Wintertourismus: Wie sich eine Branche neu erfinden muss
Ein geschlossenes Skigebiet ist ein trister Ort. Es ist gespenstisch ruhig in der Talstation am Sternstein (814 Höhenmeter) im oberösterreichischen Mühlviertel. Nieselregen prasselt auf den verwaisten Parkplatz und lässt die letzten Reste des Schneebandes auf der Piste dahinschmelzen. "Das anhaltende Warmwetter zwingt uns dazu, den Liftbetrieb einzustellen", gibt man sich auf der Website zerknirscht. Seit Jahreswechsel sind die Sternsteinlifte geschlossen-so wie zahlreiche andere Skigebiete Österreichs. "Die Saison hat richtig gut begonnen. Der erste Schnee hat für sehr gute Pistenverhältnisse gesorgt. Der Jänner tut uns jetzt weh", sagt Geschäftsführer Andreas Eckerstorfer.
Schuld am Schneemangel war ein Warmwettereinbruch, der Anfang Jänner mit über 20 Grad plus in weiten Teilen Europas Temperaturrekorde gebrochen hat. Der Klimatologe Maximiliano Herrera bezeichnet diese Periode als "das extremste Wetterereignis seit Beginn der Klimatologie".
Am Sternstein lässt man sich davon aber nicht verunsichern. Und nimmt gleichzeitig die Politik in die Pflicht: "Ich kenne das Geschäft seit 17 Jahren. In dieser Zeit hatten wir im Schnitt zwischen 90 und 100 Betriebstage pro Jahr. Mir fehlen klare Ansagen, es redet jeder nur auf der Metaebene. In der Geschäftsführung müssen wir aber schnell handeln: Investieren wir, sperren wir auf, beschneien wir oder nicht?", so Eckerstorfer.
Grau und Grün
Das Skigebiet Sternstein in Oberösterreich ist seit Jahreswechsel wegen Schneemangels geschlossen.
Der warme Winter 2022/23 ist nicht aus allen Wolken gefallen. Seit der vorindustriellen Zeit hat sich die globale Durchschnittstemperatur um etwa ein Grad erhöht. Die Alpen-und damit auch Österreich-sind vom Klimawandel mit am stärksten betroffen; hierzulande fällt die Temperaturzunahme etwa doppelt so stark aus wie im weltweiten Mittel. Bis Ende des Jahrhunderts kann es in Österreich um bis zu vier Grad wärmer werden, prognostizieren Klimaforscher der Geosphere Austria (ehemals ZAMG). "Dadurch häufen sich auch die Perioden extremer Schneearmut-wie in dieser Saison um Weihnachten", sagt Marc Olefs, Leiter der Abteilung für Klima-Folgen-Forschung der Geosphere Austria.
Es ist nicht so, dass man es nicht hätte wissen können. Gerade wieder kursierte in sozialen Medien eine Presseaussendung des WWF Österreich vom 29. August 1999. Die Naturschutzorganisation verwies darin auf die Ergebnisse einer Studie der Universität von East Anglia über den "Klimawandel und die Auswirkungen auf den Tourismus". Die Forscher hatten damals zehn wichtige Tourismusdestinationen in aller Welt untersucht und unter anderem vorausgesehen, "dass in vielen Regionen des östlichen Mittelmeers die Tage mit Temperaturen über 40 Grad Celsius zunehmen werden". Und: "Klimamodelle zeigen, dass bei steigenden Temperaturen die Wintersaison reduziert wird. In manchen Regionen um 20 Prozent bis 2020 und mehr als 50 Prozent bis 2050. Die Modelle zeigen, gerade tiefliegende Skigebiete wie etwa Kitzbühel (763 Meter) sind in der sensiblen Zone."
Hüttengaudi am Schneeband
Im Pongau störten die warmen Temperaturen derweil nur wenige. Es ist der erste echte Post-Corona-Winter. Auf den Skischaukeln steppt der Bär, im Skiverleih wird das Material knapp, auf den Abfahrten stockt der Verkehr. Es ist viel zu warm für die Jahreszeit, Skifahren muss trotzdem sein, also: ab zum Geheimtipp. Die Lifte in dem kleinen Naturschneegebiet Hochkeil bei Mühlbach am Hochkönig (1340 Höhenmeter) sind wegen Naturschneemangels leider geschlossen, besser sieht es in Eben im Pongau (875 Höhenmeter) aus, das Familienskigebiet "Monte Popolo" empfängt seine Gäste mit einem wohlpräparierten Kunstschneeband in grüner Almlandschaft. Der Doppelsessellift folgt einer frühlingshaften Schneise durch den Wald. Blühende Landschaften, so weit das Auge reicht (die Piste liegt hinter den Bäumen versteckt).Man wähnt sich im März. Die Piste selbst ist angenehm verkehrsarm, aber halt doch recht weich, ab dem späten Vormittag wachsen die Hügel aus Sulz, das subjektive Skivergnügen schmilzt. Aber das ist ja das Schöne am Frühlingsskilauf: Auf der Hüttenterrasse scheint die Sonne.
Dass Schneemangel für den Wintertourismus trotzdem zum Problem wird, veranschaulicht ein aktuelles Beispiel wie kein anderes: Um den Skibetrieb zu retten, wurde in Gstaad in der Schweiz Schnee per Helikopter auf die grünen Pisten geflogen. Ein unkonventionelles Mittel, das in sozialen Medien für Bestürzung sorgte-allen voran bei Umweltschützern. Analysen von Geosphere Austria zeigen: Im gesamtösterreichischen Mittel hat die Dauer der Schneedecke seit 1961 um 40 Tage pro Jahr abgenommen. Und die Zukunft ist "düster", sofern die globalen Emissionen nicht rasch und drastisch sinken, sagt Klimaforscher Olefs. Nicht nur in niedrigen Lagen, sondern auch in Gebieten in 1500 bis 2500 Meter Seehöhe-Regionen, die den Großteil des Wintersports und-tourismus umfassen. Ohne wirksame Klimaschutzmaßnahmen gebe es in diesen Höhen bis zum Ende des Jahrhunderts um ein Viertel weniger Tage mit Schneedecke, so der Experte. Und: "Selbst bei Einhaltung des Pariser Klimaabkommens ist bis zum Jahr 2100 mit zehn Prozent weniger Schneedeckentagen zu rechnen."
Eine Hiobsbotschaft für den heimischen Tourismus? Der spielt in der österreichischen Volkswirtschaft eine bedeutende Rolle. Die Wertschöpfung aus der Tourismuswirtschaft trägt indirekt, also nicht nur durch Seilbahnen und Skilifte, sondern auch durch Einnahmen von Hotels, Restaurants und Skiverleihe, zu über 10 Prozent des BIP bei. Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es über 15 Prozent. Mehr als die Hälfte ist auf den Wintertourismus zurückzuführen. Und das wird sich so schnell nicht ändern, sagt WIFO-Ökonom Oliver Fritz: "Wir nennen dieses Phänomen 'last chance tourism'. Wenn mir bewusst ist, dass der Skilauf in vielen Regionen bald nicht mehr möglich sein wird, nehme ich meine Chance wahr, es jetzt noch zu erleben." In die ferne Zukunft blickt Fritz allerdings pessimistisch. Dramatische Auswirkungen hätte ein Einbruch beim Wintertourismus auf den heimischen Arbeitsmarkt: Rund fünf Prozent aller Beschäftigten sind im Beherbergungs-und Gaststättenwesen tätig.
Der Tenor lautet daher: Umrüsten, Zusatzangebote schaffen, weg vom reinen Skitourismus. Doch das ist mit großen Investitionen verbunden. Traditionell haben Hotels eine verhältnismäßig niedrige Eigenkapitalquote und relativ hohe Schulden. Die zwei pandemiegeprägten Jahre haben das-zumindest im Branchenschnitt-nicht wesentlich verändert, heißt es von der KMU Forschung. Die Unterschiede innerhalb der Branche sind jedoch groß. Einige hätten-auch mithilfe staatlicher Unterstützung-die Pandemiezeit für Investitionen genutzt. Gleichzeitig steigen seit dem Sommer die Zinsen flexibel verzinster Kredite. Das kann wiederum Betriebe in Bedrängnis bringen.
Freizeitpark am Berg
Obertraun am Dachstein, 600 Höhenmeter, Ende Dezember. Die Talabfahrt ist gesperrt, der Parkplatz vor der Seilbahn trotzdem gut gefüllt. Erst auf halbem Weg zur Gipfelstation wird es weiß, doch auch oben auf dem Dachsteinmassiv scheinen die Latschen durch. "Na wenn's hier keinen Schnee mehr hat, dann gibt's auch keine Pole mehr", kommentiert einer der wenigen Skifahrer in der Gondel trocken.
Die Gondel ist trotzdem gesteckt voll, der Großteil interessiert sich gar nicht für die Talabfahrt. Nur wenige haben Schneehosen an, Skischuhe sind die Ausnahme. Ein paar verwaiste Skifahrer und Tourengeher stehen neben Touristen aus dem arabischen Raum, viele davon haben Schneeschuhe ausgeborgt. Sie gehen von der Talstation einen halbstündigen, fast ebenen Rundweg vorbei an einer Kapelle, der sogenannten Welterbespirale und den "five fingers" - zwei Aussichtsplattformen mit Blick auf den Dachstein, den Hallstättersee und die Gemeinde Obertraun. Etwas weiter weg wartet noch ein rostfarbener Hai auf die Touristen. Vor Tausenden von Jahren seien hier einmal Fische geschwommen, heißt es.
Bergstation, 2069 Höhenmeter. Ein jordanisches Paar ist mit seinem zehn Monate alten Sohn auf den Berg gefahren. "Wir sind wegen des Schnees gekommen", sagen sie. Sie sind ein bisschen enttäuscht, als sie hören, dass normalerweise noch mehr liegt, aber Hauptsache, es ist weiß. Morgen fahren sie nach Zell am See: "Dort liegt noch mehr Schnee."
Ist das eine Zukunft für den heimischen Tourismus: eine Art Städtetourismus am Berg? Ein paar Sehenswürdigkeiten abklappern und weiterfahren? Am Krippenstein würde es anders gar nicht mehr gehen. "Ohne die internationalen Tagesgäste wäre ein Betrieb nicht wirtschaftlich", erzählt der Geschäftsführer der oberösterreichischen Seilbahnholding, Rupert Schiefer. Im Winter geht fast die Hälfte der Gondelpassagiere nicht mehr klassisch Ski fahren.
Doch was ist in fünf Jahren? "Ich lasse auf keinen Fall alles so schlechtreden, wie es immer getan wird", betont Seilbahnbetreiber Schiefer. "Es muss weitergehen, irgendwie, sonst sterben die Täler aus." Jedes Gebiet müsse seine Potenziale abklopfen, am Krippenstein sei das relativ einfach, hier gebe es schon viel Angebot neben Talabfahrt und Skispaß. Im Nachbarskigebiet in Gosau, das auch von der oberösterreichischen Seilbahn AG betrieben wird, kommen hingegen 99 Prozent der Gäste für das Skierlebnis. Eine Möglichkeit seien mehr alternative Attraktionen, die sich gut in die Natur einbetten. Aber: "Eine Hüpfburg wird es am Berg nicht geben."
Skiurlaub als Luxusgut
Im Winter 2022/23 haben Inflation und explodierende Energiepreise die Liftkarten im Schnitt um elf Prozent verteuert. In großen Skigebieten kosten Tageskarten mittlerweile bis zu 70 Euro. Dazu kommen Nächtigung, Verpflegung, Anreise oder Geräteverleih. "Skiurlaub ist schon lange Luxus", erklärt der Tourismusforscher Peter Zellmann. Eine Reise im Winter - egal ob Berg oder Strand - sei für die meisten Österreicherinnen und Österreicher ein Zweit- oder Dritturlaub. "Den kann sich nur das oberste Einkommensdrittel leisten." Aus dem soeben veröffentlichten "Ruefa Reisekompass 2023" geht hervor: Für 28 Prozent der Befragten kommt ein Winterurlaub grundsätzlich nicht infrage, weitere 15 Prozent wollen in diesem Jahr aus Kostengründen verzichten. Und zehn Prozent halten es für "unverantwortlich, in der aktuellen Energiekrise Winterurlaub zu machen und Energie für Skilifte und Schneekanonen zu verbrauchen".
Aber: Jene, die es sich dann doch leisten können, zeigen sich noch relativ unbeeindruckt von steigenden Preisen. Und das spürt auch die Branche. Die Zahl der Nächtigungen lag laut Statistik Austria mit über 4,8 Millionen nach den Jahren 2018 und 2019 auf dem dritthöchsten November-Wert. Der Berg bekommt aber Konkurrenz.
Tropen statt Talstation
Fernreisen im Winter boomen, wenn auch auf geringem Niveau. Mauritius, Mexiko oder die Malediven; die Langstreckenflugzeuge der Austrian Airlines waren über die Weihnachtsfeiertage zu 90 Prozent gebucht. Auf einzelnen Routen hat man aufgrund der hohen Nachfrage auf sechs wöchentliche Flüge aufgestockt.
Doch Tourismusforscher Zellmann relativiert: "Auch wenn sich die Nachfrage nach Fernreisen im Winter in den letzten Jahren teils verdoppelt hat, liegt der Anteil insgesamt gerade einmal bei rund sechs Prozent". Aus Sicht von Klimaforschern sind das gute Neuigkeiten: Eine Fernreise auf die Malediven verursacht laut Umweltbundesamt in etwa 14 Mal so viel CO2 wie ein Skiurlaub in Österreich mit Anreise im eigenen Pkw. Seilbahnchef Franz Hörl forderte daher zuletzt eine Sondersteuer für die Bewerbung "besonders umweltschädlicher Urlaubsformen" wie Flugreisen oder Kreuzfahrten und plädierte für die Einführung eines kompletten Werbeverbots. Ein Vorstoß, den das Umweltministerium befürworte und "genau prüfe", wie es gegenüber profil heißt. Aber steht der Skitourismus in Klimafragen tatsächlich so gut da?
Aus einer Studie des Umweltbundesamtes geht hervor: Der Wintertourismus steht für etwa ein Prozent des jährlichen Endenergieverbrauchs Österreichs. Laut Klimaexperte Günther Lichtblau vom Umweltbundesamt sei das jedoch "keinesfalls" zu vernachlässigen: "Das entspricht dem jährlichen Verbrauch von rund 600.000 Haushalten mit zwei bis drei Personen."
Aber auch Wintersportgebiete gehen mit der Zeit. Am Rande des Damen-Slaloms in Flachau (927 Höhenmeter) wurde am vergangenen Dienstag eine Sensation enthüllt, nämlich: die erste rein mit Wasserstoff betriebene Pistenraupe. Ab 2025 soll es den Prototypen in Serie geben. Bis dahin will die örtliche Bergbahngesellschaft ("Snow Space Salzburg") klimaneutral werden. Schon jetzt werde der Strom für Seilbahn-und Schneekanonenbetrieb zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen bezogen, erklärte Snow-Space-Geschäftsführer Wolfgang Hettegger bei der Präsentation. Überhaupt könnten Seilbahngesellschaften durchaus zu Stromproduzenten mutieren, wie Seilbahnen-Sprecher Hörl selbst bereits im Herbst andachte. Das Potenzial der Nutzung von Pistenflächen beziehungsweise alpinen Gebieten für die Stromerzeugung ist tatsächlich groß, wie es etwa von der IG Windkraft heißt. In der Steiermark stehen beispielsweise drei Windparks direkt in Skigebieten: "Wir bekommen sehr viele positive Rückmeldungen von Touristen zu den Windrädern. Die Gäste sind begeistert, wenn sie sehen, dass sie mit Windstrom auf den Berg fahren können",meint Robert Hammerl, Windkraft-und Gasthofbetreiber des steirischen Bergresorts Salzstiegl. Auch das Betreiben von Pumpspeicherkraftwerken biete sich für Seilbahnunternehmer an, heißt es aus dem Umweltbundesamt. Neben Strom benötigen Schneekanonen vor allem eines: viel Wasser. Laut Landwirtschaftsministerium beläuft sich der aktuelle Wasserbedarf für die Beschneiung der heimischen Pisten auf etwa 50 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Das entspricht rund zwei Prozent des gesamten Wasserbedarfs in Österreich.
Quo vadis, Skination?
Tourismusforscher Peter Zellmann wagt eine vorsichtige Prognose: "Skigebiete über 1600 Metern mit ökologisch einwandfreier Beschneiung werden in den nächsten 15 Jahren keine wirtschaftlichen Probleme haben. Alles darunter wird zunehmend in Schwierigkeiten geraten."
Die größte Sorge vieler Touristikerinnen und Skiliftbetreiber ist freilich der fehlende Nachwuchs. Aus der aktuellen profil-Umfrage geht hervor, dass über zwei Drittel der Österreicherinnen und Österreicher "so gut wie nie Ski fahren". Das bestätigt auch der Tourismusforscher. "Dieses 'Nie-Potenzial' hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt. "Besonders im urbanen Raum handle es sich um eine unumkehrbare Entwicklung, die sich vor allem auf Tagesausflugsziele wie Hinterstoder, den Semmering oder das Wechselgebiet auswirken werde. "Warum sollten Eltern, die selbst das Skifahren nie lernten, ihren Kindern plötzlich das Skifahren beibringen?", fragt Zellmann.
Am derzeit geschlossenen oberösterreichischen Sternstein versucht man deshalb vorsorglich, die Jugend fürs Skifahren zu begeistern. "Es war schnell klar, dass wir in Qualität statt Quantität investieren müssen, um trotzdem einigermaßen mithalten zu können. Wir sind ein Nahversorgungs-Skigebiet für den Raum Linz, Freistadt, ja sogar bis nach Budweis. Wir konkurrieren nicht mit alpinen Ski-Resorts", sagt Geschäftsführer Andreas Eckerstorfer. Familienfreundlichkeit und das Aufgreifen neuer Trends stehen daher in dem kleinen Skigebiet im Vordergrund. So machen Tourenskigeher am Sternstein bereits ein Viertel der Einnahmen aus.
Doch auch die bleiben derzeit aus. Man hoffe auf baldigen Schneefall und tiefere Temperaturen für die letzte Chance dieser Wintersaison, die Semesterferien. Bis dahin bleibt es aber gespenstisch ruhig im Mühlviertler Skigebiet-und die Reste des weißen Schneebandes schmelzen dahin.