Wieso die Rezession Oberösterreich am härtesten trifft
Österreich befindet sich also wieder in einer Rezession. Hohe Inflation, schwache Weltwirtschaft, hohe Zinsen – nach vielen krisengeprägten Monaten rechnen Wirtschaftsinstitute hierzulande nun damit, dass die Wirtschaftsleistung heuer im Vergleich zum Vorjahr leicht zurückgeht. Die Rezession ist jetzt schon Realität, denn laut den aktuellen Zahlen von Freitag ist das Kriterium dafür mit einem halben Jahr durchgehenden Abschwung wieder einmal erfüllt.
Letztes Jahr hat das große wirtschaftliche Aufholen nach der entbehrungsvollen Pandemiezeit noch vieles kaschiert. Das ist passé. Jetzt schlägt immer stärker durch, dass sich die Menschen aufgrund der massiven Teuerung immer weniger leisten können oder wollen. Durch die hohen Zinsen investieren Unternehmen weniger. Es mangelt an Aufträgen, und die Kosten müssen runter.
Wie meistens in einer Rezession verlieren wegen des Abschwungs wieder mehr Menschen ihren Arbeitsplatz. Im September ist die Arbeitslosigkeit in Österreich um etwa sechs Prozent gestiegen. Es gab also fast 15.000 Menschen mehr, die arbeitslos gemeldet waren, als letztes Jahr – der höchste Anstieg bisher in diesem Jahr. „Bei der Beschäftigung sind wir mit einem guten Polster in das Jahr 2023 gestartet. Dieses Beschäftigungs-Plus zu Jahresanfang schmilzt jetzt langsam ab“, sagt WIFO-Ökonomin Ulrike Huemer gegenüber profil. Dennoch: Im gegebenen wirtschaftlichen Umfeld sei der Arbeitslosigkeitsanstieg insgesamt noch moderat. Auch das Institut für Höhere Studien (IHS) bezeichnet den österreichischen Arbeitsmarkt weiterhin als „robust“. Es gibt aber ein Sorgenkind. In Oberösterreich haben zuletzt überproportional viele Menschen ihren Job verloren. Gegenüber dem Vorjahr gibt es im bevölkerungsmäßig drittgrößten Bundesland um fast elf Prozent mehr Arbeitslose. Also fast 3000 mehr Menschen ohne Job. Es deute zwar noch nichts auf panikartigen Personalabbau hin, heißt es seitens der Arbeiterkammer Oberösterreich. „Betriebe zögern aber bei Neueinstellungen, speziell bei Nachbesetzungen“, so die AK vor Ort.
Wolken über dem Industrieland
Wieso steigt die Arbeitslosigkeit in Oberösterreich so viel stärker an als in anderen Bundesländern? Das hat vor allem mit der wirtschaftlichen Struktur zu tun. Oberösterreich ist landesweit der wichtigste Industriestandort. Voestalpine, BMW Steyr, Pierer Industrie, Lenzing, Greiner, AMAG – ob Stahl, Autoteile, Fasern, Schaumstoffe oder Aluminium: Viele namhafte Industriebetriebe produzieren in Oberösterreich.
Allein die zehn größten Industrieunternehmen erwirtschafteten dort laut „Industriemagazin“ zuletzt einen Jahresumsatz von gemeinsam rund 40 Milliarden Euro. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt war Oberösterreich 2021 nach Wien auch das wirtschaftlich zweitwichtigste Bundesland in Österreich. Auch die Industrie hat nach den gesellschaftlichen Einschränkungen der Corona-Pandemie und langwierigen Unterbrechungen bei den internationalen Lieferketten wieder stark aufgeholt. Aber der Aufschwung war von kurzer Dauer. In der österreichischen Industrie herrscht schon seit dem Frühjahr Rezession. Vor allem die Nachfrage aus dem Ausland ist eingebrochen, woraufhin viele Betriebe ihre Produktion zurückgefahren haben. Damit schmelzen auch die zuletzt sehr hohen Profite dahin.
Der Stahlriese Voest rechnet aktuell etwa mit einem operativen Gewinn von bis zu 1,9 Milliarden Euro. Im Vorjahr waren es noch mehr als 2,5 Milliarden Euro. Der Fasern-Hersteller Lenzing hat seine Gewinnprognose zuletzt aber gesenkt. „Die für das zweite Halbjahr erwartete Erholung in den für uns relevanten Märkten bleibt bisher aus“, sagte CEO Stephan Sielaff dazu Mitte September. Die Flaute spiegelt sich auch auf dem Arbeitsmarkt deutlich wider. In der Sparte „Herstellung von Waren“ gab es im September um fast neun Prozent mehr Arbeitslose. Nur im Bau war der Anstieg im Vergleich zum Vorjahr noch höher.
Vorgeschmack beim Leihpersonal
Diese Zahlen zeigen aber nicht das gesamte Ausmaß der Jobverluste in der Industrie. Laut WIFO-Ökonomin Huemer ist die Entwicklung bei der Leiharbeit – also der Arbeitskräfte-Überlassung – ein Indikator dafür, wie es der Industrie wirtschaftlich geht. Hier sei die Beschäftigung bereits im August um mehr als neun Prozent zurückgegangen, es gab also rund 10.000 Beschäftigte weniger als im Vorjahr.
„Das Beschäftigungsplus zu Jahresanfang schmilzt jetzt langsam ab.“
Da Leiharbeitskräfte stark im produzierenden Bereich zum Einsatz kommen, sei der Beschäftigungsrückgang ein Anzeichen für die zunehmenden Probleme in der Branche. „Betriebe versuchen in wirtschaftlich schlechten Zeiten ihr Stammpersonal zu behalten und entlassen zuerst das Leihpersonal. Leihpersonal kann eben schneller gekündigt werden“, so Huemer gegenüber profil.
Und das sind vor allem für Beschäftigte in Oberösterreich schlechte Nachrichten. Die Stimmung bei Industriebetrieben in Oberösterreich sei wegen der wirtschaftlichen Abkühlung sehr angespannt, berichtet Joachim Haindl-Grutsch, Geschäftsführer der lokalen Zweigstelle der Industriellenvereinigung. Wobei die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Gröbsten bisher verschont geblieben seien, denn neben der Rezession gebe es weiterhin einen massiven Fachkräftemangel in der oberösterreichischen Industrie. Die vergleichsweise noch sehr niedrige Arbeitslosigkeit trotz Abschwung – „das gab es auch noch nie“, so Haindl-Grutsch. Dabei werde es allerdings nicht bleiben. „Der Trend geht in die andere Richtung“, sagt der Industrie-Vertreter.
Mit Blick auf die laufenden Lohnverhandlungen bei den Metallern, die für die produzierende Unternehmen große Bedeutung haben, warnt der IV-Oberösterreich-Chef vor weiter steigenden Kosten. Gegenüber Konkurrenten, die in den USA oder in Asien produzieren, hätten Industriebetriebe in Österreich gerade bei Personal und Energie viel höhere Kosten.
Darunter würden Standorte und Werke in Österreich leiden. „Der Druck wird zunehmen“, sagt Haindl-Grutsch.
Noch nicht zukunftsfit
Die Arbeiterkammer sieht aber auch andere Probleme für die Industrie in Oberösterreich. Viele Unternehmen seien massiv gefordert, ihre Produkte und Produktionsprozesse ökologisch nachhaltiger zu gestalten. Dieser Veränderungsprozess sei vielerorts aber noch unklar, dazu würden sehr volatile Energie- und Rohstoffpreise kommen.
Insgesamt also viele unberechenbare Entwicklungen. „Einige Betriebe arbeiten bereits an Zukunftsstrategien, andere haben sich bislang wenig Gedanken dazu gemacht. Und die Beschäftigten sind leider in diesem Fall abhängig von den strategischen Unternehmensentscheidungen“, heißt es seitens der AK.
Was die Personalentscheidungen angeht, hätte man aufgrund der schlechten Wirtschaftslage auch mit mehr Kündigungen rechnen können, sagt Ökonomin Huemer vom WIFO. Eine Theorie, wieso die Arbeitslosigkeit nicht noch stärker ansteigt: Die Betriebe horten Arbeitskräfte. Denn der Mangel an ebensolchen wird bei vielen Unternehmen – vor allem in der Industrie – nach wie vor als ein ausgeprägtes Hemmnis für die Produktion gesehen.
„Anscheinend sind Betriebe jetzt zurückhaltender, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freizusetzen. Nach der Devise: Ich halte lieber Personal und schicke sie nicht gleich in die Arbeitslosigkeit, weil ich sie vielleicht nicht wieder zurückbekomme, wenn der Betrieb sie wieder braucht.“ Das könne eine Abkehr von dem etablierten Prinzip „Hire and Fire“ bedeuten, nach dem Unternehmen auf sinkende Profite vor allem mit Kündigungen reagieren, so Huemer.
Wie nachhaltig dieser Sinneswandel sein wird, könnte sich zuallererst im Industrieland Oberösterreich zeigen.