Wirtschaft

Zerbombtes Kinderspital in Kiew: Minister Kochers Phantom-Vertrag

Die ukrainische Kinderklinik, die vor wenigen Tagen von einer russischen Rakete getroffen wurde, sollte eigentlich von der österreichischen VAMED ausgebaut werden. Ein Ministerien-Abkommen mit der Ukraine ist diesbezüglich aber seit 2022 ohne Erfolg geblieben.

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Es ist ein Vertrag, wie man ihn nicht alle Tage unterschreibt: Anfang September 2022 reiste Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) in die Ukraine. Der russische Angriffskrieg lief damals erst seit wenigen Monaten. Es bestand große Sorge, wie das Land durch den ersten Kriegswinter kommen würde. Und Kocher vermittelte den Eindruck, er würde sich nicht lumpen lassen und namens der Republik etwas Großes auf die Beine stellen.

Mit seiner ukrainischen Amtskollegin unterzeichnete der Wirtschaftsminister eine Rahmenvereinbarung über 600 Millionen Euro. Eine enorme Summe. Das ehrgeizige Ziel der Vereinbarung laut einer damaligen Pressemitteilung des Ministeriums: „Damit wird der Bau und die Modernisierung von Gesundheitseinrichtungen, die aufgrund der Folgen des Krieges dringend benötigt werden, sichergestellt.“

Ausbau der Klinik angedacht

Das Abkommen sollte diesbezügliche Auftragsvergaben an österreichische Unternehmen ermöglichen, es ging um drei konkrete Projekte. Eines davon: die Modernisierung und der Ausbau des Kinderkrankenhauses Okhmatdyt in Kiew. Ein Besuch dieser Klinik sollte auch den Abschluss von Kochers Ukraine-Reise bilden.

Nun, fast zwei Jahre später, hat genau dieses Kinderspital weltweit traurige Berühmtheit erlangt. Vor wenigen Tagen wurde es von einer russischen Rakete getroffen. Es gab Tote und Verletzte – und große Zerstörung. Damit stellt sich aber auch die Frage, inwieweit das österreichisch-ukrainische Bauprojekt davon betroffen ist.

VAMED: „Auftrag steht nicht zur Debatte“

profil hat nachgefragt – und siehe da: Offenbar ist aus der zwischenstaatlichen Vereinbarung in zwei Jahren nichts Zählbares entstanden. Zumindest nicht, was das Kinderspital anbelangt, für das ein Investitionsrahmen von bis zu 200 Millionen Euro vorgesehen ist. Nun braucht gut Ding mitunter Weile. Insbesondere, wenn es um große Infrastrukturprojekte geht, sind mitunter langwierige Planungs- und Genehmigungsprozesse nötig. Bemerkenswert sind aber die unterschiedlichen Grundauffassungen, die im konkreten Fall zutage treten.

Das Kinderklinik-Projekt soll – so war es zumindest angedacht – der österreichische Spitalserrichter VAMED durchführen. Aus dem Wirtschaftsministerium heißt es auf profil-Anfrage: „Das Projekt befindet sich aktuell in Abstimmung zwischen der VAMED und den ukrainischen Behörden. Etwaige Folgen des Angriffes auf die weitere Umsetzung des Projekts können derzeit noch nicht abgeschätzt werden.“ Bei der VAMED wiederum scheint man aber gar nicht damit zu rechnen, dass in näherer Zukunft etwas aus dem Projekt werden könnte. Und das Unternehmen, das gerade große strukturelle Veränderungen – auch im Bereich seiner Eigentümerschaft – durchläuft, gibt sich auffällig reserviert, was die Ukraine-Angelegenheit insgesamt betrifft: „Uns ist bekannt, dass in einem Memorandum of Understanding (MoU) über die wirtschaftliche Zusammenarbeit mehrere österreichische Unternehmen genannt wurden, die Projekte in der Ukraine entwickeln können, darunter auch VAMED. Eine Beauftragung ist daraus aber nicht erfolgt und steht aktuell nicht zur Debatte.“

Österreich zahlt keinen Cent

Das klingt so, als würde das Kinderklinik-Projekt auf Eis liegen. Und der nunmehrige russische Angriff dürfte die Chancen auf eine Umsetzung nicht erhöht haben. profil wollte vom Wirtschaftsministerium wissen, welche sonstigen Projekte aus dem Rahmenabkommen bisher durchgeführt wurden. Die Antwort darauf fiel eher unkonkret aus: „Die Rahmenvereinbarung sieht derzeit drei Projekte für die Zusammenarbeit vor, nämlich die oben erwähnte Rekonstruktion und Ausstattung des Kinderkrankenhauses Okhmatdyt in Kiew, den Bau und die Ausstattung einer modernen Universitätsklinik in Lemberg oder Kiew und den Bau eines Rehabilitationszentrums in Lemberg. Abgesehen von der VAMED sind andere, auch in Österreich ansässige, Unternehmen als mögliche Vertragspartner zur weiteren Umsetzung der Projekte in der Rahmenvereinbarung genannt. Die Rahmenvereinbarung ist offen für die Hinzufügung weiterer Projekte.“

Das entspricht dem Grunde nach dem Stand bei der Unterzeichnung des Abkommens vor fast zwei Jahren. Offenbar liegen bisher keine zählbaren Ergebnisse vor. Falls das tatsächlich so sein sollte, könnte das auch daran liegen, dass die Republik Österreich – auch, wenn man es anders vermuten könnte – im Rahmen des 600-Millionen-Euro-Abkommens keinen einzigen Cent in die Hand nimmt: „Aus der Rahmenvereinbarung ergeben sich keine finanziellen Verpflichtungen für die Republik“, heißt es auf profil-Anfrage aus dem Wirtschaftsministerium. Grundsätzlich gäbe es zwar Exportgarantien für Projekte in der Ukraine. Die Zuständigkeit dafür liege aber bei der Oesterreichischen Kontrollbank (OeKB).

Mit anderen Worten: Die hochtrabende Vereinbarung war wohl nicht viel mehr als eine politische Geste. Vielleicht auch, um der ukrainischen Seite zu helfen, die notwendigen Beschlüsse durchs dortige Parlament zu bringen. Eine echte Hilfsaktion ist es nicht. Und falls es das Ziel war, freundliche Nasenlöcher zu machen, um österreichischen Unternehmen zu Aufträgen zu verhelfen, so scheint das – zumindest mit Blick auf die VAMED – bisher nicht besonders erfolgreich verlaufen zu sein.

Ukraine bittet um Unterstützung

Indes würde sich die Ukraine von Österreich durchaus handfeste Hilfe erhoffen: „Die Ukraine, insbesondere das ukrainische Gesundheitsministerium, ist sehr daran interessiert, dass Österreich den Wiederaufbau und die Modernisierung der OHMATDYT-Klinik mit Finanzinstrumenten unterstützt“, heißt es auf profil-Anfrage seitens der ukrainischen Botschaft in Österreich. Man stehe diesbezüglich in Kontakt mit österreichischen Ministerien und privaten Unternehmen. Und weiters teilt man mit: „Der Gesundheitsminister der Ukraine hat am Rande der Ukraine-Recovery-Konferenz in Berlin ein Gespräch mit dem Bundesminister Martin Kocher geführt und um die starke Unterstützung bei diesem Projekt gebeten.“

Dieser Artikel wurde am 12.7.2024 um 22.15 Uhr um die Stellungnahme der ukrainischen Botschaft ergänzt. 

 

 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.