Anton Zeilinger
Interview

Anton Zeilinger: „Quantenheilung ist schlicht und einfach Mumpitz“

Wie funktioniert das Beamen? Surfen wir bald alle im Quanteninternet? Wo findet die Wissenschaft Platz für Gott? Anton Zeilinger ist Österreichs berühmtester Physiker – und seit Dienstag Nobelpreisträger

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Dieses Interview wurde im April 2022 geführt. Am 4. Oktober wurde bekannt, dass Anton Zeilinger den diesjährigen Physik-Nobelpreis gemeinsam mit dem französischen Physiker Alain Aspect und dem US-Physiker John F. Clauser u.a. für Experimente mit verschränkten Photonen bekommt.

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profil: Sie haben 2017 zum ersten Mal quantenverschlüsselt mit China videotelefoniert. Was haben Sie gesagt?

Zeilinger: Die Kollegen in China fragten mich: "Professor Zeilinger, can you hear us?" und ich antwortete: "Yes, I can hear you." Ich habe den Freunden aus China dann zu dem weltweit ersten Quantensatelliten namens Micius gratuliert, der das Telefonat ermöglicht hat. Wir konnten mit diesem Experiment zeigen, dass die Bandbreite ausreicht, um einen Videocall mit Quanten zu verschlüsseln und damit absolut abhörsicher zu kommunizieren.

profil: Ganz kurz: Wie funktioniert das?

Zeilinger: Beide Seiten brauchen eine Verschlüsselung. Diese besteht aus Quantenteilchen, die der Satellit Micius generiert und nach Wien und Peking geschickt hat. Man sieht diesen Teilchen sofort an, wenn man abgehört wird.
 

profil: Geheimdienste dürften sich um diese Technologie reißen. Ist sie schon in Verwendung?

Zeilinger: Ich weiß nicht, was diverse Staaten machen, ohne das öffentlich zu sagen. Viel häufiger als von den Geheimdiensten wird heute aber industriell verschlüsselt, um Betriebsgeheimnisse zu wahren. Wenn Sie heute einem Land, zum Beispiel Saudi-Arabien, ein Angebot über 20 Flugzeuge legen, wollen Sie nicht, dass die Konkurrenz den Inhalt kennt.

profil: Wann werden Quantencalls in unserem Alltag ankommen?

Zeilinger: Noch sind sie kein Thema. Allerdings kann es durchaus sein, dass sie im Banken-und Finanzbereich demnächst wichtig werden.

profil: Wann werden wir im Quanteninternet surfen?

Zeilinger: Das Quanteninternet dient zur Übertragung von Quantenschlüsseln. In China gibt es bereits ein solches als Verbindung zwischen Shanghai und Peking. Einzelne kleinere Netzwerke gibt es auch in den USA und in Japan auf wissenschaftlicher Basis, um die Technologie zu testen.

profil: Was hat eine Normalverbraucherin vom Quanteninternet?

Zeilinger: Es garantiert hundertprozentige Abhörsicherheit, was etwa beim Online-Banking von Vorteil ist. Schneller ist das Quanteninternet nicht.

profil: Was kann ein Quantencomputer?


Zeilinger: Man kann ihm mehrere Rechenprobleme gleichzeitig stellen. Er rechnet sie nicht nebeneinander, sondern überlagert sie.

profil: Ist er dadurch schneller?


Zeilinger: Die Geschwindigkeit kann man nicht vergleichen, da hier andere Prinzipien gelten. Aber es gibt mathematische Probleme, von denen man annimmt, dass ein Supercomputer sie in Milliarden Jahren nicht lösen kann - ein Quantencomputer aber schon. Er birgt durch die parallele Rechenweise enorme Kapazitäten.

profil: 1997 gelang Ihnen zum ersten Mal die Teleportation, womit Sie auch berühmt wurden. Was genau haben Sie da "gebeamt"?

Zeilinger: Wir übertrugen den exakten Quantenzustand eines Lichtteilchens auf ein anderes. Es ging also um eine sehr spezielle Form der Datenübertragung.

profil: Ihr Spitzname ist seither "Mr. Beam". Werden wir tatsächlich irgendwann einmal Dinge oder Menschen beamen können?

Zeilinger: Nein. Das ist heute noch genauso Science-Fiction wie vor unserem Experiment 1997. Aber die Informationsübertragung zwischen Quantencomputern ist heute möglich, dafür haben wir damals den Grundstein gelegt.

profil: Wie sieht ein Quantencomputer aus?

Zeilinger: Er ist mit einem normalen Computer nicht zu vergleichen, er besteht aus Spiegeln, Lasern und Lichtteilchen oder einzelnen Atomen und ist viel größer. Allerdings arbeiten einige Wissenschafter an der Miniaturisierung. Somit könnte er irgendwann von einem Gehäuse umgeben sein, das dem von üblichen Computern ähnelt.

profil: Die ÖAW unterstützt ukrainische Forscher, indem sie ihnen Forschungsaufenthalte in Österreich anbietet. Wie wird das angenommen?

Zeilinger: Sehr gut, wir haben bereits viele Bewerbungen erhalten. Ukrainische Kolleginnen und Kollegen können sich bei uns als Gastforscherinnen und -forscher in Österreich melden.

profil: Von der Politik wurde die Devise ausgegeben, russische Forscher vom internationalen Betrieb so weit wie möglich auszuschließen. Was halten Sie davon?

Zeilinger: Nicht viel. Wir müssen unterscheiden zwischen dem politischen System in Russland und den einzelnen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern. Die große Mehrheit von ihnen ist genauso gegen den Krieg wie die Menschen im Westen. Wenige Tage nach dem Überfall auf die Ukraine gab es einen offenen Brief von über 7.000 russischen Kollegen, die sich klar dagegen positionierten. Ich kenne einige, die Putins Regime seit Jahren kritisch gegenüberstehen. Den Kontakt zu ihnen abzubrechen, halte ich für gefährlich. Es wird eine Zeit nach Putin geben, dann brauchen wir Kontakte zu unseren Kolleginnen und Kollegen in Russland. Und es geht hier nicht um die Gefahr eines Technologietransfers, das halte ich für eine künstliche Aufregung.

profil: Was ist mit jenen, die das System unterstützen?

Zeilinger: Man muss Institutionen, die dies tun, herausfiltern und ihnen sagen, dass wir die Kontakte mit ihnen bis auf Weiteres einfrieren. Das ist aufwendig, aber notwendig.

profil: Die Pandemie brachte die Wissenschaftsskepsis der Österreicherinnen und Österreicher zum Vorschein. Warum tun sich hierzulande viele so schwer, der Wissenschaft zu vertrauen?

Zeilinger: Ich sehe da eine große Verantwortung der Medien. Ganz einfache Dinge wurden nicht oder zu wenig gut erklärt. Zudem wird fast immer ein Experte gesucht, der gegen die fachliche Mehrheitsmeinung auftritt. Das verunsichert die Menschen. Die ÖAW hat übrigens einen Wettbewerb ausgerufen: Bis zum Herbst können uns Menschen aus aller Welt Essays zur Frage "Fakt oder Fake: Wie gehen wir mit Wissenschaftsskepsis um?" schicken. Für die besten drei Antworten, ausgewählt von einer interdisziplinär besetzten Jury, gibt es Preisgelder von insgesamt 24.000 Euro.

profil: In der Esoteriker-Szene wird häufig mit "Quantenheilung" geworben, auch gegen Covid. Wie finden Sie das?

Zeilinger: "Quantenheilung" ist schlicht und einfach Mumpitz. Esoterikern, die mir damit kommen, sage ich, dass die Quantenphysik viel radikaler ist als ihre Erklärungsversuche über heilende Quantenfelder. Ich rate ihnen, sich einmal ernsthaft damit zu beschäftigen. Dann würde es sie umhauen.

profil: Sie bekommen viele Zuschriften von Esoterikern. Was werden Sie gefragt?

Zeilinger: Zum Beispiel, ob ich nicht die Wirkung von Homöopathie beweisen könnte. Auch diverse Hersteller der Zuckerkügelchen haben sich schon mit der Bitte um Gutachten an mich gewandt. Meine Antwort ist stets: Homöopathie hat nichts mit wissenschaftlicher Beweisbarkeit zu tun - sie ist reines Placebo.

profil: Der Zufall ist in der Quantenphysik ein alltägliches Phänomen, der Mensch tut sich damit aber schwer. Wie geht es Ihnen damit?

Zeilinger: Für mich ist der Zufall ein sehr tröstlicher Gedanke. Dass etwas einfach passiert, ohne Grund oder Erklärung, ist doch schön. Eine Welt mit Zufall ist offen, frei, spannend.

profil: Sie sind religiös. Hat Gott das Universum erschaffen oder haben wir Gott erschaffen, um uns im Universum zurechtzufinden?

Zeilinger: Das ist eine gute Frage, auf die man keine Antwort geben kann. Für mich persönlich war immer klar, dass es einen Gott gibt.

profil: Wo findet er neben der Physik Platz?

Zeilinger: Ich glaube, Gott ist jenseits jeder Erklärbarkeit.

profil: Die Naturgesetze kann man zum Beispiel nicht erklären, es gibt sie einfach. Wäre das eine Möglichkeit, Gott unterzubringen?

Zeilinger: Das ist nicht der Beweis für die Existenz Gottes. Das zu behaupten, wäre Unsinn. Es ist aber auch nicht der Beweis dagegen.

profil: Sie haben mehrmals den Dalai Lama getroffen. Was fasziniert Sie an ihm?

Zeilinger: Er ist einer der wärmsten Menschen, die ich je getroffen habe. Wir sprachen im Detail sowohl über Physik als auch Buddhismus.

profil: Der Dalai Lama versteht etwas von Quantenphysik?

Zeilinger: Er ist auf jeden Fall naturwissenschaftlich und technisch hochbegabt. Ich habe gelernt, dass er ein ganz klar rational denkender Mensch ist und die esoterischen Zuschreibungen, die auf ihn projiziert werden, nicht stimmen. Das westliche Bild des Dalai Lama stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein.

profil: Sie standen beinahe ein Jahrzehnt an der Spitze der Akademie der Wissenschaften. Was haben Sie nun vor?

Zeilinger: Ich mache weiterhin Quantenphysik, viele Experimente laufen schon. Genaueres möchte ich noch nicht verraten.

profil: Geht ein Forscher je wirklich in Pension?

Zeilinger: Offiziell bin ich schon Pensionist. Aber ich forsche weiter. Ich freue mich auf weniger Bürokratie in meinem Leben.

profil: Für Ihre Nachfolge ließen sich drei Männer aufstellen: Ex-Bildungsminister Heinz Faßmann, der Geochemiker Christian Köberl und der Romanist Michael Rössner. Wäre es nicht an der Zeit gewesen für eine Frau an der ÖAW-Spitze?

Zeilinger: Leider hat sich keine Frau beworben, und es wurde auch keine nominiert.

profil: Warum haben Sie keine potenzielle Nachfolgerin gefördert?

Zeilinger: Ich halte mich als Präsident aus der Wahl vollkommen heraus. Das ist nicht meine Aufgabe.

profil: Grundsätzlich haben Sie sich in den neun Jahren Ihrer Präsidentschaft immer für die Frauenförderung ausgesprochen. Dennoch liegt die Quote bei den Mitgliedern der Akademie bei nur 21 Prozent.

Zeilinger: Aber Sie müssen sehen, dass wir bei elf Prozent angefangen haben. Das ist eine große Steigerungsrate. Und: Bei den Wahlen der vergangenen vier Jahre für die Aufnahme neuer Mitglieder lag der Frauenanteil stets über 50 Prozent.

profil: Sie werden immer wieder als Kandidat für den Nobelpreis gehandelt. Haben Sie sich schon einmal überlegt, was Sie sagen würden, wenn der berühmte Anruf aus Stockholm käme?

Zeilinger: Ich würde sagen: Wie können Sie mir beweisen, dass dies kein Scherzanruf ist?

Anton Zeilinger, 76, auch bekannt als "Mr. Beam", ist ein Pionier der Quantenphysik. 1997 gelang ihm gemeinsam mit Kollegen mit einer erfolgreichen Teleportation der Durchbruch: Das Team übertrug den exakten Quantenzustand eines Lichtteilchens auf ein anderes. Danach experimentierte er mit immer größeren Entfernungen. Der gebürtige Oberösterreicher sandte verschlüsselte Lichtquanten 600 Meter weit über die Donau, dann teleportierte er den Zustand von Photonen zwischen den Kanarischen Inseln La Palma und Teneriffa - mit 143 Kilometern eine Weltrekorddistanz. Diese Experimente waren die Grundlage für die seit wenigen Jahren mögliche, abhörsichere Quantenkommunikation. Zeilinger, 2013 zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften gewählt, widmet sich ab Juni wieder der Forschung. Vorvergangene Woche wurde Ex-Wissenschaftsminister Heinz Faßmann zu Zeilingers Nachfolger gewählt.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.