Diese Embryozellen können sich in alle Arten von Gewebe verwandeln?
Tanaka
Die Zellen, die normalerweise Narben verursachen, werden embryoähnlich. Sie formen den Knochen, die Bänder, die Haut. Die Muskelzellen wandern später ein. Sie folgen den Anweisungen der Fibroblasten.
Wie lange dauert das?
Tanaka
Sechs Wochen bis einige Monate, je nach Alter und der Größe des Tieres.
Können Salamander jede Art von Gewebe erneuern, auch innere Organe?
Tanaka
Zumindest Teile davon, etwa die Herzspitze, aber nicht andere Teile. Der Unterkiefer regeneriert sich, der obere Bereich des Gesichts nicht. Augen können Axolotl in bestimmten Stadien regenerieren, aber nicht als Erwachsene.
Was ist mit dem Gehirn?
Tanaka
Man kann ein Loch im Gehirn machen, und es regeneriert sich. Wir studieren gerade, wie gut diese Regeneration funktioniert. Ändert sich zum Beispiel das Verhalten des Tieres danach?
Fühlen die Tiere Schmerz?
Tanaka
Man weiß sehr wenig über die Schmerzwahrnehmung. Bekannt ist, dass sie einander beißen, daher müssen sie gelernt haben, mit dem Verlust von Gliedmaßen und mit Schmerz umzugehen.
Ist das der Hauptgrund, warum Axolotl Beine verlieren? Sie kämpfen miteinander?
Tanaka
Ja, und sie fressen einander auf. Wenn Sie eine Gruppe dieser Tiere beobachten, sehen Sie, dass manchen Beine fehlen, weil andere sie abgebissen haben.
Was für ein Glück, dass die Natur die Tiere mit Regenerationsfähigkeit ausgestattet hat. Gleichzeitig sind sie in Mexiko vom Aussterben bedroht.
Tanaka
Ja, wegen der Verschmutzung der Gewässer.
Axolotl
Dieser mexikanische Schwanzlurch hat eine besondere Fähigkeit: Er kann Gliedmaßen und Teile innerer Organe komplett erneuern. Forschende versuchen die Mechanismen dahinter zu verstehen und überlegen, ob diese Regenerationsfähigkeit auch der Humanmedizin zugute kommen könnte.
Gibt es eine natürliche Grenze für Regeneration? Was kann nie ersetzt werden?
Tanaka
Wir sehen nie eine Regeneration des gesamten Kopfes, das ist vermutlich zu komplex. Oder: Wenn ein Glied oberhalb der Schulter amputiert ist, gibt es ebenfalls keine Regeneration.
Wollen Sie den Regenerationsprozess für den Menschen imitieren?
Tanaka
Es geht in erster Linie um reine Neugier. Dinge, die der puren Neugier entspringen, können aber eines Tages große Auswirkungen haben. Die Frage ist zunächst, wieso sind Salamander zur Regeneration fähig und andere Lebewesen nicht. Die nächsten Verwandten der Salamander sind Frösche, ihre Zellen können sich aber nicht rückwärts entwickeln. Etwas in der Zelle verhindert, dass die Rückführung in ein embryoähnliches Stadium möglich ist. Was ist der Unterschied zwischen einer Salamander- und einer Froschzelle? Wir versuchen, Faktoren zu identifizieren, die Frosch-, Maus- oder menschliche Zellen in ein embryonales Stadium versetzen können.
Wenn es in Fröschen funktioniert, könnte es auch in Menschen funktionieren?
Tanaka
Vielleicht.
Welche Anwendungen dieses Prinzips für den Menschen haben Sie im Blick?
Tanaka
Die Regeneration ganzer Gliedmaßen ist natürlich zu ehrgeizig. Ein realistisches Ziel könnte aber zum Beispiel verbesserte Hautheilung sein, indem sich Haut regeneriert, etwa nach Brandverletzungen. Denkbar wäre nach dem gleichen Prinzip eine verbesserte Knochenheilung. Kleinere Brüche repariert der Knochen selber. Das funktioniert aber nicht mehr, wenn die Verletzungen zu groß sind. Axolotl reparieren ihre Beine hervorragend, vielleicht könnten wir dieses Prinzip eines Tages transferieren.
Die Rede war auch bereits von einer Regeneration des Auges.
Tanaka
Wir arbeiten mit menschlichen Retina-Zellen und studieren, ob wir sie vor der Degeneration bewahren können. Bei Krankheiten wie altersbedingter Makuladegeneration beginnt die Pigmentschicht der Netzhaut abzusterben, und man erblindet. Wir haben Projekte am Laufen, um herauszufinden, wie Zellen den Alterungsprozess abwehren. Inspiriert vom Axolotl-Konzept wollen wir wissen, ob man diese Zellen verjüngen kann.
IMBA-Direktorin Elly Tanaka mit profil-Redakteur Alwin Schönberger
Das profil-Gespräch fand am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA). Das IMBA ist eines der europäischen Zentren moderner Molekularbiologie und Gentechnologie.
Das IMBA, dem Sie als wissenschaftliche Direktorin vorstehen, ist ein Zentrum für viele moderne Methoden der Biotechnologie. Forschende arbeiten mit Stammzellen, mit der Genschere CRISPR/Cas9 und züchten Organoide, also Organgewebe im Labor, das zu winzigen Herzen oder Gehirnen heranwächst. Werden wir all diese Methoden in Zukunft kombinieren?
Tanaka
Absolut. Wir benutzen beispielsweise CRISPR, um zu studieren, was die Schlüsselfaktoren der Regeneration sind. Der visionäre Ansatz wäre: Wenn wir solche Faktoren im Axolotl identifizieren und herausfinden, welche davon in menschlichen Zellen nicht auftreten, könnten wir CRISPR verwenden, um diese fehlenden Eigenschaften zu aktivieren.
CRISPR kann durch einen Schnitt durch die DNA Gene stummschalten, mit der Technologie lassen sich aber auch Gene aktivieren. Das wäre das Prinzip?
Tanaka
Im menschlichen Genom sind Gene, die mit Regeneration verbunden sind, wahrscheinlich vorhanden. Es sind Schlüsselgene, die aber aktiviert werden müssen. Dazu könnten wir CRISPR benutzen. Der Traum wäre: Wenn wir einige Gene einschalten können, die im Axolotl aktiv sind, aber nicht im Menschen, könnten wir der Regeneration auf die Sprünge helfen.
Befinden wir uns auf dem Weg zu einer neuen Ära der Medizin?
Tanaka
Ich denke schon. Wenn wir an Stammzellforschung denken, an CRISPR und künstliche Intelligenz, glaube ich durchaus, dass wir eine Revolution in der Medizin sehen werden. All diese Methoden zusammenzuführen wird einen großen Fortschritt in den nächsten Jahren bringen. Es ist gerade eine Menge an synthetischer Biologie am Entstehen.
Was verstehen Sie darunter?
Tanaka
Meine persönliche Definition ist, dass man kodierende Sequenzen verändert, also Stellen im Erbgut, die wichtige Funktionen im Organismus ausüben. Man erschafft neue Kombinationen kodierender Sequenzen, um Gene oder Proteine zu erzeugen, die nicht in der Natur existieren.
Es geht um neue Erfindungen der Biologie?
Tanaka
Ja, und das ist faszinierend.
Zugleich provozieren diese Methoden Skepsis und Ängste. Sie sind nun als Chefin des IMBA auch dafür verantwortlich, diese Technologien zu erklären und zu rechtfertigen. Wie wollen Sie den Ängsten der Menschen begegnen?
Tanaka
Es gab immer Ängste vor neuen Technologien. Das galt auch für Technologien, die entwickelt wurden, bevor wir alle geboren wurden und die für uns heute selbstverständlich sind. Wir müssen natürlich immer sehr vorsichtig sein, die Dinge sorgfältig testen und darüber debattieren.
Im Unterschied zu früher greift man heute tief in den Code des Lebens ein. Viele Menschen sagen, wir pfuschen damit der Natur ins Handwerk.
Tanaka
Ich verstehe komplett, dass die Menschen Vorsicht einfordern. Stellen Sie sich andererseits vor, dass Sie ein Kind haben, das im Begriff ist zu sterben. Und dann gibt es eine neue Technologie, die die Chance bietet, das Leben zu retten. Wir wissen, dass das Kind stirbt, sofern es nicht eine bestimmte Behandlung bekommt. Ein italienischer Wissenschaftler hat kürzlich eine gentechnisch hergestellte Haut entwickelt und das Leben eines Buben mit einer sehr schweren genetischen Hauterkrankung gerettet. Das war ein großer Erfolg. Was glauben Sie, wie dankbar die Eltern sind?
Unlängst haben Sie gesagt, Sie wollen junge Forschende motivieren, unentdeckte Bereiche der Biologie zu erkunden. Welche Bereiche liegen noch im Dunkel?
Tanaka
Es gibt viele unverstandene Bereiche. Wie zum Beispiel passen sich Tiere an verschiedene und teils extreme Temperaturen an? Welche biologischen Prozesse bewirken, dass ein Tier bei zehn wie auch bei 25 Grad perfekt funktioniert? Das könnte in Zusammenhang mit globaler Erwärmung von Bedeutung sein und für die Frage, wie wir uns an den Klimawandel anpassen können.
Elly Tanaka, 58,
ist seit April wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Molekulare Biotechnology (IMBA) in Wien. Tanaka wurde in Boston geboren und studierte Biochemie an der renommierten Harvard University. Die Forschungsstationen der Tochter japanischer Einwanderer waren die University of California San Francisco, das University College London, das Max Planck Institute of Molecular Cell Biology and Genetics in Dresden sowie das Institut für Molekulare Pathologie am Vienna Biocenter, bevor sie nun die Leitung des IMBA übernahm – wo sie auf den Gründungsdirektor Josef Penninger und den Organoidforscher Jürgen Knoblich folgt. Tanakas Spezialgebiet ist die Erforschung der Regenerationsfähigkeit bestimmter Lebewesen, die sie an Axolotln studiert, einer Salamanderart, die urspränglich in Mexiko heimisch ist. Ihr Institut betreibt die mit rund 3000 Tieren größte Axolotl-Kolonie der Welt. Tanaka interessiert sich dabei für die Frage, welche molekularen Mechanismen bewirken, dass die Tiere Gliedmaßen oder Nerven erneuern können. Das IMBA ist mit 13 Forschungsgruppen das größte Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ein angesehenes Zentrum für das Studium moderner Methoden der Biotechnologie. Die Gruppen befassen sich unter anderem mit Stammzellforschung, Neurowissenschaft, Modellierung von Krankheiten und der Züchtung von Organoiden – winzigen Nachbauten von Organgewebe im Labor. Elly Tanaka wurde für ihre Forschungen vielfach ausgezeichnet und publiziert regelmäßig in renommierten Fachjournalen.