3D-DRUCKER: Das in Zürich entwickelte Organ aus Silikon schlägt wie ein echtes menschliches Herz.

Bio-Printing: Organe aus dem 3D-Drucker

Weltweit herrscht ein Mangel an Spenderorganen. Moderne Technik könnte das Problem eindämmen: das Bio-Printing von Organen. Schweizer Forscher präsentierten kürzlich ein komplettes künstliches Herz aus dem 3D-Drucker.

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Martin Grabner ist geschwächt. Seit Monaten geht es mit der Kondition des 16-Jährigen kontinuierlich bergab. Die kleinste Treppe und der flachste Hügel, jede noch so geringe Anstrengung bringen ihn schnell an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Die niederschmetternde Diagnose: In Martins jungem Herzen klafft ein Loch, ihm fehlt die Lungenschlagader. Noch vor wenigen Jahren wäre er ein Todeskandidat gewesen. Die Wartelisten für ein entsprechendes Organ waren lang. Doch die Zeiten haben sich geändert. Martin muss nur noch wenige Wochen durchhalten, bis das auf ihn zugeschnittene neue Silikonherz geplant, mittels Bio-3D-Drucker produziert und anschließend implantiert wird. Der junge Mann kann weiterleben.

Die Geschichte ist erfunden und klingt wie eine Szene aus einem SciFi-Blockbuster. Trotzdem sind wir dieser Art neuer Medizin näher denn je. Die Hoffnungen sind riesig, genau wie die zu erwartenden Gewinne. Die Rede ist vom Bio-Printing, der sogenannten additiven Herstellung von menschlichem Gewebe und ganzen Organen mittels spezieller 3D-Drucker. Das geschätzte Marktvolumen liegt bei 14 Milliarden Dollar. Zwar ist man von einer Serienreife noch weit entfernt, jedoch arbeiten Wissenschafter weltweit intensiv daran, die Zellzüchtung zu optimieren. Ihr Hauptaugenmerk liegt darauf, Zellen dazu zu bringen, schneller zu wachsen sowie eine funktionsfähige Vaskularisierung zu etablieren - die Neubildung kleiner Blutgefäße und die Versorgung von Gewebe mit Gefäßen und Blutkapillaren.

Unter Bio-Printing versteht man einerseits ein Verfahren, bei dem mithilfe von 3D- Druckern organisches Gewebe reproduziert werden kann, andererseits das Herstellen kompletter künstlicher, mechanischer Organe, beispielsweise Kunstherzen. Wissenschafter bezeichnen jetzt schon das Bio-Printing als nächste Technikrevolution in der Geschichte der Medizin, die eines ermöglichen soll: das maßgeschneiderte Herstellen von Geweben oder Organen aus Patienten-Eigenzellen, um das Abstoßungsrisiko zu minimieren.

Analog zum herkömmlichen 3D-Druck erstellt man zunächst von dem zu druckenden Organ am Computer ein Schichtmodell. Anschließend schickt man die Daten an einen 3D-Drucker. Der große Unterschied zu konventionellen Geräten liegt allerdings im Inhalt der Druckerpatrone. Diese enthält "Biotinte".

Extrem hohe Anforderungen an "Biotinte"

Biotinten bestehen hauptsächlich aus Zellen, die Patienten bei Biopsien entnommen wurden, oder aus Stammzellen sowie natürlichen oder synthetischen Polymeren. Dabei muss das Polymer sehr spezifische Eigenschaften aufweisen. Es muss "zellfreundlich", druckbar sowie in der Lage sein, ein stabiles Konstrukt zu bilden. Weiters soll das Polymer Zellwanderung und Zellteilung fördern. Und schließlich muss es sich, während es neues Gewebe produziert, sukzessive zersetzen und unschädlich für den menschlichen Körper abbauen. Das sind extrem hohe Anforderungen, die nur sehr wenige Biotinten erfüllen.

Zurzeit genutzte Biotinten enthalten meist menschliche Zellen und Polymerkombinationen aus Alginat, Kollagen, Polyethylenglykol und Polyactid. Wissenschafter nutzen aber sogar Biotinten mit Spinnenseidenproteinen als Polymere. Diese Proteinfasern sind ungiftig und zudem mechanisch sehr stabil. Leider lassen sich diese Proteine jedoch nicht in großem Maßstab züchten. Deshalb suchen Forscher nach einer künstlichen Methode, um Spinnenseide herzustellen.

Frühere Versuche, Gewebe mit 3D-Druckern herzustellen, scheiterten of daran, dass das Gewebe lediglich 200 Mikrometer dick sein konnte. War das Gewebe dicker, starb es ab, da es nicht ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wurde. Professor Anthony Atala vom Wake Forest Baptist Medical Centre in Winston-Salem im Bundesstaat North Carolina scheint hier jedoch ein Durchbruch gelungen zu sein. Er und sein Team haben es geschafft, Ohren und andere Körperteile mit einem 3D-Drucker aufzubauen und über einen längeren Zeitraum am Leben zu halten. Das Geheimnis der Biotinte Atalas sind die enthaltenen Nährstoffe. Zudem bauen die Forscher das 3D-Konstrukt so auf, dass es winzige Kanäle enthält, über die später die lebenden Zellen unter anderem mit Sauerstoff versorgt werden. "Die Ergebnisse zeigen, dass unsere Biotintenmischung in Kombination mit den winzigen Kanälen das richtige Umfeld bietet, damit die Zellen am Leben bleiben und das Zell- und Gewebewachstum unterstützt wird", erklärt Atala.

Er und sein Team implantierten die mit 3D-Drucktechnologie und der speziellen Biotinte hergestellten Ohren einer Gruppe von Mäusen. Bereits nach zwei Monaten hatten sich Knorpel sowie Blutgefäße gebildet. Ein im 3D-Druck gefertigtes Stück Kieferknochen mit menschlichen Stammzellen wurde einer Ratte eingesetzt. Nach fünf Monaten hatte sich hier ebenfalls Knochengewebe mit entsprechenden Blutgefäßen entwickelt.

Die Bereitstellung mehrlagiger Zellschichten ist eines der größten Probleme der regenerativen Medizin. Es ist immens schwierig, in künstlich gedrucktem Gewebe größerer Stärke ein Versorgungssystem zu etablieren und dieses am Leben zu erhalten. Ein Konsortium aus 16 europäischen Partnern aus Industrie und Forschung unter der Federführung des Fraunhofer-Instituts für Lasertechnik hat sich jedoch im Rahmen des EU-Projekts "ArtiVasc 3D" dieses Problems angenommen.

Blutgefäße aus dem Drucker

Bereits 2015 erreichte man einen Durchbruch beim Bioprinting von künstlichen Blutgefäßen. Ein interdisziplinäres Forscherteam entwickelte ein 3D-Druckverfahren zur Herstellung von verzweigten und porösen Blutgefäßen aus einem akrylatbasierten, synthetischen Polymer. Das Besondere an dem Verfahren ist, dass man zwei Druckverfahren miteinander kombinierte: Inkjet-Printing sowie Stereolithografie. Mittels Inkjet-Verfahren erzeugten die Wissenschafter das Druckbild durch den gezielten Abschuss beziehungsweise das Ablenken von Tintentröpfchen. Die Stereolithografie hingegen härtete mit einem Laser einen Kunststoff an der gewünschten Stelle aus. Damit entstand ein dreidimensionales Werkstück. Wozu das Ganze? Nur mit dieser Methode gelang den Wissenschaftern der komplexe und sehr feine, verzweigte Aufbau von durchlässigen Blutgefäßen. Das Verfahren stellt die Basis für die Produktion von Zellverbänden und Geweben von über 200 Mikrometer Schichtdicke dar, was besonders im Bereich der Hauttransplantationen von Bedeutung ist. Denn durch solch dicke Zellverbände muss Blut fließen, damit es am Leben erhalten werden kann. Zudem gelang es den Mitarbeitern des Fraunhofer-Instituts, Fettgewebe in einem neuartigen Bioreaktor zu züchten. Dies soll künftig sogar in Verbindung mit dem Bio-Printing-Verfahren von Hautgewebe und Blutgefäßen die Herstellung von Haut mit einer Dicke von bis zu zwölf Millimetern ermöglichen.

Mehr als 26 Millionen Menschen weltweit benötigen wegen einer schweren Herzerkrankung ein Spenderherz. Solche Organe sind jedoch extreme Mangelware und die Wartezeiten oft lang. Mechanische Kunstherzen sowie Herzunterstützungssysteme müssen herhalten, um die Wartezeit bis zu einem Transplantationstermin zu überbrücken. Diese Ersatzprodukte bringen aber viele Nachteile mit sich. Insbesondere die anfällige Mechanik und daraus resultierende Störungen machen den Medizinern zu schaffen. Zudem erzeugen heutige Kunstherzen keinen Puls, und niemand weiß derzeit, welche Folgen das für den menschlichen Organismus haben könnte. "Ziel muss also sein, ein Herz zu entwickeln, das ungefähr die gleiche Größe hat wie das eines Patienten und welches das menschliche Herz in Form und Funktion so gut wie möglich imitiert", sagt Nicholas Cohrs, Doktorand in der Gruppe von Wendelin Stark, Professor für Funktionelles Material-Engineering an der ETH Zürich.

Und genau dies scheinen die Zürcher Forscher nun geschafft zu haben, wie sie kürzlich berichteten: ein Silikonherz, das schlägt wie ein menschliches Organ. Das weiche Kunstherz wurde unter anderem mittels eines 3D-Druckers aus Silikon hergestellt. Es wiegt 390 Gramm und hat eine Größe von 679 Kubikzentimeter. "Unser Silikonherz verfügt über ein sehr kompliziertes Innenleben. Genau wie bei einem echten Herz besteht unsere Entwicklung aus einem rechten und einem linken Ventrikel", so Cohrs. Die beiden Herzhälften trennt eine zusätzliche Kammer, die dafür verantwortlich ist, das Blut aus den Blutkammern zu pumpen. "Die Trennkammer simuliert quasi die Muskelkontraktion des menschlichen Herzens", erklärt Cohrs.

Einen Nachteil gibt es: Nach ungefähr 3000 Schlägen, was einer Laufdauer von einer halben bis Dreiviertelstunde entspricht, gibt das Silikonherz auf. Es ist dauerhaften mechanischen Belastungen nicht gewachsen. Cohrs: "Das Ergebnis war uns weitgehend klar. Es war und ist nicht unser Anliegen, ein implantierbares Herz zu schaffen. Es handelt sich bei unserem Silikonherz um eine Machbarkeitsstudie, um neue Denkanstöße bei der Entwicklung künstlicher Herzen zu liefern." Wolle man eines Tages ein tatsächlich implantierbares Herz anfertigen, müsste man vor allem die Reißfestigkeit des Materials sowie die Leistung des künstlichen Herzens verbessern.

Fortschritte am Weg zur Serienreife

Weltweit arbeitet derzeit eine Vielzahl von Wissenschaftern daran, die neue Technologie des 3D-Bioprintings von der Versuchsphase zur Serienreife zu bringen. Und die Ergebnisse erscheinen vielversprechend. So gibt es auf dem Gebiet künstlich erzeugter Nerven Fortschritte. Bereits 2015 druckte ein Forscherteam der University of Minnesota um Michael McAlpine erfolgreich die Struktur des Ischias-Nervs einer Ratte nach. Die Wissenschafter kombinierten Verfahren der 3D-Bildgebung und des 3D-Drucks. Als Ergebnis stellte das Team um McAlpine eine maßgeschneiderte Silikonform für die Nervenbahn her. Dabei wurde die Form mit biochemischen Stoffen bestückt, die das Wachstum bei einer Ratte anregten. Im nächsten Schritt wurde der neue Nerv an den zuvor definierten Enden gekappt und einer Ratte implantiert. Die Sensation lag darin, dass es den Forscher gelang, verzweigte Nerven wie eben den Ischias wachsen zu lassen. Bis dato glückte dies nur bei gerade laufenden Nervenbahnen. Das Scannen und Drucken nahm rund eine Stunde in Anspruch. Der Körper braucht dann jedoch mehrere Wochen, um auf Basis des 3D-Implantats neue Nervenbahnen sprießen zu lassen. Bereits nach zehn bis zwölf Wochen verbesserte sich die Gehfähigkeit des Tieres signifikant. Im Moment arbeitet MacAlpines Team daran, die Technologie beim Menschen zu testen. Weiters wollen die Forscher eine Art "Bibliothek" mit Vorlagen erstellen, die dann zur Anwendung kommen soll, wenn kein Nerv für das Scannen zur Verfügung steht - quasi eine Art Nervenbahnkatalog.

Allerdings lauern beim 3D-Bioprinting auch ethische Gefahren, speziell dann, wenn um das Optimieren von Körperfunktionen geht. Was Unternehmen wie das italienische Forschungs-Start-up MHOX planen, klingt mehr nach Frankenstein als nach medizinisch sinnvollen Maßnahmen. Die Firma möchte spätestens 2027 funktionsfähige Augen drucken -an sich eine feine Sache für Menschen mit Erkrankungen des Sehapparates. Doch die Wissenschafter möchten weiter gehen: Die gedruckten Organe sollen nicht nur Sehdefizite ausgleichen, sondern viel mehr können, als Mutter Natur vorgesehen hat. Das Kunstauge soll zusätzlich alles Gesehene aufzeichnen, speichern und mit Dritten teilen können. Es ist der erste Schritt, menschliche Fähigkeiten durch technische Ergänzungen oder Implantate gravierend zu erweitern - und Körperteile gleichsam als Datenspeicher zu benutzen.

Kann es zulässig oder gar wünschenswert sein, den humanen Organismus durch Technik so zu verändern, dass eine individuelle Überlegenheit erzeugt wird? Wo verläuft die Grenze zwischen medizinisch vertretbarem Nutzen und der Erschaffung ethisch bedenklicher Kunstwesen? Und dann wäre da die Frage des Persönlichkeits- und Datenschutzes. Wo ziehen wir die Grenze - beim Körper in seiner Gesamtheit, dem Herzschrittmacher oder modifizierten Augen mit Aufzeichnungsfunktion? Sind Daten aus diesen künstlichen Organen womöglich sogar juristisch verwertbar? So bizarr das klingt, aber ein solcher Fall wurde erst unlängst debattiert. Ein Amerikaner war wegen Versicherungsbetruges verurteilt worden. Vor Gericht war unter anderem sein Nervositätspegel beim Verüben der Straftat erörtert worden - verraten hatten ihn charakteristische Signalmuster seines Herzschrittmachers.

Ersatzteillager

Wie viele Organe in verschiedenen europäischen Ländern gespendet werden.

Spenderorgane sind in Europa Mangelware. Doch es gibt regionale Unterschiede: In Deutschland, wo Spender aktiv ihre Bereitschaft zur Organentnahme erklären müssen, kamen 2016 nur 10,7 Spender auf eine Million Einwohner. Anders sieht die Lage in Österreich aus. Hier gilt die Widerspruchsregelung - man muss sich dezidiert gegen die Spende aussprechen mit dem Ergebnis eines deutlich höheren Aufkommens. Die Zahl der postmortalen Organspenden pro Million Einwohner lag 2016 bei 24,3. Im selben Jahr wurden in Österreich 432 Nieren, 154 Lebern, 110 Lungen, 57 Herzen, 26 Bauchspeicheldrüsen sowie ein Dünndarm transplantiert. Gegenüber 2015 war eine geringfügige Verringerung zu verzeichnen. Die Anzahl der Patienten auf den Wartelisten sank im selben Zeitraum um fünf Prozent.

Mit 35,1 Organspenden pro Million Einwohner ist Spanien Spitzenreiter im europäischen Raum (Stand 2013). Dies liegt vor allem an speziell geschultem Personal (Intensivmediziner, Krankenpfleger, Notfallärzte und Transplantationsbeauftragte), die viel Aufklärungsarbeit leisten. Außerdem werden in Spanien auch Organe bei Patienten entnommen, die einen Herz-Kreislauf-Tod erlitten haben, was die Anzahl an Spendern stark erhöht. In Österreich ist dies nicht der Fall.