Covid-Impfung am Müllfest der MA 48
Pandemie

Corona ist wieder da, aber ganz anders

3,5 Jahre nach Ausbruch der Pandemie ist Covid-19 nur noch ein Virus von vielen. Wie sehr man sich jetzt schützen soll.

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„In den ersten Tagen hohes Fieber, starke Kopfschmerzen und Atemwegsprobleme. Danach ging es Schritt für Schritt bergauf.“ Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler (61) hat es diese Woche ordentlich erwischt. Spätestens mit seiner Corona-Erkrankung ist vielen Österreicherinnen und Österreichern bewusst geworden: Es ist wieder da, das Covid-19-Virus. Seit Sommer weg ist hingegen sein Status als meldepflichtige Krankheit. Damit verschwand auch die Basis für staatlich verordnete Maßnahmen, die das Leben drei Jahre lang auf den Kopf stellten – von Abstandsregeln über Maskenpflicht bis zu Lockdowns. Covid-19 steht nun offiziell auf einer Stufe mit der saisonalen Grippe. Wie sehr sich jede und jeder einzelne im Herbst und Winter noch schützt, liegt wie bei Influenza nun im eigenen Ermessen. Ein profil-Kompass.

Die aktuelle Wellenbewegung

Die aktuelle Corona-Welle, in der es Kogler erwischt hat, dürfte seit Anfang September schon wieder deutlich abflauen. Darauf lassen das Abwassermonitoring der Stadt Wien oder das Dashboard über die Hospitalisierungen schließen. Mussten vor zwei Wochen bundesweit noch 183 Menschen mit Covid ins Spital, waren es vergangene Woche 125. Intensivpatienten waren kaum noch darunter. Im Unterschied zur Grippe ist bei Covid-19 nicht nur mit einer, sondern mit mehreren Wellen zu rechnen, wenn die Menschen in der kalten Jahreszeit wieder enger zusammenrücken und durch trockene Raumluft generell anfälliger für Atemwegserkrankungen sind.

Wer sich noch impfen lassen soll

Die Empfehlung des Nationalen Impfgremiums (NIG) ist klar: Insbesondere Menschen mit erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf sollen impfen gehen. Dazu zählen alle Personen ab 60 Jahren, chronische Kranke, stark übergewichtige Personen, Menschen mit geschwächtem Immunsystem und Schwangere. Besonders nahegelegt wird eine Impfung auch dem Gesundheitspersonal. Dieses Mal reicht ein Stich. Für den Rest der Bevölkerung gibt es nur noch eine allgemeine Impfempfehlung: „Wer sich schützen möchte.“ Die Empfehlungen für Covid-19 und Influenza sind damit praktisch ident. Und für Menschen unter 60 ziemlich vage.

Viren-Experte Herwig Kollaritsch, Mitglied des Nationalen Impfgremiums, sagt: „Bei Jüngeren ist der Schutz durch vorhergehende Impfungen und Ansteckungen noch so ausgeprägt, dass man es ihnen freistellen kann, ob sie sich gegen Covid-19 impfen lassen, empfohlen ist es aber allemal. Bei einer Ansteckung droht kein Beinbruch mehr, aber möglicherweise eine Verstauchung“, erklärt er die neue Ausgangslage anhand einer Metapher.

In Deutschland wird gesunden Menschen unter 60 und Schwangeren derzeit keine Auffrischungsimpfung empfohlen.

Der empfohlene Abstand zur vergangenen Impfung oder Infektion sollte rund zwölf Monate betragen, bei der Risikogruppe mindestens vier Monate. Den idealen Abstand bestimmt am besten der Hausarzt. Freigegeben ist die Impfung ab einem Alter von sechs Monaten.

Die Zeit der Impfstraßen ist vorbei

Am Wiener Mistfest mit seinen Tausenden Gästen ließen sich Mitte September 469 Gäste gegen Covid-19 impfen. Die Zeit der großen „Walk-in“-Impfstraßen, die vom Bund finanziert wurden, ist jedoch vorbei. Deswegen hat Wien sein laufendes Angebot massiv auf eine Impfstelle („TownTown“) reduziert. Und die ist bereits bis November ausgebucht. Dafür reichten 4260 Impfwillige. Die Regelversorgung mit der Covid-Impfung ist – wie bei Influenza – in den niedergelassenen Bereich gewandert.

In Wien verabreichen rund 200 Impfordinationen das Covid-Vakzin. Alle bundesweiten Impfärzte finden sich auf www.sozialministerium.at.

Pfizer hat vorerst ein Monopol

Seit vergangener Woche wird nur der Impfstoff von BioNTech/Pfizer verimpft. Durch die neue mRNA-Technologie konnte er am schnellsten an die derzeit dominierende Variante Omikron XBB.1.5 angepasst werden. Die aufwendigere Züchtung von klassischen „Totimpfstoffen“ hinkt dem mutationsfreudigen Virus hinterher. Für November wird ein Totimpfstoff von Novavax erwartet. AstraZeneca und Valneva sind aus dem Rennen ausgestiegen. Den ebenfalls zugelassenen Moderna-Impfstoff hat Österreich nicht mehr, die Nachfrage war zu gering.

Impfstoff landet wieder auf dem „Müll“

Laut profil-Umfrage sorgen sich nur sechs Prozent „sehr“ und 20 Prozent „eher“ vor einer neuen Welle. Zwei Drittel der Befragten kümmert Covid-19 nicht mehr. An einen Corona-Stich denkt ein Viertel der Bevölkerung, ergab eine andere Umfrage im „Kurier“. Die Bereitschaft zur Auffrischung liegt somit auf Influenza-Niveau. Tatsächlich gegen Grippe impfen

ließen sich vergangene Saison 17 Prozent der Gesamtbevölkerung. Allein von Pfizer bestellte Österreich 1,9 Millionen Dosen des neuen Covid-19-Impfstoffs, dazu kommen ab November eine Million Impfdosen von Novavax. Um alle Dosen zu verbrauchen, müsste die Impfbereitschaft deutlich steigen. Damit ist angesichts der Corona-Müdigkeit in der Bevölkerung kaum zu rechnen. Also dürfte ein Teil des Impfstoffes wieder auf dem „Müll“ landen.

An Spitalsmisere ist Covid nicht mehr schuld

Krankenhäuser vor totaler Überlastung schützen, das war in der Pandemie ein wesentlicher Grund für die härtesten Corona-Maßnahmen. Dieser Grundgedanke floss – neben dem Schutz der Einzelnen – auch dieses Mal in die Impfempfehlung für Personen ab 60 Jahren ein, schildert Kollaritsch. Schon jetzt sorgt der Mangel an Pflegekräften fast täglich für Alarmmeldungen aus den Spitälern. Ganze Abteilungen müssen geschlossen werden, Tausende Betten bleiben gesperrt oder Patienten liegen am Boden. Ist der Kollaps bei einer heftigen Mehrfachwelle aus Grippe, Covid und RSV (Respiratorische Synzytial-Virus) im Winter also programmiert? Eher nein. „Selbst wenn sich nur wenige unter 60-Jährige impfen ließen, würde es die Normalstationen vermutlich nicht an die Grenzen bringen“, sagt Kollaritsch. Nicht nur, weil die Basis-Immunität hoch ist. Dieses Mal würden sich Patienten stärker auf unterschiedliche Abteilungen verteilen, weil die Symptomatik vielschichtiger geworden ist. Stand zu Beginn der Pandemie die Behandlung der Atemwege im Zentrum, war zuletzt auch verstärkt von Magen-Darm-Beschwerden im Zusammenhang mit einer Covid-Infektion die Rede. Ein weiterer großer Unterschied zu früher: Es gibt hoch wirksame Medikamente, die einen Spitalaufenthalt erst gar nicht nötig machen.

Long Covid – die vergessene Krankheit

„Die Gefahr von Long Covid ist in der Bevölkerung nicht angekommen. Wir sprechen von jungen Menschen, die 22 von 24 Stunden nicht aus dem Bett kommen“, sagt Virologe Norbert Nowotny. Schuld daran ist das Chronic Fatigue Syndrome. Die sehr allgemeine Impfempfehlung für Menschen unter 60 Jahren ist Nowotny deswegen zu vage. „Long Covid hängt mit einer Überreaktion des Immunsystems zusammen. Deswegen trifft es 35- bis 50-Jährige häufiger als ältere Menschen. Das sollte besser kommuniziert werden.“ Die Long-Covid-Spezialambulanz im Wiener AKH wurde Ende August geschlossen. Wie passt das mit Nowotnys Mahnung zusammen? „Der Bedarf war nicht mehr gegeben“, heißt es aus demBüro des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker. Die niedergelassenen Fachärzte für Neurologie hätten die Folgebehandlung im Griff. Die härtesten Fälle von Long Covid stammen noch aus der Zeit der Delta-Variante. Bei der Erstinfektion dürfte die Wahrscheinlichkeit von Long Covid deutlich höher gewesen sein als bei Geimpften und Genesenen, die sich erneut ansteckten. Auch gebe es Anzeichen, wonach die aktuell kursierenden Varianten etwas seltener zu Long Covid führen, meint Kollaritsch.

Ohne Tests im Covid-19-Blindflug

Wer wissen will, ob er oder sie Corona-positiv ist, muss selbst für einen Test in die Tasche greifen oder zum Arzt. Gratis gibt es Corona-Tests nur noch bei niedergelassenen Ärzten. Sie entscheiden je nach Symptom, ob sie einen Antigen- oder PCR-Test durchführen. Kollaritsch kritisiert dieses neue Test-Regime. „Klar ist die Zeit vorbei, in der wir uns zwei Mal pro Woche routinemäßig testen. Gratis-Wohnzimmertests würde ich aber weiter anbieten. Die Leute können damit umgehen und wüssten Bescheid. So werden viele auf Tests verzichten und die Infektionen weitergeben.“

Sind wir „japanischer“ geworden? Nein.

Oder man greift zur FFP2-Maske. Würden sich Menschen mit Verkühlungssymptomen automatisch eine Maske aufsetzen, wäre das künftig wohl der stärkste Wellenbrecher. Nicht nur im Ärzte-Wartezimmer, sondern auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln, vor der Kinokasse oder dem Apothekenschalter. Dieser Schutz des Kollektivs, der in Ländern wie etwa Japan Menschen zur Ehre gereicht, hat sich in Österreich nicht durchgesetzt. Vielmehr müssen sich Maskenträger böse Blicke gefallen lassen. Sie dennoch zu tragen, verlangt starke psychische Abwehrkräfte.

Was wir aus der Pandemie (nicht) gelernt haben

Auch die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, scheint durch die Pandemie eher gesunken als gestiegen zu sein. Eine „Katastrophe“, bilanziert Kollaritsch, stehen doch immer mehr wirksame Impfungen zur Verfügung, beispielsweise gegen RSV oder Influenza. Die von der Politik angekündigte Aufarbeitung findet er sinnlos. Vielmehr wünscht er sich einen Managementplan für die Zukunft, damit die bei einer weiteren Pandemie die nötigen Kapazitäten im Spital bereitstehen und die Mitarbeiter nicht bis über alle Grenzen belastet sind; damit Maßnahmen wie Lockdowns durch „wasserdichte“ Verordnungen gedeckt sind und nicht vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben werden; damit andererseits überbordende Maßnahmen verhindert werden. Dazu zählt Kollaritsch die langen Schulschließungen in der Pandemie. „Jede Feuerwehr macht Katastrophenübungen. Bereiten wir uns vor.“

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.