Wirtschaftskammerwahlen 2025

Wie das WKO-Wahlrecht den ÖVP-Wirtschaftsbund fast automatisch zum Wahlsieger macht

Das Wahlsystem bei Wirtschaftskammerwahlen spielt großen Fraktionen in die Karten. Bei fast jeder Wahl keimt Kritik auf, auch dieses Mal: Mandate kleiner Fraktionen sollen im Gegenzug für prominente Kammerfunktionen eingetauscht werden.

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Dietmar Schwingenschrot hatte schon viele Parteifarben: von 2015 bis 2019 war er Wiener Landeschef der BZÖ, danach fungierte er als Gastrosprecher der Freiheitlichen. Heute will er mit Parteipolitik nichts mehr zu tun haben. Bei den Wirtschaftskammerwahlen, die von 10. bis 13. März stattfinden, tritt der Wiener Kaffehausbetreiber deshalb mit seiner eigenen, parteifreien Liste an. Doch die Wahl ist alles andere als unpolitisch. Und ob Schwingenschrot will oder nicht, bereits kurz nach der Wahl wird auch er es wieder mit der Parteipolitik zu tun bekommen. Seit Jahrzehnten dominiert der ÖVP-Wirtschaftsbund (ÖWB) die Kammer. Es ist die mit Abstand größte Fraktion, dessen Funktionäre halten die meisten Mandate und Posten. Vor, während und nach der Wahl wird dem Wirtschaftsbund aber immer wieder Wahlschwindel vorgeworfen. Was ist an den Vorwürfen dran? Und was hat ein Kaffeehausbesitzer mit dieser Geschichte zu tun?

Die Wirtschaftskammerwahl ist nicht bloß irgendeine Wahl einer Interessensvertretung. Alle fünf Jahre finden in allen Bundesländern gleichzeitig die Urwahlen der Wirtschaftskammer statt. Unternehmerinnen und Unternehmer wählen hier ihre Vertretung in den Fachverbänden. Um zu verstehen, von welchen Mandaten hier die Rede ist, kommt man um das komplizierte Wahlsystem der WKO nicht herum. Direkt gewählt wird bei den Wirtschaftskammerwahlen nur die unterste Ebene – im Zuge der Urwahlen wählen so etwa Kaffeehausbesitzer ihre Fachvertreter auf Landesebene. Die Ebenen darüber, die Sparten auf Landes- und Bundesebene sowie die Wirtschaftsparlamente, werden indirekt gewählt. Die Mandate, die hier errungen werden, entscheiden über die Machtverhältnisse weiter oben. Und genau um diese Mandate geht es.

Das Standing in der Politik

Unternehmerinnen und Unternehmer wählen dieser Tage somit nicht nur die Personen, die sie auf Landesebene vertreten sollen. Indirekt entscheidet sich durch die Wahl, wer die Wirtschaft in der Politik vertritt. Denn dort hat die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) ein enormes Gewicht. Als Teil der Sozialpartnerschaft verhandelt die traditionell schwarze Kammer auf der Arbeitgeberseite nicht nur die Kollektivverträge von rund 95 Prozent der Beschäftigten in Österreich mit, die Wirtschaftskammer mischt – genauso wie sein rotes Gegenüber, die Arbeiterkammer (AK) – auch auf höchster Ebene der Bundespolitik mit. Zuletzt verhandelten ihre Vertreter das Regierungsprogramm mit. Mit Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) und Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) besteigen zwei Regierungsmitglieder direkt aus den Kammern die Ministerposten. Marterbauer war zuvor AK-Chefökonom, Hattmansdorfer WKO-Generalsekretär in der ÖVP-dominierten Kammer. Und solange ÖVP und SPÖ in Regierungsverantwortung sind, wird sich an der Macht der Kammern vermutlich nicht viel ändern.

„Wahlschwindel“

Volker Plass war Gründungsmitglied der grünen Wirtschaft, seit 2016 ist er nicht mehr in der Politik, sondern Geschäftsführer der Arche Noah – einem Verein, der sich für den Erhalt und die Entwicklung der Kulturpflanzenvielfalt einsetzt. Plass wirft dem ÖVP-Wirtschaftsbund (ÖWB) seit vielen Jahren vor, bei der WKO-Wahl zu schwindeln: „Der Wirtschaftsbund hat jedes Mal den Wunsch, als Wahlsieger hervorzugehen.“ Und das, was nicht passt, solle passend gemacht werden. Konkret sollen Überhangmandate, die kleine, parteifreie Listen erringen, nach den Urwahlen an den Wirtschaftsbund gehen. Im Gegenzug bekommt die Liste, die das Überhangmandat nach der Wahl an eine größere Fraktion wie dem Wirtschaftsbund abgibt, einen aussichtsreichen Posten in der Kammer. Was hat es damit auf sich?

Zurück zu Herrn Schwingenschrot. Er tritt mit seiner Liste in insgesamt elf Sparten an, für eine kleine Gruppierung ist das gar nicht so wenig. Für den Einzug in das Wirtschaftsparlament der Landeskammer, geschweige denn darüber hinaus, reicht es für solche Listen aber selten. Denn um eine relevante Größe zu sein, müsste Schwingenschrot nicht nur in der Gastronomie, im Modehandel oder bei den LKW-Transporteuren Kandidatinnen und Kandidaten für seine Liste finden, sondern auch in möglichst vielen anderen der insgesamt 74 Fachgruppen in Wien. Und dann müssten diese Personen auch noch möglichst oft gewählt werden. In diesem flächendeckenden Ausmaß gelingt das in der Praxis aber nur dem ÖVP-Wirtschaftsbund.

Tausche Überhangmandate gegen Posten

Wenn Schwingenschrots Liste mehr Direktmandate gewinnt, als ihr aufgrund der Gesamtstimmen zustehen würden, entstehen Überhangmandate. Das bedeutet, die Liste bekommt mehr Sitze, als sie eigentlich im Verhältnis zu den Stimmen haben sollte. Weil Schwingenschrots Liste aber möglicherweise keine Vertreter im Wiener Wirtschaftsparlament hat und die Überhangmandate sonst verfallen würden, beginnt bereits kurz nach Ende der Auszählung ein Kampf um diese Mandate. Denn: Sie können einer anderen Gruppierung zugerechnet werden.

Kleine Listen, die als unabhängig antreten, gut abschneiden, ihre Überhangmandate aber eine Ebene weiter oben aufgrund der fehlenden Strukturen nicht ausspielen können, können diese abgeben. „Am Freitag, wenn die Wahl aus ist, sitzen alle Fraktionen zusammen und schauen, wo sie das Beste herausholen können“, skizziert Schwingenschrot den Kuhhandel um die Überhangmandate. Konkrete Absprachen gibt es vor dem Endergebnis nicht, sagt Schwingenschrot, aber nach der Wahl „führt man Gespräche, zum Beispiel könnte der Wirtschaftsbund sagen: Herr Schwingenschrot, Sie kriegen einen Spartenobmann-Stellvertreter und Sie kriegen eine zweite Person in der Spartenkonferenz. Dann geht man noch zum SWV (Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband, Anm.) und schaut, was man dort angeboten bekommt. So redet man da, das ist ganz normal“, sagt Schwingenschrot.

Führt man Gespräche, zum Beispiel könnte der Wirtschaftsbund sagen: Herr Schwingenschrot, Sie kriegen einen Spartenobmann-Stellvertreter und Sie kriegen eine zweite Person in der Spartenkonferenz. Dann geht man noch zum SWV (Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband, Anm.) und schaut, was man dort angeboten bekommt. So redet man da, das ist ganz normal.

Dietmar Schwingenschrot

tritt bei der WK-Wahl mit einer eigenen, parteifreien Liste an

„Das Gesetz ist halt so

Christoph Bezemek, Jurist und Professor an der Universität Graz, erklärt das Prozedere der Überhangmandate so: „Auch bei Nationalrats- und Landtagswahlen gibt es Überhangstimmen. Und diese Überhangstimmen müssen irgendwie untergebracht werden.“ Nach den Nationalrats- und Landtagswahlen wird dies mit der Reststimmenverteilung gemacht, bei den Wirtschaftskammerwahlen würden diese Überhangstimmen bei kleinen Listen, die in den oberen Ebenen der Kammer nicht vertreten sind, verfallen. Deshalb können sie an die großen Fraktionen, also den Wirtschaftsbund und den Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband, abgegeben werden. Ein Prozedere, von dem vor allem der Wirtschaftsbund Gebrauch macht. So sind nach der Wahl 2020 in Wien 1080 Stimmen von der Fachliste der gewerblichen Wirtschaft - RfW zum Wirtschaftsbund gewandert. Das Gesetz verbietet es jedenfalls nicht: „Man kann es kritisieren, aber das Gesetz ist halt so“, so Bezemek gegenüber profil.

In der Fachgruppe vertreten die kleinen Listen also weiterhin ihre Wählerinnen und Wähler. Sollten sie dort aber Überhangmandate erringen, können diese eine Ebene darüber abgegeben werden – davon profitieren in der Praxis vor allem der ÖVP-Wirtschaftsbund und der SPÖ-Wirtschaftsverband.

Schwarz-rote Einheitslisten

Es gibt aber noch eine zweite Eigenheit, von welcher vor allem der Wirtschaftsbund profitiert: sogenannte Einheitslisten. In zahlreichen Sparten in Wien treten Wirtschaftsbund (ÖWB) und Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband (SWV) nicht getrennt, sondern gemeinsam in einer Liste an. Meist als „Team Wiener Wirtschaft“ und dem Zusatz der beiden Namen des schwarzen und roten Vertreters.

Warum basteln ÖWB und SWV solche Listen?

Das hat mehrere Gründe: Zum einen haben auch die beiden allein nicht in allen Sparten ausreichend Kandidaten. Zum anderen erhoffen sie sich dadurch mehr Mandate. In der jeweiligen Fachgruppe ist eine gemeinsame Wahlplattform nachvollziehbar, denn Parteipolitik spielt dort kaum eine Rolle. Weil aber aufgrund dieses Ergebnisses bei der Urwahl später indirekt die weiteren Ebenen gewählt werden, führt die Einheitsliste auch dazu, dass etwa ein sozialdemokratisches Wiener Ein-Personen-Unternehmen (EPU), dem ÖWB ein weiteres Mandat in einer Fachgruppe beschert. Denn der Einzelunternehmer wählt die Einheitsliste und die unterscheidet nicht zwischen Schwarz und Rot.

Die WKO sieht hier vor allem Vorteile: „Mit dem Wirtschaftskammergesetz 1998 wurde die Möglichkeit der Zurechnung von Mandaten auf Einheitslisten oder gemeinsamen Listen geschaffen und damit die Möglichkeit, dass sich bei den Urwahlen gemeinsam antretende Wählergruppen bei der Bildung der Organe auf Kammerebene wieder aufteilen und ihre eigentliche Gruppe verstärken“, heißt es auf Nachfrage aus der WKO-Pressestelle.

Dennoch: Die Stimmen verbleiben erstmal beim Wirtschaftsbund, denn er ist es meistens, der die Einheitslisten vor der Wahl einreicht. Wie sich dieser dann die Mandate mit dem SWV aufteilt, entscheiden die beiden Bünde und nicht die Wähler und Wählerinnen.

Zurück zu Schwingenschrots Liste. Konfrontiert damit, dass auch er mögliche Überhangmandate an den Wirtschaftsbund abtritt und von diesem im Gegenzug Funktionen erhält, etwa einen Spartenobmann-Stellvertreter oder einen zusätzlichen Posten in der Spartenkonferenz, sagt er: „Nach oben schaust du dann, dass du in einen Deckmantel von einer großen Fraktion hineinkommst. Du hast kein Büro, keine Infrastruktur, du musst zu einer größeren Fraktion gehen.“

Diese Medaille hat aber auch eine Kehrseite: „Denn für den Wirtschaftsbund oder den SWV oder die Blauen geht es darum: je mehr Mandate sie sich von kleinen Listen zurechnen lassen können, umso mehr Sitze im Wirtschaftsparlament bekommen sie“, sagt Schwingenschrot. profil hat beim Wirtschaftsbund nachgefragt, ob es bereits Absprachen mit einzelnen Listen wie jener von Schwingenschrot gibt. Der ÖWB ließ die Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet, ein Sprecher des SWV sagte auf profil-Nachfrage, ihm seien solche Deals im Vorfeld der Wahl nicht bekannt. 

Bei der WKO-Wahl 2020 hat der Wirtschaftsbund 69,6 Prozente erzielt, also die absolute Mehrheit klar verteidigt, allerdings lag die Wahlbeteiligung bei bescheidenen 33,7 Prozent. Knapper war es in Wien, dort erreichte der Wirtschaftsbund 50,61 Prozent. Wie knapp es dieses Mal ausgehen wird, zeigt sich am Freitagabend. Dann wird das zusammengefasste Ergebnis nach Stimmen und Mandaten präsentiert. Spätestens drei Tage nach der Wahl müssen die angetretenen Listen der Hauptwahlkommission der Bundeskammer bekannt geben, ob und wem sie Mandate zurechnen wollen.

Natalia Anders

Natalia Anders

ist seit Juni 2023 Teil des Online-Ressorts und für Social Media zuständig.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.