Firmenpleiten

Zu wenige Richter: Insolvenzen bringen die Justiz ins Stocken

Während die Pleitewelle rollt, müssen die Landesgerichte tausende Insolvenzanträge abarbeiten. Besonders betroffen ist das Wiener Handelsgericht.

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Ob in der Bundesregierung, im Handel oder in der Industrie: Es gibt derzeit kaum jemanden, der nicht mit dem Budget zu kämpfen hat. Die Konsumlaune bleibt trotz Weihnachtsgeschäft gedämpft und ein wirtschaftlicher Aufschwung ist laut Ökonomen weiterhin nicht absehbar.

Während prominente Namen wie Signa oder Kika/Leiner mit ihrer Insolvenz in der Öffentlichkeit stehen, sind es vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die besonders von der Pleitewelle betroffen sind. Täglich müssen im Schnitt 18 Betriebe Insolvenz anmelden. Bereits im November zählten die Kreditorenverbände 3800 eröffnete Verfahren – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den 3300 Fällen des gesamten Vorjahres.

Die offiziellen Zahlen erfassen nicht das gesamte Ausmaß. Viele Unternehmen sind finanziell derart blank, dass sie nicht einmal die notwendige Eigenmasse aufbringen können, um ein Verfahren zu starten. Zählt man auch diese abgewiesenen Anträge hinzu, stieg die Gesamtzahl der Insolvenzfälle von 5300 im Vorjahr auf schätzungsweise 6500.

Die Ursachen liegen aber nicht nur bei der schwächelnden Konjunktur. Zum Teil handelt es sich schlicht um Nachholeffekte. Staatliche Hilfsmaßnahmen wie Kurzarbeit, Umsatzersatz und Covid-Förderungen haben vielen maroden Unternehmen ein Überleben gesichert. Doch diese sogenannten „Zombie-Unternehmen“, die eigentlich nicht mehr wettbewerbsfähig sind, treiben nun die Insolvenzstatistik nach oben.

Wo man das besonders bemerkt: am Wiener Handelsgericht. In diesem Jahr wurden bereits 1110 Insolvenzen eröffnet – deutlich mehr als im Vergleichszeitraum 2019 mit 790 Verfahren. Um den steigenden Arbeitsaufwand zu bewältigen, wurden die dortigen Richterstellen von sechs auf acht (Vollzeitäquivalente) aufgestockt. Aber reichen zwei Richter mehr aus?

Das sei ein Tropfen auf dem heißen Stein, meint Martin Ulrich, Vorsitzender der Staatsanwälte und Richter in der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst. Das grundlegende Problem sei der Personalmangel in der Justiz. Tatsächlich zeigt sich, dass die Zahl der Richterinnen und Richter in Österreich in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen ist. Während es 2013 noch 1959 Planstellen gab, sank diese Zahl bis heute leicht auf 1922. Die Justiz hat bereits unter Ministerin Claudia Bandion-Ortner (2009-2011) den Sparstift angesetzt. Das Ziel war, nicht alle Personalabgänge nachzubesetzen und gleichzeitig die Geschäftsfälle bei Gericht „effizienter” zu gestalten.

Jedoch ist die Anzahl der Geschäftsfälle per se nicht entscheidend. Beispielsweise wird ein Strafverfahren über einen Ladendiebstahl schneller erledigt, als ein Korruptionsfall mit Firmenstrukturen in einer Steueroase. Richterinnen und Richter behandeln die Fälle in den unterschiedlichsten Rechtsgebieten. Was die Arbeit für viele Juristinnen und Juristen erschwert, ist die Digitalisierung (Internetkriminalität) und der Auslandsbezug. 

Die einzelnen Causen werden komplexer, hinzu kommt jetzt: Wegen der tausenden Insolvenzverfahren müssen die sowieso schon ausgelasteten Richterinnen und Richter zusätzlich die Firmenpleiten abarbeiten. 

Die Fristen sind im Sanierungsverfahren gesetzlich vorgeschrieben und müssen in 90 oder 120 Tagen abgewickelt werden. Wo die Ressourcen nun in Insolvenzverfahren gebunden werden, da fehlen sie andernorts, wo Anträge länger und umfangreicher werden – für die Richterinnen und Richter heißt das abseits der Insolvenzen: mehr Einarbeitungszeit, mehr Verhandlungstermine und längere Verfahren.

Wir sind mitten in der Pensionierungswelle

Martin Ulrich

Gewerkschaft Öffentlicher Dienst

Geht es nach der Gewerkschaft, braucht die Justiz mittelfristig 200 neue Stellen österreichweit, 50 Stellen sofort, um die neuen Gesetze wie Handysicherung, Kostenersatz, etc. judizieren zu können. Fest steht: Schnell werden sie die Stellen jedenfalls nicht bekommen. Denn viele erfahrene Richterinnen und Richter gehen in Pension und die Ausbildung neuer Juristinnen und Juristen dauert zwischen drei bis fünf Jahren. Währenddessen werben Anwaltskanzleien mit attraktiven Konditionen um die gleichen Talente. „Wir sind mitten in der Pensionierungswelle”, sagt Ulrich.

Die Erfahrungen der Finanzkrise 2008 haben gezeigt, dass wirtschaftliche Krisen zu einer Zunahme an Verfahren in den Bereichen Konkurs, Pfändungen sowie Arbeits- und Sozialrecht führen. Hinzu kommt, dass der Verteilungsschlüssel für Justizbeamte vielerorts nicht ausreiche, so die Personalvertreter. Die Justiz verschiebe das Personalproblem innerhalb einer ohnehin dünnen Personaldecke von einer Abteilung zur anderen, kritisiert Ulrich. Damit verschärfen sich die Probleme, da aus anderen Bereichen wie Strafprozessen oder Familienrecht, Richterstellen abgezogen werden. Die Arbeitsbelastung der bestehenden Richterinnen und Richter steige weiter und die Qualität der Rechtsprechung könne darunter leiden.

Für die Gerichte, die derzeit der Flut an Insolvenzanträgen nachkommen müssen, gibt es aber ein anderes besorgniserregendes Problem. Inzwischen fehlt es überall an Leuten – von den Kanzleischreibkräften bis hin zu Gerichtsdolmetschern.

Kevin Yang

Kevin Yang

seit November 2024 im profil Digitalressort.