Wie gefährlich sind digitale Sprechstunden?
"Haben Sie Probleme, eine Erektion beim Geschlechtsverkehr zu bekommen?“ Das ist die erste Frage, die der Online-Doktor einem Patienten stellt, der Viagra verschrieben haben möchte. Die durchschnittliche Dauer der virtuellen Sprechstunde laut DrEd: Sechs Minuten. Es geht tatsächlich sehr schnell. Nun folgen Fragen zu bereits verschriebenen Medikamenten, Größe, Gewicht, Rauch- und Trinkgewohnheiten. Am Ende landet der Kunde bei einer langen Liste verfügbarer Medikamente zur Behandlung von Erektionsstörungen: Cialis, Levitra, Sildenafil, Spedra, Viagra und Vivanza. Soll man nun das allseits bekannte Viagra wählen? Wenn ja, in welcher Dosierung? 25, 50 oder 100 Milligramm? Dafür gibt DrEd keine Tipps. Das Arzneimittel nach der Höhe des Preises auszuwählen, ist ebenfalls keine Option: "Die Apotheke wird Ihnen das Medikament separat zum offiziellen Apothekenverkaufspreis berechnen. Dieser kann sich gegebenenfalls kurzfristig ändern“, so die Website.
Entscheidet sich der Kunde schließlich für ein Produkt, bezahlt er 19 Euro für den Service. Einige Stunden später kommt elektronische Post von Michael Wenger. Er ist Mediziner und betreut die deutschsprachigen Anfragen bei DrEd: "Wir schicken das Rezept direkt an die von Ihnen angegebene Adresse. Das Rezept können Sie in jeder Apotheke einlösen.“ Die E-Mail beinhaltet außerdem Informationen zur sicheren Einnahme des Potenzmittels. Zwei Werktage später liegt das Rezept aus London im österreichischen Briefkasten.
Seit 2012 bietet das britische Unternehmen DrEd, das Patienten in Großbritannien, Irland, Deutschland und der Schweiz betreut, seine Dienste auch in Österreich an. Knapp 2500 Österreicher bestellen jährlich bei DrEd, Tendenz steigend, sagt David Witlif, der Marketingleiter des Unternehmens. Neben Bluthochdruck, Blasenentzündung, Asthma und erhöhtem Cholesterinspiegel behandeln die Online-Ärzte auch Erektionsstörungen, vorzeitigen Samenerguss, Haarausfall sowie Geschlechtskrankheiten und verschreiben Malaria-Prophylaxe. Zudem können Frauen Rezepte für die Verhütungspille bestellen. Möglich macht das die EU-Richtlinie zur Patientenmobilität. Sie berechtigt einen Patienten dazu, seinen Arzt aus dem gesamten europäischen Raum frei zu wählen. In Großbritannien dürfen Mediziner Rezepte auch per Ferndiagnose ausstellen - in allen übrigen EU-Staaten ist das verboten. Entscheidet sich ein österreichischer Patient für DrEd, kann er das Rezept in jeder heimischen Apotheke einlösen. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für den Service des Online-Doktors oder der Medikamente allerdings nicht.
Das Ärztegesetz sieht eine Ausübung des ärztlichen Berufs auch mittelbar für den Menschen vor.
Könnte das Brexit-Referendum DrEd ein Ende machen? Man sei zuversichtlich, auch nach dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU weiter in Österreich anbieten zu können, versichert David Witlif von DrEd.
In Deutschland wollen Regierung und Bundesärztekammer die Online-Sprechstunden verbieten. Knapp 100.000 Rezepte stellt DrEd deutschen Kunden im Jahr aus. Es sei zu unsicher, Patienten rezeptpflichtige Arzneimittel zu verschreiben, ohne sie jemals zu Gesicht bekommen zu haben, so die Meinung des deutschen Gesundheitsministeriums. Nun feilt man an einer Änderung des deutschen Arzneimittelgesetzes, die festlegen soll, dass künftig ein "direkter Kontakt“ mit einem Arzt notwendig ist, um ein gültiges Rezept zu erhalten. Im Herbst soll der Entwurf fertig sein. In Österreich sei keine Gesetzesänderung geplant, sagt Gerhard Aigner, Leiter der Sektion Recht und gesundheitlicher Verbraucherschutz im Gesundheitsministerium: "Das Ärztegesetz sieht eine Ausübung des ärztlichen Berufs auch mittelbar für den Menschen vor. Da Diagnosen jedoch in aller Regel einen direkten Kontakt zwischen Arzt und Patienten erfordern, werden Online-Ärztedienste sich nur in seltenen Einzelfällen anbieten.“
Keine Zeit, sich das Rezept für die Verhütungspille bei der Frauenärztin abzuholen? Keine Lust, sich von einem Facharzt intime Fragen stellen zu lassen oder im Wartezimmer zwischen verschnupften Patienten zu sitzen? Manchmal ist es tatsächlich bequemer, sich online ein Rezept zu bestellen, als sich kränkelnd in die womöglich weit entfernte Arztpraxis zu schleppen. Es ist auch kaum teurer, als zum Hausarzt zu pilgern. Zwischen neun und 19 Euro kostet die Ausstellung eines Rezepts, und für die meisten von DrEd verschriebenen Medikamente würden die Krankenkassen ohnehin nicht bezahlen. Hauptsächlich werden "delikate Verschreibungen“ gegen Erektionsstörungen und Rezepte zur Verhütung nachgefragt, sagt Sprecher David Witlif.
Es ist fahrlässig, Telemedizin derart zu behindern
Kritikern geht ein Verbot, wie es Deutschland plant, zu weit: "Sehr bald werden unzählige Kollegen ihre Facharztpraxen aufgeben und damit eine Betreuung aus der Ferne nötig machen. Es ist fahrlässig, Telemedizin derart zu behindern“, sagte Thomas M. Helms, Vorstandsmitglied der Deutschen Stiftung für chronisch Kranke, vergangene Woche dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel“.
Christoph Baumgärtel vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen in Wien warnt hingegen ausdrücklich vor den Internetsprechstunden: "Manche Verhütungspillen, wie zum Beispiel Yasmin, sind für Frauen mit Übergewicht oft nicht geeignet. Viele Mädchen und Frauen wollen sie jedoch haben, weil sie den Ruf hat, das Gewicht zu reduzieren. Ein Frauenarzt untersucht die Patientin persönlich auf Risikofaktoren, der Internetarzt hat darüber keinerlei Kontrolle.“
Bei den Antworten im Fragebogen zu schummeln, ist tatsächlich kein Problem. DrEd gibt beispielsweise an, für Bluthochdruckmedikamente nur Rezepte auszustellen, wenn der Patient von einem Haus- oder Facharzt seit mindestens drei Monaten auf sein Medikament eingestellt sei. Doch wie sollen die Ärzte das in einem siebenminütigen Fragebogen überprüfen? "Wir richten uns an mündige Patienten. Natürlich haben wir auch interne Sicherheitsprüfungen und erfahrene Ärzte, die im Zweifel nachfragen“, ist Witlif überzeugt.
Grundsätzlich sind wohl auch Mediziner, denen man - ganz altmodisch - gegenübersitzt, nicht vor Schönfärbereien und Unehrlichkeiten gefeit.
Zweifel an der Seriosität des Angebots sind mehr als angebracht
Wie genau sind die Ärzte bei DrEd nun wirklich? Das Magazin "Konsument“ machte 2013 einen Test, bei dem die Internet-Praxis glatt durchfiel: "Finger weg vom Online-Doc“, titelte die vom Verein für Konsumenteninformation herausgegebene Zeitschrift. Ein Testpatient gab sich damals als Äthiopienreisender aus und bestellte ein Rezept für ein Malariamedikament. Er bekam es anstandslos. Das Problem: DrEd hatte zwar nach dem Zielland und der Aufenthaltsdauer gefragt, jedoch nicht darauf hingewiesen, dass Malaria in Gegenden über 2200 Metern Seehöhe keine Gefahr darstellt. Die Reiseroute der Testperson war so gewählt, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt unter einer Seehöhe von 2500 Metern befunden hätte. Das von DrEd empfohlene Antibiotikum Doxycyclin führt zudem zu erhöhter Sonnenempfindlichkeit - in dieser Höhe wegen der starken Sonneneinstrahlung nicht ungefährlich. Auch bei der Packungsgröße hatte sich der Online-Doktor verrechnet. Fazit des Verbraucherschutzes: "Die vorgeschlagene Behandlung ist unnötig. Zweifel an der Seriosität des Angebots sind mehr als angebracht, das Risiko einer Falschbehandlung ist hoch.“
Hat DrEd aus diesem Fehler gelernt? profil wiederholte den Test. Der obligatorische Fragebogen ist noch kürzer als jener bei der Viagra-Bestellung. Er ist in zwei Minuten erledigt. Das Online-Portal will zwar wissen, in welches Land man reisen möchte und für wie lange, ein Hinweis zur Seehöhe fehlt allerdings noch immer. Am Ende kann der Kunde wieder aus verschiedenen Medikamenten, Packungsgrößen und Dosierungen wählen - hier gibt es aber Orientierung durch die Angaben zur Aufenthaltsdauer.
Bei diesen Rezepten kommt vor allem dem Apotheker eine verstärkte Rolle der Beratung und Aufklärung zu
Wir wählen, per Zufall, das Produkt Malarone. Kurz nachdem die Bestellung abgeschickt ist, kommt die E-Mail von Michael Wenger, dem deutschen Arzt bei DrEd: "Ich habe Ihre Antworten und Angaben nun sorgfältig ausgewertet und denke, dass eine Behandlung mit Malaria-Prophylaxe in Ihrem Falle sinnvoll und angemessen ist.“ Eine Rückfrage nach der Seehöhe fehlt. Zwei Werktage später liegt das Rezept für Malarone im Briefkasten. Die Angaben zur Dosierung stimmen diesmal.
Bleibt dahingestellt, ob einem Äthiopienreisenden nicht zuzutrauen wäre, sich vorab über Malariagebiete zu informieren. Erfahrene Weltenbummler jammern zudem häufig über die teuren Besuche bei Fachärzten für Tropenmedizin, die nicht selten mit unnötigen Impfungen endeten.
Einig sind sich Experten, dass heimische Apotheker bei DrEd-Rezepten aufmerksam sein sollten: "Bei diesen Rezepten kommt vor allem dem Apotheker eine verstärkte Rolle der Beratung und Aufklärung zu“, sagt die Sprecherin der Apothekerkammer, Elisabeth Ort. Die Kammer habe ihre Mitglieder mehrmals aufgefordert, besondere Sorgfalt walten zu lassen. Auch das hat das Magazin "Konsument“ überprüft, mit denkbar schlechtem Ergebnis: Acht von zehn Apotheken hatten dem 70-jährigen Testpatienten Viagra ausgehändigt, ohne ihn nach möglichen Herz-Kreislauf-Problemen zu fragen oder ihn über Nebenwirkungen und Einnahmeregeln aufzuklären.
Fazit: Gefährlich ist DrEd für mündige Bürger wohl kaum. Wer medizinische Beratung sucht, ist bei DrEd aber falsch. Das Wirrwarr an Arzneimitteln, Packungsgrößen und Dosierungen, das der Onlinedienst am Ende einer virtuellen Sprechstunde anpreist, überfordert Patienten ohne Vorkenntnisse. Wer allerdings genau weiß, was er will, wird unkompliziert bedient.
Wie bestellt man Medikamente sicher im Netz?
Seit Juni 2015 dürfen österreichische Apotheken im Internet rezeptfreie Arzneimittel verkaufen. Ohne Rezept erhältliche Tabletten, Pulver oder Salben bestellt man am besten bei heimischen Apotheken, die beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen registriert sind. Die Liste offiziell überprüfter Apotheken ist auf der Website versandapotheken.basg.gv.at zu finden. Die Europäische Kommission hat zudem ein Sicherheitslogo entworfen. Per Mausklick auf das weiße Kreuz auf grünem Grund kann sich der Einkäufer vergewissern, ob die Apotheke, in deren Webshop er sich gerade befindet, bei der jeweiligen nationalen Arzneimittelbehörde registriert ist.
Der Verkauf von rezeptpflichtigen Medikamenten im Internet ist in Österreich verboten. In anderen Ländern leitet DrEd seine Kunden an Internetpharmazeuten weiter, hierzulande müssen Patienten tatsächlich in die Apotheke gehen. Trotzdem online einzukaufen, ist extrem gefährlich. 95 Prozent der illegal gehandelten Medikamente sind gefälscht. "Diese Mittel werden unter unkontrollierten und nicht nachvollziehbaren Bedingungen erzeugt. In Fälschungen wurden schon Rattenkot, Straßenfarbe oder Möbelpolitur gefunden“, warnte Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser vor Kurzem. Viele Fälschungen werden in Osteuropa, Indien, China und Südostasien hergestellt, doch auch in Österreich gibt es Untergrundlabore. Anfang Juni hob die Polizei ein Labor in Klagenfurt aus, das im Internet selbst hergestellte Wachstumshormone und Steroide verkauft hatte. Die Polizei beschlagnahmte 200 Kilogramm anabole Steroide sowie 500 Ampullen mit Dopingpräparaten. Die österreichischen Sicherheitsbehörden beteiligten sich damit an der seit 2008 weltweit einmal jährlich stattfindenden Aktion "Pangea“ gegen den Handel mit illegalen Arzneimitteln im Internet. Europaweit schlossen die Behörden im Juni 19 Websites, in Österreich beschlagnahmte der Zoll knapp 10.000 Stück illegal versandte Medikamente, der größte Teil davon Potenzmittel.