Christoph Huber
Als „Forschungsmanager“ sieht er sich selber. Andere bezeichnen ihn als Brückenbauer zwischen akademischer Welt und praktischer Anwendung. „Wo sich Technologie und Lebenswissenschaft berühren, spielt heute die Musik“, meint der Mediziner.
Im Lauf seiner Karriere verfasste Huber gut 500 Fachartikel, absolvierte Forschungsaufenthalte am Karolinska-Institut in Stockholm, dem Wallenberg-Institut in Uppsala und am Fred Hutchison Center in Seattle. Sein Spezialgebiet, seine Rolle als „Forschungsmanager“, wie er es nennt, zeichnete sich bereits in den 1970er-Jahren in Innsbruck ab: Aus Mitteln eines Forschungsetats kaufte er leerstehende Dachböden auf, richtete Labors ein und studierte dort mit anderen Forschenden, wie weiße Blutkörperchen Krebszellen attackieren.
Schon damals entwickelte er eine Überzeugung, die heute aktueller ist denn je: Wahre Innovationen benötigen ein Umfeld, das weder ein Staat noch Pharmafirmen bieten können. Stattdessen braucht es kleine, wendige Einheiten, in denen sich frisches Fachwissen aus universitärer Forschung mit dem Geist der Start-up-Kultur paart, idealerweise getragen von Risikokapital.
Ein Pool für die größten Talente
Mit diesem Ansatz ging Huber Mitte der 1990er-Jahre nach Mainz und lenkte dort den Aufbau eines Sonderforschungsbereichs, angedockt an die Johannes-Gutenberg-Universität. Ein Ziel war, Talente aus aller Welt anzuwerben und ihnen die Erprobung der heißesten Ideen zur Krebsimmuntherapie zu ermöglichen. Zwei dieser Begabungen, die Huber an Bord holte, sowie ein Spin-off des Mainzer Forschungszentrums kennt seit der Coronaviruspandemie fast jeder: Ihre Namen lauten Uğur Şahin und Özlem Türeci, die Ausgründung heißt BioNTech und entwickelte den ersten Impfstoff gegen das Virus – mittels mRNA-Technologie, deren Zweck zunächst vor allem die Krebstherapie war.
Seine Funktionen bei BioNTech hat Huber inzwischen zurückgelegt. Stattdessen engagiert er sich in neuen Projekten, deren Potenzial heute nur in Ansätzen absehbar ist, die aber eines Tages die Grundlage neuer Formen der Medizin bilden könnten. Als neu ernannter Universitätsrat widmet er sich dem Forschungstransfer zwischen der Medizinischen Universität Wien und Exzellenzzentren wie dem Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA), dem Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) und dem Institute of Science and Technology Austria (ISTA).
Neue Forschungsideen
Eines der neuen Projekte konzentriert sich auf die Erforschung eines Enzyms, das mit einer Reihe von Krankheiten in Zusammenhang steht. Es könnte einen Ansatz für neue Therapieformen darstellen.
Im Fokus einer weiteren Huber’schen Initiative steht das Protein Famin. Jüngst entschlüsselten Forschende um Arthur Kaser die Funktionen dieses Enzyms. Kaser ist Gastroenterologe, befasst sich mit Darmleiden wie Morbus Crohn, war ebenfalls in Innsbruck tätig und forscht nun an der University Cambridge. Seine Gruppe zeigte, dass Famin ein evolutionär sehr alter Eiweißstoff ist, der in Bakterien ebenso vorkommt wie in Menschen. Mittlerweile ist bekannt, dass das Enzym an vielen Krankheiten beteiligt ist, vor allem solchen, die mit dem Immunsystem zu tun haben.
Einem besonderen Enzym auf der Spur
Hat man hier einen neuen Schalter entdeckt, einen biologischen Mechanismus, über den sich Krankheiten ins Visier nehmen lassen? Huber hält das für denkbar: „Dieses Enzym ist zentral für viele Erkrankungen. Eine Regulierung von Famin kann Auswirkungen auf Körperzellen haben.“ Und so führt ihn sein Weg derzeit immer wieder nach Cambridge, wo er als externer Direktor darauf abzielt, Impulse für ein gedeihliches Forschungsumfeld und für Grundlagenforschung zu setzen, die vielleicht eines Tages Früchte tragen wird.
Manchmal kauft Huber aber auch ein Ticket nach Lissabon. Dort liegt, direkt am Meer, ein Spital, das Huber für „weltweit einzigartig“ hält. Es wurde vom Architekten Charles Correa entworfen und wird von der Champalimaud-Stiftung betrieben. Das Gebäude ist spektakulär, und die Vision dahinter ist, innovative Medizin, individuelle Patientenbetreuung und Spitzenforschung zu kombinieren. Die Patienten blicken auf die Forschungslabors und Forschende auf Krankenzimmer – damit Letztere nie vergessen, für wen sie arbeiten, und Patienten wissen, dass unablässig den vielen offenen Fragen der Medizin nachgegangen wird. „Zentrum für das Unbekannte“ steht in großen Buchstaben vor dem Gebäude.
Das Motto passt gut zur Einstellung von Christoph Huber, der nun in Lissabon als Chief Advisor für eine neue Herstellungsanlage für genetisch modifizierte Abwehrzellen in der Krebstherapie fungiert: Das Allermeiste gilt es noch zu erforschen, die abwegigste Idee kann der Beginn einer wichtigen Entdeckung sein – und 80 Lebensjahre sind gewiss kein Grund, diesbezügliche Bemühungen einzustellen.