15 Jahre Science Busters: Hilft das gegen Wissensfeindlichkeit?
Diesmal ist Marc Abrahams an der Reihe. Am Abend des 24. November wird der Amerikaner auf der Bühne des Wiener Stadtsaals den „Heinz Oberhummer Award für Wissenskommunikation“ entgegennehmen. Abrahams erhält die Auszeichnung, weil er seit mehr als drei Jahrzehnten seinerseits einen Preis vergibt, der längst Kultstatus besitzt: den IgNobelpreis, der wissenschaftliche Leistungen prämiert, die zuerst zum Lachen, dann aber zum Nachdenken anregen. Den IgNobelpreis erhält, wer herausfindet, dass Gähnen bei Schildkröten nicht ansteckend ist, wie häufig Menschen, die auf Handys starren, mit Verkehrsschildern kollidieren oder wie man am besten mit den Fingern an Knöpfen dreht.
Abrahams, einem studierten Mathematiker, ist es nachhaltig gelungen, Menschen auf unterhaltsame Weise für Wissenschaft zu interessieren, und gleiches gilt für alle anderen Empfängerinnen und Empfänger des Oberhummer-Award seit 2016: darunter die deutsche Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim, der Virologe Christian Drosten und ein Team von NDR-Redakteuren, das umfassend über das Coronavirus informierte, sowie, als Allererster, James Randi. Der Wegbereiter jedweder Wissenskommunikation führte Scharlatane wie Uri Geller aufs Glatteis und schluckte auf der Bühne Überdosen homöopathischer Schlaftabletten. Randis Anspruch als Aufklärer gegen parawissenschaftlichen Humbug war stets, Menschen davor zu bewahren, getäuscht und betrogen zu werden.
Der Preis, den sie alle in Wien erhielten, ist wiederum nach einem österreichischen Pionier der populären Wissensvermittlung benannt: nach dem theoretischen Physiker Heinz Oberhummer, der im November 2015 überraschend starb. Gemeinsam mit dem Kabarettisten Martin Puntigam und dem Experimentalphysiker Werner Gruber hatte Oberhummer eine bis dahin einzigartige Form gefunden, einer breiten Öffentlichkeit Wissenschaft gut konsumierbar zu servieren. Das Trio gründete die „Science Busters“ und nannte sich fortan die „schärfste Wissenschafts-Boygroup der Milchstraße“. Es war teils Kabarett, teils Vortrag, zudem gewürzt mit einer eher nicht zu sparsamen Prise Bubenhumor.
Es war ein völlig neues Konzept: Der Kabarettist Martin Puntigam fungiert als Moderator vulgo Master of Ceremony und stellt, bekleidet mit einem knallpinken Shirt, das man nie wieder vergisst, den beiden Physikern Fragen zu naturwissenschaftlichen Themen, die diese mit launigen Sätzen, aber dennoch wissenschaftlich korrekt beantworten, begleitet von Explosionen, üppiger Rauchentwicklung, chemischen Reaktionen und oft farbenfroher Action auf der Bühne.
Der Tod von Oberhummer (und das fast zeitgleiche Ausscheiden von Gruber aus der Truppe) zwang zur Neuorientierung der Science Busters und führte außerdem zum Entschluss, Heinz Oberhummer zu Ehren einen in Österreich überfälligen Preis für Wissensvermittlung ins Leben zu rufen, der nun am Donnerstag nächster Woche zum siebten Mal vergeben wird.
Zugleich dürfen sich die Science Busters auch selber feiern: Vor genau 15 Jahren, im November 2007, fand die allererste Show im Wiener Rabenhof statt. Seit damals hat, grob geschätzt, eine halbe Million Menschen die Bühnenshows der Gruppe gesehen, die Titel tragen wie „Burn Motherfucker Burn“, „Wie sprenge ich einen Präsidenten?“, „Das Universum ist eine Scheißgegend“ oder „Warum landen Asteroiden immer in Kratern?“. Hinzu kommen gut 750 Radiokolumnen auf FM4, fast 130 Fernsehaufzeichnungen für den ORF, ein halbes Dutzend Bücher sowie zugehörige Hörbücher und 40 Folgen eines im Vorjahr gestarteten Podcasts (und außerdem eine stattliche Zahl von Texten, Titelgeschichten und Essays für profil).
In diesen eineinhalb Jahrzehnten hat sich einiges verändert in Bezug auf Wissenskommunikation, und die Science Busters waren sowohl Spiegel als auch ein Motor dieser Entwicklungen. Vor 15 Jahren gab es noch deutlich mehr Personen in der Fachwelt, die regelrecht stolz darauf waren, dass niemand außerhalb ihres elitären Zirkels sie verstand. Florian Freistetter, Astronom und seit 2015 Mitglied der Science Busters, erinnert sich, dass die Kollegenschaft einst die Nase rümpfte, weil er in seiner Freizeit Blog-Beiträge für eine interessierte Öffentlichkeit verfasste. Habe er denn nichts Sinnvolles zu beforschen?
Als Martin Puntigam in diesen gar nicht so fernen Zeiten mit einem Soloprogramm auftrat, das Anlehnungen an Physik enthielt, fragte man ihn, ob er seine Karriere versenken wolle. Weil Wissenschaft auf der Kabarettbühne, was solle denn bitte das?
Auch Heinz Oberhummer, zeitlebens beinahe berstend vor Begeisterung für Naturwissenschaft sowie ganzkörperlich beseelt vom Drang, diese Begeisterung möglichst mit der ganzen Welt zu teilen, wagte sich in seinen aktiven Berufsjahren nicht auf eine Bühne, weil er einen Imageschaden an der Universität fürchtete. Doch dann, „ziemlich genau 13,8 Milliarden Jahre nach dem Urknall“, wie die Science Busters in ihrem neuen Buch präzise anmerken*), wurde Oberhummer emeritiert, und dies bot die Möglichkeit, den Hörsaal gegen die Bühne zu tauschen.
Heute gibt es eine Menge nicht nur junger Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die mit großer Freude und ebensolchem Talent die Faszination für Astrophysik, Biologie, Chemie, Robotik, Statistik oder Virologie schüren, auf der Plattform YouTube kann man sich jedwedes Fachgebiet haargenau und gut verständlich erklären lassen, selbst altehrwürdige Journale wie „Nature“ schicken opulent gestaltete und peppig getextete Newsletter aus, und das Ensemble der Science Busters ist auf neun Personen sowie einen Hund angewachsen (siehe Gruppenbild).
Man kennt die Science Busters längst aus Funk und Fernsehen, und dennoch treten, sobald der Name fällt, rasch Fragen auf: Sprechen die eigentlich über Wissenschaft oder machen sie sich darüber lustig? Und sind die wirklich Wissenschafter? Ja, sind sie, jedenfalls mehrheitlich. Abgesehen von MC Puntigam, Günther Paal alias Gunkl (der aber in Bezug auf Wissenschaftsaffinität mindestens ein durchschnittliches Professorenkollegium aufwiegt) und Bühnenhund Woody sind alle Akademiker aus Astronomie, Chemie, Infektiologie, Mikro-, Molekular- und Verhaltensbiologie, manche mit Professorentitel.
Und was machen die so auf der Bühne, im Radio und in Büchern? Wissenschaft so präsentieren, dass Menschen, die bisher kaum Berührungspunkte mit Wissenschaft oder sogar eine gewisse Scheu davor hatten, hoffentlich auf den Geschmack kommen. Die Zutaten dafür sind kurzweilige Dialoge zwischen dem MC und dem Expertenteam, Humor, Schweinsbraten, Laugenstangen und Bockbier live sowie Experimente, bei denen es auch mal krachen darf.
„Wir machen viele Faxen mit Experimenten, Requisiten und Kostümen, um ein bestimmtes emotionales Klima herzustellen“, sagt Puntigam. „Wenn die Leute aus dem Saal gehen und einen schönen Abend gehabt haben, wenden sie sich vielleicht künftig nicht ab, wenn sie auf Wissenschaft treffen. Wenn sie damit nichts Unangenehmes verbinden, ist der erste Schritt gelungen.“ Die Königsdisziplin sei, Leute zu erreichen, sagt Freistetter, „die sich nicht für Wissenschaft interessieren oder glauben, sich nicht dafür zu interessieren“. Die könne man am besten ködern, indem man Wissenschaft als Unterhaltung tarnt. „Das ist eine hervorragende Methode, um Menschen anzusprechen, die noch nicht wissen, dass sie sich für Wissenschaft interessieren.“
Geht es um die Treiber des Klimawandels, laden die Science Busters zur „Global Warming Party“, die Prinzipien homöopathischer Verdünnung erklären sie unter dem Titel „Globulisierungs-Falle“, homöopathischer Vollrausch inklusive. Die Abwesenheit von Insekten in „Games of Thrones“ lässt sich als Erzählrahmen nutzen, um die Bedeutung von Insekten als Krankheitsüberträger zu thematisieren, samt Ausführungen zur Genschere CRISPR/Cas9, mit der man die Ausbreitung infektiöser Mücken eindämmen könnte. Am Beispiel von Spiegeleiern in der Pfanne lässt sich das Prinzip der Proteinfaltung (respektive Entfaltung, wenn das Eiweiß stockt) erläutern, in einem anschaulichen Bühnenexperiment mit Publikumsbeteiligung der Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität. Im Gedächtnis haften bleiben auch selbst gebaute Kugelblitze oder Do-it-yourself-Blutwunder. Und die Berechnung der Zahl der Atome von Jesus Christus, die noch auf Erden im Umlauf sind, führt schön vor Augen, dass nicht nur der Basis-Bausatz des Heilands, sondern Materie generell nicht verloren geht.
„Es geht immer auch darum, eine Geschichte zu erzählen und Emotion miteinzubauen“, sagt Helmut Jungwirth, Molekularbiologe und Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Graz. „Das ist ein erheblicher Unterschied zur akademischen Welt, die sich auf Fakten beschränkt.“
Geht der Plan aber auch auf? Lässt sich beantworten oder gar messen, ob das Konzept Erfolg hat, ob das Bewusstsein für Wissenschaft steigt? Studien dazu, wie es sich gestandene Naturwissenschafter eigentlich wünschen, gibt es noch nicht. Jungwirth spielt aber mit dem Gedanken, künftig einen Psychologen mit auf Tour zu nehmen. Dieser könnte per Fragebogen vor und nach den Shows erheben , ob und inwiefern sich die Haltung der Menschen verändert hat. Nach ein paar Touren hätte man ein solides Sample von mindestens 5000 Personen beisammen.
Vorläufig gibt es nur anekdotische Evidenz: Reaktionen aus dem Publikum sowie Leser- und Hörerpost. Freilich handelt es sich dabei um Leute, die gezielt eine Show besucht oder ein Buch gekauft haben, um Personen also, die schon eine hohe Bereitschaft zeigen, Stunden ihrer Freizeit mit Wissenschaft zu verbringen. Das ist ein bisschen so, als würde man Menschen im Fußballstadion fragen, ob ihnen Fußball gefällt. Allerdings: Immer wieder kommen auch Rückmeldungen von Besucherinnen oder Besuchern, berichtet Freistetter, die eigentlich bloß in ein Kabarett gehen wollten und sich plötzlich in einer Wissenschafts-Show wiederfinden – und erst in dieser Situation ihr Interesse daran entdecken. Und es gibt vereinzelt sogar solche, die in der Folge ein naturwissenschaftliches Studium begannen, zum Beispiel Astronomie.
Alles gut und schön, mag man einwenden, aber wie passt das zu Eurobarometer-Umfragen, in denen eine Mehrheit der Österreicher angibt, Wissenschaft spiele in ihrem täglichen Leben keine Rolle? Wie zu all den Menschen, die gleichzeitig behaupten, das Coronavirus sei blanke Erfindung und von sinistren Mächten freigesetzt worden? Wie zu Horden auf der Straße, die das Tragen von Schutzmasken für eine diktatorische Zwangsmaßnahme halten und lieber mit Chlorbleiche gurgeln? Wie zu all den gescheiterten Vorschlägen, Wissenschaftskommunikation öffentlich zu unterstützen, etwa im Rahmen einer Neuordnung der Medienförderung? Und ist es nicht ernüchternd, wenn man sich 15 Jahre um Wissensvermittlung bemüht, und dann stellt sich der Innenminister hin und sagt: „Wissenschaft ist das eine, Fakten sind das andere.“?
Ganz so schlimm sei es gar nicht, meinen die Science Busters. Manche Studien zum Thema Wissensfeindlichkeit zeigen, dass diese Haltung im Zuge der Pandemie zwar deutlich sichtbar geworden ist, gestiegen sei sie aber nicht unbedingt. Puntigam vermutet sogar, dass das Interesse an Wissenschaft in den vergangenen drei Jahren eher gewachsen ist. Dennoch fehle es an staatlichen Bekenntnissen zu intensiverer Wissensvermittlung: „Es ist noch immer weniger als wünschenswert und jedenfalls nicht so viel wie notwendig.“ Sonst fielen die Eurobarometer-Umfragen anders aus. „Ich glaube, dass Wissenschaftskommunikation immer noch nicht ernst genug genommen wird“, meint auch Jungwirth. „Das sieht man auch daran, dass ich nach wie vor der einzige Professor dafür bin.“
Erstrebenswert ist eine aufgeklärte Gesellschaft mit geschärften Sinnen für faktenbasierte Entscheidungen allemal, und zwar nicht nur deshalb, damit die Science Busters auch die nächsten 15 Jahre vor vollen Häusern spielen können. Nicht von ungefähr ist deren Motto von Marie von Ebner-Eschenbach entlehnt: „Wer nichts weiß, muss alles glauben.“ Wissen immunisiere dagegen, so Puntigam, sich Dinge einreden zu lassen, sich manipulieren oder auch einschüchtern zu lassen. Wissen fördere somit ein selbstbestimmtes und selbstbewusstes Leben.
Wissenserklärer wie die Science Busters oder Marc Abrahams können dazu beitragen, indem sie leichtfüßige Impulse setzen, auf unterhaltsame Weise ein Bedürfnis wecken, etwas anstoßen, das außerhalb des Theaters seine Fortsetzung findet. Eine der schönsten Reaktionen sei, berichtet Helmut Jungwirth, wenn Menschen etwas erfahren, das unmittelbar Bedeutung für ihren Alltag hat. Das kann ein kleines Detail sein, das nun aber in einer physikalische Erklärung eingebettet ist. Dann rufen sie, enthusiasmiert von dem Aha-Erlebnis, gerne aus: „Das hab ich ja gar nicht gewusst!“
Alwin Schönberger
begleitet die Science Busters beinahe seit ihrer Gründung. Er freut sich immer besonders, wenn er ein Mitglied aus der Gruppe dafür gewinnen kann, einen Text für profil zu verfassen. Er hatte auch die Ehre, die Oberhummer-Preisträger James Randi und Marc Abrahams persönlich kennenzulernen. Heinz Oberhummer hat er als einen der denkbar herzlichsten Menschen in lebhafter Erinnerung.