Besitzen Massenmörder Moral?
Besitzen Massenmörder Moral?
Menschen begehen furchtbare Verbrechen. Ob Massenerschießungen im früheren Jugoslawien, islamistische Anschläge, Genozid in Afrika, die Gräueltaten der Nazis - wie können Menschen so etwas je mit ihrem Gewissen vereinbaren? Erschreckend viel leichter, als man meinen könnte, glaubt der deutsche Sozialpsychologe Harald Welzer, der einer heiklen Frage nachgegangen ist: Liegt selbst systematischem Massenmord eine Art Moral zugrunde?
Ja, sagt Welzer. Zunächst bedürfe es einer radikalen Trennung zwischen Personengruppen im Kopf, die zur kollektiven Überzeugung werden müsse: Wir und die Ungläubigen, wir und die Juden. Massenmord werde selten von Berserkern verübt, sondern meist von Menschen, die rationale Begründungen dafür entwickeln. Etwa: Es ist meine mir auferlegte Pflicht; unsere eigene Gesellschaft geht sonst zugrunde; unsere Nachkommen haben sonst keine Zukunft.
Selbst Kindesmord werde gerechtfertigt, indem man argumentiere: Ohne Eltern, die bereits zuvor erschossen wurden, sei ein Kind ja nicht überlebensfähig, also werde es erlöst - und das, so Welzer, sei nicht einmal zynisch gemeint. Ohne ein solches (freilich schwer verzerrtes) moralisches Konzept ließen sich Massentötungen gar nicht organisieren, denn es sind keine spontanen Handlungen. Vielmehr müssen Menschen eingesperrt, Gräber ausgehoben werden, und die Mörder gehen gleichsam zur "Arbeit" - und abends mit den Kumpels einen trinken.
Befehle wiederum greifen offenbar in die neuronale Struktur des Gehirns ein und verändern das Empfinden von Schuld und Verantwortung, wie britische Forscher im Vorjahr zeigten: Erteilt man nur auf Befehl einen Stromschlag, würden bestimmte Verzögerungsmuster im Hirn entstehen, was zur Folge habe, dass man sich weniger an der Folter beteiligt fühle - als würde man sie nur passiv beobachten.