Wirtschaftsausblick: "Es ist nicht alles schlecht"
Von Marina Delcheva
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Die Wirtschaftsberichterstattung der vergangenen Monate war nicht gerade von Jubelmeldungen geprägt. Mit zuletzt 5,4 Prozent haben wir in Österreich die dritthöchste Inflationsrate im Euro-Raum. Dafür schrumpft die Wirtschaft heuer um voraussichtlich 0,8 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Arbeitslosigkeit stieg zuletzt wieder an, und die vor Kurzem noch von Bilanzerfolgen verwöhnte Industrie kämpft mit leeren Auftragsbüchern und Einbrüchen im Konsum. Wie angespannt die Situation ist, zeigt sich bei den laufenden Lohnverhandlungen. Ganze acht Verhandlungsrunden hat es gebraucht, bis sich die Metaller auf ein Gehaltsplus von 8,6 Prozent einigten, inklusive Streiks und Pöbeleien in beiden Lagern. Man könnte meinen, dass Österreichs Wettbewerbsfähigkeit auf allen Ebenen dahinschmilzt. Ganz so prekär ist die Situation aber nicht. In seinem noch unveröffentlichten "WIFO-Radar der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft 2023" zeichnet das Wirtschaftsforschungsinstitut ein weniger pessimistisches Bild.
Mit einem Prozentrang von 64,4 verbesserte sich Österreichs Wettbewerbsfähigkeit zuletzt sogar um 1,9 Prozentpunkte. Damit ist das Land zwar nicht im Spitzenfeld der 30 erhobenen europäischen Länder, aber: "Wir liegen knapp hinter dem besten Drittel", sagt Studienautor und WIFO-Forscher Michael Peneder. Verbesserungen gab es etwa bei den real verfügbaren Einkommen, der Produktivität und der regionalen Verteilung, wo Österreich einen Prozentrang von 77,2 erreicht hat. Im internationalen Handel verdanken wir den Zuwachs an Wettbewerbsfähigkeit der Erholung im Tourismus nach der Corona-Pandemie. Die Warenexporte "blieben jedoch hinter den Entwicklungen am Weltmarkt", heißt es im Bericht.
Wo Österreich dagegen an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt hat, ist der Bereich "Arbeitsmarkt und soziale Lebensverhältnisse". Sowohl bei der Arbeitslosenquote, beim Gender-Pay-Gap als auch bei der Armutsgefährdung sind wir nur im Mittelfeld der europäischen Länder. Spitzenreiter ist hier übrigens Tschechien. Dort sind im EU-Vergleich am wenigsten Menschen armutsgefährdet.
In einem Spezialthema widmet sich der WIFO-Bericht diesmal dem Populismus. Nationalistische und populistische Tendenzen befeuern die Rechtsunsicherheit und schwächen das Vertrauen in den Standort. Ein Beispiel dafür seien der Brexit und die daraus resultierenden negativen Folgen für die britische Wirtschaft, meint Peneder. Mit Blick auf das bevorstehende Superwahljahr und die Wahlerfolge populistischer Parteien in einigen EU-Ländern könnte die europäische, aber auch die österreichische Wettbewerbsfähigkeit im kommenden Jahr also dem politischen Populismus zum Opfer fallen.
Aber wie beurteilen heimische Wirtschaftstreibende und Entscheidungsträger die Situation, wie blicken sie in die Zukunft? profil hat sich umgehört.
Die wirtschaftlichen Lichtblicke heimischer Wirtschaftstreibender und Entscheidungsträger
Stefan Schauer, Geschäftsführer von Staud's
„Was mich positiv stimmt, ist das lebensfrohe Stimmengewirr aus zwölf Ländern in unserem Pausenraum in Wien-Ottakring. Die langjährige Treue unserer Kundinnen und Kunden und die Verlässlichkeit unserer Partner. Und dass man einfach immer gefragt ist, wenn man allerhöchste Qualität fordert, fördert und bietet.“
Julian Jäger & Günther Ofner, Vorstände der Flughafen Wien AG:
„Die heimische Luftfahrt entwickelt sich aktuell sehr gut, die Passagierzahlen haben in diesem Jahr stark zugelegt. 2023 kann die Branche fast wieder an das Niveau der Vor-Corona-Zeit anschließen. Das zeigt, dass die Konsumkraft in Österreich stark ausgeprägt ist. Um die Inflation aber wieder in den Griff zu bekommen, muss es in allen Bereichen mehr Wettbewerb und eine innovations-und marktorientierte Vorwärtsstrategie geben.“
Georg Knill, IV-Präsident:
„Die Industrie befindet sich derzeit in einer Rezession, daher zeigen sich wenig positive Signale. Dennoch sehen wir im Bereich der Forschung und Entwicklung äußerst erfreuliche Impulse für die Zukunft. Die heimische Forschungsquote liegt aktuell bei 3,22 Prozent des BIP und hat somit zum zehnten Mal in Folge den europäischen Zielwert von drei Prozent übertroffen. Erfreulich ist auch, dass seitens der Bundesregierung zukunftsweisende Sektoren-wie die Mikroelektronikindustrie-erkannt und gezielt unter anderem auch durch den Chips Act gefördert werden.“
Andreas Matthä
„Der öffentliche Verkehr und insbesondere das Bahnfahren erleben nach der Pandemie eine echte Renaissance. Die ÖBB erwarten noch heuer 480 Millionen Fahrgäste, das wird jedenfalls Jahrhundertrekord. Allein im Fernverkehr werden wir unsere Sitzplatzkapazität um 50 Prozent ausbauen und insgesamt 330 neue Züge anschaffen.“
Johannes Kopf, AMS-Chef
„Die Arbeitslosenzahlen steigen aktuell eigentlich weniger, als man in einer Rezession erwarten würde. Die Unternehmen sind noch sehr vorsichtig mit Freisetzungen, weil wir gerade zwei Jahre Arbeitskräftemangel hinter uns haben. Beim prognostizierten leichten Aufschwung erwarte ich nur eine geringfügig steigende Arbeitslosigkeit.“
Sabine Herlitschka, Vorstandsvorsitzende der Infineon Technologies Austria AG
„Der Hebel, den Technologien zur Erreichung der Klimaziele haben, ist enorm-und mehr als ein Lichtblick für eine nachhaltige Zukunft. Allein die bei Infineon Austria 2023 gefertigten Energiesparchips vermeiden in den Anwendungen rund zehn Millionen Tonnen CO2 das sind 13 Prozent der CO2-Emissionen Österreichs 2022.“
Herbert Eibensteiner, CEO voestalpine AG
„Die gesamtwirtschaftliche Lage bleibt unsicher. Die gute Nachricht ist, dass unsere wichtigsten Kundensegmente wie die Automobil-,Eisenbahn-und Luftfahrtindustrie dennoch stabil laufen. Viel Positives gibt es auch hinsichtlich unserer Anstrengungen für eine künftige grüne Stahlproduktion zu berichten, die Arbeiten sind voll im Gange. Greentec steel ist das größte Klimaschutzprogramm in Österreich.“
Wolfgang Katzian, Präsident des Gewerkschaftsbunds
„In der Herbstlohnrunde ist es weitgehend gut gelaufen, die Kollektivvertragsabschlüsse sind ein wesentlicher Baustein dafür, dass der prognostizierte Aufschwung, getragen von der Inlandsnachfrage, nächstes Jahr Realität wird.“
Patricia Neumann, Vorstandsvorsitzende Siemens Österreich
„Die heimische Wirtschaft ist derzeit durch die Rezession in der Industrie und den deutlichen Rückgang in der Bauwirtschaft belastet. Wir beobachten, dass unsere Kunden daher besonders gefordert sind. Für Siemens liegt dennoch ein sehr erfolgreiches Geschäftsjahr 2023 hinter uns, und mit diesem Rückenwind gehen wir in das Jahr 2024.“
Georg Pölzl, Post-Generaldirektor
„Es ist nicht alles so schlecht, wie es gerne dargestellt wird. Ja, die vergangenen Jahre waren mit Pandemie, Ukraine-Krieg und Inflation eine spürbare Herausforderung für uns alle. Gleichzeitig haben wir auch in Extremsituationen gesehen, dass es immer weitergeht und sowohl die heimischen Unternehmen als auch die Österreicher:innen widerstandsfähig sind. Bei der Post erwarten wir 2023 rund 200 Millionen Pakete-ein deutliches Plus und ein guter Indikator für die Konsumfreude.“
Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen
„Die vergangenen Krisen haben gezeigt, dass sich die Konjunktur rasch erholen konnte, auch dieses Mal sind die Aussichten gut. Trotz der aktuell eingetrübten Wirtschaftslage bieten sich vielversprechende Investitions-und Zukunftschancen, vorwiegend beim Thema grüne Transformation.“
Gerda Holzinger-Burgstaller, CEO Erste Bank
„Inmitten der Rezession und der schwachen Stimmungsindikatoren gibt es natürlich auch Silberstreifen am Horizont. Der Arbeitsmarkt ist trotz des wirtschaftlichen Abschwungs robust. Nicht zuletzt lassen der erwartete Rückgang der Inflation und die Lohnerhöhungen darauf hoffen, dass der Konsum der privaten Haushalte in den nächsten Monaten wieder anziehen wird. Für Unternehmen sehe ich gute Chancen in den Themen KI und Nachhaltigkeit.“
Monika Köppl-Turyna, Direktorin EcoAustria
„Die wirtschaftliche Situation wird aufgrund der hohen Energiepreise und Arbeitsmarktlage auch über den Jahreswechsel hinaus herausfordernd bleiben. Positiv hervorzuheben sind die zusätzlichen Mittel, die in die Elementarpädagogik fließen sollen. Das wird das Arbeitsangebot, die Bildung und Chancengleichheit fördern. Zweitens ist die Einführung der neuen Gesellschaftsform 'Flexible Kapitalgesellschaften' positiv zu nennen, um den Bedürfnissen von Start-ups besser Rechnung zu tragen.“
Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".