Josef Zotter betreibt heute die Zotter Schokoladenmanufaktur. Mit seinem ersten Unternehmen ist er gescheitert.
Insolvenz

Wie gescheiterte Unternehmer den Neustart schafften

Gescheiterte Unternehmer haben mit gesellschaftlicher Ächtung und dem Image des Verlierers zu kämpfen. Nur wenige finden den Mut für einen zweiten Versuch. profil traf drei Unternehmer, die tief gefallen sind – und dennoch einen Neustart wagten.

Drucken

Schriftgröße

Exakt 2625 Unternehmen waren laut dem „Kreditschutzverband von 1870“ im ersten Halbjahr 2023 von einer Insolvenz betroffen. Für viele Bankrotteure ist ihr Scheitern ein Tabuthema, denn noch immer werden gestrauchelte Unternehmer scheel angesehen, wenn nicht gar gesellschaftlich geächtet und kriminalisiert. Das hängt auch damit zusammen, dass Investoren und Gläubiger Geld verlieren und Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz.

Anderseits zeigen Analysen der EU, dass gescheiterte Unternehmer durchaus aus ihren Fehlern lernen und beim zweiten Versuch oft mehr Erfolg haben. Nach Ablauf von fünf Jahren weisen diese Unternehmen zumeist gute Überlebensraten auf. Forschungsergebnisse in Bezug auf das Profil erfolgreicher Unternehmer wiederum zeigen, dass fast ein Fünftel von ihnen bereits zuvor ein eigenes Unternehmen leitete.

Ein etwas unverkrampfterer Zugang zum Thema Insolvenz ist also zu empfehlen, dabei lohnt auch ein Blick in die USA. Dort gelten Unternehmer erst nach dem ersten Konkurs als ausreichend versiert. Es gibt sogar Investoren, die gezielt einmalig gescheiterten Firmengründer ansprechen.

profil hat mit drei Unternehmern gesprochen, die nun im zweiten Anlauf erfolgreich sind, sich gegen die Stigmatisierung des Scheiterns stellen und das Image des Verlierers Lügen strafen.

Im Nachhinein betrachtet, hat es wohl so kommen müssen

Josef Zotter, Zotter Schokolade

Josef Zotter, Zotter Schokolade

„Im Nachhinein betrachtet, hat es wohl so kommen müssen“, sagt Josef Zotter mit Blick auf sein erstes –  gescheitertes – Unternehmerleben. Heute hat der Steirer gut lachen: Er führt einen der erfolgreichsten Handwerksbetriebe Österreichs, und seine Schokoladenkreationen werden in Feinkostläden in aller Welt verkauft. So entspannt war Zotter nicht immer. Rund 27 Jahre ist es her, als er vor den Scherben seiner beruflichen Existenz stand: 1996 musste er Konkurs anmelden. Von einer Schokoladenmanufaktur mit internationalem Ruf war damals noch keine Rede. 1986 hatte der damals 25-Jährige gemeinsam mit seiner Frau Ulrike eine Konditorei in Graz eröffnet. Dort kredenzte Zotter weder Gugelhupf noch Apfelstrudel, sondern Mehlspeisen und Torten aus Bohnen, Hanf und Kürbis. „Wir waren jung und wollten einfach etwas Geiles machen“, erinnert er sich.

 Aufgrund ihrer außergewöhnlichen Speisekarte avancierte die Konditorei unter Connaisseuren rasch zum Geheimtipp der Stadt. „Wenn man sehr schnell erfolgreich ist, dann ist man auch gleich einmal mit dem Bankdirektor befreundet. Mit wurde es sehr leicht gemacht, Kredite aufzunehmen“, erzählt Zotter. Und so folgten weitere Filialen. Beim ersten Lokal hat er bis zum Fliesenlegen noch alles selbst gemacht, beim zweiten hatte er sich ein paar Professionisten geholt, beim dritten einen Architekten und beim vierten einen Star-Architekten. „Irgendwann hat mir mein Steuerberater gesagt, das Unternehmen sei krank“. Den Insolvenzantrag zu stellen, machte Zotter schwer zu schaffen: „Das ist eine sehr emotionale Angelegenheit“, sagt der Chocolatier. In der Zeit habe ihm die Familie –  vor allem mental – sehr geholfen: „Wenn man dann in der Ehe auch noch Probleme bekommt, was ja sehr oft passiert, dann verliert man wirklich den Mut. Ich hatte Glück, wir haben zusammengehalten“.  Rückblickend sei die Expansion jugendlicher Leichtsinn gewesen. Das Unternehmen sei zu schnell gewachsen und Graz für vier Zotter-Konditoreien schlicht zu klein gewesen, urteilt er heute.  

 Der gestrauchelte Konditor kehrte mit einem Berg von Schulden auf den elterlichen Bauernhof in sein Heimatdorf Bergl bei Riegersburg zurück. „Ich hatte zwei Möglichkeiten“, erinnert sich Zotter. „Produkte für den traditionellen Geschmack herstellen interessierte mich aber nicht, ich war beseelt von der Schokoladeproduktion“. Seine Frau jedoch wollte das partout nicht: „Sie hatte Angst, dass wir für meine Kreationen keine Abnehmer finden und uns erneut verschulden würden“. Bekanntlich konnte er sie dann doch überzeugen. „Wenn man Erfolg haben will, muss man mutig sein, weil es immer eine Absturzgefahr gibt“, sagt Zotter. Im ehemaligen Kuhstall der Eltern richtete er eine Werkstatt ein und testete seine Schokoladenrezepte. Die in Handarbeit hergestellten ungewöhnlichen Sorten und Geschmackskombinationen wie „Kaffee-Pflaume mit Speckkrokant“ oder „Bergkäse, Walnüsse, Trauben“ machten ihn schnell weit über die Steiermark hinaus bekannt.

Im zweiten Unternehmerleben sind die Zotters zwar viel langsamer, aber umso nachhaltiger gewachsen. Heute beschäftigt der Schokoladeproduzent 240 Mitarbeiter und macht fast 35 Millionen Euro Jahresumsatz. „Wir sind schuldenfrei, investiert wird nur, wenn Geld vorhanden ist“, sagt Zotter. Die Unabhängigkeit von Banken gebe ihm auch die Freiheit, noch unkonventionellere Rezepturen zu erproben. Wie etwa die neue Schokolade „Spermidin + Natur-Secco“. „Das trauen wir uns“, grinst Zotter.  Bevor die Gedanken ins allzu Schlüpfrige abgleiten: Bei ersterem handelt es sich um einen Inhaltsstoff von Weizenkeimlingen, bei zweiterem um Sekt aus Zotters Bioweinbau.

Dejan Stojanovic, Failure Institute

Einer, der das unternehmerische Scheitern gleich zum Geschäftsmodell gemacht hat, ist Dejan Stojanovic. Mit seinem Failure Institute coacht er heute Firmen in Sachen Fehlerkultur und veranstaltet die „Fuckup Nights“. „Die Angst, zu scheitern, ist bei Unternehmerinnen und Unternehmern groß. Dabei sollte man von seinen Fehlern lernen, und sich nicht dafür schämen“, sagt er. Bei den „Fuckup Nights“ erzählen Unternehmerinnen, Sportler und Wissenschaftlerinnen zehn Minuten lang von ihren größten „Fuckups“ – also ihren gröbsten Schnitzern. Und davon, was sie daraus gelernt haben. Das Konzept stammt eigentlich aus Mexico, Stojanovic hat es nach Österreich gebracht. 

Die Liste der Vortragenden ist durchaus prominent. Neben Damian Izdebski und Josef Zotter sind die „Investorella“-Gründerin Larissa Cravitz, Paralympics Profi-Sportler Günther Matzinger und der Apnoe-Taucher Christian Redl dort aufgetreten. Sie alle haben gemeinsam, dass sie irgendwann Fehler mit weitreichenden Konsequenzen gemacht haben. Stojanovic selbst hat aus dem Scheitern seines ersten Unternehmens gelernt. Mit einem Freund gründete er 2012 einen Online-Marktplatz für Neuwagen. Potenzielle Kunden sollten sich dort zusammenschließen, Preise vergleichen und bessere Angebote erzielen. Die Investoren seien ihnen damals nur so zugeflogen, erzählt Stojanovic heute. „Wenn deine Geldgeber an dich und an deine Idee glauben und dir ihr Geld anvertrauen, dann beflügelt dich das und denkt zuerst gar nicht daran, dass das Vorhaben auch scheitern könnte“, erzählt er.

„Aber wir haben die Plattform völlig am Markt vorbei gebaut.“ Das gesamte Geld sei in die technische Umsetzung investiert worden, der erwartete Erfolg blieb aber aus. Und dann sei das eingetreten, was bei ganz vielen Unternehmen, die scheitern, passiere. Man baut ein eigentlich gutes Produkt auf, die Nachfrage bleibt aber unter den Erwartungen. Das Geld wird immer weniger und man nimmt nicht genug neues ein. Dann kommt es zum sogenannten Founder-Clash, also zum Streit zwischen den Gründern. 2017 sperrte die Firma zu, wobei sich Stojanovic schon vorher zurückgezogen hatte. 

„Ich glaube, eine positive Fehlerkultur würde uns wirtschaftlich insgesamt erfolgreicher machen“, meint er heute. Anderseits stellt sich aber die Frage, wie viele Fehler der Markt und Gläubiger, die dann unter Umständen viel Geld verlieren, verzeihen können.

Damian Izdebski, techbold

„Du sitzt im Flugzeug und donnerst auf die Erde zu. Und du weißt, es ist jeden Augenblick einfach alles vorbei“, sagt Damian Izdebski. Das Flugzeug ist die Metapher für sein früheres Unternehmen DiTech, das 2014 überraschend in die Insolvenz schlitterte. Die Firmenpleite habe sich wie ein Flugzeugabsturz angefühlt. Rückblende: 2013 sind Damian und seine damalige Frau Aleksandra Izdebska am Zenit ihres unternehmerischen Erfolgs. DiTech, ein Onlinehändler für PC-Zubehör, setzte damals jährlich 120 Millionen Euro um und hatte 300 Mitarbeiter. Und die Izdebskis waren fast wöchentlich in den Schlagzeilen, weil sie einfach eine gute Geschichte waren. Zwei ehemalige Migrantenkinder aus Polen bauen aus dem nichts ein erfolgreiches Unternehmen auf, schaffen Arbeitsplätze und wirken dabei bodenständig und charismatisch – everybody’s Integrations-Darlings quasi.

Dann kam die Pleite und die Schlagzeilen änderten sich. „Du wirst plötzlich vom Hero zum Loser der Nation. Österreich hat, anders als die USA, keine Kultur des Scheiterns. Nach einer Insolvenz ist man als Unternehmer schnell stigmatisiert“, sagt er. Zu dieser Erkenntnis kam er während eines USA-Aufenthalts nach der Insolvenz – mit 10.000 geborgten Euros von seinem besten Freund, erzählt Izdebski heute. Zurück in Wien hat er seine Pleiteerfahrung im Buch „Meine besten Fehler“ niedergeschrieben und die Insolvenz und den Umgang mit der Pleite als einer von wenigen gescheiterten Unternehmern öffentlich gemacht und vermarktet.

2015, also ein Jahr nach der Insolvenz, gründete er eine neue Firma, den IT-Dienstleister techbold. Statt Geräte und Hardware verkauft er heute IT-Serviceleistungen, vor allem an Unternehmen. „Alles, was zum Untergang der DiTech geführt hat, habe ich bei techbold anders gemacht.“ 2022 setzte techbold 21 Millionen Euro um. Heute arbeiten 150 Angestellte an den drei Standorten in Wien, Oberösterreich und im Burgenland für Izdebski. „Obwohl die Umsätze damals viel größer waren, sind die Gewinne heute um ein Vielfaches höher. Techbold ist ein viel gesünderes Unternehmen“, sagt er. Die Eigenkapitalquote betrage 89 Prozent, die Gesellschafterstruktur sei anders, es gebe einen Aufsichtsrat und das Wachstum basiere vor allem auf Eigenkapital. Das liegt auch daran, dass Gründer es nach einer Pleite deutlich schwieriger haben, Kreditgeber für eine neue Geschäftsidee zu finden. Und noch etwas ist diesmal anders: Er ist medial deutlich weniger präsent als in seiner Zeit als DiTech-Chef.

„Am meisten Mut, oder Kraft, hat es mich gekostet, einen Neustart zu wagen. Und zwar entgegen des gesellschaftlichen Umfelds.“ Ehemalige Freunde hätten irgendwann nicht mehr abgehoben, die Pleite belastete die gesamte Familie und hat im Fall der Izdebskis zur Trennung geführt. „Doch irgendwann muss man einen Punkt machen und mit voller Kraft und Energie in die Zukunft gehen“, schreibt Izdebski im Schlusssatz seines Buches.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".