans. Als Sachverständiger wurde ein externer Experte beigezogen: ein langjähriger TU-Professor. Und zwar just jener, der die Dissertation des heutigen Landesmitarbeiters als Publikation herausgegeben hatte und darin ebenfalls mit Dankesworten bedacht worden war.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.