Alltagsbegleiter: 175 Jahre Doppler-Effekt
Am 25. Mai 1842 veröffentlichte der Salzburger Astronom, Mathematiker und Physiker Christian Doppler eine wissenschaftliche Arbeit, mit der er erklären wollte, warum die Sterne in unterschiedlichen Farben leuchten. Darin findet sich eine mathematische Gleichung, die der Physiker Anton Zeilinger als "Jahrtausend-Effekt" bezeichnete - und das, obwohl ein großer Teil von Dopplers Arbeit aus heutiger Sicht völlig falsch war.
Dass sich im Salzburg des 19. Jahrhunderts allerdings überhaupt jemand intensiv der Astronomie widmete, war ohnehin ungewöhnlich. Diese Disziplin hatte damals einen schweren Stand: "Hier in Salzburg [hat] gar niemand dafür weder Begriff noch Sinn", meinte der Mathematiker Simon Stampfer, der den jungen Christian Doppler ab 1816 am Gymnasium unterrichtete. Stampfer ist es zu verdanken, dass Doppler in den Genuss höherer Bildung kam. Am 29. November 1803 geboren, sollte er eigentlich Steinmetz werden. Aber Stampfer erkannte seine große mathematische und naturwissenschaftliche Begabung und riet Dopplers Vater, ihm den Besuch des Gymnasiums und ein Studium zu ermöglichen.
Eine hervorragende Entscheidung, die zu einem ebenso hervorragenden Abschluss und einem Studium am Polytechnischen Institut in Wien führte. Dort arbeitete Doppler ab 1829 als Assistent am Lehrstuhl für höhere Mathematik, bevor er als Professor für Mathematik und Physik nach Prag wechselte. Hier hielt er am 25. Mai 1842 einen Vortrag zum Thema "Über das farbige Licht der Doppelsterne und einiger anderer Gestirne des Himmels". Zu Beginn seiner Präsentation beschäftigte sich Doppler noch mit der Entwicklung der Theorie zur Beschreibung der Wellennatur des Lichts, wies dann aber schnell auf ein Phänomen hin, das bis dahin übersehen worden war: "Es dünkt mich aber sehr bemerkenswerth, dass man sowohl in der Licht-und Schall-Lehre, wie auch in der allgemeinen Wellenlehre meines Wissens wenigstens auf einen möglicher Weise sehr wohl vorkommenden Umstand bisher so gut wie keine Rücksicht genommen hat!"
Dieser unberücksichtigte Umstand war das, was heute als "Doppler-Effekt" bekannt ist. Bei der Betrachtung von Licht-und Schallwellen, so Doppler, kommt es darauf an, ob sich die Quelle des Signals respektive der Beobachter in Ruhe befinden oder nicht. Eine Schallquelle beispielsweise mag Wellen aussenden, bei der zwei Ausschläge immer nach Ablauf der gleichen Zeitspanne erfolgen. Bewegt sie sich aber vom Beobachter fort, werden die Wellenberge und -täler auseinandergezogen, und sie werden gestaucht, wenn sich die Schallquelle nähert. Die zeitliche Abfolge der Wellenberge aber bestimmt die Frequenz, also die Tonhöhe, mit der wir ein Geräusch hören. Dopplers Schlussfolgerung: Bewegt sich eine Schallquelle an uns vorbei, hören wir ein Auf und Ab der Tonhöhe, obwohl die Quelle selbst immer den gleichen Ton erzeugt. Heute gehört dieses Phänomen zum Alltag, und wir hören es überall an den Geräuschen der schnell fahrenden Autos und Eisenbahnen. Zu Dopplers Zeit fuhr aber in Österreich niemand so schnell durch die Gegend, dass man den Effekt hätte wahrnehmen können. Doppler dachte, am Himmel eine Bestätigung für seine Aussage gefunden zu haben. Denn was für Schallwellen gilt, gilt auch für die Wellen des Lichts - nur dass sich hier nicht die Höhe des Tons verändert, sondern die Farbe: Das Licht einer Quelle, die sich auf uns zubewegt, wird bläulicher beziehungsweise rötlich, wenn sie sich entfernt.
Große Theorie, kleine Mängel
Doppler schrieb am Ende seines Aufsatzes: "Es war der Zweck der gegenwärtigen Abhandlung (...) die Nothwendigkeit eines solchen Einflusses der ungemein schnellen Bewegung der Himmelskörper auf ihre Farbe und auf die Intensität ihres Lichtes darzuthun und es gewährt dem Verfasser derselben eine erfreuliche Genugthuung, die vollkommenste Uebereinstimmung der Beobachtungen (...) mit den oben aufgestellten Grundsätzen (...) wahrzunehmen." Es folgte eine Liste von neun Punkten, bei denen seiner Meinung nach bisher unerklärte astronomische Beobachtungen durch den Doppler-Effekt erklärt werden könnten. Aus heutiger Sicht muss man leider feststellen, dass Doppler damit in keinem einzigen Fall recht hatte. Das kann man ihm aber nicht vorwerfen, denn Mitte des 19. Jahrhunderts wusste man einfach noch nicht genug über die Sterne.
Doppler dachte zum Beispiel, dass bestimmte Sterne bläulich oder rötlich leuchten, weil sie sich mit hohen Geschwindigkeiten auf die Erde zu- oder von ihr wegbewegen. Das tun (alle) Sterne tatsächlich, aber nicht so schnell, dass es mit damaligen Beobachtungsmethoden wahrnehmbar gewesen wäre. Die Farbe der Sterne hängt vielmehr von ihrer Temperatur ab, und es dauerte noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts und bis zur Entwicklung der Quantenmechanik, bis diese Zusammenhänge verstanden wurden. Doppler wollte mit seinem Effekt auch erklären, warum die Astronomen Tycho Brahe und Johannes Kepler 1572 und 1604 plötzlich aufleuchtende helle Sterne am Himmel entdeckten, die nach einiger Zeit wieder verblassten und verschwanden. Diese Sterne, so Doppler, bewegten sich so schnell, dass die Farbe ihres Lichts komplett aus dem für unsere Augen wahrnehmbaren Bereich verschoben wäre. Nur wenn sie zwischendurch ein wenig langsamer würden, könnten wir sie sehen. Heute wissen wir, dass es sich dabei in Wahrheit um Supernova- Explosionen handelt, bei denen ein Stern sein Leben mit einem gewaltigen Helligkeitsausbruch beendet.
Doppler hatte sich also geirrt, was die astronomische Interpretation seines Effekts angeht. Am Fundament seiner Überlegungen über die Veränderung der Signale bewegter Schall-oder Lichtquellen ändert das aber nichts. Der Doppler-Effekt sollte daher in den kommenden 175 Jahren die Welt der Naturwissenschaft bereichern.
Doppler selbst machte erst einmal Karriere. 1850 wurde er von Kaiser Franz Joseph zum Leiter des neu gegründeten physikalischen Instituts der Universität Wien und zum ersten Professor für experimentelle Physik bestellt. Mit der Verantwortung kamen auch die Neider, angeführt vom Mathematiker Josef Petzval. Dieser schien sich vor allem daran zu stören, dass der Doppler-Effekt sowohl mathematisch als auch praktisch wirklich einfach zu verstehen war. Das war für ihn ein Zeichen von "Oberflächlichkeit und Mangel an Tiefe", und Petzval warf Doppler vor, dass man ohne die Anwendung der Differentialrechnung nicht Teil der "großen Wissenschaft" sein könne. Dopplers Theorie habe keinen Wert, sei "erwiesenermaßen irrig" und "nur ein wissenschaftlicher Witz".
Gegen diese absurden Vorwürfe konnte sich Doppler kaum noch wehren. Schon länger litt er unter einer Lungenerkrankung. Er fuhr auf Anraten seines Arztes zur Erholung nach Venedig. Dort starb er am 17. März 1853. Er konnte nicht mehr erleben, wo der von ihm entdeckte Effekt überall Anwendung findet. Ein großer Teil unserer modernen Technik wäre ohne die Ausnutzung des Doppler-Effekts nicht funktionstüchtig. Astronomie, Physik, Medizin und fast jede andere Naturwissenschaft nutzen ihn -und bestätigen Tag für Tag, dass es sich tatsächlich um einen "Jahrtausend-Effekt" handelt.
DOPPLER UND DIE WELTERKENNTNIS
In seiner Arbeit aus dem Jahr 1842 zog Christian Doppler den nach ihm benannten Effekt zwar fälschlicherweise zur Erklärung astronomischer Phänomene heran. Trotzdem hat die Astronomie eine Vielzahl an Anwendungen für den Doppler-Effekt gefunden. Als 1995 der erste Planet entdeckt wurde, der einen anderen Stern als unsere Sonne umkreist, gelang dies nur mithilfe des Doppler-Effekts. Mit den damaligen Beobachtungsmethoden war es unmöglich, das Licht solch eines extrasolaren Planeten direkt zu sehen. Die vom Planeten ausgeübte Gravitationskraft aber lässt den Stern ein ganz klein wenig wackeln. Dadurch verändert sich der Abstand zwischen Stern und Erde auf eine charakteristische Weise und sorgt für eine durch Dopplers Formel beschriebene Farbänderung des Sternenlichts. Mehr als 700 weitere Planeten wurden seitdem mit dieser Methode entdeckt.
Als Astronomen 1998 die Auswirkungen der "dunklen Energie" entdeckten, also beobachteten, dass sich das Universum seit seiner Entstehung viel schneller ausdehnt als erwartet, gelang ihnen das ebenfalls dank Dopplers Erkenntnis über die Strahlung bewegter Lichtquellen. In diesem Fall waren es explodierende Sterne in fernen Galaxien. Mithilfe des Doppler-Effekts konnten die Wissenschafter bestimmen, wie schnell die Sterne sich von der Erde entfernen, und daraus die Expansionsrate des Kosmos berechnen.
Auch die Entdeckung der dunklen Materie verdanken wir unter anderem dem Doppler-Effekt: Sterne stehen nicht still, sondern bewegen sich um das Zentrum ihrer Galaxie. Dabei bewegen sie sich, von der Erde aus gesehen, mal auf uns zu und mal von uns weg. Die dabei entstehenden Verschiebungen in ihrem Licht machen es möglich, die Geschwindigkeit zu bestimmen, mit der sie das tun. Die Astronomin Vera Rubin bestätigte auf diese Weise in den 1960er-Jahren, dass es zusätzliche, nicht sichtbare Materie im Kosmos geben muss, die es den Sternen ermöglicht, sich mit den beobachteten Geschwindigkeiten zu bewegen. Astronomen verwenden den Doppler-Effekt auch, um das Innere von Sternen zu verstehen. Sie bestimmen damit die Form von Asteroiden, untersuchen die Vergangenheit und die Zukunft des Universums und eine Vielzahl anderer Phänomene.
DOPPLER UND DER ALLTAG
Den akustischen Auswirkungen des Doppler-Effekts kann man überall auf unseren Straßen begegnen: Die typischen Veränderungen der Tonhöhe, die man bei den Sirenen vorbeifahrender Einsatzfahrzeuge hören kann, sind nichts anderes als das, was Doppler vor 175 Jahren beschrieb. Wer ganz ohne Einsatzfahrzeug zu schnell die Straßen passiert, muss allerdings damit rechnen, auf eine andere Weise mit Dopplers Forschung Bekanntschaft zu machen: Denn die am weitesten verbreitete Methode zur Geschwindigkeitsüberwachung besteht in der Verwendung von Radiowellen, die von mobilen oder fix installierten Geräten ausgesandt und am sich bewegenden Fahrzeug reflektiert werden. Die zurückgesandten Wellen werden je nach der Geschwindigkeit, mit der sich das Auto bewegt, mehr oder weniger stark gestaucht oder gestreckt - was eventuelle Temposünder überführt.
Der Strafzettel für überhöhte Geschwindigkeit ist eine der unangenehmen Folgen von Dopplers Wissenschaft, der wir trotzdem dankbar sein sollten - zum Beispiel, wenn wir im Flugzeug sitzend deshalb sicher über den Himmel gelotst werden, weil von der Flugüberwachung das gleiche Prinzip des Doppler-Radars verwendet wird, um den Überblick über alle Flugzeuge im Luftraum zu erhalten, das auch die Polizei benutzt. Und wenn Meteorologen Daten über Windströmungen, die Bewegung von Stürmen oder die Niederschlagsmengen von Regen, Hagel und Schnee sammeln, um daraus die Prognosen für die nächsten Tagen zu erstellen, tun sie das ebenfalls mit Radarmessungen, die Dopplers Effekt ausnutzen. Wolken sind nicht die luftigen Gebilde, als die sie uns erscheinen: Sie bestehen nicht aus Wasserdampf, sondern aus Wassertropfen, die sich um Kondensationskerne (zum Beispiel Stauboder Rußpartikel) bilden. Die Tropfen und Kerne reflektieren die Radarstrahlen und erlauben die Vermessung der Wolken und ihrer Bewegung.
DOPPLER UND DIE MEDIZIN
Dass seine Erkenntnisse über die Veränderung von Signalen bewegter Quellen heute einen unverzichtbaren Teil der medizinischen Diagnostik ausmachen, hätte Doppler vermutlich selbst nicht erwartet. Aber genau dort findet sie heute in Form der "Dopplersonografie" zahlreiche Anwendungen. Dabei werden Ultraschallwellen mit einer genau definierten Frequenz ausgestrahlt und zum Beispiel an den roten Blutkörperchen reflektiert. Diese wuseln durch die Gefäße und verändern so je nach Geschwindigkeit die Frequenz der zurückgesandten Schallwelle. Das Gleiche passiert, wenn der Ultraschall an sich bewegenden Gewebeteilen reflektiert wird, etwa den Herzklappen. Bei Durchblutungsstörungen, Herzerkrankungen, Thrombose, erektiler Dysfunktion, Arterienverkalkung, Diabetes, Schlaganfällen und vielen anderen Erkrankungen ist die Dopplersonografie ein wichtiges Werkzeug zur Diagnose und Früherkennung.
DOPPLER ÜBERALL
Testet man neue Auto-oder Flugzeugmodelle im Windkanal, wird die Geschwindigkeit der über die Objekte strömenden Luft mit der "Laser-Doppler-Anemometrie" gemessen, einem optischen Verfahren, bei dem der Doppler-Effekt von reflektiertem Laserlicht ausgenutzt wird. Mit dieser Methode misst man auch die Geschwindigkeit von Kerosintropfen in Einspritzpumpen und benutzt sie überall dort, wo es darum geht, die Bewegung von strömenden Gasen oder Flüssigkeiten berührungslos zu überwachen. Bei Satelliten, die zur Landvermessung eingesetzt werden, hilft der Doppler-Effekt bei der genauen Positionsbestimmung. Beim Design von Lautsprechern, bei der Untersuchung von Computerfestplatten, der Analyse von Flugzeugkomponenten und überall sonst, wo die Schwingungen von Bauteilen verstanden werden müssen, setzt man "Laser-Doppler-Vibrometer" ein.
Bei der Übertragung eines Tennismatches zeigt uns der Doppler-Effekt wiederum, wie schnell der Ball beim Aufschlag der Spieler ist. Er lässt Archäologen vergrabene Ruinen finden und Paläontologen Dinosaurierskelette. Er hilft bei der Suche nach Landminen , der Erforschung der Kommunikation zwischen Zikaden, dem Verständnis der Auswirkungen des Klimawandels und der Instandsetzung von Brücken. Der Doppler-Effekt ist buchstäblich allgegenwärtig - 175 Jahre nach seiner Veröffentlichung hat Christian Dopplers Arbeit definitiv unsere gesamte Welt durchdrungen.