Corona: Dem Erreger auf der Spur
1. Die Welt der Tröpfchen
Wie gefährlich sind Viruspartikel in der Luft? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) müsse das Risiko der Übertragung durch Aerosole ernster nehmen, warnten 240 Wissenschafter Anfang Juli. Vor allem in geschlossenen Räumen mit schlechter Lüftung kann das Virus acht Meter mühelos überwinden, wie eine Analyse der Arbeitsplätze in der deutschen Fleischfabrik Tönnies erwies. Ein Mitarbeiter hatte am Fließband zahlreiche Kollegen angesteckt; am Ende stand ein Cluster von 1400 Infizierten. Die körperliche Anstrengung beim Zerlegen von Rinderhälften hatte die Entstehung von Aerosolen beim Ausatmen ebenso begünstigt wie die gekühlte Luft, die ohne Filter permanent umgewälzt wurde.
Sogenannte Superspreader können in einer Stunde mehr als sieben Millionen Viren pro Kubikmeter ausstoßen, wenn sie immer wieder husten, wie Schweizer Forscher indes errechneten. In diesem Fall reichen wenige Minuten in einem 16 Quadratmeter großen Büro für eine Ansteckung-auch mit Abstand. Die Experten raten zu Einzelbüros, regelmäßigem Lüften in Großraumbüros und Klassenzimmern sowie Luftfilteranlagen in Krankenhäusern und Altenheimen. Das Vermeiden von Menschenansammlungen in Gebäuden sei essenziell.
2. Antikörper-Bumerang
Keine guten Nachrichten für Covid-Genesene: Nur rund 60 Prozent der ehemaligen Patienten entwickeln schützende Antikörper, die das Andocken des Virus an Rezeptoren der menschlichen Zellen hemmen. "Die positive Erkenntnis ist, dass wir nun einen Test haben, mit dem wir Antikörper nachweisen und zeigen können, ob bereits Infizierte Immunität haben oder nicht",sagt Rudolf Valenta von der Medizinischen Universität Wien. Seine Studien zeigten zudem, dass sich manche Antikörper gar als Bumerang erweisen können. Sie fördern das Virus gewissermaßen, indem sie es an die Körperzellen heranführen. "Das macht es dem Virus potenziell noch leichter, sich festzusetzen und auszubreiten",so Valenta. In einem nächsten Schritt will er herausfinden, was das für die Immunität und die Impfstoffentwicklung bedeutet.
3. Infektion im Mutterbauch
Zuerst trifft es Nase und Lunge, dann das Blut der Schwangeren, kurze Zeit später die Plazenta, danach das Ungeborene: Eine Fallstudie aus Frankreich zeigt, wie sich die Coronaviren in der 35. Schwangerschaftswoche im Körper einer 23-Jährigen ausbreiteten. Es ist der erste Nachweis dafür, dass sich Babys im Mutterleib infizieren können-und nicht nur bei der Geburt. Die Viruslast im Blut der Mutter und das Zeitfenster der Schwangerschaft dürften allerdings beeinflussen, ob sich ein Embryo ansteckt. Denn bislang sind nur wenige Übertragungen bei Neugeborenen bekannt. In Deutschland wurden bis vergangenen Juli 88 Kinder von Covid-Patientinnen geboren, lediglich fünf davon wurden positiv auf das Virus getestet. Die meisten davon sind danach zwar ansteckend, aber nicht schwer erkrankt. Anders das Baby in Frankreich: Es entwickelte im Alter von drei Tagen Symptome, darunter eine Hirnschwellung, steife Muskeln und neurologische Auffälligkeiten, ähnlich jenen, die auch erwachsene Covid-Patienten zeigen. Die Krankheit klang von selbst wieder ab, das Baby wurde nach 18 Tagen gesund entlassen.
4. Viraler Machtwechsel
Zuerst versetzte die Virusvariante D614 die Welt in Schrecken, ab März verbreitete sich die Mutation G614. Mittlerweile dominiert sie die Pandemie. Knapp 80 Prozent der Infizierten weltweit tragen nun diese Variante des Coronavirus in sich. Sie kann sich drei bis sechs Mal besser im Körper ausbreiten als die ursprüngliche Form, wie die Untersuchung von 999 Covid-Patienten im britischen Sheffield zeigte. "Wann immer diese Mutation eine Population erreichte, nahm ihre Häufigkeit rapide zu, und in vielen Fällen wurde sie in nur wenigen Wochen die dominante Form",berichtet Studienautorin Bette Korber vom Los Alamos National Laboratory, New Mexico. Ob das Virus dadurch leichter übertragbar wurde und die Pandemie anheizte, ist noch nicht geklärt. Ebenso ist es möglich, dass es im menschlichen Körper durch die stärkere Vermehrung lediglich andere Mutationen verdrängt. Eine gute Nachricht hat Korber zu vermelden: "Wir fanden keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Mutationsstatus und der Schwere der Erkrankung und des Verlaufs."Auch die in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe werden bei der neuen Form des Virus noch greifen, so die Expertin.
5. Steroide gegen Covid
Endlich scheint mit Dexamethason ein Mittel gefunden worden zu sein, das die Sterblichkeit bremst. Im Rahmen einer Studie der Universität Oxford bekamen 2100 Corona-Patienten das Mittel zehn Tage lang verabreicht, während eine Vergleichsgruppe die Standardbehandlung erfuhr. Die Sterblichkeit sank um ein Drittel bei Patienten, die an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden mussten. Bei weniger schwer Erkrankten sank das Sterberisiko um 20 Prozent, bei milden Krankheitsverläufen hatte Dexamethason keinen Effekt. Das Medikament ist ein vielfach verwendetes Steroid, das das körpereigene Immunsystem unterdrückt. Bei schwer Erkrankten ist eine überschießende Immunantwort oftmals kontraproduktiv, wie der führende US-Gesundheitsexperte Anthony Fauci kürzlich erklärte: "Wenn man so schwer erkrankt ist, dass man an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird, hat man üblicherweise eine anomale Entzündungsreaktion, die ebenso viel zur Mortalität beiträgt wie jeder direkte virale Effekt." Andere Medikamente wie die Ebola-Arznei Remdesivir oder das Malariamittel Hydroxychloroquin konnten lediglich die Dauer der Symptome um einige Tage verkürzen; auf die Todesraten zeigten sie bisher keinen signifikanten Einfluss.
6. Riskante Neandertaler-Gene
Warum erkranken manche Menschen so schwer an Covid-19, während andere nicht einmal Symptome spüren? Neben Vorerkrankungen und der Blutgruppe dürften dabei auch Gene eine Rolle spielen, die auf den Neandertaler zurückgehen. Sie wurden bei Patienten mit schweren Verläufen überdurchschnittlich oft gefunden. Acht Prozent der heutigen Europäer, 30 Prozent der Asiaten und vier Prozent der Europäer tragen besagten Genabschnitt in sich, bei Afrikanern spielt er keine Rolle. Genetiker des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sprechen von "tragischen Konsequenzen des Genflusses vom Neandertaler zum modernen Menschen". Wie stark sich dieser tatsächlich auf die Krankheit auswirkt, ist freilich noch unklar.