Wissenschaft

50 Jahre Lucy: Das berühmteste Skelett der Menschheitsgeschichte

Ende November 1974 fanden Forscher in Afrika ein drei Millionen Jahre altes Fossil – die Urmutter aller Menschen?

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Am Abend nach dem Fund saßen die Wissenschafter in ihrem Lager und feierten. Sie tranken Bier und hörten Musik aus dem Kassettenrekorder. Es lief das Beatles-Album „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Beim Song „Lucy in the Sky with Diamonds“ schlug einer in der Runde vor: Man könne sie doch „Lucy“ taufen. Der Spitzname blieb hängen und trug zum ikonischen Status des berühmtesten Fossils der Menschheitsgeschichte bei – als Urmutter aller Menschen, die auch fünf Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung als Superstar der Paläoanthropologie gilt.

Der spektakuläre Fund gelang dem amerikanischen Forscher Donald Johanson am 24. November 1974. Um die Mittagszeit durchstreifte er die Region Afar im Nordosten Äthiopiens, unweit des Flusses Awash. In der Gegend waren schon Gebeine vorzeitlicher Tiere ausgegraben worden. Daher bestand Hoffnung, dort auch Spuren menschlicher Vorfahren zu finden. Johansons geübter Blick war aufmerksam auf den Boden geheftet. Plötzlich sah er an einem Hügel einen Ellbogen aus dem Gestein ragen. Ein Stück weiter oben bemerkte er weitere Knochen in der grellen Mittagssonne.

Der Sensationsfund

Die Forschenden bargen in Äthiopien 47 Knochen einer einzelnen weiblichen Person. Daraus ließ sich das Skelett zu rund 40 Prozent rekonstruieren. Ein derart vollständig erhaltenes Fossil war bis dahin nie entdeckt worden. Die Wissenschafter tauften ihren Fund „Lucy“, nach dem Beatles-Song „Lucy in the Sky with Diamonds“.

Nach und nach barg das Grabungsteam Schädelfragmente, einen Unterkiefer samt Zähnen, Teile von Armen, Beinen, Rippen, der Wirbelsäule und des Beckens. In Summe waren es 47 Knochen, aus denen sich 40 Prozent des Skeletts einer weiblichen Person rekonstruieren ließen. Lucy, deren offizielle Fundbezeichnung A.L.288 – für Afar locality 288 – lautet, dürfte etwa einen Meter groß und 30 Kilo schwer gewesen sein.

Die Forschenden inspizierten Knie, Hüfte und Knöchel und schlossen, dass Lucy, wenn auch etwas schwerfällig, aufrecht auf zwei Beinen ging. Zugleich dürften kräftige Arme sie dazu befähigt haben, geschickt über Äste zu turnen. Ihr Gehirn indes hatte gerade ein Drittel des Volumens eines modernen Menschen. Sie verfügte somit über eine Mischung aus affen- und menschenähnlichen Merkmalen.

Die Altersbestimmung sorgte damals für eine Sensation: Lucy durchstreifte die baumbestandenen Graslandschaften Ostafrikas vor knapp 3,2 Millionen Jahren. Sie wurde einer neuen Art zugeordnet: der Spezies Australopithecus afarensis, von der man damals annahm, sie müsse der älteste Vorfahre des Menschen sein. „Nichts Vergleichbares war jemals zuvor gefunden worden“, schrieb Entdecker Johanson, mittlerweile 81 Jahre alt, kürzlich im Magazin „Scientific American“. Nur sehr selten fördere die Feldarbeit ein so „außergewöhnliches Fossil zutage, das den Ursprung und die Evolution eines gesamten Astes des Lebensbaumes revolutioniert“.

Ein seltener Volltreffer

Sein Kollege Bernard Wood berichtete Mitte November in derselben Zeitschrift: „Die Zahl solcher Skelette aus der Frühzeit kann an den Fingern einer Hand abgezählt werden.“ Die Besonderheit von Lucy ist bis heute, dass so viele Knochen einer einzelnen Person erhalten sind. Meist stoßen die Ausgräber bloß auf einen Teil eines Kiefers, eine Kniescheibe oder ein paar Zehen – entsprechend knifflig ist oft die korrekte Positionierung im Stammbaum des Menschen.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft