Wie russische Oligarchen und die EU Katz und Maus spielen

Von Marina Delcheva
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Sogar Termine vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) werden zur Routine. Zumindest für zahlreiche russische Oligarchen. Am 4. April saß zuletzt ein solcher „Biznesmen“ – wie Oligarchen etwas liebevoller in Russland genannt werden – vor dem EuG. Und das schon zum zweiten Mal, seit er im Juni 2022 vom EU-Rat auf die Sanktionsliste gesetzt worden war. Wobei „saß“ hier nicht ganz zutrifft. Tatsächlich sitzt Dmitry Alexandrovich Pumpyanskiy in St. Petersburg und darf nicht in die EU einreisen. Seine Vermögenswerte oder zumindest die, die man ihm direkt zurechnen konnte, wurden in allen EU-Ländern eingefroren.
Seit zweieinhalb Jahren geht er juristisch gegen die Sanktionen vor, und er hat auch schon zwei Mal vom EuG recht bekommen. Bis jetzt nutzte ihm das aber nichts. Denn der Rat setzte ihn immer und immer wieder auf die Sanktionsliste. Wie zahlreiche andere Oligarchen auch. Seit Kriegsbeginn spielen sanktionierte russische Oligarchen, die EU-Gerichte und Sanktionsbehörden Katz und Maus rund um Einreiseverbote und millionenschwere Nobelyachten. Das Muster ist immer dasselbe: Sanktion, Klage und wieder Sanktion. An vorderster Oligarchenfront kämpft eine Wiener Anwaltskanzlei mit reichlich Erfahrung mit „führenden Geschäftsleuten, die in Russland tätig sind, und ihren unmittelbaren Familienangehörigen“, wie es in der Direktive heißt. Aber der Reihe nach.
Seit Russlands Überfall auf die Ukraine haben die EU-Mitgliedstaaten rund 2000 russische Staatsbürger und Firmen auf die EU-Sanktionsliste gesetzt. Darunter sind Militärs, Duma-Abgeordnete, russische Banken oder Unternehmen, die zum Beispiel das russische Militär beliefern. Und an die 100 russische Wirtschaftsvertreter und deren Familienmitglieder.
VIBP (Very important business person)
Grundlage für die Sanktionierung ist der Artikel 3 der Regulative 269/2014. Und dieser erlaubt es eben, „führende Geschäftsleute, die in Russland tätig sind, und ihre unmittelbaren Familienangehörigen oder andere natürliche Personen, die von ihnen profitieren, oder Geschäftsleute, juristische Personen, Einrichtungen oder Körperschaften, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die eine wesentliche Einnahmequelle für die Regierung der Russischen Föderation darstellen, die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist“, zu sanktionieren.
Die Namen auf dieser Liste sind zusammengenommen Billionen Euro schwer. Darunter sind beispielsweise der russische Milliardär Roman Abramovich, der einst den englischen Fußballclub FC Chelsea gekauft hat. Der Großindustrielle Oleg Deripaska, der viele Jahre beste Beziehungen in Wien pflegte. Und eben Dmitry Pumpyanskiy, aber auch dessen Frau und Sohn. „Die Verhängung von Sanktionen gegen Menschen, die keine Verantwortung für das politische System ihres Landes haben und dieses auch nicht beeinflussen können, ist außerordentlich problematisch“, findet sein Anwalt Gabriel Lansky. „Die grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates verlangen es, dass dieses nur dann stattfindet, wenn belastbare Beweise für derartige Behauptungen vorliegen.“ Und das Gericht sah das zuletzt ähnlich.
Sanktioniert oder nicht?
Dmitry Pumyanskiy war der CEO des russischen Konzerns TMK, der Rohre an die russische Öl- und Gasindustrie liefert. Vor dem EuG erstritt der nach seinem Rückzug aus der TMK eigentlich die Streichung von der Sanktionsliste - und das schon zwei Mal. Den für Sanktionen zuständigen EU-Rat beeindruckt das bisher wenig.
Mittlerweile listet der EuG 179 Fälle, in denen sanktionierte russische Geschäftsleute, ihre Familienangehörigen oder Firmen gegen die Sanktionen klagten. Die detaillierte Liste liegt profil vor. Und in 17 dieser Fälle wird die Kanzlei „Lansky, Ganzger, Goeth & Partner Rechtsanwälte GmbH“ als rechtsfreundliche Vertretung gelistet. Insgesamt hat die Kanzlei bisher neun natürliche oder juristische Personen in mehreren Fällen in Zusammenhang mit den Sanktionen vertreten.
Zu den Mandanten der Kanzlei gehörte ursprünglich etwa Andrei Melnichenko, einer der zehn reichsten Russen. Er war zuletzt mehrheitlich am Düngemittelkonzern Eurochem und dem Kohle- und Stromkonzern SUEK beteiligt. 2021 soll er laut „Forbes“ fast 18 Milliarden US-Dollar schwer gewesen sein. Eine Energie- und Düngemittelkrise hat auch sein Vermögen vermehrt. Seine Yacht „SYA“ wurde von den italienischen Sanktionsbehörden einkassiert und darf den Hafen von Triest nicht verlassen. Aber anders als Pumpyanskiy blitzte Melnichenko mit seiner Klage vor dem EuG ab.
Dass auch Pumpyanskiy auf der Sanktionsliste landete, ist kein Zufall. Er war Gründer und CEO des russischen Unternehmens TMK, das Rohre für die russische Öl- und Gasindustrie produziert. Sein Unternehmen hat also Geschäfte mit der Russischen Föderation gemacht, weil etwa das Gasgeschäft in Russland staatlich ist. Am Tag nach seiner Sanktionierung trat er von seinen Funktionen zurück und verkaufte seine Unternehmensanteile. Das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ schätzt sein Vermögen aktuell auf 2,9 Milliarden US-Dollar. Interessanterweise hat es sich laut „Forbes“ von 2023 auf 2024 fast verdoppelt. Er war auch der einzige Oligarch, dessen sanktionsbedingt beschlagnahmte Mega-Yacht „Axioma“ 2022 dann tatsächlich versteigert wurde.
Sanktion schlägt Urteil
Das erste Mal wurden Pumpyanskiys und die Sanktionierung seiner Frau am 26. Juni 2024 für nicht rechtmäßig erklärt, weil nicht ausreichend belegt sei, dass er noch Einfluss auf seine ehemaligen Unternehmen ausüben könne und dass seine Positionen in russischen Unternehmen wohl nicht ausreichen würden, um ihn heute als „führenden Geschäftsmann“ einzustufen. Bei seiner Ehefrau reichte die eheliche Verbindung als Sanktionsgrund laut dem Gericht wiederum nicht aus. Zum gleichen Schluss kamen die Richter auch vergangene Woche.
Advocatus Oligarchi
Gabriel Lansky vertrat zuletzt eine Reihe russischer Geschäftsmänner, ihre Familienangehörigen oder Firmen vor dem EuG. Die wiederholte Verhängung von Sanktionen trotz der Urteile des EuG nennt ein "perpetuum mobile" des Unrechts. Der EU-Rat der 27 EU-Mitgliedsstaaten sieht das in einigen Fällen bisher anders.
Der EU-Rat betrachtete ihn zuletzt aber trotz allem als sanktionswürdig. Und das kommt so: Über Sanktionen – genau genommen über die neuerliche Aufnahme in die Sanktionslisten – wird alle sechs Monate aufs Neue abgestimmt. Zuletzt am 15. März. Die Sanktionsverfahren vor dem EuG dauern aber zwölf bis 18 Monate. Zumal der Gerichtshof derzeit alle Hände voll zu tun hat mit russischen Oligarchen, die die Streichung von der Sanktionsliste erwirken wollen. Und beeinspruchen kann man immer nur einen konkreten Spruch des EU-Rates. Bis das Urteil aber gesprochen ist, hat der Rat manche Personen schon zum zweiten, dritten und vierten Mal erneut auf die Sanktionslisten gesetzt. Und dann beginnt das Spiel von vorn.
„Der Rat ignoriert systematisch rechtskräftige Urteile, ändert nachträglich die Rechtsgrundlage oder konstruiert neue Kriterien, um eine politische Entscheidung juristisch abzusichern. Diese Instrumentalisierung des Rechts für politische Zwecke beschädigt nicht nur den Ruf der EU, sondern verletzt auch fundamentale Freiheitsrechte“, meint Lansky zum Vorgehen des Rates. Und nun ist unklar, ob Pumpyanskiy noch sanktioniert ist oder doch nicht mehr, ob sein Name bei der nächsten Ratssitzung wieder auf die verhassten Sanktionslisten geschrieben wird.
Erfolglos waren die Klagen aber nicht in allen Fällen: Vor zwei Jahren wurde sogar die Mutter des mittlerweile verstorbenen Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin – Violetta Prigoschina – nach einem Urteil des EuG von der Sanktionsliste genommen. Und auch ein weiterer zahlungskräftiger Mandant der Wiener Kanzlei wurde kürzlich nach einem Urteil des EuG nicht mehr auf die Sanktionsliste gesetzt: der Bankenmanager Vladimir Rashevsky.
Dass Oligarchen gegen ihre Sanktionierung klagen und in manchen Fällen gewinnen, sorgte nicht nur öffentlich für Aufsehen. Ende 2024 waren in Österreich laut Nationalbank Konten und Depots von sanktionierten Personen mit einem Gesamtbetrag in Höhe von 1,4 Milliarden Euro eingefroren. Das sind 100 Millionen Euro weniger als noch 2023, weil ein Teil dieser Summe eben wieder freigegeben werden musste.
Im September berät der EU-Rat das nächste Mal darüber, wen von den „führenden Geschäftsleuten, die in Russland tätig sind, und ihren unmittelbaren Familienangehörigen“ er auf die Sanktionsliste setzt. Spätestens dann entscheidet sich, ob Dmitry Pumpyanskiy ein drittes Mal vor dem EuG sitzt – metaphorisch gesprochen.

Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".