Die Akte Glyphosat

Warum die Hysterie um den Unkrautvernichter überzogen ist

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Es herrschte ein Jubel, als hätte Österreich den Leibhaftigen selbst vertrieben. Anfang Juli beschloss eine Allianz aus SPÖ, FPÖ und NEOS ein nationales Verbot des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat ab Anfang 2020. Die Abgeordneten wussten die Stimmung auf ihrer Seite: Glyphosat hat eine beispiellose Karriere als Horrorchemikalie hingelegt. Die Angst davor ist so groß, dass eine nüchterne Auseinandersetzung mit den Fakten unmöglich erscheint -und jeder Versuch differenzierten Abwägens sofort Korruptionsverdacht hervorruft. Wir versuchen es trotzdem. Denn die allgemeine Panik ließ bisher kaum Raum für Basisinformationen: Was ist Glyphosat? Wie wirkt es? In welchem Umfang und wozu wird es in Österreich eingesetzt? Und welche Gefahren sind tatsächlich erwiesen?

Für das folgende Dossier wurden zahlreiche universitäre Studien gesichtet. Besonders ein Kompendium findet hier Niederschlag, das enorm detailreich ist, die gesamte bisher verfügbare Datenlage berücksichtigt, den Hauptfokus auf Österreich richtet -und das außer profil offenbar fast niemand gelesen hat, jene Politiker wohl eingeschlossen, die nun für das Verbot stimmten: Unter Leitung von Siegrid Steinkellner, Professorin an der Universität für Bodenkultur, befassten sich 25 Wissenschafter dreier Boku-Institute sowie der Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) mit praktisch allen Aspekten von Glyphosat und destillierten daraus eine "Nationale Machbarkeitsstudie zum Glyphosatausstieg". Da die Inhalte Studie bisher nur unzulänglich Widerhall in der öffentlichen Debatte fanden, ist es höchste Zeit, dies nachzuholen.

Was ist Glyphosat?

Glyphosat ist ein "Totalherbizid" und hindert sämtliche Pflanzen am Wachstum. Keine andere Substanz weist diese extrem breite Wirksamkeit auf. Der Begriff Herbizid bezieht sich auf den Einsatzzweck: die Bekämpfung von Unkräutern aller Art. Herbizide wiederum zählen zur großen Gruppe der Pestizide, der Pflanzenschutzmittel. Glyphosat wurde 1971 vom US-Agrarkonzern Monsanto patentiert, der nun zu Bayer gehört, und ist seit 1974 auf dem Markt. In Österreich ist es seit 1979 zugelassen. Glyphosat wirkt auf Basis des kleinen Moleküls N-Phosphonomethylglycin. Dieses Molekül beeinflusst den sogenannten Shikimat-Weg: Es blockiert das Enzym 5-Enolpyruvylshikimat-3-Phosphatsynthase (EPSPS). Pflanzen benötigen das Enzym, um die Aminosäuren Tryptophan, Tyrosin und Phenylalanin zu produzieren. Wird dieser Prozess durch Glyphosat gehemmt, gehen sie ein. Die Substanz deaktiviert somit einen für Pflanzen lebensnotwendigen biologischen Mechanismus. Für Säugetiere und damit auch den Menschen ist dies unproblematisch: Denn sie besitzen das Enzym EPSPS gar nicht; Glyphosat kann daher bei ihnen nichts blockieren. Wohl aber haben Bakterien, Pilze und Protozoen diese Ausstattung. Deshalb werden antimikrobielle Effekte von Glyphosat diskutiert. Da auch Plasmodien, die Erreger von Malaria, den Shikimat- Schalter installiert haben, könnte sich das Wachstum dieser Parasiten mit Glyphosat ebenso unterbinden lassen. 2010 erhielt Monsanto ein Patent, das Glyphosat zur Therapie von Malaria vorschlägt. Der Ansatz wurde aber nicht weiter verfolgt.

In welchem Ausmaß wird Glyphosat eingesetzt?

Glyphosat ist das am weitesten verbreitete Herbizid. Pro Jahr werden weltweit rund 800.000 Tonnen davon eingesetzt, zu etwa 90 Prozent in der Landwirtschaft. Der Boom der Substanz begann Mitte der 1990er-Jahre mit dem Aufkommen gentechnisch veränderter Pflanzen. Seit damals ist es möglich, Nutzpflanzen wie Mais resistent gegen Glyphosat zu machen. Besprüht man Felder damit, sterben alle unerwünschten Gewächse ab, während die Nutzpflanze unbeschadet bleibt. Global wird mehr als die Hälfte allen Glyphosats für diese Zwecke verwendet.

Wie und in welchem Umfang wird Gyphosat in Österreich angewandt?

Die Aussaat gentechnisch veränderter Organismen ist in Österreich verboten. Die Anwendungsformen von Glyphosat sind auch deshalb fundamental andere als in Südamerika, den USA oder Kanada, was sich im relativ bescheidenen Verbrauch niederschlägt: Im Jahr 2018 kamen rund 240 Tonnen Glyphosat in den Handel. Das ist ein Viertel aller eingesetzten Herbizide. 44 Produkte mit dem Wirkstoff Glyphosat sind bei uns zugelassen, 24 davon auch für Privatanwender.

Den Großteil verbraucht hierzulande ebenfalls die Landwirtschaft. Dennoch sind die behandelten Areale recht überschaubar: Glyphosat kommt in Österreich auf neun Prozent der Agrarfläche zum Einsatz -das sind 1,4 Prozent des Bundesgebiets. Der größte Anwender abseits des Agrarsektors sind die ÖBB, die Glyphosat benutzen, um das Schotterbett unter den Geleisen vor Unkrautbewuchs zu schützen, der Gleisanlagen instabil machen würde. Die restlichen Anwender sind Gemeinden, Unternehmen und Privathaushalte. Bekannteste Marke ist das Monsanto-Produkt "Roundup", obwohl die meisten verkauften Chargen längst nicht mehr vom Urheber stammen: Das Patent ist im Jahr 2000 ausgelaufen; seit damals gibt es günstigere Generika. Im österreichischen Ackerbau sind drei Methoden der Anwendung von Glyphosat gebräuchlich. Den mit Abstand wichtigsten Bereich bildet die Vorsaat-sowie Vorlaufbehandlung. Beim Vorsaatverfahren bereitet der Bauer gleichsam den Boden für Nutzpflanzen, die er anbauen möchte, zum Beispiel Mais, Zuckerrübe oder Kürbis. Dafür werden im Frühjahr Unkräuter, die frisch sprießen oder im Winter nicht abgefroren sind, mit dem Herbizid eliminiert. Dies geschieht, bevor die Samen der Nutzpflanze in den Boden gelangen. Beim mengenmäßig weniger bedeutsamen Vorlaufverfahren erfolgt die Anwendung von Glyphosat unmittelbar nach dem Säen, jedenfalls aber bevor Keimlinge wachsen. Beide Verfahren zusammen werden auf knapp 90.000 Hektar angewandt. Eine untergeordnete Rolle spielt die Nacherntebehandlung, die auf rund 25.000 Hektar zum Einsatz kommt. Zweck dieser Praxis ist es, die Felder nach der Ernte für eine Wintersaat vorzubereiten. Auf weiteren etwa 30.000 Hektar Fläche, auf denen Obst-oder Weinbau betrieben wird, dient Glyphosat zur Entfernung von Unkräutern zwischen den Baumreihen oder Rebstöcken.

Eine in vielen Ländern übliche Methode ist in Österreich nicht zulässig: die Sikkation oder Reifespritzung. Dabei werden Nutzpflanzen kurz vor der Ernte mit Glyphosat behandelt. Das Absterben der Pflanzen erleichtert die Ernte, zudem erhalten die Früchte dadurch eine Art finalen Energieschub, quasi durch das letzte Aufbäumen der Pflanze.

All dies bedeutet: Nutzpflanzen, die der Nahrungsoder Futtermittelherstellung dienen, kommen in Österreich mit Glyphosat nicht in Berührung.

Glyphosat ist einer der bestuntersuchten Wirkstoffe. Hundertprozentige Sicherheit kann es aber nie geben. (Siegrid Steinkellner, Uni für Bodenkultur)

Wozu muss man Unkräuter überhaupt bekämpfen?

Gut 300 Unkrautarten wachsen in Österreich. Ob Ackerkratzdistel, Quecke oder Ampfer -die Spezies sind zäh und oft robuster als die Nutzpflanzen, mit denen sie um Lebensraum konkurrieren. Würde man auf den Äckern der Natur ihren Lauf lassen, wären Ernteausfälle von 30 bis 40 Prozent die Folge; bei Gemüse wären es mehr als 70 Prozent. Global betrachtet, würden daraus heute größere Probleme denn je resultieren: Anfang des 20. Jahrhunderts bewohnten den Planeten rund zwei Milliarden Personen, seither hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdreifacht. Ohne effiziente Landwirtschaft könnte man die Menschheit nicht ernähren. Traditionell benutzte der Bauer den Pflug, um Unkräuter zu beseitigen und vor der Saat gleichsam reinen Tisch auf dem Feld zu machen. Einst plagten sich Pferdegespanne durch die Furche, heute erledigen den Job mächtige Maschinen. Oft hört man die Forderung, man möge auf Chemie verzichten und zur althergebrachten Form der Bewirtschaftung zurückkehren. Doch zum einen ist eine mechanische Bearbeitung der Böden ohnehin die dominierende Praxis: Auf mehr als 90 Prozent der Agrarflächen in Österreich wird eben kein Glyphosat ausgebracht. Stattdessen beschränken sich die Landwirte auf konventionelle Methoden wie das Pflügen. Zum anderen gilt wie so oft: Nur weil schon unsere Vorfahren auf bestimmte Gepflogenheiten schworen, muss man diese nicht zwangsläufig beibehalten.

Pflügen ist brachial: Die oberste, besonders nährstoffreiche Bodenschicht wird dabei zerstört -samt Humus und den darin lebenden Organismen. Nackte, umgepflügte Erde ist außerdem besonders anfällig für Erosion. Wind und Regen tragen den Boden ab oder schwemmen ihn aus. Dies mindert die Fruchtbarkeit und schmälert die Erträge weiter. Der Klimawandel mit Extremen wie Trockenperioden und Starkregen verschärft das Problem - speziell in Hanglagen, wo heftiger Regen enorm viel Boden abschwemmen kann. In solchen Gebieten gehen durch Erosion nach zwei bis drei Jahrzehnten drei Viertel der Bodenfruchtbarkeit verloren; in ebenen Gebieten ist es ein Drittel. Im europäischen Schnitt kratzt die Witterung jährlich pro Hektar 2,67 Tonnen Erde von den Feldern. In Österreich gelten rund 270.000 Hektar als stark oder sehr stark erosionsgefährdet (von insgesamt 1,4 Millionen Hektar Agrarfläche). Der Pflug ist aber auch wenig umweltfreundlich, weil die Traktoren jede Menge Schadstoffe freisetzen: Bis zu 40 Liter Diesel pro Hektar werden beim Pflügen verbrannt.

Aus all diesen Gründen empfehlen Experten konservierende Maßnahmen, die die Böden schonen. Das bedeutet, Grünbewuchs auf den Feldern zuzulassen, wenn keine Früchte gedeihen. Die Pflanzen samt ihren Wurzeln bilden eine schützende Decke, welche die Energie von Wind und Wetter abfängt, Erosion mindert und die Humusschicht sowie den Mikrokosmos darin erhält.

Vor der nächsten Saat, meist im Frühjahr, muss das Grünzeug allerdings weg, weil man sonst nichts anbauen kann. Hier kommt Glyphosat ins Spiel: Mit dem Herbizid lässt sich die Gründecke entfernen, ohne die zuvor erzielten positiven Effekte durch den Pflug wieder zunichte zu machen. Im Optimalfall kann ohne mechanische Eingriffe gesät werden, was Direktsaat heißt und als besonders sinnvoll gilt. Zumindest jedoch lässt sich, wenn Unkräuter chemisch entfernt werden, der Einsatz des Pfluges oder anderer mechanischer Geräte reduzieren. Glyphosat verwenden vor allem progressiv denkende Landwirte, denen der Erhalt der Böden sowie der behutsame Schutz vor Erosion am Herzen liegt. Direktsaat hat immer noch untergeordnete Bedeutung, doch in der Fachwelt herrscht Einigkeit darüber, dass genau solch boden-und klimaschonende Verfahren forciert werden müssen -die ohne Glyphosat derzeit kaum möglich sind.

Warum ausgerechnet Glyphosat?

Einst benutzte der Mensch Arsen, Quecksilber, Blei und Kupfer, um Nutzpflanzen zu schützen. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war man stolz auf die Erfindung von Chlorverbindungen wie DDT und Lindan, die sich als hochgradig giftig erwiesen. Es folgten Organophosphate, die in dieselbe Kategorie fallen wie das Nervengas Sarin. Ein frühes Herbizid ist 2,4-D, das seit 1945 auf dem Markt ist. Es gilt seit 30 Jahren als womöglich krebserregend. Im Gegensatz zu Glyphosat gab es keine Debatte um den noch heute zugelassenen Stoff -vermutlich, weil er es nie in die öffentliche Wahrnehmung schaffte. Heute sind rund 500 Herbizide verfügbar, und lange Zeit galt Glyphosat als das beste unter ihnen - aufgrund der breiten Wirksamkeit wie auch in Bezug auf die Verträglichkeit. Nicht nur, dass es seine Effekte bei Säugetieren mangels biologischer Andockstation nicht entfalten kann, auch die Folgen für die Umwelt sind, wiewohl messbar, vergleichsweise moderat. Glyphosat wird im Boden mit einer Halbwertszeit von (je nach Temperatur und Bodenbeschaffenheit) zwei bis 68 Tagen abgebaut, wobei das Abbauprodukt Aminomethylphosphonsäure (AMPA) entsteht. Beide Substanzen binden stark an Mineralteilchen im Boden, was das Eindringen in tiefere Schichten verhindert. Daher lässt es sich im Grundwasser fast nie nachweisen. Unter knapp 5800 österreichischen Grundwasserproben seit 2013 waren 16 Proben, in denen Glyphosat über der Messgrenze lag. In zwölf Proben des Jahres 2013 überstiegen die Werte die Toleranzschwelle für Trinkwasser; seit damals gab es keine Überschreitung.

Problematisch kann Glyphosat für Bodenorganismen sein, da diese ebenfalls den Shikimat-Weg besitzen. Es kann zu einer Veränderung der Artenzusammensetzung kommen, weil manche Arten sensibel auf die Substanz reagieren, während andere davon unbeeindruckt bleiben. Sicher fatal ist Glyphosat für Wasserpflanzen und Algen, weil es auf diese wirkt wie auf alle Pflanzen.

Natürlich ist kein Pflanzenschutzmittel harmlos, sonst würde es seinen Zweck nicht erfüllen. Und wie jede Agrarchemikalie bewirkt Glyphosat Eingriffe ins ökologische Gefüge. Doch in Relation zu anderen Stoffen hielt man das Eigenschaftsprofil stets für günstig: weil Säugetiere nicht ins Wirkspektrum fallen, die Umweltbelastung begrenzt ist, weil sich mit einer einzigen Substanz alle Unkräuter auf einen Schlag bekämpfen lassen -und weil es billig ist: Etwa zwölf Euro betragen die Kosten pro Hektar.

In dieselbe Gefahrenkategorie wie Glyphosat fallen auch rotes Fleisch, offene Kamine, heißer Mate- Tee und Schichtarbeit.

Wie kam Glyphosat in Verruf?

Die Aufregung begann 2015. Damals veröffentlichte die IARC, die Krebsforschungsagentur der WHO, ihre Einschätzung zu Glyphosat: Die Substanz sei "wahrscheinlich krebserregend". Eine zweite Welle der Entrüstung setzte ein, als europäische Gesundheitsbehörden 2017 Glyphosat für weitere fünf Jahre erlaubten. Seither hat sich die öffentliche Meinung einzementiert: Glyphosat ist brandgefährlich, und wer immer dieser Ansicht widerspricht, muss korrupt sein. Jede Debatte ist inzwischen ein veritables Minenfeld, sodass keine einzelne Behörde mehr für eine weitere Bewertung verantwortlich sein will. Es muss aber entschieden werden, wie es mit Glyphosat ab 2022 weitergeht. Die nächste Beurteilung soll nun auf vier europäische Länder verteilt werden.

Die IARC definiert fünf Stufen von Krebsgefahr. Glyphosat fällt wie rund 360 weitere Stoffe in die Klasse 2A: wahrscheinlich krebserregend. In dieser Kategorie befinden sich auch rotes Fleisch, offene Kamine, heißer Mate-Tee und Schichtarbeit. Glyphosat wird somit als ebenso riskant eingestuft wie der Verzehr von Schweinskoteletts. Eine Gefahrenklasse höher -sicher krebserregend -rangieren etwa Wurst, Tabakrauch, Alkohol, Sonnenlicht und Holzstaub. Natürlich wird man aber nicht gleich krank, weil man Salami isst, und das behauptet die IARC auch nicht. Sie bewertet lediglich das Potenzial einer Substanz, theoretisch Krebs zu erzeugen, nicht jedoch das Risiko, dass es bei üblichem Gebrauch tatsächlich geschieht.

Diese Beurteilung obliegt der europäischen Lebensmittelaufsicht EFSA, dem deutschen Bundesamt für Risikobewertung, der österreichischen Ages, der US-Umweltbehörde EPA, den kanadischen, australischen, japanischen und neuseeländischen Gesundheitsbehörden. Und alle Instanzen weltweit gelangten nach Sichtung der verfügbaren Studien zur einhelligen Auffassung: Glyphosat ist bei sachgerechter Anwendung nicht krebserregend. Zudem schädigt es nicht das Nervensystem und nicht das Erbgut. All die Institutionen untersuchten die Effekte von Glyphosat in der täglichen Praxis, und sie bezogen deutlich mehr und jüngere Studien ein als die IARC. Nun könnte man argwöhnen, dass sämtliche Behörden auf diesem Planeten vorsätzlich Gefahren herunterspielen oder bestochen sind. Oder man konzediert, dass verschiedene Ämter mit unterschiedlichen Bewertungszielen und abweichender Datenbasis verschiedene Fragestellungen beantwortet haben.

Woher weiß man, dass Glyphosat nicht Krebs erzeugt?

Zu Glyphosat existieren rund 800 Studien. Die Chemikalie ist damit das mit Abstand bestuntersuchte Pestizid aller Zeiten. Es gibt Langzeitbeobachtungen an Menschen, Labortests an Zellen, Studien vor allem an Mäusen und Ratten. Die Tiere erhielten teils enorm hohe Dosen über Jahre, um chronische Folgen zu ermitteln. Dazu untersuchten Forscher Blut, Organe, Gewebe, Knochen, Erbgut und die Gesundheit der Nachkommen.

Job der Gesundheitsbehörden ist es, aus diesem Datenwust ein plausibles Destillat anzufertigen, eine Gesamtzusammenschau, welche die Studien je nach Qualität und Aussagekraft gewichtet und ein Fazit zieht. Das bedeutet aber auch, dass nicht jede einzelne Studie das Endergebnis beeinflusst. Daher ist es nur auf den ersten Blick irritierend, wenn Kritiker einzelne Studien herauspicken, die eine Krebsgefahr fanden. Diese änderten aber nichts an der Gesamtbewertung - weil es nur eine Handvoll unter 800 ist, weil es statistische Ausreißer sein können, weil manche Versuchstiere erblich bedingt ohnehin leicht Krebs entwickeln oder weil absurd hohe Dosen verabreicht wurden: teils 4000 Milligramm pro Kilo Körpergewicht pro Tag.

Zum Vergleich: Als Limit, ab dem Überschreitungen gemeldet werden, gelten 0,5 Milligramm pro Kilo und Tag. Dieser Acceptable Daily Intake (ADI) errechnet sich so: Man testet zunächst, bei welchen Dosen im Tierversuch keinerlei toxische Effekte auftreten. Dann nimmt man den allerniedrigsten dieser Werte und dividiert ihn nochmal durch 100. Man schlägt also auf einen Wert, bei dem nie Schäden auftreten, zusätzlich einen Sicherheitsfaktor von 100 auf. Das bedeutet zugleich: Wenn von Grenzwertüberschreitungen die Rede ist, geht es um einen Wert jenseits des Sicherheitspuffers von 0,5 Milligramm -eine Gesundheitsgefahr ist da noch in weiter Ferne.

Andere Studien fanden keinen Niederschlag im Resultat der Behörden, weil sie mangelhaft waren. Eine Forschergruppe brachte fast jedes Leiden mit Glyphosat in Verbindung, darunter Diabetes, Fettleibigkeit, Asthma, Alzheimer, Parkinson, Autoimmun-und Lungenerkrankungen. Die Autoren verwendeten Syllogismen, Schlussfolgerungen nach dem Modell: Wenn A stimmt und B zutrifft, muss auch C korrekt sein. Manchmal ist das richtig, manchmal völlig abwegig. So ließe sich zutreffend sagen: Sokrates ist ein Mensch. Menschen sind sterblich. Sokrates ist folglich sterblich. Weniger überzeugend wäre: Katzen sind sterblich. Sokrates ist sterblich. Also ist Sokrates eine Katze. Nach dem gleichen Prinzip lassen sich gesundheitliche Folgen konstruieren, wo die Daten keine hergeben.

All dies bedeutet nicht, dass Glyphosat auf ewig freigesprochen ist. Wissenschaft ist eine Momentaufnahme, und im Moment liegt keine Evidenz vor, dass das Herbizid Krebs verursacht. Das kann sich in Zukunft ändern. "Glyphosat ist einer der bestuntersuchten Wirkstoffe überhaupt", sagt Studienautorin Siegrid Steinkellner. "Hundertprozentige Sicherheit kann es aber nie geben, weder für diesen Wirkstoff noch für sonst eine Substanz oder einen Einflussfaktor im Leben."

Würde man allerdings vorsorglich alles verbieten, was irgendwann zum Problem werden kann, könnten wir unser Dasein auf Erden kaum bewerkstelligen. Vor allem müsste man die Menschen dann augenblicklich vom Wurstkonsum abhalten, der laut IARC gefährlicher ist als Glyphosat.

Glyphosat kann die Artenvielfalt beeinflussen und zum Insektensterben beitragen. Das erfolgt aber ebenso durch das Pflügen.

Ist Glyphosat also unbedenklich?

Keineswegs. Die europäische Chemikalienagentur ECHA stuft Glyphosat als augenschädigend und bei Dauerreizung ätzend für die Schleimhäute ein. Das liege nicht am biologischen Wirkmechanismus selbst, der ja bei Säugetieren nicht greift, sagt Albert Bergmann, Toxikologe bei der Ages: "Es handelt sich um eine parallel dazu bestehende Eigenschaft." Von den Effekten sind Vögel und Säuger betroffen, nach gegenwärtigem Wissen aber nicht Regenwürmer, Bienen und nützliche Insekten. Allerdings kann Glyphosat die Artenvielfalt beeinflussen und zum Insektensterben beitragen -wenn auch indirekt, weil durch Unkrautvernichtung die Lebensräume schrumpfen. Das erfolgt aber durch alle Methoden der Unkrautbeseitigung, auch durch das Pflügen. Und andere Herbizide sind in dieser Hinsicht bedenklicher, weil sie Insekten auch direkt schädigen.

Noch näher zu untersuchen sind Einflüsse auf Mikroorganismen - nicht nur im Boden, sondern auch auf die Darmflora von Tieren. So kam der Verdacht auf, dass Krankheits-und Todesfälle von Kühen in Deutschland indirekt auf Glyphosat zurückzuführen sein könnten. Über importierte Futtermittel, die von glyphosatresistenten Pflanzen oder mit dem Herbizid behandelten Feldern stammen, könnte das mikrobielle Gleichgewicht im Darm der Kühe gestört worden sein. Weil günstige Bakterien oft empfindlicher auf Glyphosat reagieren als bedenkliche wie Clostridien, könnte dies zu vermehrtem Wachstum pathogener Keime beigetragen haben. Dass Nutztiere mit Glyphosat belastet sein können, ist erwiesen: Sowohl im Urin als auch in Organen wurden Rückstände gefunden.

Deutsche Forscher untersuchten die Zusammenhänge 2016. Es gelang ihnen jedoch selbst mit hohen Glyphosatdosen nicht, signifikante Veränderungen der Mikrobenwelt zu erzielen. Dennoch bedürfen Störungen des Mikrobioms, weil theoretisch plausibel, weiterer Forschung.

Wie viel Glyphosat findet sich in Lebensmitteln?

Damit Glyphosat beim Menschen Schaden anrichten kann -ob durch Feldfrüchte, kontaminierte Samen im Boden oder belastete Nutztiere und deren Produkte -, müsste es erst einmal in Lebensmitteln enthalten sein, die wir konsumieren. Zwischen 2013 und 2018 analysierte die Ages 1714 Lebensmittelproben auf Rückstände. Darunter waren solche aus konventionellem Anbau und Bioprodukte, österreichische Erzeugnisse und internationale. In 94 Prozent der Proben konnten überhaupt keine Rückstände aufgespürt werden, bei Babynahrung in keiner einzigen -und das bei einer Bestimmungsgrenze von 0,01 bis 0,05 Milligramm pro Kilo. Diese Sensitivität ist ein Triumph der Analytik: Früher wäre es unmöglich gewesen, so geringe Mengen zu detektieren. Ware aus Österreich war zu 97 Prozent frei von Glyphosatspuren, internationale zu 92 Prozent, Biolebensmittel zu 98,6 Prozent. Zu einer Überschreitung der Limits kam es in einem einzigen Fall bei einer Honigprobe. Und da erlaubt das Gesetz einen Maximalgehalt von 0,05 Milligramm -ein Zehntel dessen, was als medizinisch unbedenklich gilt. Von knapp 9000 Proben aus EU-Ländern 2017 waren mehr als 97 Prozent frei von Glyphosat. Wohl aber fanden sich in beinahe der Hälfte aller europäischen Proben Pestizide. Andere Pflanzenschutzmittel hinterlassen also zumindest Spuren -Substanzen, auf die Landwirte ausweichen, falls Glyphosat verboten ist.

Bei allen denkbaren Problemen durch Glyphosat lässt sich somit sagen: Das Risiko ist vor allem ein theoretisches, solange praktisch alle Lebensmittel frei davon sind.

Ist ein nationales Glyphosatverbot überhaupt möglich?

Nein, ein Komplettverbot ist nicht möglich, da die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln unter EU-Recht fällt. Punktuelle Einschränkungen wären aber erlaubt: Man könnte beispielweise den Einsatz in privaten Haushalten zur Gänze untersagen, was auch sinnvoll wäre, da wahrlich kein Hobbygärtner mit Chemie hantieren muss. Gleiches gilt für öffentliche Orte wie Parks oder Spielplätze. Zudem gibt es schon jetzt viele Restriktionen sowie Selbstbeschränkungen. Die Sikkation ist seit 2013 verboten, die erlaubte Menge pro Hektar Ackerfläche strikt limitiert. Überdies ist die Verwendung auf versiegelten Flächen unzulässig -etwa auf den Straßen und Gehsteigen der Gemeinden. Die Asfinag verzichtet bereits seit 2015 auf Glyphosat und enfernt Unkräuter mechanisch oder manuell von Mittelstreifen der Autobahnen.

Gibt es Alternativen zu Glyphosat?

Im Gegensatz zur Behauptung des SPÖ-Agrarsprechers, der mit der originellen Aussage aufhorchen ließ, er kenne zwar Alternativen, verrate sie aber nicht, lautet die Wahrheit: Es existieren derzeit keine gleichwertigen Möglichkeiten der Unkrautbekämpfung -jedenfalls nicht in der Landwirtschaft. Den Kommunen indes stehen Methoden wie Heißwasser, Heißschaum, Dampf oder thermische Verfahren wie das Abflammen zur Verfügung.

Im Agrarsektor kommen diese Techniken jedoch kaum infrage. So kann man Unkraut auf Beton abbrennen, unter Weinstöcken oder auf trockenen Feldern wäre dies aber gefährlich. Den Bauern bleiben momentan zwei Varianten des Ersatzes: Sie können auf mechanische Eliminierung von Unkräutern umschwenken -was jedoch definitiv unerwünscht ist, um der Erosion vorzubeugen. Die Folge wäre auch, dass auf Zwischenbegrünungen, welche zum Erhalt von Humus und der Böden beiträgen, eher verzichtet würde.

Möglichkeit zwei besteht im Ausweichen auf andere Substanzen als Glyphosat: auf Harnstoffderivate, Biscarbamate, Diphenylether, Proprionsäurederivate und Wuchsstoffherbizide wie das toxische 2,4-D. Es handelt sich dabei um selektive Herbizide: Nicht ein Produkt allein kann sämtliche Unkräuter bezwingen, vielmehr müssen verschiedene kombiniert werden, um das Unkrautspektrum mit quasi vereinten Kräften abzudecken. Das würde bedeuten, dass man mehr Chemie einsetzen muss als bisher. Wie dieser Cocktail in der Natur wirkt, ist ziemlich unklar. Zwar seien die Effekte der einzelnen Stoffe bekannt, so Ages-Toxikologe Bergmann. "Aber über die Mischungen fehlen umfangreiche Untersuchungen ." Mit dem Bann von Glyphosat würde womöglich der vermeintliche Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben. Es gibt zwar auch "Bioherbizide": organische Säuren wie Pelargon-, Caprylund Caprinsäure. Sie zeigen gute Erfolge bei jungen Unkräutern, älteren Pflanzen können sie wenig anhaben. Da Glyphosat effizient, breit wirksam und kostengünstig ist, würden bei einem Wechsel zu Alternativen die Kosten steigen und zugleich die Ernten sinken. Berechnungen gehen von Produktionsrückgängen von vier bis sieben Prozent sowie Mehrkosten von bis zu einem Fünftel aus -aufgrund öfterer Behandlung der Felder sowie steigender Ausgaben für Maschinen und Personal. Ein abruptes Verbot von Glyphosat hieße also: unbekannte Chemiecocktails oder höherer Maschineneinsatz samt stärkerem Ausstoß von CO2, weniger Erosionsschutz, verbunden mit einem Rückgang der Bodenfruchtbarkeit, Mehrkosten und dadurch sinkender Konkurrenzfähigkeit. Die Folge wären vermutlich steigende Importe billigerer Güter - auch aus Ländern, denen der Einsatz toxischer Substanzen nicht den Schlaf raubt.

Soll man Glyphosat also einfach beibehalten?

Gewiss nicht. Das Eigenschaftsprofil mag im Vergleich zu anderen Substanzen günstig sein -besser wäre es aber, wenn es noch verträglicheren Ersatz gäbe. Vielleicht bergen dieses Potenzial ätherische Öle wie Raps-, Sonnenblumen-, Pinien-oder Nelkenöl. Erfahrungen aus den USA zeigen, dass solche Produkte in hoher Konzentration herbizide Wirkung entfalten. Große Hoffnung wird auch in das sogenannte Precision Farming gesetzt: in künstliche Intelligenzen, die autonom über die Felder fahren, zu eliminierende Unkräuter erkennen und nur diese gezielt abtöten. Breitflächiger Einsatz von Chemie nach dem Gießkannenprinzip ließe sich dadurch unterbinden.

Es ist jedenfalls absolut sinnvoll, die Erforschung von Alternativen voranzutreiben. "Die Weiterentwicklung umweltschonender Bewirtschaftungsmaßnahmen ist eine zentrale Aufgabe im Pflanzenschutz", sagt Steinkellner. Ein Glyphosatverbot übers Knie zu brechen, kann trotzdem nur als Schnapsidee betrachtet werden. Und jene Politiker, die es hurtig und werbewirksam beschlossen, können sich weder mit der Faktenbasis noch mit den Konsequenzen befasst haben.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft