Allergien: Warum Patienten durch den Klimawandel mehr leiden
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Gegen Abend zogen Unwetter auf. Eine mächtige Gewitterfront bewegte sich von Norden nach Süden. Böiger Wind fegte übers Land, Blitze zuckten über den Himmel, die Luftfeuchtigkeit stieg auf 70 bis 80 Prozent. In den Stunden danach wurden 3365 Personen mit Asthma und Atemnot in die Notfallambulanzen gebracht. Es war ein sprunghafter Anstieg der Patientenzahlen um 670 Prozent. Zehn Menschen starben.
Das tragische Ereignis ist heute ein Lehrbuchbeispiel der Allergologie. Was sich am 21. November 2016 im australischen Melbourne zutrug, ist der bisher schwerste Fall von Thunderstorm-Asthma. Dieses Phänomen beruht auf einem Zusammenhang von Extremwetter und daraus resultierenden allergischen Symptomen. Sturmböen rütteln zunächst an Pflanzen, die dadurch massenhaft Pollen ausschütten. Gewitter erhöhen die Luftfeuchtigkeit, wodurch sich die Pollenkörner vollsaugen und anschwellen. Osmotischer Schock und elektrische Entladungen durch Blitze lassen die Membranen der Pollenkörner bersten und spalten sie in kleine Bruchstücke – in Fragmente mit 0,6 bis 2,5 Mikrometer, die nun tief in die unteren Atemwege eindringen und asthmatische Beschwerden verursachen können.
Gewitterasthma
Wie Tunderstorm asthma entsteht: Durch Windböen schütten Pflanzen große Mengen an Pollen aus. Hohe Luftfeuchtigkeit bewirkt, dass sich die Pollenkörner ansaugen. Osmotischer Druck und Blitze lassen die Körner bersten und spaltet sie in kleine Fragmente, die tief in die Lunge eindringen können.
Fälle von Thunderstorm-Asthma sind auch aus Kanada, Italien, Großbritannien und den USA überliefert. Forschende gehen davon aus, dass solche Ereignisse künftig häufiger werden, auch in unseren Breiten. Hauptgrund ist die Klimakrise. Wärmere Luft infolge höherer Temperaturen nimmt mehr Feuchtigkeit auf, die sich in Form von Starkniederschlägen entladen kann. „Die Relevanz von Thunderstorm- Asthma kann aufgrund des Klimawandels steigen“, befand 2021 ein deutsches Wissenschafterteam, das die Wahrscheinlichkeit solcher Komplikationen für den süddeutschen Raum untersuchte.
Die Pollensaison ist eröffnet
Gewitterasthma mag ein Extrembeispiel für Auswirkungen des Klimas auf Allergien sein, das einzige ist es aber nicht. Um sich davon zu überzeugen, genügt im Moment ein Spaziergang durch die Grünflächen des Wiener Umlandes. Dabei kann man leicht beobachten: Wir befinden uns mitten in der Pollensaison 2024. Seit zwei Wochen blüht die Hasel, vor allem im Osten des Landes, die Erle folgt bereits. Rekord ist das jedoch keineswegs. „Heuer hat die Blüte im Vergleich zum Vorjahr ein wenig später begonnen, weil die Temperaturen zu Jahresbeginn nicht hoch waren“, so Markus Berger, Mediziner und Leiter der Forschungs- und Serviceplattform Polleninformation.at.
In den vergangenen Jahren setzte die Haselblüte manchmal schon Anfang Jänner ein. Über die Jahrzehnte zeigt sich ein stabiler Trend: Eröffnete die Hasel das Pollenjahr um 1970 etwa 60 Tage nach Jahresbeginn, vergehen bis zur Blüte nun circa 40 Tage. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Birke, für viele Allergiker die größte Plage: Im vergangenen halben Jahrhundert hat sich der Pollenflug um rund zwei Wochen nach vorn verlagert.
Immer früherer Blühbeginn
Im langjährigen Vergleich beginnt die Haselblüte im Schnitt immer früher. Die Grafik zeigt, wie viele Tage seit Jahresbeginn beim Einsetzen der Blüte in der jeweiligen Zeit vergangen sind. Derzeit sind es zirca 40 Tage.
Die Saison dauert auch länger: Wesentlichen Anteil daran hat Ragweed, auch Ambrosia genannt. Das invasive Kraut verschiebt die Allergiezeit weit in den Herbst. Die Luft ist mittlerweile nur noch von Mitte Oktober bis Mitte Dezember rein, berichtet Markus Berger. Ab Mitte Dezember sorgt in städtischen Gebieten die Purpurerle für Probleme, manchmal nahtlos gefolgt von der Hasel. „Voriges Jahr hatten wir erstmals 300 Tage mit allergierelevanten Allergenen in der Luft“, sagt Berger.
Vielen Patientinnen und Patienten bleibt buchstäblich kaum mehr Zeit zum Durchatmen. Mussten sie früher einige kritische Wochen überstehen, ringen manche nun monatelang mit einer Krankheit, deren Ursachen immer noch mäßig gut verstanden sind. Als gesichert gilt, dass die Genetik, Umwelteinflüsse und Begleiterscheinungen der modernen Zivilisation wie mangelnder Kontakt zu bestimmten Mikroben eine Rolle spielen.
Markus Berger
„Voriges Jahr hatten wir erstmals 300 Tage mit allergierelevanten Allergenen in der Luft“, sagt der Wiener Mediziner und Leiter des Polleninformationsdienstes.
Dennoch ist ungewiss, ob dies ausreichend erklärt, warum rund ein Viertel bis ein Drittel der Österreicher und europaweit fast 130 Millionen Menschen unter einer überschießenden Reaktion des Immunsystems auf harmlose Eiweißstoffe leiden. „Majorallergene“ heißen diese Proteine im Pollen, die Hauptauslöser der jeweiligen Allergie sind. Bet v 1 beispielsweise ist das Majorallergen der Birke, und es ist eng verwandt mit den Hauptallergenen in der Hasel, Erle, Buche, Kastanie und Eiche. Daher spricht man inzwischen von der Birkenpollengruppe, und wer sensibel auf das Bet v 1-Protein reagiert, kann in Form einer Kreuzreaktion durchaus auch unter der Hasel leiden – und während der gesamten Frühblüherzeit Probleme haben.
Eine sinnlose Kettenreaktion
Solch eine Allergikerkarriere verläuft in zwei Phasen: Zunächst wird das Immunsystem – warum auch immer – gegenüber einem Pollenprotein sensibilisiert, was sich in einem Anstieg von Immunglobulinen der Klasse E im Blut niederschlägt, kurz IgE. Allerdings: Manche Menschen haben einen enorm hohen IgE-Spiegel und trotzdem keinerlei Symptome. „Dieser Biomarker sagt ein höheres Allergierisiko für Betroffene voraus, weil sie eine erhöhte Haut- und Schleimhautdurchlässigkeit haben“, sagt die Wiener Allergologin Erika Jensen-Jarolim.
Eine Allergie entsteht erst in Phase zwei: wenn sensibilisierte Menschen erneut in Kontakt mit dem Allergen geraten. Dann binden Pollenproteine über die Schleimhäute an die zuvor in Alarmbereitschaft versetzten IgE-Antikörper, und es werden Entzündungsbotenstoffe wie Histamin ausgeschüttet, die fast augenblicklich zu den leidigen Beschwerden führen – rinnende Nase, Niesen, brennende Augen, mitunter Asthma.
In der Forschung besteht weitgehend Einigkeit, dass der Klimawandel Einfluss auf Schwere und Häufigkeit der Symptome hat und künftig noch vermehrt haben wird. Nicht alle Folgen sind negativ, die meisten aber leider schon, und wieder andere sind vor allem verwirrend. Ein Beispiel: Höhere Temperaturen führen zu einer Häufung von Mastjahren, in denen Bäume größere Pollenmengen ausschütten. Dies jedoch kostet Energie, was die Bäume anfälliger für Trockenheit und Schädlinge macht. Diese Stressoren wiederum können einen Rückgang der Pollenproduktion und eine Entlastung für Allergiker bewirken.
Um es noch eine Spur komplizierter zu machen: Die Pollenmenge in der Luft korreliert nicht zwingend mit dem Ausmaß der Beschwerden. Markus Berger und ein Kollegenteam erfassten für eine Studie Pollenbelastung und Symptomschwere im Zeitverlauf und trugen die Daten in eine Grafik ein. Sie legten die Kurven übereinander – und stellten fest, dass sie ziemlich auseinanderliefen (siehe Grafik links). Trotz starken Pollenfluges könnten Patienten sogar symptomfrei sein, konstatiert das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI). Denn ursächlich für Beschwerden sind nicht die Pollenkörner selbst, sondern eben die darin enthaltenen Proteine. Und diese, so das RKI, würden nicht kontinuierlich freigesetzt, sondern eher schubweise. Eine Spitze gibt es meist zu Beginn der Blüte, vergleichbar einem Läufer, der mit viel Energie startet, dann aber allmählich ermüdet.
Auffallende Diskrepanz
Die objektive Pollenbelastung muss nicht mit den individuellen Beschwerden der Patienten korrelieren. Die Grafik zeigt, dass die Kurven von Pollenflug und Beschwerdeintensität audeinanderlaufen – und damit, wie chaotisch und verwirrend Allergien sein können.
Außerdem gilt es stets den vielleicht verzwicktesten Faktor zu bedenken: den einzelnen Menschen. „Zwölf Pollenkörner pro Kubikmeter Luft können sich bei Allergiker A völlig anders auswirken als bei Allergiker B“, sagt Berger. Allergien sind komplex und verlaufen oft chaotisch, Studien dazu häufig inkonsistent oder widersprüchlich. Über längere Zeitspannen zeigen die Daten dennoch klare Trends – und erhellen schlüssige Zusammenhänge von Klimawandel und Allergien. Wesentlich sind zunächst die Faktoren Temperatur, Wetter und Kohlenstoffdioxid.
Der Planet stolpert jedes Jahr von einem Hitzerekord zum nächsten, bis Ende des Jahrhunderts dürfte die globale Erwärmung – je nach Szenario und ergriffenen Maßnahmen – 1,5 bis vier Grad betragen. Ein wesentlicher Trigger ist die atmosphärische Anreicherung des Treibhausgases CO2, die im vergangenen halben Jahrhundert um gut ein Fünftel gestiegen ist. „Diese Klimafaktoren können die Physiologie und Verteilung von lebenden Organismen wie Pflanzen und Pilzen beeinflussen“, berichtet ein Forscherteam um Lorenzo Cecchi von der Universität Florenz. „Es gibt hinlänglich Evidenz, dass sich der Klimawandel auf die Produktion von Pollen und Sporen auswirkt.“
Kohlendioxid, ein Futter für Pollen
Höhere Temperatur, verbunden mit Änderungen der Niederschläge in einer wärmeren Atmosphäre, verlängern und verschieben – wie auch in Österreich – die Blühzeiten und -intensitäten. CO2 fungiert dabei als zusätzlicher Dünger, schreiben Cecchi und sein Team, schließlich sei es das wichtigste Futter für die Photosynthese. Langzeitbeobachtungen zeigen einen deutlichen Einfluss einer wärmeren Welt auf die Pollenausschüttung. Beispielsweise ergaben Messserien an 97 Stellen in 13 europäischen Ländern eine zunehmende Pollenmenge bei vielen von 23 untersuchten Pflanzen. „Der Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration dürfte entscheidend sein“, folgerte der Umweltwissenschafter Paul Beggs in einem Fachartikel 2021.
Eine weitere große Messreihe zitiert der Immunologe Jeffrey Demain: Über fast drei Jahrzehnte ließ sich ein kontinuierlicher Anstieg der Pollenproduktion bei vielen Pflanzen um etwa 25 Prozent dokumentieren, unter anderem abhängig von der Zahl der Tage mit Temperaturen jenseits der 30 Grad. Bei Ragweed zeigte sich, dass die Pollenproduktion parallel zur CO2-Konzentration um 30 bis sogar 90 Prozent stieg. Das ist eine besonders schlechte Nachricht, weil Ragweed ein enorm starkes Allergen ist: Fünf bis zehn Pollenkörner pro Kubikmeter Luft reichen für eine Reaktion, bei der Birke braucht es dafür rund 20.
Verstärkte Pollenausschüttung ist im Grunde eine evolutionär programmierte Notfallmaßnahme. Hitze, Chemie und Wetterextreme setzen Pflanzen unter Stress. „Sie fühlen sich gewissermaßen in ihrem Überleben bedroht und versuchen, ihren Fortbestand zu sichern, indem sie möglichst viel Pollen freisetzen“, sagt Erika Jensen-Jarolim.
Erika Jensen-Jarolim
„Pflanzen fühlen sich gewissermaßen in ihrem Überleben bedroht und versuchen, ihren Fortbestand zu sichern, indem sie möglichst viel Pollen freisetzen“, sagt die Wiener Allergieforscherin.
Wie wir inzwischen wissen, ist aber die Zahl der Pollenkörner alleine bedingt aussagekräftig. Daher stellt sich die Frage: Verändern Klimafaktoren außerdem die darin enthaltenen Eiweißstoffe, also die eigentlichen Auslöser von Allergien? Bisherige Daten deuten darauf hin, dass es tatsächlich auch Auswirkungen auf Gehalt und Biochemie der Majorallegene gibt – und deren allergenes Potenzial erhöht wird. Dieses Potenzial, die Allergenität, resultiert aus der Menge und den chemischen Eigenschaften von Pollenproteinen wie Bet v 1 oder Amb a 1, dem Ragweed-Hauptallergen. Für beide konnten unter dem Einfluss höherer Temperatur und CO2-Konzentration ein „Hochregulieren“ nachgewiesen werden.
Mehr Pollen, aggressivere Allergene
Die diesbezüglichen Schlussfolgerungen in Studien klingen immer wieder ähnlich. „Erhöhte CO2-Level bedingen eine stärkere allergische Reaktion“, fasst Beggs das Fazit mehrere Arbeiten zum Thema zusammen. Zudem sei das Ausmaß der Allergenität von Pollenproteinen an die Temperatur gekoppelt, wobei die Allergenität parallel zur Temperatur zunehme. Ähnliche Resultate berichtet Jeffrey Demain für Ragweed: Der Gehalt des Eiweißstoffes Amb a 1 steige unter dem Einfluss erhöhter CO2-Konzentration. Und das Wissenschafterteam um Lorenzo Cecchi notiert über die Birke: „Bei höheren Temperaturen produzieren die Bäume Pollen mit gesteigertem Gehalt des Majorallergens Bet v 1.“ Generell sei ein Anstieg des Allergengehalts unter dem Eindruck längerer Wärmephasen und einer mit Kohlendioxid angereicherten Atmosphäre zu beobachten.
„Bei höheren Temperaturen produzieren die Birkenbäume Pollen mit einem gesteigertem Gehalt des Hauptallergens Bet v 1.“
Noch ein dritter Faktor kommt zu Temperatur und Kohlendioxid hinzu: Ozon. In Bodennähe entsteht es besonders in den heißen Monaten (zeitlich parallel zum Pollenflug) als chemisches Folgeprodukt von Schadstoffen wie Stickstoffoxid, die wiederum aus Verbrennungsprozessen stammen, sowie unter Einwirkung von UV-Strahlung. Ozon stellt für die Atemwege ohnehin ein Reizgas dar, doch es mehren sich auch die Hinweise, dass es im Wege chemischer Modifikationen überdies die Allergenität der Pollen beeinflusst.
Die Effekte lassen sich vor allem aus Patientendaten ableiten. Studien zeigen zum Beispiel verstärkte Reaktionen gegenüber Birkenpollen, wenn diese erhöhter Ozonbelastung ausgesetzt waren. Markus Berger untersuchte gemeinsam mit einem Forschungsteam die Einflüsse von Ozon und anderen Luftschadstoffen auf die Befindlichkeit von Allergikern in Wien. Die Forschenden erhoben Daten aus acht Jahren, und bei Ozon stellten sie einen klaren Zusammenhang zwischen Belastungsspitzen und Beschwerden fest. Konklusio der Studie: „Ein Anstieg der Ozonkonzentration führt zu einer gesteigerten Symptomschwere während der Birken-, Gräser- und Ragweed-Saison.“
Andere Schadstoffe wie Stick- oder Schwefeloxide würden heute in Österreich nicht mehr so ins Gewicht fallen, sagt Berger – immerhin habe sich die generelle Luftqualität über die Zeit merklich verbessert. Für Ozon gilt dieser Trend allerdings nicht, weil eben auch von klimabedingten Faktoren wie der Wärmestrahlung abhängig.
Die Eroberung Europas
Hitze, Kohlendioxid, Ozon und Wetterlagen wirken jedoch nicht nur als „Adjuvantien“ auf die bestehende Vegetation, als Hebel, der Pollenbelastung sowie die Allergenität der Pollenkörner verstärken kann. Zugleich und vor allem in Zukunft wird es auch zu räumlichen Veränderungen der Pflanzenwelt kommen. Bisherige Pflanzen erschließen neue Gebiete oder höhere Lagen, manch traditionelle Gewächse werden allmählich verschwinden, andere, teils problematische Arten hinzukommen.
Ein gutes Beispiel für die regionale Anpassungsfähigkeit ist Ambrosia, das hochallergene Ragweed. Vor etwa 150 Jahren nach Europa gelangt, fiel es zunächst kaum auf, eroberte dann das östliche Südeuropa und Ungarn und wanderte schließlich nordwärts, meist entlang von Straßen und Eisenbahnlinien. Österreich ist längst von Ragweed besiedelt, in Deutschland ist die Ausbreitung im Moment ein großes Thema. Ragweed kolonisiert aber nicht nur immer mehr Länder, sondern fühlt sich inzwischen aufgrund wärmerer Durchschnittstemperaturen auch in höheren Lagen wohl. Einst war es Lehrbuchwissen, dass die Ambrosie nicht in über 500 Meter vorkommt. Jetzt wächst sie in 1500 Meter Höhe, selbst in Tirol.
Die Ausbreitung von Ragweed
Die Karte zeigt, wie das invasive Gewächs Ragweed, auch Ambrosia genannt, mittlerweile weite Teile Europas erobert hat. Ursprünglich kam es im östlichen Mittelmeerraum und Ungarn vor, heute ist es fast überall in Österreich verbreitet und wandert immer weiter nach Norden.
Die lange gültige Annahme, eine Flucht in die Berge schütze vor der Allergiebelastung, stimmt daher nicht mehr. Eigentlich gibt es heute kaum Regionen, die frei von Allergenen sind. Ragweed ist dabei von besonderer Bedeutung, weil es per se hochaggressiv auf die Schleimhäute wirkt. Die Blüten einer einzigen Pflanze können eine Milliarde Pollenkörner ausschütten, und die weitere Ausbreitung und chemische Veränderungen unter dem Eindruck des Klimawandels wird das Kraut wohl zu einem der wichtigsten Allergieauslöser machen. Prognosen gehen davon aus, dass bis 2060 fast 80 Millionen Europäer dagegen sensibilisiert sein werden, gut doppelt so viele wie heute.
Bei der Birke, bei uns noch neben den Gräsern wichtigster Verursacher von Allergien, dürfte der Trend gegenläufig sein. Zwar muss man sich in naher Zukunft auf eine eher noch stärkere Belastung einstellen, weil die Saison oft früher einsetzt und die Bäume auf Klimastress mit erhöhter Freisetzung von Pollen reagieren. Doch auf Dauer dürften die Birken mit den veränderten Bedingungen nicht mehr zurechtkommen, weil sie zu empfindlich auf Hitze und Trockenphasen reagieren. Zunächst erschließen sie vermutlich höhere Lagen und nördlichere Regionen, auf lange Sicht jedoch dürften ihre Bestände in unseren Breiten deutlich ausgedünnt sein. Für Allergiker bedeutet das langfristig somit eine Entlastung – leider dürfen sie erst gegen Ende des Jahrhunderts damit rechnen.
Besser keine Olivenbäume
Stattdessen zeichnet sich bereits jetzt ab, dass neue Allergieauslöser hinzukommen. Und daran ist nicht der Klimawandel schuld, sondern der Mensch, der sich freut, dass inzwischen bei uns Pflanzen wachsen, die früher nur im Süden zu Hause waren. Eher besorgt beobachten Fachleute zum Beispiel die Mode, im Südosten Österreichs Olivenbäume zu pflanzen, weil sie im inzwischen wärmeren Umfeld gut gedeihen. Neue, vormals nicht heimische Pflanzen bedeuten freilich auch neue Allergieauslöser – das Immunsystem reagiert schlicht auf jene Stoffe, mit denen es konfrontiert ist. Daher hält es Berger für eine ziemlich schlechte Idee, mittlerweile im Burgenland Oliven zu züchten. Deren Pollen treffen zudem auf womöglich bereits sensibilisierte Menschen: Denn die Proteine der Olive sind mit jenen der Esche verwandt.
Dabei ist das Immunsystem der Patienten vorerst mit den heimischen Allergenen ausreichend beschäftigt – im Moment mit jenen der Hasel und der Erle, ab März mit jenen der Birke und Esche. Immerhin gibt es eine relativ gute Nachricht: Nach momentaner Einschätzung dürfte die erste Phase der Pollensaison heuer eher durchschnittlich ausfallen.
Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft