"March for Science"-Aktivistin Weinberg: "Fakten zählen weniger als nichts"
INTERVIEW: FRANZISKA DZUGAN
profil: Donald Trumps Wahl zum Präsidenten war einer der Gründe, warum Sie den March for Science organisiert haben. Sind Ihre schlimmsten Alpträume während seines ersten Regierungsjahres wahr geworden? Weinberg: Leider ja. Seit Trumps Einzug ins Weiße Haus wird es immer schlimmer. Fakten zählen weniger als nichts. Wenn ich mir beim Einschlafen denke, heute haben wir wirklich einen Tiefpunkt erreicht, wache ich am nächsten Morgen auf und erfahre, dass etwas noch Entsetzlicheres passiert ist.
profil: Was zum Beispiel? Weinberg: Trump hat die Umweltschutzmaßnahmen drastisch zurückgefahren. Der Chef der staatlichen Umweltschutzbehörde dürfte eine grundsätzliche Abneigung gegen Wissenschafter haben, denn er hat alle aus dem Beraterstab entfernt und durch Lobbyisten aus der Schwerindustrie ersetzt. Obamacare einzuschränken, ist ebenfalls ein haarsträubendes Ausblenden der Erkenntnis, dass sich eine staatliche Krankenversicherung positiv auf die Gesundheit der Menschen auswirkt.
profil: Trump hat den Women's March, der am 20. Jänner in vielen Städten weltweit stattfand, mit einem erstaunlichen Tweet (Beautiful weather all over our great country, a perfect day for all Women to March. Get out there now to celebrate the historic milestones and unprecedented economic success and wealth creation that has taken place over the last 12 months. Lowest female unemployment in 18 years!) kommentiert. Wundert sich darüber überhaupt noch jemand? Weinberg: Seine Reaktion auf den Women's March war die eines Fünfjährigen. Der Präsident hat so getan, als wären die Frauen nicht gegen, sondern für ihn auf die Straße gegangen. So einen Blödsinn nimmt ihm zum Glück niemand ab.
profil: Kann man sich gegen die Trump-Regierung wehren? Weinberg: Ja. Wir mobilisieren die Massen. Im neuen Steuergesetz war vorgesehen, Studenten, die bereits ihren Bachelor gemacht haben und weiter studieren wollen, sehr stark zu belasten. Es gab einen Riesenaufschrei an den Unis. Also riefen wir die Menschen dazu auf, die Zuständigen mit Beschwerde-E-Mails zu überschwemmen. Wir haben diese E-Mails vorbereitet, die man einfach abschicken oder, je nach Geschmack, verändern konnte. Es hat funktioniert! Das neue Steuergesetz ist immer noch schrecklich, aber diese Passage wurde ersatzlos gestrichen.
Wir konzentrieren uns jeden Monat auf einen anderen Missstand. Derzeit fordern wir von mehreren Behörden, offizielle Posten wieder mit Wissenschaftern zu besetzen.
profil: Wie viele Unterstützer braucht man dafür? Weinberg: Es müssen natürlich sehr viele sein. Bei einer anderen Aktion hat die Behörde, die für Netzneutralität zuständig ist, über eine Million Beschwerde-E-Mails bekommen. Netzneutralität heißt, dass alle Daten bei der Übertragung im Internet gleich behandelt werden, egal wer sie sendet oder empfängt. Die Behörde hat diese Neutralität einfach abgeschafft. Seither können Internetanbieter die Schnelligkeit des Internets eines Kunden willkürlich drosseln. Wegen des großen Protests wird nun im Senat ein Gesetz vorbereitet, das die Netzneutralität wieder einführt.
profil: Wie oft organisieren Sie solche Proteste? Weinberg: Wir konzentrieren uns jeden Monat auf einen anderen Missstand. Derzeit fordern wir von mehreren Behörden, offizielle Posten wieder mit Wissenschaftern zu besetzen. Auch am Tag des March for Science wird es eine konzertierte Postfach-Überschwemmung geben. Das Thema steht noch nicht fest.
profil: Wie reagieren die Betroffenen auf ihre E-Mail-Fluten? Weinberg: Durchwegs kooperativ. Die meisten kontaktieren uns und wollen mit uns über das geforderte Anliegen reden. Sie fürchten sich vor Shitstorms in den sozialen Medien und reagieren lieber gleich.
profil: Sie sind studierte Medizinerin. Warum haben Behörden plötzlich Angst, Worte wie "Fötus" zu verwenden? Weinberg: Der Begriff Fötus könnte an Abtreibung erinnern. Transgender, verletzlich, auf wissenschaftlicher Grundlage, Diversität - diese Begriffe will die Seuchenschutzbehörde CDC in den Budgetverhandlungen künftig ausklammern. Die Behörde hat sich der Selbstzensur unterworfen, denn für sensible Themen wie sexuelle Orientierung oder Abtreibung gibt es kein Geld mehr. Das zeigt, wie grauenvoll das Klima in den USA ist.
profil: Jeder glaubt, sich seine Fakten selbst basteln zu können, egal, ob es dafür Belege gibt. Hat das in den vergangenen Jahren zugenommen? Weinberg: Ja. Das Problem ist, dass Fake News heute unglaublich schnell Fahrt aufnehmen. Jeder, der eine noch so abstruse Idee hat, wird im Internet jemanden finden, der die gleiche Meinung vertritt.
Vielen Menschen sind sterbende Eisbären egal, der Waldbrand in der Nachbarschaft betrifft sie aber direkt.
profil: Kann die Wissenschaft dagegen etwas ausrichten? Weinberg: Ich hoffe. Das Problem ist, dass Forscher schlechte Kommunikatoren sind. Oft tragen sie ihre Themen mit einer solchen Trockenheit vor, dass sie der Wissenschaft mehr schaden als nützen.
profil: Was machen Sie, um mit Klimawandelleugnern ins Gespräch zu kommen? Weinberg: Das ist extrem schwer, aber man muss es versuchen. Ein Grund für unsere Misere ist, dass wir glauben, diese Gruppe wäre für die Wissenschaft verloren. Diese Ignoranz hilft niemandem. Vielen Menschen sind sterbende Eisbären egal, der Waldbrand in der Nachbarschaft betrifft sie aber direkt. Manchmal hilft es, ihnen zu erklären, dass Waldbrände zunehmen werden und warum. Auch wenn manche Leute für uns verloren sind, so sind es ihre Kinder noch lange nicht.
profil: Heißt das auch zurück zum analogen Treffen in der Schule und im Wirtshaus? Weinberg: Ja. Soziale Medien erschaffen Blasen, in denen immer die gleichen Meinungen vertreten werden. In San Diego gibt es ein Programm namens "Zwei Forscher gehen in eine Bar". Sie reden dort mit den Leuten über Wissenschaft. Das ist großartig, und es funktioniert. Wir ermutigen Forscher, in Schulen, Wohltätigkeits-und Sportvereine zu gehen, und über ihre Arbeit zu sprechen.
profil: Sie haben den March for Science vergangenes Jahr mit neun weiteren Aktivisten organisiert, ohne sie je persönlich zu treffen. Wie geht das? Weinberg: Mit einer Unmenge an E-Mails und Telefonkonferenzen. Wir sind aus verschiedenen Ecken des Landes und haben einander tatsächlich zum ersten Mal am Tag der Demonstration in Washington D. C. gesehen.
profil: Sie mussten eine Million Dollar sammeln, nur um die Aktion in Washington zu finanzieren. Warum kostet eine Demonstration dermaßen viel? Weinberg: Genau das habe ich mich auch gefragt. Ich dachte, wir fahren einfach hin und versammeln uns. So geht das leider nicht. Alles kostet Geld: die Bühne, die Securities, die Toiletten, die Sicherheitszäune, die Zelte, die Tische, die Schilder und Fahnen. Zum Glück reisten die meisten der 40 Redner auf eigene Kosten an, wir hätten unmöglich alle Reisespesen aufbringen können.
Das Gesundheitswesen der USA ist so schlecht, dass es am besten ist, wenn man es nicht braucht.
profil: Wo kam das Geld her? Weinberg: Die Hälfte haben wir durch den Verkauf von T-Shirts und Kugelschreibern eingenommen. Unglaublich, wie sich die Menschen darauf gestürzt haben. Die andere Hälfte haben wir über Sponsoren bekommen. Inzwischen haben wir weiter Geld gesammelt, womit wir kleine Projekte unterstützen.
profil: Sie wurden damals von der Masse an Teilnehmern überrascht. Was erwarten Sie sich heuer? Weinberg: Ich hoffe, dass wir noch mehr lokale Aufmärsche in vielen kleinen Städten und Dörfern haben werden. Im November haben wir Kongresswahlen. Es ist effektiver, wenn 50 Demonstranten vor dem Büro eines Lokalpolitikers ihrer Heimatgemeinde auftauchen, als wenn sie sich in den Bus Richtung Hauptstadt setzen. Es gibt auch wieder viel weltweite Unterstützung.
profil: Sie wurden hart kritisiert, auch aus den eigenen Reihen. Warum? Weinberg: Der erste Vorwurf war, dass unsere Organisation nur von weißen Männern geleitet würde. Das war sehr frustrierend, weil bei uns von Anfang an Frauen dominiert haben. Wir haben das nicht ausreichend kommuniziert, weil wir zu wenig vorbereitet waren. Wir wurden von den Ereignissen überrannt.
profil: Werden Sie in Ihren Beruf zurückkehren? Weinberg: Das Gesundheitswesen der USA ist so schlecht, dass es am besten ist, wenn man es nicht braucht. Deshalb werde ich wieder als Vorsorgeberaterin arbeiten.
Caroline Weinberg, 33, Die New Yorkerin studierte Medizin und arbeitete bei Gesundheitsprojekten in Uganda und Guatemala mit, bevor sie sich als Gesundheitsberaterin selbstständig machte. Im Jänner 2017 hatte Weinberg die Idee, gegen die Fake- News-Kultur auf die Straße zu gehen. Gemeinsam mit Freiwilligen organisierte sie Ende April den March for Science, an dem mehr als eine Million Menschen in 600 Städten weltweit teilnahmen, auch in Wien. Heuer wird am 14. April demonstriert. Vorigen Samstag war Weinberg Stargast am Wiener Ball der Wissenschaften.