Corona-Medikamente: Neue Wirkstoffe finden mit Gentechnik und Big Data
MITARBEIT: FRANZISKA DZUGAN
Die Hoffnung verbirgt sich derzeit oft hinter sperrigen Begriffen: Sie lauten beispielsweise Alpha-Ketoamid-Inhibitor, Proteinkristallografie, Virus-Protease. Diese Fachwörter benennen die Eckpfeiler eines Ansatzes zur Behandlung von Covid-19, der durch das Coronavirus hervorgerufenen Krankheit. Basis dafür sind Arbeiten deutscher Forscher, die vermeldeten, die Hauptprotease von SARS-CoV-2 entschlüsselt zu haben – einen Eiweißbaustein, den das Virus braucht, um sich in Wirtszellen zu kopieren. Mithilfe des bereits im Jänner dechiffrierten genetischen Codes des Erregers hefteten sich die Wissenschafter nun auf die Spur des kritischen Proteins. Dazu benutzten sie die sogenannte Proteinkristallografie, welche die dreidimensionale Struktur solcher Eiweißmoleküle sichtbar machen kann. Bei dieser Methode werden Proteinproben in flüssigen Stickstoff getaucht und in speziellem Röntgenlicht studiert.
So gelang es, die Architektur der gesuchten Protease präzise darzustellen – und damit einen Kopiermechanismus des Virus. Der Plan ist nun, einen Hemmstoff zu entwickeln, um die Vermehrungsstrategie von SARS-CoV-2 zu durchkreuzen. Mit Alpha-Ketoamid-Inhibitor gibt es auch bereits einen Kandidaten dafür: Beim verwandten Virus MERSCoV erwies sich die Substanz, verabreicht als Spray oder Injektion, als wirksam, und zumindest an Kulturen von Lungenzellen, die mit SARS-CoV-2 infiziert wurden, konnte die Virenvermehrung ebenfalls blockiert werden.
Langwierige Prozedur
Doch selbst wenn der Wirkstoff alle Erwartungen erfüllt, kann es Jahre dauern, bis er nach allen Tests als Medikament den Markt erreichen kann. Diese Einschränkung gilt für die meisten Präparate, die zur Therapie von Covid-19 diskutiert werden. Denn der Labornachweis eines medizinischen Nutzens ist zwar ein schöner Erfolg – doch bis zum Einsatz am Patienten bedarf es klinischer Prüfungen der Wirksamkeit sowie der Sicherheit nach strengen Standards und genormten Protokollen. Die Zulassung von Medikamenten ist daher eine langwierige Prozedur, die Schnellschüsse verbietet – auch wenn die Zeit drängt.
Immerhin ist bereits eine stattliche Zahl therapeutischer Ideen am Start, die häufig auf dem inzwischen gut verstandenen molekularen Profil des Virus fußen. Mitte der Vorwoche schlug die Wiener Biotechfirma Panoptes Pharma die Substanz PP-001 zur Behandlung vor, die ebenfalls auf der Ebene der Proteine ansetzt. In dem Fall soll ein Enyzm mit der Bezeichnung DHODH gehemmt und außerdem die Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen vermindert werden, die an schweren Atemwegskomplikationen beteiligt sind.
Generell stechen drei wissenschaftliche Schwerpunkte hervor, um den gesundheitlichen Auswirkungen der Pandemie beizukommen: Das sind erstens Ansätze zur Behandlung der Symptome, sei es dank der Identifizierung neuer molekularer Pfade oder aber durch den Einsatz bereits verfügbarer Präparate, die ursprünglich für andere Krankheitsbilder entwickelt wurden. Ein zweiter Fokus liegt auf Impfungen gegen das neuartige Coronavirus. Der dritte Bereich lässt sich mit dem Schlagwort Big Data beschreiben: Das systematische Durchforsten großer Medizin- und Forschungsdatenbanken soll dazu beitragen, weitere sinnvolle Wirkstoffe aufzuspüren oder auch dringend benötigte effiziente Teststrategien auszuloten.
Liste von Wirkstoffkandidaten
Vorige Woche kündigte ein steirischer Forschungsverbund an, gemeinsam mit der Harvard University ein ziemlich ambitioniertes Screening-Projekt in Angriff zu nehmen. Das Biotech-Start-up Innophore, die Universität Graz und das Austrian Centre of Industrial Biotechnology wollen, gestützt auf enorme Rechenleistung, zwei Milliarden potenzielle Wirkstoffe auf ihre Eignung gegen Covid-19 prüfen. Ähnliche Ziele verfolgen Forscher der Linzer Johannes-Kepler-Universität: Eine künstliche Intelligenz, hieß es, habe sich bereits durch eine Milliarde Moleküle geackert und die vielversprechendsten 30.000 darin identifiziert. Nun gelte es, die Liste der Wirkstoffkandidaten immer weiter einzugrenzen – und sie für die internationale Fachwelt frei verfügbar zu machen.
Interessante Datensätze gäbe es in Österreich sogar auf offizieller Ebene, und sie tragen die Kürzel ELGA, EMS sowie HEMA. In ELGA, der elektronischen Gesundheitsakte, sind bestimmte Medikamente verzeichnet, die Patienten bei Kassenärzten verschrieben und in Apotheken abgegeben wurden.
EMS ist das Epidemiologische Meldesystem des Gesundheitsministeriums, in das sämtliche Covid-19-uFälle ingespeist werden. HEMA schließlich ist die Heilmittelabrechnung der Sozialversicherungen.
Nun könnte man überlegen, diese Datenbanken zusammenzuführen. Dies könnte die Beantwortung verschiedener Fragen erlauben. Etwa: Geht vom Schmerzmittel Ibuprofen tatsächlich ein Risiko aus? Wenn man Meldungen von Covid-19-Patienten und Verordnungen von Ibuprofen verschränkt, ließe sich eventuell ablesen, ob Ibuprofen-Anwender durch besonders schwere Verläufe der Infektion auffallen.
Gleiches gilt für Blutdrucksenker, sogenannte ACE-Hemmer, die ebenfalls in Verdacht gerieten, am Virus rkrankten zu schaden. Mehr als eine Vermutung ist das derzeit nicht – rasch Aufschluss könnte auch hier ein Abgleich von Verordnungs- und Patientendaten bringen.
Umgekehrt ließen sich vielleicht Präparate finden,die gegen Covid-19 wirken oder davor schützen. Die zugehörigen Fragen wären zum Beispiel: Sind unter allen Kranken auch Personen, die eines jener Mittel erhalten, die gerade als mögliche Waffen gegen das Virus diskutiert werden, etwa eine jener Substanzen, die bisher gegen andere Infektionen verabreicht wurden? Wenn es keine Übereinstimmung gibt – also niemand mit entsprechender Medikation an Covid-19 leidet –, wäre das zumindest ein Hinweis auf ein lohnendes Forschungsfeld.
Proben-"Pooling"
Falls trotz Medikation eine Infektion registriert ist, scheidet das Präparat wohl als Hoffnungsträger aus – was aber auch eine wichtige Information wäre.
Eine andere Form von Datenanalyse betreiben Stefan Thurner und Rudolf Hanel. Die Forscher des Complexity Science Hub Vienna (CSH) unterbreiteten jüngst einen Vorschlag, wie man die Effizienz beim Testen auf SARS-CoV-2 enorm steigern könnte: nicht Probe für Probe prüfen, sondern gleich eine ganze Reihe davon auf einen Schlag. Bei diesem „Pooling“ würde man die Proben mehrerer Personen zusammenmischen und in einem Test gemeinsam auswerten. Ist der Gruppentest negativ, lassen sich sämtliche Personen sofort als Virusträger ausscheiden.
Nur bei einem positiven Ergebnis müssten die die Proben nochmals einzeln untersucht werden. Hanel und Thurner entwickelten eine mathematische Formel, wie man beim Testen vorgehen sollte. Ihre Prämisse: Je weniger Infizierte es in einem Land gibt, desto mehr Proben können auf einmal getestet werden. Für Österreich nahmen die Forscher vorerst zwischen 10.000 und 100.000 Infizierte an und bestimmten die optimale Pooling-Größe mit 20 Samples pro Test. „So könnte man etwa 30.000 Menschen täglich testen statt der bisher 3000“, sagt Stefan Thurner – was eine gewaltige Ausdehnung der Testabdeckung wäre. Würde man in Österreich konsequent derartig testen, so Thurner, könnten wir versuchen, daraus die Dunkelziffer der Infizierten zu errechnen“.
Besondere Bedeutung hat natürlich die Suche nach möglichen Impfstoffen. In kürzester Zeit haben Forscher einige Kandidaten präsentiert. Manche Studien laufen seit Mitte März, weitere starten im Lauf des April oder spätestens im Frühsommer. Mindestens acht konkrete Ansätze für Vakzine sind derzeit bekannt, die aus China, den USA sowie aus Europa stammen. Einer davon weist auch österreichische Beteiligung auf: Das Mainzer Biotechunternehmen BioNTech wurde vom Wiener Hämatologen und Onkologen Christoph Huber mitgegründet, der unter anderem am Fred Hutchison Cancer Research Center forschte, bevor er – mittlerweile emeritiert – zum Ordinarius für Innere Medizin nach Mainz berufen wurde. Im Rahmen des programmatischen Projekts „Lightspeed“ kündigte BioNTech einen Impfstoff namens BNT 162 an, dessen Prinzip auf der Aktivierung zweier Klassen von Immunzellen beruht: T- und B-Zellen sollen helfen, den Erregerzu attackieren. Kürzlich gab das Unternehmen eine Kooperation mit dem chinesischen Konzern Fosun Pharma bekannt, zusätzlich laufen Gespräche mit Pfizer.
Ein weiterer Ansatz, ursprünglich am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie erdacht, beruht auf einer zunächst gegen Tuberkulose entwickelten Substanz. Die darauf aufbauende Vakzine VPM1002 hat sich in Tierstudien auch als möglicherweise effektiv gegen verschiedene virale Erreger erwiesen, darunter Influenza und Herpes. Außerdem scheint sie Lungenschäden zu reduzieren.
Freilich gilt für sämtliche Impfstoffe: Für die derzeit grassierende Infektionswelle mit SARSCoV-2 kommen Schutzimpfungen naturgemäß zu spät. Sie werden von Relevanz sein, sollte sich das Virus nach vorübergehendem Abflauen neuerlich ausbreiten.
Unmittelbar bedeutsamer sind bereits existierende Präparate, die sich womöglich auch zur Behandlung von Covid-19 eignen. „Solche Substanzen sind spannend, weil es sich um zugelassene Medikamente handelt, die rasch per Notfalltherapie zum Einsatz kommen könnten“, sagt Christoph Baumgärtel von der Medizinmarktaufsicht der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages).
WHO-Initiative "Solidarity"
Unter dem Schlagwort „Solidarity“ hat die WHO eine Initiative zur genaueren Prüfung der Präparate Remdesivir, Chloroquin sowie Lopinavir/Ritonavir gestartet. Vorläufige Ergebnisse sind durchwachsen: Letztere Wirkstoffkombination, einst der HIV-Therapie vorbehalten, hat in einer ersten Studie mit 99 Patienten offenbar versagt. Chinesische Forscher konnten keine Vorteile der Therapie feststellen.
Chloroquin respektive das verwandte Hydroxychloroquin sind alte Substanzen gegen Malaria sowie Rheuma und zielen auf den Replikationsmechanismus von Mikroorganismen. Weil Chloroquin leicht basisch ist, viele Parasiten und Viren aber ein saures Milieu bevorzugen, könnte deren Vervielfältigung beeinträchtigt werden. Die Ergebnisse einer kleinen französischen Studie mit 20 Patienten sind umstritten: Tatsächlich sank bei der Hälfte der Leute die Viruslast nach drei Tagen unter die Nachweisgrenze – ob dafür die Medikation wirklich ursächlich war, ist aber ungewiss.
Große Hoffnungen werden in Remdesivir gesetzt, weil Zellstudien eine Blockade von SARS-CoV-2 belegten. Noch im April sollen nun klinische Studien mit Patienten beginnen. Überdies gibt es eine stattliche Zahl weiterer Wirkstoffkandidaten: Ribavirin und Favipiravir, Arbidol und Darunavir, IFN-Alpha und TMSPSS2. Unter Medizinern kursiert derzeit eine „heiße Liste“ mit fast 70 Substanzen.
Allein die gegenwärtigen Anstrengungen einer internationalen Fachwelt geben einigen Anlass zur Hoffnung, dass zumindest eine davon in absehbarer Zeit das Rennen machen wird.