Auf Schatzsuche: Wie alte Obstsorten der Klimakrise trotzen
Äpfel und Birnen dienten lange Zeit nicht als knackige Jause für zwischendurch, sondern als Rohstoff für das Arbeitergetränk schlechthin. In den Fabrikhallen der Voest, in den Bergbauhütten der Steiermark, in den Stuben der Bäuerinnen und Bauern: Überall wurde bis in die 1960er-Jahre hinein hektoliterweise Most getrunken. Die alkoholische Variante wohlgemerkt, nicht der alkoholfreie Süßmost. Auf den Streuobstwiesen gediehen klassische Mostäpfel wie der Brünnerling, der Florianer Rosmarin und die Schmidberger Renette, bewährte Birnensorten wie die kleine Landl-birne und die Gelbe Scheiblbirne – sowie Hunderte weitere, teils namenlose Sorten. Als Tafelapfel dominierte lange der steirische Maschanzker, eine süß-saftige gelbe Frucht, die heute fast verschwunden ist. Die damalige Vielfalt sucht man in den heimischen Apfelplantagen heute ebenso vergeblich wie in den Supermärkten; Glück hat, wer neben den europaweit üblichen Sorten Gala, Golden Delicious und Jonagold einen seltenen Ilzer Rosenapfel oder einen Kronprinz Rudolf ergattert.
Über welche Schätze Österreich trotzdem noch verfügt, zeigte nun die Obstinventur des Vereins Arche Noah. Elisabeth Arming und Bernd Kajtna bestimmten im Auftrag des Klimaministeriums und mit Unterstützung des Biodiversitätsrats 2400 verschiedene Kirschen-, Marillen-, Pfirsich-, Zwetschken-, Birnen- und Apfelsorten. Mehr als die Hälfte davon sind nur noch in Österreich zu finden, wie ein Abgleich mit internationalen Datenbanken zeigte. Die meisten stehen in einer der 15 über das Land verteilten Sammlungs-Gärten, in denen alte Obstbaumsorten von öffentlichen und privaten Institutionen erhalten werden. „Manche seltene Sorten stehen unmittelbar davor, vollkommen zu verschwinden. Sie müssen in Zukunft besser, in mehreren Sammlungen, abgesichert werden“, sagt Elisabeth Arming vom Verein Arche Noah.
Spätfrost bedroht Marillen, Kirschen und Zwetschken
Alte Obstsorten zu erhalten, ist kein Hobby, sondern in Zeiten der Klimakrise enorm wichtig. Ein Beispiel ist die Marillenblüte in der Wachau: Seit Jahren zittern die Bäuerinnen und Bauern im Frühling, weil die Bäume durch die hohen Tagestemperaturen schon früher austreiben, während in den Nächten oft noch strenger Frost herrscht. Acht Grad unter null fielen die Thermometer heuer in der ersten Aprilwoche in weiten Teilen Niederösterreichs und des Burgenlands.
ZWETSCHKEN UND PFLAUMEN
Aktuelle Marktsorten:
Čačaks Schöne, Toptaste, Jojo, Hanita
Marktsorten 1920–1980:
Hauszwetschke, Wangenheims,
Italienische, Ersinger Frühzwetschke, Ouillins, Große Grüne Ringlotte
Vom Aussterben bedroht:
Viele Landsorten und Primitivpflaumen wie Punzen, Pemsen, Zwispitz, Spänling, Eierpflaumen, Dattelzwetschken
Verschollene Sorten:
Die meisten Sorten des Pflaumenzüchters Georg Liegel aus Braunau/ Inn wie Biondecks Frühzwetschke oder Lucas Königspflaume sowie die ehemals weit verbreitete Sorte Bunter Perdrigon
Die Folge: Einbußen von fast 90 Prozent der Marillenernte, und auch heimische Zwetschken und Kirschen waren diesen Sommer kaum zu finden. Auf möglichst spät blühende Baumsorten umzusteigen, wäre eine Lösung. „Bei den Äpfeln gibt es sogar sogenannte Siebenschläfer-Sorten, die erst im Mai oder Juni blühen“, sagt Bernd Kajtna von der Arche Noah. Auch mit Dürreperioden, Starkregen und Hagel müssen die Obstgehölze zunehmend zurechtkommen. Hinzu kommt, dass 27 Prozent der Pflanzenarten Europas vor dem Aussterben stehen, wie eine vergangene Woche veröffentlichte Studie der Uni Trier zeigte. Dass die DNA-Analysen der Blätter aus den heimischen Sammlungen eine so große Vielfalt ergeben haben, ist demnach großes Glück. Je umfangreicher der Genpool, aus dem Obstbäuerinnen und Biologen schöpfen können, desto besser kann die Anpassung an die Erderhitzung gelingen.
BIRNEN
Aktuelle Marktsorten:
Tafelbirnen: Williams Christ, Bosc’s Flaschenbirne, Gute Luise, Packhams Triumph
Mostbirnen: Speckbirne, Hirschbirne, Grüne Pichlbirne
Marktsorten 1950–1970:
Clapps Liebling, Doppelte Philippsbirne, Gellerts Butterbirne (Foto)
Marktsorten 1900–1930:
Hochfeine Butterbirne, Sommer Apothekerbirne, Salzburger Birne, Virgouleuse, Isembart (Graue Herbstbutterbirne), Kaiserbirne (Weiße Herbstbutterbirne)
Vom Aussterben bedroht:
Muskatellerbirne, Virgouleuse, Isembart (Graue Herbstbutterbirne), Kaiserbirne (Weiße Herbstbutterbirne), zahlreiche Mostbirnensorten
Verschollene Sorten:
Große Landlbirne, Bremer Butterbirne, Wiener Kirschbirne, Pomeranzenbirne
Maßgeschneiderte Modesorten
Die Pink Lady muss rot, groß und makellos sein: Äpfel mit diesem Namen stammen von der in Australien gezüchteten Sorte Cripps Pink, einer sogenannten Clubsorte. Sie darf nur von bestimmten Baumschulen vermehrt und von Vertragsbauern produziert werden; Letztere müssen Lizenzgebühren an die Apple and Pear Australia Ltd in Melbourne zahlen, um vom Marketing und der künstlichen Verknappung des Produkts zu profitieren. Die Pink Lady wird aus Frankreich, Spanien, Italien, der Schweiz oder Südamerika angeliefert; in österreichischen Apfelplantagen sucht man sie, wahrscheinlich wegen der kürzeren Vegetationsphasen, vergeblich. Dafür finden sich in den heimischen Apfelgärten immer häufiger Clubsorten wie Evelina, Kanzi oder Jazz. Ein umstrittener Trend: Die Bäuerinnen und Bauern bekommen zwar höhere Preise, dürfen aber nicht perfekte Äpfel nicht unter dem Markennamen verkaufen und machen sich stark vom Lizenzgeber abhängig.
Die Modesorten haben, wie alle neueren Apfel-züchtungen, einen geringen Polyphenol-Gehalt. Das lässt sie nach dem Anschneiden weniger schnell braun werden und macht sie süßer. Für Allergiker allerdings sind alte, saurere Sorten verträglicher, wie Medizinerinnen der Berliner Charité herausfanden.
Es gibt also Gründe genug, im eigenen Garten einen Süßen Klapperapfel, eine Dattelzwetschke oder eine Kaiserbirne zu pflanzen. Auf der Website der Arche Noah ist eine Liste der Baumschulen zu finden, die Obstraritäten noch anbieten.
SÜSSKIRSCHEN
Aktuelle Marktsorten:
Regina, Kordia, Burlat
Marktsorten 1920–1980:
Schneiders Späte Knorpelkirsche,
Joiser Einsiedekirsche, Schartner Rainkirsche, Hedelfinger Riesen-
kirsche, Große Germersdorfer (Foto), Große Schwarze Knorpelkirsche,
Große Prinzessinkirsche, Büttners Rote Knorpelkirsche, Pfelzer,
St. Veiter Pelzkirsche, Marzer Kirsche, Dönissens Gelbe Knorpelkirsche
Vom Aussterben bedroht:
Viele Lokalsorten wie Bolaga, Butterkirsche, Wiesener Johannis-Kirsche
Verschollene Sorten:
Weidener Maikirsche, Heiderkirsche, Schneebergkirsche