Autos, Heizen, Loks: Rettet Wasserstoff die Energiewende?
Sie wurde als die Lösung aller Energieprobleme angepriesen, konnte aber die hohen Erwartungen zunächst nicht erfüllen und verschwand fast in der Versenkung. Doch Wissenschafter haben die Brennstoffzellentechnologie mit Wasserstoff als Energieträger im Stillen beständig weiterentwickelt. Ohne großes Getöse tauchen nun die ersten Wasserstoffautos auf, Häuser werden mit Strom versorgt und geheizt, und Brennstoffzellen helfen sogar mit, dass Pakete mit unseren Internetbestellungen rasch ankommen. Soll die Wende weg von fossilen, Treibhausgas produzierenden Brennstoffen zu erneuerbaren Energiequellen gelingen, wird man auch kaum ohne diese prinzipiell saubere und umweltfreundliche Technologie auskommen, erklären Experten. Allerdings muss sie noch einige Hürden überwinden, sagen sie im selben Atemzug.
Der Erste, der das Potenzial von Wasserstoff als Energieträger erkannte, war vermutlich Jules Verne. In seinem 1874 erschienenen Buch "Die geheimnisvolle Insel" schrieb er: "Wasser wird die Kohle der Zukunft sein." Durch Elektrolyse in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt, würde es zum dominierenden Energieträger avancieren. Noch besetzen diese Stellung die fossilen Brennstoffe, also Kohle, Erdöl und Gas, aus denen die Menschheit 82 Prozent ihrer Energie gewinnt. 14 Prozent kommen aus erneuerbaren Quellen und vier Prozent aus Kernenergie.
Einen großen Hype löste Wasserstoff in den 1990er-Jahren aus, berichtet Matthias Weber vom Foresight and Policy Development Department des Austrian Institute of Technology (AIT) in Wien. Es war Panik aufgekommen, dass die fossilen Energieträger bald zur Neige gehen könnten, die Umweltbelastung war ein Riesenthema. Brennstoffzellen wurden als leicht umsetzbare technische Lösung aller Probleme gesehen, außerdem erweckten manche Autohersteller durch vorschnelle Ankündigungen allzu große Hoffnungen. Als sich diese nicht gleich erfüllten, verschwand die Brennstoffzelle vom Radar der Öffentlichkeit. Der Hype ist aber nicht ausschließlich negativ zu sehen, meint Weber. Investoren und Politik beschäftigten sich weiterhin mit der Technologie, und es wurden recht stabile Voraussetzungen geschaffen, unter denen Entwickler die Brennstoffzellen weiterbringen konnten.
"Kommerzialisierung geht nun Stück für Stück los"
Autohersteller aus Japan und Korea entwickelten und testeten Brennstoffzellenautos, ohne großes Aufsehen darum zu machen - und brachten inzwischen die Modelle auf den Markt. Zunächst kam 2014 von Hyundai ein Brennstoffzellen-SUV auf den Markt, 2015 folgte Toyota mit seinem "Mirai", und seit 2016 gibt es einen Honda-Wasserstoffwagen zu kaufen. Im Herbst sollte das lange angekündigte Brennstoffzellenauto von Daimler zu haben sein. Die Stückzahlen sind niedrig, aber ständig am Wachsen, und es gibt mehr Interessenten, als die Hersteller Brennstoffzellenkarossen produzieren. Sie werden also, wie vor einiger Zeit die Hybridautos, zunächst vereinzelt auf den Straßen auftauchen, dann aber immer häufiger, meint Werner Tillmetz vom Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg. "2016 wurden 5000 Brennstoffzellenautos verkauft, die Markteinführung ist im Gange, und die Kommerzialisierung geht nun Stück für Stück los", sagt er.
Derzeit gibt es Wasserstoffautos nur in der gehobenen Klasse, man blättert dafür mindestens 50.000 Euro hin. Damit die Fahrzeuge die Straßen erobern können, müssen sie deutlich leistbarer werden und günstigere Segmente erreichen. Das geht eigentlich nur, wenn die Stückzahlen steigen. Vor allem aber fehlt ein brauchbares Tankstellennetz. Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Wasserstofftankstellen zahlen sich derzeit nicht aus, weil es kaum solche Autos gibt. Zugleich hat es nicht viel Sinn, solche zu kaufen, weil man sie fast nirgendwo auftanken kann. Heute existieren weltweit lediglich 247 Tankstellen mit Wasserstoffzapfsäulen. Das ist nur wenig mehr, als den Autofahrern Benzin-und Dieselladestationen allein in Wien zur Verfügung stehen.
"Die Infrastruktur ist ein Flaschenhals für die Markteinführung der neuen Technologie, und die Politik muss hier ganz intensiv unterstützend eingreifen", sagt Tillmetz. Das geschieht auch - zwar nicht in Österreich, aber zum Beispiel in Japan, wo in den nächsten Jahren 2000 Tankstellen errichtet werden sollen. Auch China arbeitet konsequent daran, Brennstoffzellenfahrzeuge samt Infrastruktur zu forcieren. In Deutschland soll bis 2023 ein Netz von 400 Tankstellen stehen. Derzeit sind es um die 40. Bald werden dort auch Brennstoffzellen-statt Dieselloks auf den Nebenstrecken fahren. Und in München steht ein Carsharing-Service mit 50 Wasserstoffautos zur Verfügung. Österreich bietet erst vier Wasserstofftankstellen an. Man kann solche Autos hierzulande nur in Wien, Linz, Innsbruck und seit Ende März auch in Graz betanken. Toyota verkauft sein Wasserstoffauto wegen Tankstellenmangels noch nicht, wie der Konzern auf Anfrage erklärt.
Der Brennstoffzellenentwickler Viktor Hacker vom Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der Technischen Universität Graz sieht aber das Problem nicht nur bei der Infrastruktur. Die Brennstoffzellenaggregate (bei Wasserstoffautos ist nach der Brennstoffzelle ein Elektromotor geschaltet, der für den Antrieb sorgt) müssen für den Fahrzeughalter mindestens genauso attraktiv sein wie Benzin- und Dieselmotoren, sagt der Forscher: "In den konventionellen Antrieben stecken Milliarden von Ingenieursstunden, sie sind extrem zuverlässig und vergleichsweise billig." In jedem Fall sieht Hacker große Vorteile von Brennstoffzellenautos gegenüber mit Batterien betriebenen Elektrofahrzeugen. Die Reichweite und Nachtankzeit entspricht fast jenen von Benzinfahrzeugen, während man mit einem batteriebetriebenen Auto im Winter nicht viel weiter als 200 Kilometer kommt und es überdies stundenlang an die Steckdose hängen muss.
Heizen mit Brennstoffzellen
Autos sind zwar der Treiber für die Brennstoffzellenentwicklung, in ihrem Windschatten sind aber noch andere Anwendungen im Kommen. Vor allem die Energieversorgung und Heizung für Häuser ist ein riesiger Markt. In Japan sind schon 200.000 Objekte mit Brennstoffzellen ausgerüstet. Weil man gleichzeitig ihren Strom und die Wärme nutzen kann, bringen sie einen Gesamtwirkungsgrad von über 90 Prozent. Pro Haus kann man damit im Jahr rund 1200 Kilo CO2-Emissionen vermeiden. In den USA sausen auch schon 11.000 mit Brennstoffzellen betriebene Gabelstapler durch Hallen von Internetkaufhäusern wie Amazon. Sie können - anders als Elektrofahrzeuge - praktisch rund um die Uhr im Einsatz sein, weil das Nachtanken keine drei Minuten dauert. Außerdem lässt sich auf Yachten, in Campingmobilen und überall, wo man nicht am Stromnetz hängt, Strom mit Brennstoffzellen generieren. Als Energieträger muss Wasserstoff allerdings anders produziert werden, als es derzeit im großen Maßstab für die chemische Industrie passiert: Dafür werden 96 Prozent mit hohem Energieaufwand durch sogenannte Dampfreformierung aus Quellen wie Erdgas, Methanol, Erdöl, Biogas oder Biomasse hergestellt. Dabei entsteht genauso viel Treibhausgas, wie wenn man diese Stoffe verbrennt. Dieser Wasserstoff ist also alles andere als klimaneutral. Nur vier Prozent stammen aus der Elektrolyse von Wasser, wo mit elektrischem Strom Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Die heutigen Wasserstofftankstellen nutzen zwar ausschließlich solchen aus erneuerbaren Energien, doch wenn mehr Brennstoffzellenautos auf die Straße kommen, steigt der Bedarf. Das sollte jedoch kein Problem sein.
"Im Vorjahr exportierte Deutschland einen so großen Überschuss an Strom ins Ausland, dass man damit 20 Millionen Elektroautos hätte betreiben können", rechnet Tillmetz vor. Das ist die Hälfte aller Autos in unserem Nachbarland. Freilich bedürfte es des Willens und entsprechender Anstrengungen, dieses Potenzial zu nutzen. Zurzeit arbeiten Forscher weltweit auch mit Hochdruck daran, die Wasserstoffherstellung so nachhaltig und klimaneutral wie möglich zu machen. Günther Knör vom Institut für Anorganische Chemie der Universität Linz will direkt mit Sonnenenergie Wasser in seine Bestandteile spalten, ohne den Umweg über elektrischen Strom zu nehmen. Das Prinzip hat er sich von Grünalgen abgeschaut, die Wasserstoffgas durch Photosynthese erzeugen. Dazu hat er einen grünen Farbstoff hergestellt, der wie Chlorophyll bei Pflanzen wirkt und als Reaktionsbeschleuniger funktioniert. In einer Salzlösung kann dieser Katalysator mithilfe von Sonnenlicht Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff auftrennen. Ersterer kann als Energieträger gespeichert und genutzt werden, Letzterer wird vom Salz aufgenommen. Die Methode ist allerdings noch im Stadium der Grundlagenforschung.
Das gilt auch für eine Technik, die der österreichische Forscher Erwin Reisner an der britischen Universität Cambridge und am Christian-Doppler-Labor für Erneuerbare Synthesegas-Chemie entwickelt hat. Er nutzt "Quantenpunkte": winzige Kristalle, die aus Cadmium und Schwefel zusammengebaut sind, um Holzzellstoff mithilfe von Sonnenlicht zu Wasserstoffgas aufzuwerten. Diese Nanopunkte sind so klein, dass in ihnen Quanteneffekte auftreten, und sie funktionieren in dem Prozess als lichtgetriebene Reaktionsbeschleuniger. Mit Sonnenlicht als Energielieferant wird der Zellstoff oxidiert, und es entstehen Wasserstoff sowie CO2. Letzteres fällt aber nicht als Gas an, sondern bleibt als Karbonat in der Reaktionsflüssigkeit. Dadurch wird der Kohlenstoff, den die Bäume zum Wachsen aus der Luft beziehen, nicht wieder freigesetzt, der Prozess entzieht der Atmosphäre insgesamt CO2 erläutert Reisner. Wenn sich solche Methoden durchsetzen, könnte Wasserstoff nicht nur als klimaneutrale Energiequelle dienen, sondern würde sogar helfen, den Treibhauseffekt zu verringern.
Die Experten meinen grundsätzlich, dass die Energiewende ohne Wasserstoff nicht funktionieren wird. Mit ihm kann man sehr gut Überschussstrom aus Quellen wie Wind-und Solarenergie abfangen, indem man durch Elektrolyse Wasserstoff aus Wasser herstellt, ihn speichert - und bei Bedarf als Treibstoff verwendet oder wieder in Strom umwandelt. Somit wäre er auch wichtig für die Energiesicherheit und Stabilität der Stromnetze.
Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 16 vom 14.4.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.