Das Coronavirus und die Natur: "Paradiesische Zustände für Tiere"
Interview: Ines Holzmüller
profil: Zwei Pandas haben sich im geschlossenen Zoo von Hongkong nach zehn Jahren zum ersten Mal gepaart. Ist das eine positive Auswirkung des Coronavirus? Hackländer: Wissenschaftlich gesehen ist so ein Einzelfall natürlich nicht sehr aussagekräftig, dafür gibt es zu viele Einflussfaktoren. Aber es könnte schon sein. Momentan gibt es ja einige Beispiele, dass auch Wildtiere ihr Verhalten ändern und zum Beispiel Städte zurückerobern.
profil: Wie wirken sich die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus auf die Tierwelt aus? Hackländer: Die Tiere können momentan ihren Radius erweitern, da sie durch weniger Verkehr mehr Bewegungsfreiheit haben. Ein Beispiel: Den Gürtel in Wien könnte ein Fuchs zu normalen Zeiten kaum überqueren, momentan ist dort weit weniger los. Auch in den geschlossenen Bundesgärten herrschen momentan paradiesische Zustände für die dort lebenden Tiere, weil sie nicht durch Menschen und Hunde gestört werden.
profil: Weniger Verkehr heißt auch weniger Lärm, ein Vorteil für die Tiere? Hackländer: Die übliche Geräuschkulisse fällt weg. Singvögel müssen in der Stadt mehr und lauter singen. Wir erwarten nun, dass sie weniger und leiser singen und mehr Zeit für andere Dinge wie Nahrungssuche und Brutpflege haben. Viele haben schon Nester gebaut oder füttern bereits ihre Jungen. Wir Wissenschafter nutzen die Situation nun, um im Rahmen des Projekts „silent cities“ mit Stimmenrekordern die Singvögel in den Städten aufzunehmen – das funktioniert sonst wegen des Lärms nicht besonders gut.
profil: Auch der Tourismus fällt momentan weg. Hackländer: Tiere in Skigebieten zum Beispiel haben normalerweise ein erhöhtes Stresshormonlevel – das wiederum wirkt sich negativ auf ihre Gesundheit und Fortpflanzung aus. Wir erwarten, dass sich dies vorübergehend zum Positiven verändern wird. Natürlich kann man so etwas aber erst sicher sagen, wenn erste Forschungsergebnisse vorliegen.
profil: Können diese positiven Effekte von Dauer sein? Hackländer: Die Tiere in den Städten haben momentan durch weniger Stress ein besseres Immunsystem, höhere Überlebenschancen und können sich eher fortpflanzen. Es wird also höhere Dichten gewisser Arten geben. Am Stadtrand wiederum haben die vermehrten Spaziergänger negative Auswirkungen. Über das Jahr werden wir kaum eine Veränderung sehen, da die positiven Effekte nach Aufhebung der Ausgangsbeschränkungen wohl wieder zunichte gemacht werden. Zusätzlich gibt es so viele Faktoren, die wir gar nicht kontrollieren können. Durch den Klimawandel sind unsere Tiere zum Beispiel neuen Krankheiten ausgesetzt, die es vorher bei uns gar nicht gab. Erst vor ein paar Jahren hatten wir durch eine von Stechmücken übertragene Krankheit ein großes Amselsterben in Wien. Wir sollten uns also nicht anmaßen, alles zu wissen.
Die Biodiversitätskrise, in der wir momentan stecken, ist ebenso schlimm wie die Klimakrise
profil: Das Coronavirus ist von einer Wildtierart auf den Menschen übergesprungen – solche Krankheiten nennt man Zoonosen und einige Wissenschafter sehen sie als „Warnung“, dass wir zu weit in den Lebensraum wilder Tiere vorgedrungen sind. Würden Sie dem zustimmen? Hackländer: Die Biodiversitätskrise, in der wir momentan stecken, ist ebenso schlimm wie die Klimakrise, denn wir sind von vielen Ökosystemen abhängig. Durch die Zerstörung des Lebensraums der Tiere, wie zum Beispiel im Südosten Asiens, kommt es zu vermehrtem Kontakt zwischen den Tieren selbst und zwischen Tieren und Menschen. Dabei können in beide Richtungen Krankheiten übertragen werden. Das ist mit dem Coronavirus nicht zum ersten Mal passiert und wird wieder passieren.
profil: Ist das Coronavirus also erst der Anfang? Hackländer: Die Zerstörung tierischen Lebensraumes gepaart mit dem enormen Bevölkerungswachstum in Asien ist ein guter Nährboden für Zoonosen. Die Menschen haben einen enormen Bedarf an Protein. Alles wird gejagt und auch gegessen. Weil es kaum Möglichkeiten zur Kühlung gibt, werden die Tiere auf Märkten lebendig angeboten. Solange es diese Märkte gibt und dieses Verhältnis zu Tieren, wird es immer wieder zu Krankheiten kommen.
profil: Sollen solche Märkte also verboten werden? Hackländer: Das von Europa aus zu fordern, ist immer leicht. Aber natürlich hat jede Kultur ihre Eigenheiten. Auch bei uns gibt es negative Beispiele der Mensch-Tier-Beziehung, insbesondere die Massentierhaltung. Für den Artenschutz wäre eine solche Schließung natürlich grandios. Es wird aber nicht einfach sein, sie einzufordern.
Es bräuchte meiner Meinung nach mehr Transparenz, wer die Regierung berät
profil: Momentan arbeiten Wissenschaft und Politik in Sachen Coronavirus sehr eng zusammen. Profitiert die Wissenschaft von dieser Wertschätzung? Hackländer: Man merkt momentan, wie sehr wir Wissen brauchen. Ich hoffe, dass etwas davon bleibt und es nicht nur ein kurzfristiger Effekt ist. Denn Forschung muss es immer geben, nicht erst, wenn Gefahr im Verzug ist und nicht nur in Fächern, die ganz offensichtlich für uns überlebenswichtige Dinge bearbeiten. Eine Gefahr ist natürlich, dass man der Wissenschaft für die drastischen Einschnitte momentan und ihre langfristigen Auswirkungen die Schuld gibt. Darum bräuchte es meiner Meinung nach mehr Transparenz, wer die Regierung berät. Sind da zum Beispiel auch Wirtschaftswissenschafter dabei? Und auf welchen Grundlagen werden die Entscheidungen getroffen? Man sollte immer genau erklären, warum man etwas macht. Dann gehen die Menschen auch gerne mit.
Klaus Hackländer ist Professor für Wildbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur in Wien. Er leitet außerdem das Department für Integrative Biologie und Biodiversitätsforschung
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