Wirtschaftlich führt derzeit an China kein Weg vorbei, auch für Österreich.
Wirtschaft

Wiens mächtige China-Connection

China ist Österreichs zweitwichtigster Handelspartner und hat mächtige Fürsprecher in Politik und Wirtschaft. Tappen wir vielleicht in die gleiche Freundschaftsfalle wie mit Russland?

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Als sich am 4. Dezember 2017 über hundert österreichische und chinesische Wirtschaftsvertreter und Unternehmer im Wiener Nobelhotel Hilton einfinden, wechseln an nur einem Nachmittag mehrere  Millionen Euro den Besitzer. Die Austrian-Chinese Business Association (ACBA) organisierte damals das „Sino-Österreichische Wirtschafts- und Investitionsforum mit der Provinz Zhejiang“. Heimische Betriebe sollten mit potenziellen chinesischen Partnern, Investoren und Käufern aus der über 57 Millionen Einwohner zählenden Provinz an der Ostküste Chinas zusammengebracht werden. Gekommen sind auch Vertreter von Politik und Wirtschaftskammer. Den Organisatoren zufolge soll es ein überaus lukratives Zusammentreffen gewesen sein: An diesem Nachmittag sollen Verträge im Wert von über 22,2 Millionen Euro unterfertigt worden sein. 

Das chinesische Wort für Freundschaft ist „Youyì“. In Österreich versteht man einiges von Freundschaft. Seit dem Kalten Krieg schlägt das Land Kapital aus seiner immerwährenden Neutralität. Das war bei Russland so und es ist bei China nicht anders. Das für Investoren denkwürdige Treffen im Hilton ist nur eines von zahlreichen Beispielen für die wirtschaftlichen Verflechtungen Österreichs mit China. Das Land ist – was den Import anbelangt – Österreichs zweitwichtigster Handelspartner nach Deutschland. Beim Export rangiert es auf dem neunten Platz. Bei der grünen Transformation des Energiesektors, bei der Medikamente- und Technologiebeschaffung führt kein Weg an China vorbei. 

Gleichzeitig eskaliert der Konflikt zwischen den USA und China gerade zu einem beinharten Handelskrieg, mit Folgen für die gesamte Weltwirtschaft. Russland und die EU-Staaten spielen dabei nur eine Nebenrolle. Während sich Russland spätestens mit dem Einmarsch in die Ukraine ganz klar auf Chinas Seite geschlagen hat, sind die EU und Österreich im Speziellen inmitten der beiden mächtigen Wirtschaftsblöcke, mit wirtschaftlichen Abhängigkeiten in beide Richtungen, um Schadensbegrenzung und Neutralität bemüht.  Kann sich das ausgehen? Kann sich das kleine Österreich im Herzen Europas zu einem neutralen Vermittler und wirtschaftlichen Nutznießer in einem möglichen neuen Kalten Krieg positionieren? Oder tappen wir mit China in die gleiche Freundschafts-Falle wie mit Russland?

Nein, meint der Wiener Rechtsanwalt Georg Zanger. Er ist Präsident der ACBA in Wien. „In meiner Funktion als Präsident der ACBA halte ich Europa tatsächlich für sehr gut beraten, sowohl von den USA als auch von China eigenständig zu werden. Wir sollten von beide Seiten profitieren. Vor allem muss Europa technologisch nachrüsten und benötigt dazu auch die Hilfe Chinas“, sagt er. Die Mitgliederliste des 2010 gegründeten Vereins liest sich wie das Who is Who der heimischen Polit- und Wirtschaftsprominenz: Ex-Kanzler Christian Kern, Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, Flughafen-Vorstand Julian Jäger, Ex-Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich, Ex-Kanzlerin Brigitte Bierlein, WKO-Vizepräsident Christoph Matznetter, ÖBB-Chef Andreas Matthä. 65 Mitglieder zählt die ACBA heute, vor der Pandemie waren es 100 bestens vernetzte Politiker und Wirtschaftstreibende aus allen politischen Lagern. Der Verein finanziere sich über Mitgliedsbeiträge und erhalte keine finanziellen Mittel aus China oder aus der chinesischen Botschaft, sagt Zanger. Organisiert werden China-Reisen mit österreichischen Wirtschaftstreibenden, Webinare, Delegationsreisen nach Österreich und eben auch Events wie jenes im Hilton.

Österreich hat 1971 diplomatische Beziehungen mit China aufgenommen. Damals wurde auch die „Österreichische Gesellschaft für Chinaforschung“ zur Förderung der freundschaftlichen und kulturellen Beziehungen mit der Volksrepublik China gegründet. Seitdem sind weitere österreichisch-chinesische Freundschaftsvereine, wirtschaftliche Interessensgruppen, Kulturvereine, Städte- und Provinz-Partnerschaften sowie eine parlamentarische Austauschgruppe mit Parlamentsabgeordneten aller Fraktionen dazugekommen. Besonders prominent besetzt ist, neben der ACBA, die 2018 gegründete Austria-China Economy Trade Association (ACETA). In deren Geschäftsleitung sitzen etwa Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger und Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke. All das dient dem Austausch und der wirtschaftlichen und politischen Beziehungspflege. 

Von der Werkbank zur Weltmacht

China avancierte in wenigen Jahrzehnten von der billigen Werkbank zur zweitgrößten, hoch technologisierten Volkswirtschaft der Welt. Das Center for Economic and Business Research sagt in einer jüngst veröffentlichten Studie voraus, dass China schon 2028 die USA als größte Volkswirtschaft der Welt ablösen soll. Während die USA Europas wichtigster militärischer und politischer Verbündeter sind, hat China mit seinem staatlich subventionierten Plan-Kapitalismus  seinen wirtschaftlichen Einfluss in Europa ausgebaut. Das neutrale Wien spielt dabei eine nicht unbedeutende Rolle. Doch dazu später.

2021 wurden zwischen China und allen EU-Staaten Waren im Wert von 696 Milliarden Euro gehandelt. Damit ist China noch vor den USA Europas wichtigster Handelspartner. Allein in Österreich betrugen die Direktinvestitionen aus China mit Stand 2022 laut Nationalbank drei Milliarden Euro. Die Importe haben sich binnen fünf Jahren verdoppelt. Die Handelsbilanz zwischen Österreich und China ist damit tiefrot. Heuer werden um geschätzte zwölf Milliarden Euro mehr Güter aus China importiert, als Österreich dorthin Waren und Dienstleistungen verkauft (siehe Grafik).

Hinter diesen Zahlen steckt eine massive wirtschaftliche Abhängigkeit. Im Winter klapperten Eltern in Österreich Apotheke um Apotheke ab, um Nureflex-Saft für ihre kranken Kinder zu kaufen. Der war häufig vergriffen. Die Lager waren fast leer. Das lag neben einer besonders hartnäckigen Infektionswelle auch daran, dass Nureflex wie viele andere Medikamente zu großen Teilen „made in China“ ist. Wegen der anhaltenden Lockdowns und der Schließung des Hafens in Schanghai, dem größten Containerhafen der Welt, kam es zu Lieferunterbrechungen – und heimische Apotheken bekamen die bestellten Medikamente nicht. 96 Prozent der Vorerzeugnisse für die chemische Industrie in Europa kommen aus China. 

Auch bei der Umsetzung der Klimaziele und der Energiewende ist Europa auf China angewiesen. Zu sehr, meinen Ökonomen und Experten. Die EU-Kommission bezifferte die Abhängigkeit von chinesischen Importen bei den für die Energiewende benötigten Technologien, Rohstoffen und Vorerzeugnissen mit mehr als zwei Drittel. Ein Beispiel: China ist mit einem Weltmarktanteil von 97 Prozent bei Wafern – das sind jene dünnen Siliziumscheiben, die Sonnenlicht in Strom umwandeln – De-facto-Monopolist. „Was für die EU gilt, gilt auch für Österreich“, sagt Klaus Friesebichler. Er ist Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und stellvertretender Direktor des „Supply Chain Intelligence Institute Austria“ (ASCII), das sich mit der Beschaffenheit, Resilienz und Diversifikation von Lieferketten beschäftigt.

„Die hohe Abhängigkeit wird dann zum Problem, wenn es keine alternativen Lieferpartner gibt“, sagt der Ökonom und Forscher. China habe in den letzten Jahren seine Monopolisierung in den Lieferketten festgeschrieben. Gleichzeitig verfolge die Kommunistische Partei Chinas mit ihrem Fünf-Jahres-Plan eindeutig eine „China-First-Politik“, so Friesenbichler. Mit dem Ziel, sich selbst möglichst unabhängig vom Rest der Welt zu machen. Also Stärkung der eigenen Produktion und der eigenen Nachfrage. „In Österreich ist es unklar, wie der wirtschaftspolitische Umgang mit China aussieht. Man möchte das Beste aus beiden Welten, aber das wird zunehmend schwieriger“, meint Friesenbichler.

Drehscheibe für Osteuropa

Wien war bisher, ob seiner geografischen Lage und seines politischen Raushaltens, ein beliebter Umschlagplatz für das Beste aus beiden Welten. Österreich war das allererste Land, das in Form eines Gasliefervertrags 1968 Geschäftsbeziehungen mit der damaligen UdSSR aufnahm. Kaum ein anderes westeuropäisches EU-Land hat wirtschaftlich mehr von der EU-Osterweiterung profitiert. Und auch in puncto China hat man, zumindest bis zur Corona-Pandemie, auf die Drehscheiben- und Tor-in-den-Osten-Rolle gesetzt. 
Nicht zufällig eröffnete die staatliche Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) 2019 ihre Zentral- und Osteuropa-Zentrale in Wien. Die Bank sollte Projekte und Investitionen der neuen Seidenstraße – der „Belt and Road Initiative“ – fördern und finanzieren. Die ICBC ist die größte Bank der Welt. Die Bilanzsumme der ICBC Austria betrug zuletzt 862 Millionen Euro (Stand 2021).

Der größte chinesische Schienenhersteller CRRC Zhuzhou Electric Locomotive hat seine Europa-Zentrale schon 2016 in Wien eröffnet. Mit dem Ausbau der Breitbahnspur von Moskau über Kiew und Bratislava sollte Wien per Bahn an die neue Seidenstraße angeschlossen werden. Parndorf im Burgenland war auch kurze Zeit als Umschlagbahnhof für Waren aus China nach Europa im Gespräch. Mit dem Einfall Moskaus in die Ukraine wurde das Projekt allerdings auf Eis gelegt. Rund 40 chinesische Firmen haben eine Niederlassung in Wien. Insgesamt sollen einer Schätzung der Wirtschaftskammer von 2021 zufolge 230 chinesische Unternehmen mittels Beteiligungen in Österreich involviert sein. Der oberösterreichische Luftfahrtzulieferer FACC gehört seit 2009 mehrheitlich der staatlichen Aviation Industry Corporation of China (AVIC), 2018 übernahm der chinesische Investor Fosun 50,8 Prozent am Textilunternehmen Wolford, auch der Skihersteller Atomic und weitere heimische Firmen haben chinesische (Mit-)Eigentümer und Investoren.

China hofiert

Vor allem in Osteuropa hat sich China im vergangenen Jahrzehnt, was Auslandsinvestitionen betrifft, ausgetobt. Zwischen 2005 und 2022 hat China laut dem China Global Investment Tracker 7,5 Milliarden US-Dollar in Ungarn investiert. In Serbien sollen es lokalen Medien zufolge gar zehn Milliarden Euro sein. Mitgenascht an diesen Investitionen hat auch Österreich. Als der slowenische Haushaltsgerätehersteller Gorenje 2018 vom chinesischen Elektronikkonzern Hisense übernommen wurde, spielte eine Wiener Anwaltskanzlei mit ihrer Laibach-Niederlassung eine gewichtige legistische Rolle. Und auch bei einigen anderen Übernahmen von Industrie-Firmen, Solarparks und bei öffentlichen Ausschreibungen fungieren heimische Kanzleien mit ihren Büros in den CEE-Ländern als Berater.

„Bis zur Pandemie war Wien sicherlich ein Umschlagplatz für chinesische Investitionen“, erzählt Christian Mikosch, Leiter des China Desk und Partner bei der österreichischen Anwaltskanzlei Wolf Theiss. Nach Corona hätten Warschau, Budapest und Prag Wien zusehends diesen Rang abgelaufen. Vor allem Ungarns Premier Viktor Orbán hofiert China. Der chinesische Auto-Batteriehersteller Contemporary Amperex Technology Co., Limited (CATL) baut heuer um 6,7 Milliarden Euro eine Gigafabrik im ungarischen Debrecen. Es ist die größte jemals getätigte Auslandsinvestition in Ungarn, 9000 Arbeitsplätze sollen am Standort entstehen. Unter anderen beratend mit an Bord: das Budapest-Büro von Wolf Theiss aus Österreich.

Chinas wachsender Einfluss in der EU sorgt in Brüssel aber immer wieder für Unmut. Vor allem im Technologie- und Industriesektor fürchtet man einen Abfluss von Know-how und Technologie von Europa nach China. Immer wieder werden auch Spionagevorwürfe laut. Als der chinesische Staatskonzern Cosco vergangenes Jahr 24,9 Prozent des Container-Terminals am Hamburger Hafen kaufte, war der öffentliche Aufschrei groß. Die Sorge vor Chinas Einfluss ist so enorm, dass die EU 2018 die sogenannte FDI-Screening-Regulation beschloss, eine Verordnung für die Überprüfung von ausländischen Direktinvestitionen. Eigentlich richtet sich die Richtlinie, die auch in Österreich umgesetzt wurde, an alle EU-Drittstaaten. De facto ist damit aber vor allem China gemeint. Übernahmen ab 25 Prozent müssen demnach politisch geprüft und genehmigt werden. Bei besonders kritischer Infrastruktur, Krisen- und Daseinsvorsorge, im Telekom- oder Energiebereich liegt die genehmigungspflichtige Hürde bei zehn Prozent. Ein geplantes Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und China wurde im EU-Parlament gestoppt, mit Verweis auf anhaltende politische Spannungen und Menschenrechtsverletzungen in China.

USA verschnupft

Besonders den USA ist Chinas Treiben ein Dorn im Auge. Ende des Vorjahres erließ US-Präsident Joe Biden mit den Chips Act so etwas wie ein digitales Total-Embargo gegen China. Ganz vereinfacht erklärt, dürfen keine Fabriken in China mehr mit Chips beliefert werden. Auch Japan und die Niederlande haben sich auf Druck der USA am Chips Act beteiligt. China seinerseits bemüht sich immer stärker darum, internationale Investitions- und Kaufverträge in der Landeswährung Yuan (RMD) statt in US-Dollar abzuschließen, ganz zum Unmut der USA. 

Wir befinden uns im Kalten Krieg 2.0.

Politologin Velina Tchakarova

Handelskrieg zwischen den USA und China.

Im US-Außenministerium wurde analog zum Kalten Krieg mit Russland ein China House eingerichtet, das die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen Chinas mit anderen Ländern beobachtet, auch in der EU und damit wohl auch in Österreich. Zuletzt sorgte ein Bericht der spanischen NGO Safeguard Defenders über mutmaßliche geheime chinesische Polizeistationen in Europa, die chinesische Staatsbürger im Ausland überwachen und einige gegen ihren Willen zur Rückkehr nach China gezwungen haben sollen, für Aufruhr. Auch in Wien soll es laut Bericht eine solche Station gegeben haben. Das Innenministerium prüfte die Vorwürfe. Grundsätzlich gebe man öffentlich keine Auskünfte über konkrete nachrichtendienstliche Aktivitäten. Auf profil-Anfrage heißt es allgemein: „Die Attraktivität Österreichs als Operationsgebiet für fremde Nachrichtendienste ist nach wie vor hoch. Diasporagemeinden sind hier im Fokus der versuchten Einflussnahme. Deshalb beobachtet die DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, Anm.) auch solche Diasporagemeinden, um die aktuelle Lage zu kennen und zu analysieren und allenfalls auf drohende Gefahren reagieren zu können“, schreibt ein Sprecher. Man dulde „derartige Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste oder Polizeibehörden unter keinen Umständen“.

„Wir befinden uns im Kalten Krieg 2.0“, sagt die Politikwissenschafterin und Geopolitik-Expertin Velina Tchakarova. Sie spricht in diesem Zusammenhang von der sogenannten Bifurkations-Theorie, einer Gabelung des Weltgefüges. „Es findet derzeit eine umfassende Entkoppelung zwischen den USA und China statt, mit massiven geopolitischen Folgen“, erklärt sie. Kurzfristig sei es sicher sinnvoll, wenn weder die EU, noch Österreich klar Stellung beziehen. „Langfristig wären aber die EU und Österreich sehr gut beraten, sich in diesem kalten Krieg neue, unabhängige politische und wirtschaftliche Verbündete zu suchen, um nicht zwischen beiden Weltmächten zerrieben zu werden.“

Indien, immerhin die größte Demokratie und seit heuer auch das bevölkerungsreichste Land der Welt, könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Aber auch die zentral- und südamerikanischen Staaten und Länder wie Indonesien, Südkorea und die Philippinen gewinnen an geopolitischem Gewicht. „Sonst könnte Österreichs stille Diplomatie bei einer Zuspitzung des Konflikts, etwa einem Einmarsch Chinas in Taiwan, wirklich zum Problem werden“, meint Tchakarova.

Marina Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".