Coronavirus

Coronavirus: Der ewige Kampf des Menschen gegen gefährliche Keime

Coronavirus: Der ewige Kampf des Menschen gegen gefährliche Keime

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Die Schimpansen packten den kleinen Stummelaffen, schlugen ihre Zähne in dessen Fell und zerrissen das wehrlose Tier. Während sie das Fleisch ihrer Jagdbeute fraßen, besudelten sich die Primaten ausgiebig mit dem Blut und den Eingeweiden des Opfers. Sie setzten sich einer Flut von Mikroben aus, die von den blutigen Teilen überspringen konnten, dachte der amerikanische Virologe Nathan Wolfe, der die Szene in Uganda beobachtete.

Genau so könnten unsere Vorfahren vor rund acht Millionen Jahren erstmals in großem Umfang mit gefährlichen Keimen in Kontakt gekommen sein, schreibt Wolfe in "Virus. Die Wiederkehr der Seuchen" (Rowohlt, 2012): Als der gemeinsame Urahn von Mensch, Schimpanse und Bonobo die Jagd entdeckte, erschloss er nicht nur neue Nahrungsressourcen, sondern machte sich auch zum Ziel eines riesigen Zoos an Viren, Bakterien und weiteren Mikroorganismen. Damit begann die Millionen Jahre währende Geschichte des Zweikampfs zwischen Mensch und Mikrobe erst so richtig.

Deren jüngstes Kapitel hält die Weltöffentlichkeit seit Jahresbeginn in Atem. Täglich wird momentan die Zahl der am neuen Coronavirus 2019nCov Erkrankten und daran Verstorbenen nach oben korrigiert, das im vorigen Dezember in der chinesischen Millionenstadt Wuhan erstmals auftrat. Bemerkenswert und bisher ohne Beispiel ist das Tempo, in dem die Wissenschaft eine Fülle an Daten öffentlich verfügbar macht. Binnen weniger Tage hatten Forscher das Erbgut des Keims entschlüsselt. 2019-nCov ist ein Beta-Coronavirus und zu 79 Prozent genetisch ident mit dem Erreger des Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS), das in den Jahren 2002 und 2003 etwa 800 Menschen tötete. Vorige Woche gingen der Reihe nach Fachartikel online, die das Profil des Virus beschrieben und Modellberechnungen der weiteren Ausbreitung anstellten. Die Publikationen enthielten komplizierte Begriffe wie R , Case fatality rate, Super-spreader und Single-point-transmission und trachteten vor allem danach, das globale Bedrohungspotenzial abzuschätzen -trotz aller Unsicherheiten, die aus der gegenwärtig noch eingeschränkten Datenbasis resultieren.

Dennoch ist das Wissen bereits enorm gewachsen: 2019-nCov ist eines von sieben bisher bekannten Coronaviren, die den Menschen infizieren können. Vier davon verursachen zumeist harmlose Symptome, drei jedoch können besonders für ältere Personen und solche mit Vorerkrankungen zur Gefahr werden, indem sie die unteren Atemwege schädigen. Neben 2019-nCov und SARS ist dies das Middle East Respiratory Syndrome (MERS), das seit 2012 bekannt ist und an dessen Erforschung der Wiener Virologe Norbert Nowotny beteiligt war. Die Case fatality rate, also die Todesrate unter den Infizierten, liegt bei SARS um die zehn Prozent, bei MERS bei mehr als einem Drittel und bei 2019-nCov wohl um oder unter einem Prozent -ähnlich wie bei saisonaler Grippe.

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Genau weiß man das allerdings noch nicht, weil zur präzisen Abschätzung bekannt sein müsste, wie viele Personen sich insgesamt angesteckt haben. Vorige Woche gingen britische Forscher davon aus, dass erst fünf Prozent aller Infizierten erfasst sind - was darauf hindeutet, dass die Infektion häufig milde oder überhaupt symptomfrei verläuft, sodass die Patienten gar nicht auf die Idee kommen, sich das neue Virus eingefangen zu haben und daher auch nicht zum Arzt gehen. Je größer aber die Gruppe der Infizierten, desto mehr schrumpft, prozentuell betrachtet, der Anteil der registrierten Todesfälle. Manche Forscher gehen sogar davon aus, dass maximal 0,1 Prozent der Erkrankten versterben. Wenn dies zutrifft, wäre 2019-nCov wesentlich weniger bedrohlich als SARS und vor allem MERS. Auch die jährlich Influenzawelle hätte dann gravierendere Auswirkungen.

Gerade weil viele Menschen die Infektion nicht oder kaum merken, wird sich das Virus möglicherweise noch erheblich ausbreiten. Das tatsächliche Ausmaß ist derzeit schwer in verlässliche Zahlen zu fassen. Simulationen prognostizierten zwar in der ersten Februarwoche eine Zahl von mehr als 190.000 Virenträgern allein in Wuhan -was allerdings ziemlich hoch gegriffen scheint. In jedem Fall dürfte 2019-nCov leichter übertragbar sein als SARS, wiewohl eben weniger pathogen. Darauf deuten die bisher offiziell bestätigten Erkrankungsfälle sowie der Faktor R ist die Reproduktionsrate eines Virus und gibt an, wie viele weitere Personen ein Infizierter ansteckt. Bei 2019-nCov beträgt dieser Wert ungefähr 3 bis 5. Zudem gab es bereits innerhalb weniger Wochen 8000 nachgewiesene Infektionen durch das neue Virus -ähnlich viele wie bei der gesamten SARS-Epidemie im Verlauf von eineinhalb Jahren.

Wie aber befällt 2019-nCov den Menschen überhaupt?

Wir sind längst nicht empfänglich für jeden Erreger und bleiben daher von vielen verschont. Es bedarf einer molekularen Andockstelle, die das Virus benutzen kann, um in unsere Körperzellen einzudringen, sie mit seinem Genmaterial zu fluten und sich darin zu vermehren. Mittlerweile haben Forscher diese Eintrittspforte aufgespürt: den Rezeptor ACE2, über den das Virus an den humanen Organismus bindet und in weiterer Folge auch an andere Menschen weitergegeben werden kann, vermutlich auch dann, wenn der Überträger noch gar keine Krankheitsanzeichen bemerkt. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis zwölf Tage.

Bis vor Kurzem dienten dem Virus hingegen lediglich Tiere als Wirt. Als Mittler zwischen Tier und Mensch gerieten Schlangen wie die chinesische Kobra unter Verdacht. Der Übersprung, der "Spillover", könnte dieser Vermutung zufolge durch den Genuss von Schlangenfleisch geschehen sein. Diese vorläufige Annahme würde Norbert Nowotny, Professor für Virologie an der Veterinärmedizinischen Universität, jedoch "noch mit einigen Fragezeichen versehen". Zwar seien Schlangen als Überträger nicht gänzlich ausgeschlossen, aber doch eher unwahrscheinlich. Plausibler seien als Quelle Fledermäuse, von denen das Virus direkt oder auf dem Umweg über ein anderes - wild lebendes oder gezüchtetes - Säugetier zum Menschen gelangte.

Tatsächlich wurden Kontrolleure auf dem Huanan Seafood Market in Wuhan, der bald in den Fokus geriet und auf dem auch Wildtiere gehandelt werden, vielfach fündig: Sie entdeckten das Virus bisher in 33 von 585 dort gezogenen Proben. Es ist aber sogar fraglich, ob sich die initiale Infektion wirklich auf dem Markt zutrug. Denn der Patient Null, dessen Symptome am 1. Dezember 2019 begannen, war offenbar nie auf dem Markt. Der wahre Ursprung der Epidemie könnte somit auch anderswo liegen.

Sicher ist hingegen: Was nun in China geschah, folgt einem klassischen Muster. Immer wieder überwinden Erreger infolge kleiner oder größerer Veränderungen im Erbgut die Artschranke und infizieren plötzlich auch Menschen. Diese Klasse von Erkrankungen heißt Zoonosen: Es sind von Tier zu Mensch (und prinzipiell auch umgekehrt) übertragbare Infektionskrankheiten. Rund 200 Zoonosen sind heute bekannt, von Affenpocken, Hanta, Lassa und Marburg bis zur Vogelgrippe. Die Erreger können Viren ebenso sein wie Bakterien, Prionen, Würmer oder andere Parasiten. Salmonellose ist eine häufige Zoonose, Tollwut eine zum Glück in unseren Breiten heute sehr seltene. Weltweit sterben jedoch jährlich rund 60.000 Menschen daran, oft infolge von Hundebissen. Die Pest im Mittelalter, die ein Drittel aller Europäer hinwegraffte, wurde durch Rattenflöhe übertragen, die Spanische Grippe 1918 mit bis zu 50 Millionen Toten kam von Wasservögeln, SARS vermutlich von verspeisten Schleichkatzen, MERS von Dromedaren. Ebola begann unter Menschen in Westafrika zu kursieren, die zuvor Bushmeat gegessen hatten -Fleisch von Wildtieren wie Affen. Und unter Schimpansen in Zentralafrika wütete lange Zeit unbemerkt ein Erreger namens Simian Immunodeficiency Virus (SIV), bevor er um die Wende zum 20. Jahrhundert auf Menschen übersprang. Die humane Variante HIV führte zur bekannten grausamen Pandemie.

Doch ob Primaten, Pferde wie beim Hendra-oder Schweine wie beim Nipah-Virus: Die Tiere sind lediglich der Zwischenwirt, der gleichsam als Sprungbrett zum Menschen dient. Zuvor wurden sie ihrerseits infiziert, und zwar vom sogenannten "Reservoirwirt": einem Tier, das das Virus in sich trägt, ohne im Regelfall aber zu erkranken. Die Identifizierung des Reservoirs ist von besonderer Bedeutung, denn dort überdauern die Erreger quasi im Stillen auch dann, wenn eine Epidemie zum Erliegen kommt - und können den nächsten Ausbruch verursachen, sobald wieder ein Spillover stattfindet.

In vielen Fällen sind Fledertiere solche Virenspeicher: Fledermäuse oder Flughunde, von denen es Hunderte verschiedene Arten gibt. Ebola gelangte über Fledermäuse auf Affen und von diesen zu Menschen, Fledertiere waren auch die Quelle für SARS und nun mit hoher Wahrscheinlichkeit für 2019nCov. Forscher konstatierten bereits 96 Prozent genetische Übereinstimmung zwischen in Menschen und Fledertieren isolierten Virussequenzen. Der Zusammenhang scheint somit ziemlich evident. Ein Übersprung ereignet sich meist, wenn Schwärme von Fledermäusen mit Viren angereicherten Kot fallen lassen und andere Tiere damit in Kontakt geraten - zum Beispiel in unzulänglich überdachten Farmen, in denen Nutztiere für den menschlichen Verzehr gehalten werden. So gelangte vermutlich SARS auf die asiatischen Schleichkatzen, die in China als Delikatesse verspeist werden.

Es wird angenommen, dass 75 Prozent aller neu auftretenden menschlichen Infektionskrankheiten, sogenannte "Emerging infectious diseases", ihren Ursprung im Tierreich haben. Und in den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Zahl der Ausbrüche deutlich erhöht. Eine Datenbank, die mehr als 12.000 globale Outbreaks über drei Jahrzehnte speichert, zeigt den Anstieg: Verzeichneten die Forscher zwischen 1980 und 1985 rund 1000 außergewöhnliche Ausbrüche infektiöser Erreger, waren es zwischen 2005 und 2010 gut drei Mal so viele. Und mit 2019-nCov sprang innerhalb weniger Jahre das dritte Coronavirus vom Tier auf den Menschen über. Wo viele Leute auf engstem Raum mit Tieren in Berührung kommen wie in chinesischen Metropolen, steigt die Chance für einen Spillover. "Die traditionellen Lebendtiermärkte sind ein großes Problem", sagt Virologe Norbert Nowotny. Würde man auf diese verzichten, könnte man das Risiko für Übersprünge deutlich reduzieren. Fische indes dürften verkauft werden: Es ist kein Ausbruch bekannt, der von Fischen ausging. Es gibt aber noch weitere Hebel, die Seuchen befördern: Weil der Mensch systematisch Waldflächen rodet, dringt er in einen Kosmos vor, in dem es vor exotischen Mikroben nur so wimmelt. Intensive Reise-und Transportaktivität tragen überdies zu einer schnellen internationalen Verbreitung viraler Erreger bei.

Bei der Pest im Mittelalter vergingen fünf Jahre bis zur globalen Seuche, bei der Schweinegrippe 2009 mit weltweit rund 200.000 Toten wenige Wochen. So ist es erklärbar, dass Krankheitserreger in immer dichterer Abfolge wie aus dem Nichts auftauchen. Mancher Aspekt der Geschichte entbehrt nicht einer Portion Ironie: Wenn der moderne Mensch Dschungelgebiete als Nutzland erschließt, bringt er sich mutwillig in Kontakt mit Krankheitserregern, die er einst erfolgreich abgeschüttelt hat. Als unsere Vorfahren aus dem Urwald in die Savanne vorstießen, ließen sie eine Wolke von Mikroben hinter sich. Denn erstens ist deren Vielfalt im Dschungel viel höher als im Grasland, und zweitens durchliefen die frühen Hominiden mehrfach evolutionäre Flaschenhälse: Sie schrammten knapp am Aussterben vorbei. Gibt es aber nur wenige Individuen einer Spezies, hat ein Virus ebenfalls schlechte Karten: Die Wirtspopulation ist zu klein für eine effiziente Ausbreitung. Als der Mensch dann noch das Feuer zähmte, machte er es Krankheitserregern zusätzlich schwer. Kochen zertrümmert die meisten von ihnen zu Proteinschrott. Wenn wir aber heute die Urwälder abholzen, treffen wir gleichsam auf alte Bekannte: auf Mikroben, gegen die wir längst jede Immunität verloren haben und auf die unsere Körperabwehr nicht vorbereitet ist.

Freilich: Praktiken der Gegenwart mögen die Frequenz der Ausbrüche zwar steigern, doch zugleich sind die Auswirkungen milder als in jenen Zeiten, als Pest, Cholera, die Pocken, Typhus oder Tuberkulose über die Kontinente fegten und mehr Menschen töteten als Kriege, Erdbeben und Vulkanausbrüche. Dank moderner Medizin, genetischer Diagnostik, enorm erweitertem Wissen, verbesserter Hygiene und effektiven Impfungen sind viele Infektionskrankheiten deutlich eher unter Kontrolle zu bekommen als in der Vergangenheit. Und trotz einer größeren Zahl an Ausbrüchen sind im Schnitt weniger Menchen davon betroffen. Auch im aktuellen Fall war relativ rasch klar, dass besondere Furcht vor 2019-nCov nicht angebracht ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Das neue Virus mag relativ infektiös sein und wird sich daher noch eine Weile verbreiten, doch das pathogene Potenzial ist recht gering. Dass die Welt mit Spannung darauf blickt und kaum auf die zeitgleich kursierende Influenza, liegt wohl schlicht daran, dass wir an Letztere längst gewöhnt sind und ihr der Exotik-Faktor fehlt. Doch Grippeviren sind eine stete und im direkten Vergleich gravierende Bedrohung: Allein in Europa sterben daran pro Saison um die 45.000 Menschen. Infektionen mit dem neuen Coronavirus forderten dagegen bis Freitag der Vorwoche etwa 220 Todesopfer. Weltweit ereilt die Influenza jeden Winter an die 100 Millionen Menschen, 2019-nCov betraf bis vergangenen Freitag knapp 10.000 Personen. Andere Krankheiten bleiben überhaupt unter dem Radar der Öffentlichkeit. Lassafieber etwa fangen sich pro Jahr einige 100.000 Menschen ein, ohne dass die Welt Notiz davon nimmt. 5000 Patienten sterben daran, meist an inneren Blutungen.

Trotzdem halten Experten die rigorosen Maßnahmen der Chinesen, vor allem das Kappen des Flugverkehrs, für sinnvoll und notwendig, um dem Virus möglichst alle Ausbreitungswege abzuschneiden -erstens deshalb, weil in der Vergangenheit, vor allem bei der SARS-Epidemie, kritisiert worden war, dass eben nicht rasch genug reagiert worden sei und China anfangs kaum Informationen weitergegeben hätte. Zweitens lässt sich das Verhalten eines Erregers nur bedingt in die Zukunft projizieren. Viren können ihr Erbgut sehr flott verändern. Und schon ein paar winzige Mutationen können bewirken, dass sie plötzlich viel leichter übertragbar sind oder aber schwerere Symptome auslösen.

Influenzaviren besitzen noch eine weitere tückische Eigenschaft: Ihr Genom besteht nicht aus einem einzigen Strang, sondern aus acht Segmenten. Treffen nun Viren von Mensch, Vogel oder Schwein aufeinander, kann es zum Austausch dieser Nukleinsäuresegmente kommen, die, neu arrangiert, ein komplett neues Influenzavirus bilden, vor dem kein Mensch geschützt ist. Diese Befürchtung hatten Wissenschafter 2009, als die Schweinegrippe um die Welt ging. Sie war hoch ansteckend, aber der Krankheitsverlauf war nicht schwerer als bei der jährlich auftretenden saisonalen Grippe.

Zur selben Zeit allerdings blickte die Fachwelt besorgt auf einen Erreger namens H5N1, salopp Vogelgrippe genannt. H5N1 ist ein veritabler Killer: Es ist für rund 60 Prozent der Infizierten letal. Glücklicherweise ist es bisher nicht von Mensch zu Mensch übertragbar, alle Ansteckungen von Menschen erfolgten über den direkten intensiven Kontakt zu infiziertem Geflügel. Doch was, wenn sich Personen damals mit beiden Viren infiziert hätten? Der humane Organismus hätte als "Mixing vessel", als Mischgefäß für beide Influenzaviren dienen können. Entsprechende genetische Rekombination vorausgesetzt, wäre womöglich ein Supervirus entstanden, das sowohl extrem ansteckend als auch hochgradig gefährlich ist. Die Folge hätte eine Pandemie sein können, eine weltweite Seuche, vergleichbar der Grippe von 1918, ausgelöst von einem neuartigen Virus, welches das Immunsystem völlig unvorbereitet trifft. Genau deshalb sind Forscher besonders aufmerksam, wenn irgendwo ein neuer Ausbruch stattfindet. Es geht darum, eine potenzielle Katastrophe frühzeitig zu erkennen und zu verhindern.

Das Reservoir dafür ist fast unerschöpflich. Wir leben auf einem Planeten der Mikroben. Könnten wir diese winzigen Organismen sehen, würden wir verblüfft feststellen, dass jeder Quadratzentimeter um uns dicht besiedelt ist: Schreibtisch, Boden, Couch, Kaffeetasse. Niemand weiß, wie viele Viren es gibt - mit Sicherheit geht die Zahl in die Millionen. Analysen von Meerwasser ergaben 250 Millionen Viruspartikel pro Milliliter. Auch in uns wohnen Hunderte Virenarten, und die meisten richten keinen Schaden an, ganz ähnlich wie bei der Fledermaus. Beim Menschen ist es beispielsweise das Herpesvirus, das im Regelfall in friedlicher Koexistenz mit seinem Wirt lebt. Für die Mikrobe im Grunde eine praktische Lösung: Schließlich ist sie allein nicht überlebensfähig und benötigt die Körperzelle des Wirts, um sich darin wie in einer Fabrik selbst reproduzieren zu können. Den Gastgeber schnell und zuverlässig umzubringen, ist daher aus Sicht des Virus eine schlechte Idee, schließlich zerstört es damit die eigene Existenzgrundlage und manövriert sich in eine evolutionäre Sackgasse.

Generell verfügen Viren über viele Strategien des Fortbestandes: Eine davon ist, dass sie im Wirt in Form einer chronischen Infektion überdauern, ohne ihm sehr zu schaden wie bei Herpes. Eine andere Taktik besteht darin, Infizierte im Zuge einer begrenzten Epidemie zwar akut erkranken zu lassen, zugleich aber dafür zu sorgen, dass möglichst rasch viele weitere Opfer angesteckt werden, die eine großflächige Verbreitung gewährleisten. Es ist ein ziemlich bemerkenswerter Trick, dass Grippeviren just Symptome wie Niesen und Husten hervorrufen - die effizientesten Transportwege zu einer großen Zahl potenzieller Wirte. Wenn Seuchen wie Ebola den Menschen ereilen, handelt es sich hingegen wohl um einen Unfall der Natur: Während die Fledermaus mit dem Ebolavirus gut zurechtkommt, tötet es mindestens 50 Prozent der humanen Träger in kürzester Zeit -und damit auch sich selbst, wenn es radikal ganze Dörfer auslöscht.

Damit ein Erreger überhaupt eine Zoonose hervorrufen und dann von Mensch zu Mensch weiterwandern kann, muss er zwei Hürden nehmen. Zunächst muss er die Artbarriere überwinden und bewerkstelligen, dass der Mensch für ihn empfänglich ist. Dafür braucht er passende Proteine, die - wie der Schlüssel ein Schloss sperrt -an die Oberfläche humaner Zellen binden. Dies öffnet die Pforte in den menschlichen Organismus und geschieht durch Mutationen. Eine weitere genetische Anpassung bewirkt die massenhafte Vermehrung in unseren Zellen und die Übertragung zu unseren Artgenossen. All dies ereignet sich schnell und spontan, was Viren unberechenbar und mitunter gefährlich, aber auch faszinierend für Virologen macht. Nirgends verläuft der Wandel so schnell wie im Reich der Mikroorganismen, sodass Forscher hier der Evolution im Zeitraffer zusehen können. Sie erleben dabei immer wieder Überraschungen wie beim Katzenparasiten Toxoplasma gondii, der einen besonders raffinierten Kniff benutzt, um sich zu verbreiten: Der Keim befällt das Gehirn von Mäusen und bewirkt, dass diese plötzlich Katzen unglaublich sympathisch finden. Daher werden sie rasch von Katzen gefressen, die sich dann prompt mit der Mikrobe infizieren. Und das klingt schon fast nach einem diabolischen Masterplan.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft