„Mariner 4“ erreichte den Mars im Juli 1965. Die Sonde der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA durchdrang die dünne Atmosphäre und näherte sich der Oberfläche des Planeten bis auf knapp 10.000 Kilometer. Dann schoss die Sonde der ersten Bilder der Geschichte vom Mars, 22 Bilder in 22 Minuten. Der Reihe nach sendete Mariner 4 die Aufnahmen zur Erde. Zum ersten Mal konnte man sehen, wie es auf unserem Nachbarplaneten wirklich aussieht und welche Bedingungen dort herrschen.
Die Bilder zeigten schroffe Kraterlandschaften, ähnlich wie auf dem Mond. Messungen führten zur Erkenntnis, dass der Mars kein Magnetfeld besitzt und der Oberflächendruck kaum ein Prozent des Drucks auf der Erde beträgt. Viele Daten, die Mariner 4 zur Erde sandte, waren für die Forschenden damals eine Überraschung.
Seit jenen Pionierstunden vor sechs Jahrzehnten wurden zahlreiche weitere Sonden auf den Weg gebracht. Manche flogen am Planeten vorbei, um aus einiger Entfernung Bilder anzufertigten, andere landeten auf der Marsoberfläche, was alles andere als ein einfaches Unterfangen ist. Knapp die Hälfte aller Marsmissionen scheiterte, berichtet James L. Green, früherer wissenschaftlicher Leiter der NASA, in einem soeben erschienenen Buch. Es trägt den Titel „Mars – Photographs from the NASA Archives“ und zeigt auf 340 Seiten spektakuläre Ansichten des Planeten von vielen verschiedenen Missionen, befasst sich aber auch mit popkulturellen Aspekten.
Bis zum Vorjahr gab es 29 erfolgreiche Missionen zum Mars, so Green, zugleich aber auch 27 gescheiterte. Das Wissen über unseren Nachbarn im Sonnensystem hat sich dadurch jedenfalls gewaltig erweitert – und viele Mythen früherer Jahrzehnte wurden dabei entkräftet.
Über Jahrhunderte und bis zurück ins Altertum beruhte das Wissen über dem Mars darauf, was man mit dem freien Auge oder ab dem 17. Jahrhundert mit einfachen Teleskopen sehen konnte: Der Planet fiel als heller Punkt auf, der in unterschiedlichen Rottönen schimmert – verursacht durch Eisenoxid im Staub auf der Oberfläche. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde der berühmte Johannes Kepler mit der Berechnung der Marsbahn beauftragt. Kepler erkannte, dass die Bahn keineswegs rund, sondern stark elliptisch ist. Dieser exzentrische Orbit erklärt, warum sich der Mars der Erde bis auf 60 Millionen Kilometer nähern kann, zu anderen Zeiten jedoch mehr als 100 Millionen Kilometer entfernt ist. Kepler Berechnungen der Marsbahn bildeten die Grundlage seiner Gesetze der Planetenbewegungen.
Die erste große Mars-Begeisterung setzte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, genährt von Vermutungen und wilden Spekulationen über Leben auf dem roten Planeten. Sie beruhten auf einer Fehlinterpretation: 1877 beschrieb der italienische Astronom Giovanni Schiaparelli ein Netzwerk feiner Linien auf dem Mars und nannte sie „Canali“. Sein Kollege, der amerikanische Astronom Percival Lowell, deutete diese Canali als von einer außerirdischen Zivilisation konstruierte, wasserführende Kanäle – und veröffentlichte ab 1895 mehrere Bücher zu dem Thema. (Später sollte Lowell bedeutende Beiträge zur Astronomie leisten: Sein Postulat, am Rand des Sonnensystems müsse es noch weitere Himmelskörper geben, führte 1930 zur Entdeckung von Pluto.)
Die Vorstellung von möglichen Lebensformen auf dem Mars setzte eine Welle von Science-Fiction-Geschichten in Gang: Am berühmtesten ist vermutlich „Krieg der Welten“ aus dem Jahr 1897 von H.G. Wells. Darauf beruhend verfasste der Schauspieler Orson Welles ein Hörspiel, das, im Radio übertragen, wie eine Reportage wirkte und Panik vor einem Angriff Außerirdischer auslöste.
Was es mit möglichen Lebensformen auf dem Mars tatsächlich auf sich hat und welche Bedingungen in Wahrheit auf dem Planeten herrschen, konnten erst die verschiedenen Missionen der NASA und auch der europäischen Raumfahrtagentur ESA zeigen.
Auf die Mariner-4-Mission Mitte der 1960er-Jahre folgten amerikanische wie auch sowjetische Sonden, die Anfang der 1970er-Jahre den Mars umrundeten. Einige Jahre später setzten die Sonden „Viking 1“ und „Viking 2“ ihre Landegefährte auf der Oberfläche des Mars ab. Anschließend gab es in ziemlich dichter Abfolge weitere Raumfahrtprogramme, die in Summe eine Vielzahl von Daten zur Erde lieferten: Sie trugen Namen wie „Pathfinder“, „Sojourner“, „Mars Odyssee“, „Opportunity“, „Spirit“ und „Curiosity“, die ESA erweitere das Wissen über den Planeten mit der Mission „Mars Express“ nach der Jahrtausendwende.
Die bisher jüngste Mission samt Landung und Vorort-Erkundung heißt „Perseverance“. Der Rover wurde im Jahr 2021 abgesetzt, nach langer Debatte über die optimale Landestelle. Letztlich fiel die Entscheidung zugunsten des Kraters Jezero.
Der Zusammenschau aus all den Missionen, Beobachtungen und Berechnungen verdanken wir heute das umfangreiche Wissen über unseren Nachbarplaneten im Sonnensystem: Der Mars ist wie die Erde rund 4,5 Milliarden Jahre alt, etwa halb so groß wie die Erde, weist einen Durchmesser von 6800 Kilometern auf und ist im Mittel 228 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt – ein gutes Stück weiter als die Erde mit im Schnitt 150 Millionen Kilometern, weshalb es auf dem Mars deutlich kälter ist. Ein Umlauf um die Sonne benötigt 687 Erdtage – so lange dauert ein Jahr auf dem Mars.
Aufnahmen zeigen eine zerklüftete, schroffe Landschaft voller riesiger Vulkane, tiefer Canyons und hoher Berge, teils dreimal höher als der Mount Everest. Zudem ist der Planet übersät mit Kratern, die von heftigen Asteroideneinschlägen zeugen. Auch die Erde wurde vielfach von Meteoriten getroffen, bloß sind die Spuren davon schlecht erhalten, weil, anders als auf dem Mars, Wind, Wetter und Erosion die Narben der Treffer ausgelöscht haben.
Der Mars dagegen besitzt zwar eine Atmosphäre, aber sie ist wesentlich dünner als jene der Erde. Sie besteht zu großen Teilen aus Kohlendioxid, beinhaltet aber auch Wasserdampf, so NASA-Forscher Green. Dies könnte darauf hindeuten, dass in früheren Zeiten vielleicht doch lebensfreundliche Bedingungen herrschten.
Das Wetter auf dem Mars ist mitunter durchaus extrem: Besonders ab den Sommermonaten können gewaltige Sandstürme toben, die mehrere Monate anhalten. Detailaufnahmen zeigen, dass die Wetterkapriolen eindeutige Spuren im Gestein hinterlassen haben.
Von besonderem Interesse ist natürlich seit jeher die Frage, ob am Mars jemals Leben existiert haben kann. Erste Hinweise darauf entdeckte „Mars Odyssee“ bereits zu Beginn des Jahrtausends: Die Sonde fand Belege dafür, dass es unter der nördlichen Polkappenregion Wasser geben könnte – was damals für eine Sensation sorgte.
Mittlerweile liegen die Ergebnisse zahlreicher weiterer Missionen vor, die umfangreiche Analysen des Marsgesteins durchführten. Resultat: Mineralogische und chemische Befunde deuten auf einst flüssiges Wasser hin, zudem wurden zahlreiche typische Bausteine des Lebens gefunden: Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, zudem Phosphor und Schwefel. Green: „Diese und viele andere Ergebnisse weisen darauf hin, dass der Mars mit seinen großen frühen Wasservorräten einst ein bwohnbares Umfeld gewesen sein muss.“
Den bisherigen Erkenntnissen zufolge könnte sich folgendes Szenario ergeben: In früher Vorzeit war der Mars womöglich ein blauer Planet wie die Erde, dessen Nordhälfte zu gut zwei Drittel mit Wasser bedeckt war, mit bis zu 1500 Meter tiefen Ozeanen. Intensiver Vulkanismus samt Ausgasungen könnte dazu beigetragen haben, dass eine mehr oder minder behagliche Atmosphäre entstand. Es gab vielleicht Jahreszeiten und Wetter wie auf der Erde, samt Wolken und Regen. Kurz: Die Bedingungen für Leben wären damals durchaus ideal gewesen.
Doch vor etwa drei Milliarden Jahren kam es zu massiven Umwälzungen auf dem Planeten und zu gravierenden Änderungen. Der Mars verlor sein Magnetfeld, wodurch in der Folge lebensfeindliche Sonnenwinde auf die Oberfläche trafen. Die Atmosphäre dünnte aus, die Ozeane vertrockneten allmählich.
Ob diese Abfolge der Ereignisse wirklich zutrifft, ist noch keineswegs gesichert. Weitere Forschungen auf dem Mars können hoffentlich handfestere Hinweise auf das Geschehen auf dem Planeten liefern – unter anderem durch den momentan im Einsatz befindlichen Rover Perseverance.
Eine der Aufgaben von Perseverance ist es, Gesteinsproben zu sammeln, die später auf der Erde analysiert werden sollen – mit dem Ziel, das Gestein auf das Vorkommen von Mikroben zu untersuchen. Würde man tatsächlich fündig, wären das untrügliche Hinweise darauf, dass es am Mars einst Leben gab.
Freilich wird auch Perseverance längst nicht alle Fragen beantworten können – doch immerhin ist noch eine ganze Reihe weiterer Missionen geplant, allein bis zum Ende dieses Jahrzehnts ist es ein halbes Dutzend, getragen von den USA, Europa, Japan und China. Die detaillierte Untersuchung der Marsatmosphäre steht dabei ebenso am Programm wie eine Untersuchung der Eisvorkommen.
Noch in weiter Ferne ist dagegen der vermutlich größte Traum aller Raumfahrtingenieure und Science-Fiction-Fans: ein bemannter Flug zum Mars samt einer Landung von Menschen.
Buchtipp: Eine Reise zu unserem planetaren Nachbarn
Es ist ein großformatiger Prachtband, der die Bilddokumente 60 Jahre Marserkundung auf rund 340 Seiten zeigt – Ansichten von Kratern, Vulkanen, Sanddünen, Flussbetten und Polkappen. Mehrere Texte erklären überdies die verschiedenen Missionen sowie die Bedeutung des Mars in Literatur, Kino und Popkultur.
Mars. Photographs from the NASA Archives, Taschen Verlag, 340 Seiten, EUR 50,–