Debatte: Peter Husslein und Wilfried Feichtinger über Kaiserschnitte
Interview: Tina Goebel
profil: Herr Professor Husslein, Sie haben sofort nach Erscheinen des Artikels Schnittmenge die Aussagekraft der darin zitierten Studien kritisiert. Können Sie bitte Ihre Vorbehalte zusammenfassen?
Peter Husslein: Ich habe mir die besagten Studien von Tahir Mahmood vom Londoner Royal College genauer angesehen. Zuerst haben die Forscher die Ergebnisse sämtlicher vorangegangenen Studien zu einer Metaanalyse zusammengefasst und festgestellt, dass neun bis elf Prozent der Erstgebärenden, die per Kaiserschnitt entbunden haben, später kein weiteres Kind mehr bekamen. Dies könnte auf eine verminderte Fertilität durch den Eingriff hinweisen. Doch die Wissenschafter haben anschließend eine eigene Überprüfungsstudie durchgeführt, die allerdings dieses Resultat nicht belegen konnte. Deshalb wird in dieser Untersuchung auch dezidiert festgehalten, dass eine Sectio, wenn überhaupt, nur eine geringe Auswirkung auf die Fruchtbarkeit einer Frau hat.
Wilfried Feichtinger: Hier handelt es sich aber nur um eine Einzelstudie, die nicht die Meinung von Tahir Mahmood widerspiegelt. Ich habe ihn selbst vor Kurzem bei einem Vortrag gehört. Da hat er die Ergebnisse dieser beiden Studien präsentiert, jedoch ausdrücklich betont, dass es nötig sei, die hohen Kaiserschnittraten in Europa zu senken, da seine Forschungsergebnisse gezeigt haben, dass die Sectio zahlreiche Nachteile bringt. Die Verminderung der Fertilität ist nur eine davon, er hat auch Probleme beschrieben, die uns aus der Praxis längst bekannt sind. Zum Beispiel, dass die Gebärmutter bei einer Folgeschwangerschaft leichter einreißen kann oder der Mutterkuchen dann in das vernarbte Gewebe einwächst. Wir sind nun beide keine Statistiker, aber ich denke schon, dass die Daten der Metaanalyse aussagekräftiger sind.
profil: Wir haben auch mit Tahir Mahmood ein Interview geführt. Tatsächlich betont er die negativen Auswirkungen der Sectio und spricht sich für Maßnahmen aus, um die Raten zu senken.
Husslein: Dann kennt er eben seine eigenen Arbeiten nicht. Außerdem halte ich die Metaanalyse unter anderem deshalb für vernachlässigbar, weil es sich teils um sehr alte Studien handelt, die aus einer Zeit stammen, in der die Sectiotechnik noch eine ganz andere war. In diesem Bereich hat sich im Laufe der Zeit viel verbessert. Außerdem ist bei jeder Studie zu hinterfragen: Treten diese Effekte tatsächlich so gehäuft auf oder nur bei dem Kollektiv, auf dem der Fokus der Arbeit liegt. Eigentlich dürfte nur der geplante Kaiserschnitt mit allen anderen Geburtsmethoden verglichen werden. Er wird aber immer mit Notkaiserschnitten vermengt. Mit anderen Worten: Bei einer Risikoschwangerschaft, bei der es von Beginn an Probleme gab, mag die medizinisch nötige Sectio nicht der Grund für eine spätere Infertilität sein. Sondern vielleicht, dass die Mutter bereits 47 Jahre alt war und nur mühsam mit der Hilfe von Dir und Deinen Kollegen überhaupt ein Kind bekam.
Feichtinger: Das mag stimmen. Aber es gibt ja nun eine Vielzahl an Studien, die ebenfalls die negativen Folgen nach einer Sectio beschreiben. Mahmood ist ja nicht der Einzige. Auch eine im vergangenen Jahr publizierte große Studie aus den Vereinigten Staaten hat ähnliche Ergebnisse geliefert. Und wir erleben in der Praxis zahlreiche Fälle von Frauen, die beim ersten In-vitro-Versuch problemlos schwanger geworden sind, per Kaiserschnitt entbunden haben, sich ein zweites Kind wünschen und dann plötzlich nur noch sehr schwer schwanger werden. Wir haben bei solchen Patientinnen grundsätzlich Probleme mit dem Embryo-Transfer, kommen oft nur schwer in die Gebärmutter hinein. Oft haben wir Fälle, die wir gar nicht behandeln können. Ich selbst möchte deshalb nun auch eine Studie an unserem Institut durchführen.
Husslein: Aber das ist schon ein falscher Ansatz, da Ihr bereits ein sehr ausgewähltes Kollektiv habt und eben keine gewöhnlichen Schwangeren.
Feichtinger: Nicht unbedingt. Es kommen auch Frauen zu uns, die das erste Mal ohne Probleme auf natürlichem Wege schwanger wurden, allerdings durch eine Sectio sekundär infertil wurden.
Husslein: Jetzt muss ich aber etwas schmunzeln. Denn schließlich wart ihr Fertilitätsmediziner jene, die den Anstieg der Mehrlingsgeburten zu verantworten haben. Und bei diesen führt oft kein Weg an einem Kaiserschnitt vorbei. Ihr habt eben bei den Versuchen zu viele Embryonen eingesetzt. Das hat sich zwar schon gebessert, aber die Vorwürfe an uns Geburtshelfer erscheinen mir nun wie eine Art Retourkutsche.
Feichtinger: Wir Reproduktionsmediziner wurden zu Recht ermahnt, und mittlerweile wird meistens nur noch ein Embryo pro Versuch eingesetzt. Wir haben also vorbildlich reagiert. Nun würde ich im Gegensatz euch Geburtshelfer bitten, die Kaiserschnittrate zu senken, im Sinne der Frauengesundheit.
Husslein: Ich glaube nicht, dass das gelingen wird, auch wenn noch so viele Maßnahmen gesetzt werden. Ich traue mich sogar zu prophezeien, dass die Raten noch auf bis zu 80 Prozent steigen werden. Denn die Sectio entspricht durch ihre Planbarkeit dem modernen Lebensstil. Außerdem bekommen Frauen im Durchschnitt immer später Kinder, was natürlich mit mehr Komplikationen verbunden ist. Das ist in allen Industrieländern zu beobachten.
Feichtinger: Aber immer mehr dieser Länder versuchen nun, diese hohen Sectioraten zu senken. Soeben habe ich auf dem Weg hierher auf meinem Smartphone eine Einladung zu einem Kongress in Deutschland erhalten, der sich ebenfalls mit dem Thema auseinandersetzt. Es handelt sich hier um einen globalen Aufschrei. Das ist nicht zu leugnen.
Husslein: Ich glaube aber, dass dahinter ökonomische Gründe stecken. Denn ein Kaiserschnitt ist eben eine Operation und benötigt mehr Ressourcen.
profil: Wie teuer kommt der Eingriff im Vergleich zur vaginalen Geburt?
Husslein: In Privatspitälern wird eine Sectio gleich honoriert wie eine vaginale Geburt, nämlich mit rund 1500 Euro. Für den öffentlichen Bereich in Österreich gibt es keine Zahlen. Aber in allen Ländern, in denen Berechnungen angestellt wurden, war der Kaiserschnitt im Vergleich deutlich teurer. Der Mangel an aussagekräftigen Zahlen ist eigentlich eines der wahren Probleme unseres Gesundheitssystems.
Feichtinger: Aber hier handelt es sich um einen internationalen Trend, da viele Länder Bedenken angesichts der hohen Sectioraten äußern. Das deutet doch darauf hin, dass es sich nicht nur um eine reine Maßnahme zur Kostenreduktion handeln kann. Das muss sogar ein Sectio-Papst wie Du eingestehen.
Husslein: Nein, da tust du mir jetzt aber wirklich sehr Unrecht. Ich bin nicht pro Kaiserschnitt. Ich bin für die Autonomie der Patientinnen. Mir ist es ein Anliegen, dass die Frauen individuell aufgeklärt und beraten werden. Ich bin als Geburtshelfer dazu verpflichtet, ihnen so weit wie möglich die Entbindung zu ermöglichen, die sie sich wünschen. Es handelt sich hier um ein unvergleichliches und hoch emotionales Erlebnis. Ich habe Patientinnen, die haben große Angst und können sich unmöglich vorstellen, ein dreieinhalb Kilo schweres Baby durch den Geburtskanal zu pressen. Es gibt einige, die nach einer vaginalen Geburt derart traumatisiert sind, so dass für sie nur dann ein weiteres Kind infrage kommt, wenn ihnen bereits vor der Schwangerschaft ein Kaiserschnitt versprochen wird.
Feichtinger: Ich habe genau umgekehrt Patientinnen, die eine vaginale Geburt angestrebt haben und dann per Akutkaiserschnitt entbinden mussten und dieses Erlebnis schrecklich fanden. Aber ich frage jetzt noch einmal: Warum plädieren weltweit gerade so viele Experten dafür, Maßnahmen zu setzen, um die Sectioraten zu senken? Ich habe den Eindruck, dass angesichts der Zahlen viele mittlerweile befürchten, dass die vaginale Geburt wohl bald ganz abgeschafft wird.
Husslein: Und jetzt bin ich provokant und frage: Und was wäre so schlimm daran, wenn wir alle Geburten per Kaiserschnitt entbinden?
Feichtinger: Weil das nicht alle wollen und sich viele nach einem Kaiserschnitt nicht gut fühlen. Von den Komplikationen einmal abgesehen.
Husslein: Auch hier muss differenziert werden. Es fühlen sich viele Frauen nach einem Akutkaiserschnitt miserabel und erleben diesen traumatisch, keine Frage. Aber wie kann ein solcher verhindert werden? Eben nur durch einen geplanten Kaiserschnitt! Und Patientinnen, die eine geplante Sectio hatten, sind in der Regel genauso zufrieden wie jene, die eine vaginale Geburt angestrebt und bekommen haben.
profil: Gibt es viele falsche Vorstellungen bezüglich des Kaiserschnitts oder der vaginalen Geburt?
Husslein: Ja, durchaus. Ich erlebe oft, dass Frauen glauben, sich durch die Sectio Schmerzen zu ersparen. Das ist Unsinn, sie haben nach dem Eingriff auch mit solchen zu kämpfen. Ihnen rate ich dann zu einer Epiduralanästhesie (Anm.: regionale Anästhesie durch die Wirbelsäule). Wie gesagt: Die Aufklärung und die individuelle Beratung sind wichtig. Überhaupt müsste Frauen klargemacht werden, dass ein Kinderwunsch nicht bis 45 aufgeschoben werden soll. Doch Zeit ist Geld, und Beratung wird leider nicht entsprechend honoriert. Aber ich nehme mir für meine Patientinnen durchaus viel Zeit.
Feichtinger: Jetzt bin ich provokant und sage: Diese Zeit sparst Du Dir dann durch die Sectio ein.
Husslein: Auch ich bin oft schon stundenlang am Wochenende wider besseres Wissen bei einer Frau mit Wehen gesessen, die unbedingt eine vaginale Geburt wollte. Doch oft ist es wichtig, dass sie selbst einsieht, dass eine solche nicht möglich ist. Mir geht es grundsätzlich um gesunde Kinder und Mütter, die auch zufrieden sind. Natürlich werde ich einer 18-jährigen Erstgebärenden, die fünf Kinder will, wegen der genannten Risiken von einem Kaiserschnitt abraten. Bei einer werdenden Mutter weit jenseits der 40, die erst nach zahlreichen In-vitro-Versuchen schwanger wurde, brauche ich mir darüber keine Sorgen machen. Sie wird ohnehin kein weiteres Kind bekommen. Und ohnehin bekommen Frauen heute oft nur noch ein Kind oder maximal zwei Kinder.
Feichtinger: Das trifft nicht auf Migrantinnen zu. Aber mir geht es ohnehin um etwas anderes: Ich persönlich teile den Kaiserschnitt in drei Gruppen ein: einerseits den Wunschkaiserschnitt und am anderen Ende des Spektrums die medizinisch indizierte Sectio. Dazwischen liegt jedoch ein sehr großer Graubereich. Und ich denke, dass es um diesen geht. Von den genannten Experten sprechen sich viele dafür aus, dass bei einer Beckenendlage oder einer Zwillingsgeburt durchaus eine vaginale Geburt angestrebt werden kann, und dass bei solchen Fällen eben nicht sofort ein Kaiserschnitt geplant werden soll.
profil: Es wird mitunter der Vorwurf erhoben, dass die Geburtshelfer immer schlechter ausgebildet werden und mit etwas komplizierteren vaginalen Geburten bereits überfordert sind.
Husslein: Ja, das ist leider eine Tatsache. Beckenendlagen werden kaum mehr in einer Klinik vaginal entbunden. Und es wird wohl vorkommen, dass ein Kollege oder eine Kollegin mitunter aus Bequemlichkeit oder Angst vor Komplikationen eine Frau zu einem Kaiserschnitt drängt. Das ist natürlich verwerflich.
Zu den Personen:
Wilfried Feichtinger, 63, ist Inhaber des Wunschbabyinstituts Feichtinger. Ihm gelang 1981 die erste erfolgreiche künstliche Befruchtung in Österreich. 2005 entwickelte er gemeinsam mit dem Genetiker Markus Hengstschläger eine Technik, mit der eine Eizelle auf etwaige Defekte untersucht werden kann.
Peter Husslein, 62, leitet die Universitätsklinik für Frauenheilkunde an der medizinischen Universität Wien. Er ist Mitglied der österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Internationalen Akademie der Prä- und perinatalen Medizin.