Inzwischen ist die kuriose Geschichte ein Fall für die Wissenschaft. Einer Forschergruppe des Uniklinikums Erlangen fiel der Mann mit dem Impf-Faible durch Medienberichte auf. Über die Staatsanwaltschaft nahmen die Forschenden Kontakt zu ihm auf und fragten an, ob er einverstanden wäre, sich medizinischen Tests zu unterziehen. Er willigte sofort ein und stimmte auch zu, bereits vorhandene, teils tiefgefrorene Blutproben nochmals auswerten zu lassen.
Phänomen Hypervakzination
Die Ergebnisse der Untersuchungen, die mit einer Kontrollgruppe abgeglichen wurden, publizierten die Forschenden Anfang März im renommierten Medizinjournal „The Lancet“. Das Wissenschafterteam hielt die Fallstudie schon deshalb für interessant, weil die Auswirkungen und Risiken solcher „Hypervakzination“, wie der manische Impfdrang im Fachjargon heißt, bisher schlecht verstanden seien. Es gab allerdings die Vermutung, dass zu häufiges Impfen mit der Zeit zu Gewöhnungseffekten führt. Bestimmte Klassen von Immunzellen können dadurch gewissermaßen „ermüden“, sodass das Immunsystem Viren schlechter abwehren kann. Die Forschenden maßen im Blut und Speichel des Mannes die Menge und Aktivität verschiedener Gruppen von Immunzellen, die bei Impfungen auf den Plan gerufen werden. Dazu zählten IgG-Antikörper sowie Subklassen davon, die gegen das Spikeprotein gerichtet sind, mit denen das Coronavirus an Körperzellen andockt. Weiters erfasst wurden unter anderem Antikörper der Klassen IgM und IgA, B-Zellen des Abwehrsystems, die für die Ausprägung eines Immungedächtnisses zuständig sind, sowie T-Effektorzellen, eine Armee des Immunsystems gegen das Coronavirus. Das Resultat in der Kurzfassung: alles gut. Manche Parameter waren im Normbereich, andere im Vergleich leicht erhöht, keiner besonders auffällig. Vor allem fanden die Forschenden keine Anzeichen für eine Schwächung des Immunsystems. Die Hypervakzination hatte, soweit es sich anhand der Messungen beurteilen lässt, keine negativen Folgen – eindeutig positive allerdings auch nicht. Das Immunsystem des 62-Jährigen funktioniert offenbar im Wesentlichen genau so, wie es funktionieren soll. In jedem Fall dürfte er die Megadosis an Impfstoffen ohne besondere Probleme vertragen haben. Der Proband selbst berichtete, keinerlei nennenswerte Nebenwirkungen verspürt zu haben. Soweit bekannt, hat er sich bisher auch nicht mit dem Coronavirus infiziert.
Die Forschenden verwiesen freilich darauf, dass sich aus einer Einzelfallstudie keine generellen Schlüsse für die Bevölkerung ziehen lassen. Schon gar nicht gebe es einen Anlass, es dem Herrn aus Magdeburg gleichzutun. Auch wenn ihm der Impfmarathon nicht geschadet haben mag – ein klarer Nutzen ist auch nicht erkennbar. Dass der Mann trotzdem nennenswerte Teile seiner Zeit in verschiedenen Impfzentren verbrachte, veranlasste eines der Wissenschaftsmedien, die über den Fall berichteten, zur fröhlichen Spekulation: „Jeder braucht ein Hobby.“