Die neue Virusvariante Omikron: Welle oder Tsunami?

Omikron läuft Delta den Rang ab. Werden wir es ohne fünften Lockdown schaffen und ist endlich ein Ende der Pandemie in Sicht?

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Wie sehr wird Omikron die Krankenhäuser belasten?

Dafür gibt es schlicht noch nicht ausreichend Daten aus Europa. Der Vorteil Österreichs: Der Lockdown vor Weihnachten hat das Schlittern in die Omikron- Welle verzögert. In ein bis zwei Wochen werden wir aus den Erfahrungen von Großbritannien, Dänemark und anderen Staaten, in denen Omikron schon länger wütet, lernen können. Hoffnung machen Hinweise auf einen milderen Verlauf. Die Gefahr für Ungeimpfte, mit Omikron im Krankenhaus zu landen, dürfte um mindestens die Hälfte geringer sein als bei der zuvor grassierenden Delta-Variante. Die hohen Infektionszahlen werden diesen Vorteil aber zunichtemachen. 

Wie gut sind die von der Regierung verkündeten neuen Maßnahmen?

Schärfere Kontrollen der 2G-Regel im Handel, Verkürzung der Gültigkeit des Grünen Passes und FFP2-Maskenpflicht bei Gedränge im Freien: Darauf einigten sich Bund und Länder Donnerstag vergangener Woche. „Diese Maßnahmen werden einen eventuell notwendigen weiteren Lockdown hinauszögern“, sagt Norbert Nowotny vom Institut für Virologie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien im Gespräch mit profil. Ihm gehen die neuen Regeln aber nicht weit genug: Er empfiehlt eine Verpflichtung zum Homeoffice in jenen Betrieben, wo dies möglich ist. Das bringe eine enorme Kontaktreduktion, ohne der Wirtschaft stark zu schaden. Außerdem rät Nowotny zu einer Reduktion der Besucherzahlen bei Veranstaltungen. „Man sollte im Sport wieder über Geisterspiele nachdenken.“

Wird es einen fünften Lockdown geben?

„Die Chancen stehen 50 zu 50“, sagt Virologe Norbert Nowotny. Alles hänge davon ab, wie sich Omikron auf die Spitäler auswirke.

Ist die Entschärfung der Quarantäneregeln gefährlich?

Sie ist vor allem pragmatisch. Das Freitesten bereits nach fünf Tagen ermöglicht Infizierten und Kontaktpersonen eine frühere Rückkehr an den Arbeitsplatz, was ein Ausfallen kritischer Infrastruktur verhindern soll. Dreifach Geimpfte müssen künftig gar nicht mehr in Quarantäne. Hier bleibt freilich ein Restrisiko, weil sich auch diese Gruppe infizieren kann – jedoch ist sie weniger und kürzer ansteckend als Ungeimpfte, Ein- und Zweifachgeimpfte. Zudem hat das Contact Tracing in Österreich schon bisher mehr schlecht als recht funktioniert. Die Kontaktnachverfolgung wird unter der Omikron-Welle wohl ohnehin irgendwann zusammenbrechen.

Welchen Einfluss hat der Schulbeginn nach den Weihnachtsferien?

Er wird die Infektionszahlen gehörig in die Höhe treiben. Mit drei Tests pro Woche sind die Schulen grundsätzlich gut vorbereitet. Die Expertinnen und Experten rechnen jedenfalls ab der dritten Jännerwoche mit einer drastischen Zunahme von Klassenschließungen und Schulclustern.

Ist Omikron ein Argument für oder gegen die Impfpflicht?

Je mehr Menschen geimpft sind, desto besser werden wir die anlaufende Welle überstehen – und desto besser werden wir durch den nächsten Herbst kommen. Die höhere Ansteckungskraft von Omikron bedeutet auch, dass wir eine höhere Immunisierungsrate brauchen. Experten sprechen von 85 bis 90 Prozent. Das Beharren der Regierung auf die für Februar angesetzte Impfpflicht ist aus virologischer Sicht also durchaus sinnvoll. Technisch umsetzbar dürfte sie allerdings erst im April sein. Norbert Nowotny plädiert dafür, die Zeit bis dahin nicht ungenützt verstreichen zu lassen. „Um die Spitäler vor zu vielen Omikron-Patienten zu schützen, brauchen wir sofortige Maßnahmen, um die Impfrate zu erhöhen. Wenn nicht anders möglich, dann mit Gutscheinen, zum Beispiel für Gastronomie und Handel.“

Wichtig ist vor allem der dritte Stich: Wer diesen bekommen hat, ist auch mit Omikron zu 63 Prozent vor einem Krankenhausaufenthalt geschützt, wie eine Studie des Imperial College London zeigte. Wer nach dem zweiten Stich zu lange wartet, verfügt im schlimmsten Fall nur noch über 34 Prozent Schutz vor einem schweren Verlauf. Die Virologin Dorothee von Laer riet im Ö1-Mittagsjournal   jedenfalls, sich dringend impfen zu lassen, denn „die Ungeimpften sind auch bei Omikron am stärksten gefährdet“.

Brauchen wir bald den vierten Stich?

In Israel werden Ältere bereits zum vierten Mal geimpft. „Diese Frage stellt sich in Österreich bei den meisten Bevölkerungsgruppen noch nicht, weil wir später mit dem Impfen begonnen haben“, sagt Virologe Nowotny. Eine Auffrischungsimpfung im Herbst mit einem an Omikron angepassten Impfstoff dürfte aus heutiger Sicht reichen, so der Experte.

Wie genau unterscheidet sich Omikron von der bisher vorherrschenden Delta-Variante?

Omikron verbreitet sich drei bis vier Mal schneller als Delta, ist also deutlich infektiöser. Es kann die Immunantwort des Menschen zum Teil umgehen, weshalb sich auch Geimpfte und Genesene häufiger infizieren. Die Inkubationszeit ist mit zwei bis drei Tagen deutlich kürzer, die Krankheit bricht also schneller aus. Wahrscheinlich sind Infizierte auch für einen kürzeren Zeitraum ansteckend und leiden weniger lang unter den Symptomen. Die Beschwerden dürften sich im Vergleich zu Delta ebenfalls unterscheiden: Die Erkrankten haben ersten Beobachtungen zufolge weniger Husten und Atemnot, dafür eher Schnupfen, Kopfschmerzen und Müdigkeit. 

Verursacht Omikron ebenso Long Covid wie die anderen Varianten?

Das ist aufgrund fehlender Erfahrungswerte noch nicht klar, aber wahrscheinlich. Etwa zehn Prozent der Erkrankten entwickeln Spätfolgen wie Erschöpfungszustände, Konzentrationsschwäche oder Lungenschäden. Die Schwere der Krankheit ist dabei nicht ausschlaggebend: Viele Long Covid-Patienten hatten einen milden Verlauf. Da Omikron viel ansteckender ist als die Vorgänger-Varianten, aber häufiger mild verläuft, dürfte wohl auch die Zahl der Long-Covid-Patienten noch einmal drastisch steigen. Die gute Nachricht: Nach einem Jahr Erfahrung mit der Corona-Impfung ist klar, dass diese auch sehr gut vor Long Covid schützt.

Wirken Covid-Medikamente auch gegen Omikron?

Nicht alle. Das bei Risikogruppen bisher häufig eingesetzte Antikörpermedikament Ronapreve wirkt nicht gegen Omikron, wie eine Studie der deutschen Virologin Sandra Ciesek zeigte. Die gerade erst zugelassenen Covid-Tabletten Molnupiravir und Paxlovid behaupten sich hingegen auch gegen die neue Variante. „Diese Medikamente sind hilfreich, aber ein Ersatz für eine Impfung sind sie nicht“, sagt Ciesek. Risikopatienten können die fünftägige Therapie zu Hause machen  und die Gefahr eines Spitalsaufenthalts damit stark reduzieren.

Hat Omikron in B.1.640.2 bereits einen Nachfolger?

Die im September im Kongo erstmals gemeldete und kürzlich in Frankreich bei Heimkehrern aus Kamerun entdeckte Variante halten viele Experten für nicht so gefährlich wie Delta und Omikron; sie wird sich wahrscheinlich nicht durchsetzen.

Bringt uns Omikron dem Ende der Pandemie näher?

Durchaus. Es wird sich vom Killervirus in Richtung eines grippalen Infekts entwickeln, das ist die evolutionäre Strategie aller Erreger. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass auf Omikron eine tödlichere Variante folgt – im Gegenteil. Virologe Nowotny sieht den Übergang von der Pandemie in eine endemische Phase, in der sich Covid in die saisonalen Erkältungskrankheiten einreiht, demnächst gekommen. „Die Omikron-Welle wird Ende Februar abschwellen, im Frühjahr und Sommer wird SARS-CoV-2 kaum eine Rolle spielen“, sagt der Experte. Eine Auffrischungsimpfung im Herbst – vielleicht schon in Form einer Kombination mit Influenza –  werde uns gut durch die nächste Wintersaison bringen.

Auch Dänemarks führende Epidemiologin Tyra Grove Krause ist optimistisch. Ihr Land, das derzeit extrem hohe Infektionszahlen verzeichnet, werde das Schlimmste bald überstanden haben: „In zwei Monaten werden wir unser normales Leben wiederhaben.“

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.