Blau-schwarze Verhandlungsprotokolle

Kapitel Bildung, Wissenschaft und Forschung: Angst vor Sex und Ideologie

Schulen, Bildung, Wissenschaft: Die Verhandler plädieren für moderne Grundlagenforschung – und an den Schulen für Brauchtumskunde im Jahreskreis. Was ist davon zu halten?

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Die Kapitelüberschrift der Untergruppe sieben klingt nach einem optimistischen Blick in die Zukunft: „Bildung, Leistung, Wohlstand – unser Weg zu einer erfolgreichen Gesellschaft“. Was aber steht im Detail in den Verhandlungsprotokollen zum Thema Bildung, Wissenschaft und Forschung?

Kurz gefasst könnte man sagen: Es ist eine Mischung aus nebulösen Stehsätzen (ein „Bildungssystem schaffen, das die individuellen Talente jedes Einzelnen fördert“), kaum greifbaren Versprechen („moderne, zeitgemäße und vor allem kindgerechte Vorbereitung auf die weitere Bildungslaufbahn“), allerlei leicht verdächtigen Bemerkungen und teils durchaus überraschenden Ansagen zu Wissenschaft und Grundlagenforschung.

Beispielsweise ist ein klares Bekenntnis zum Ausbau von Forschungsgebieten wie Quantenphysik, Life Sciences (Vorsicht, Gentechnik!), Material-, Weltraumforschung und Künstliche Intelligenz enthalten – ebenso ein solches zu in Aufbau befindlichen, international orientierten Instituten wie zum Eric-Kandel-Institut und zum Ignaz-Semmelweis-Institut (im Protokoll „Semmelweiß“ genannt) – letzteres hat immerhin einen Schwerpunkt auf der Pandemievorsorge und Infektionsmedizin.

Ständige Angst vor Ideologie

In allen genannten Bereichen (und vielen weiteren) zählen österreichische Forscher bereits zur Weltspitze, und es ist zweifellos sinnvoll, deren Ausbau zu stärken – genau wie die im Kapitel festgehaltene Absicht, bereits bestehende Initiativen zur Wissenschaftskommunikation zu fördern und die Forschungsquote zu heben.

Im selben Abschnitt steht allerdings die Devise: „Wissenschaftliche Exzellenz statt Ideologie.“ Was mag damit gemeint sein? Gerade in der Naturwissenschaft, ob nun in Quantenphysik oder Materialforschung, spielten ideologische Erwägungen noch nie eine Rolle. Was seit jeher zählt, gleich wo auf der Welt, sind Fakten und Experimente, um Thesen objektiv zu prüfen. Welchen Ideologien also soll künftig vermeintlich Exzellenz gegenübergestellt werden? Darf man an Erkenntnisse der Klimaforschung denken, die uns einen in Zukunft teils unbewohnbaren Planeten prognostizieren? Oder an die Entwicklung alternativer Energiequellen und Antriebe? Oder an Virologen, die das Auftreten neuartiger Erreger beobachten, die vielleicht Pandemiepotenzial besitzen? Mangels konkreter Ausführungen dazu lässt sich nur spekulieren, ob derartige Disziplinen ideologischer Motive bezichtigt werden.

Die Forderung nach einer Entideologisierung von Bildung, Schule und Wissenschaft findet sich in dem Kapitel der Verhandlungsprotokolle auffallend häufig – ohne jedoch zu konkretisieren, was damit im Detail gemeint ist. Ebenso regelmäßig stößt man auf das Ziel, alles aus dem Bildungssystem zu eliminieren, was auch nur entfernt nach Gendern riecht.

Auf Kriegsfuß mit Sexualisierung

Das beginnt bereits im ersten Abschnitt, der sich mit Elementarpädagogik befasst: „Unsere Kinderbetreuungseinrichtungen müssen ideologiefrei sein“, heißt es dort. Woraus offenbar zu folgern sei: „Sexualpädagogik und Genderideologie haben im Kindergarten keinen Platz.“ Stattdessen gelte es, die psychische und soziale Entwicklung der Jüngsten zu fördern, und zwar mit einem Fokus auf deutsche Sprache und Familie sowie durch Vermittlung österreichischer Werte, Kultur und Traditionen.

Dabei soll es Eltern künftig vermehrt offenstehen, ob sie bei der Weitergabe dieser Ideale auf Bildungseinrichtungen vertrauen oder ihren Sprösslingen den Wert österreichischen Brauchtums lieber daheim beibringen. Allerdings gibt es auch ein Bekenntnis zum Ausbau elementarpädagogischer Einrichtungen, wobei es allerdings gelte, in selbigen eine „Frühsexualisierung“ der Kinder zu verhindern.

Betont werden dabei immer wieder das Niveau des Sprachverständnisses sowie entsprechende Überprüfungen dieser Kompetenzen. Zugleich ist beispielsweise auch die Vermittlung eines „Wertekanons“ enthalten, der unter anderem immerhin ein „liberales Demokratieverständnis“ umfasst.

Das Versprechen der Talentförderung

Auf die Elementarpädagogik folgen Pflichtschulen, Gymnasien, höhere Schulen, und da wird es wieder eher schwammig: Man möchte „klar definierte Bildungsziele statt starrer Schulpflicht“, wünscht sich die Förderung individueller Talente, möchte Leistung belohnen und Fleiß fördern. Deutsch als Voraussetzung für den Schulbesuch, kontrolliert mittels „Sprachstandsfeststellung“, wird indes eindeutig betont, gleichzeitig immerhin der Ausbau von Förderangeboten in Aussicht gestellt.

Als größeres Ziel lässt sich eine Präferenz für eine frühzeitige Spezialisierung auf inhaltliche Lehrinhalte herauslesen, je nach Talent, Neigung und Interesse – und das Vorhaben, entsprechende Begabungen zu unterstützen. Freilich darf auch in diesem Absatz nicht die Mahnung fehlen: „Wir wollen ideologische Einflüsse an allen Bildungseinrichtungen minimieren und den Fokus auf eine faktenbasierte Bildung legen.“ Meinen die Verhandler, dass schulische Bildung bisher vorwiegend ideologiegetrieben war? Und um welche Ideologien hätte es sich gehandelt?

Gleich der nächste Satz lässt erahnen, was man sich unter faktenbasierter Bildung vorstellen könnte: „Förderung traditioneller Werte. Die Vermittlung der österreichischen Lebensart (heimatliche Traditionen und Feste im Jahreskreis) in der Schule wird forciert.“ Unmittelbar danach folgen, als hätte man es noch nicht hinlänglich erwähnt, der Hinweis auf ein Gender-Verbot in Texten sowie auf eine „weltanschaulich neutrale Sexualerziehung“. Interessant ist die folgende Passage über ein auch religiös-weltanschaulich neutrales Verhalten, einschließlich religiöser Symbole, und man fragt sich (ohne eine Antwort zu finden), ob damit auch katholische Symbole gemeint sind.

Digitalisierung, aber bitte analog

Ein klein wenig unentschieden wirkt die Idee, weniger Digitalisierung und mehr haptisches Lernen ins Programm zu nehmen – bei gleichzeitiger Stärkung digitaler Kompetenzen, inklusive der Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz.

Natürlich enthalten die Verhandlungsprotokolle eine Vielzahl weiterer Stichworte, Pläne und Vorhaben, die auf rund 20 Seiten aufgelistet sind – zu Sicherheit an den Schulen, Ausbildung von Lehrkräften, Drittmitteln an den Universitäten, internationalem Studienaustausch, vermehrter Ausbildung von Medizinern und Stärkung unterbesetzter Fächer wie Pathologie und Anästhesie. Es ist keineswegs so, dass alles nach Rückschritt, provinziellem Denken, nach einer Abneigung gegenüber rationalem Denken oder gar nach Wissensfeindlichkeit klingt. Teils überrascht sogar das klare Bekenntnis zu mehr Grundlagenforschung im internationalen Austausch und zu Disziplinen mit eindeutigem, sehr langfristigem Zukunftspotenzial. Ebenso überrascht das zumindest auf dem Papier bestehende Bekenntnis zur Stärkung bereits bestehender öffentlicher Institutionen zur Wissenschaftsvermittlung – auch wenn gleichzeitig beim Lesen der Protokolle stets der Gedanke mitschwingt, welche Fachgebiete denn auf welche Weise entideologisiert werden sollen.

Und man fragt sich überdies, ob Trachten- und Brauchtumskunde sowie Gendersternchen-Phobie und Blümchensexunterricht das optimale Fundament für spätere Spitzenwissenschaft bilden. Sonst gebricht es in dem Papier weitgehend an den wirklich großen und greifbaren Ideen für die Schulen.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft