SPANISCHE WEGSCHNECKE: Die Nacktschnecke ist der Schrecken aller Gärtner: Sie hat kaum natürliche Feinde, vermehrt sich ungehindert und frisst ganze Gemüsebeete kahl.

Eindringlinge: Wie gefährlich sind exotische Tiere und Pflanzen?

Fast 2000 exotische Tiere und Pflanzen haben österreichisches Territorium erobert. Manche zerstören ganze Waldabschnitte, verdrängen heimische Arten oder bergen ernste Gesundheitsgefahr - und sind nahezu nicht mehr auszurotten. Doch woher kommen all die Geschöpfe? Eine neue Studie unter österreichischer Beteiligung benennt nun die Hauptrouten der Invasoren.

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Die Gefahr schlummert lange im Verborgenen. Zwei Jahre überdauern die fünf Zentimeter langen Larven des Asiatischen Laubholzbockkäfers tief im Stamm eines Baumes. Dann erst bohren sie sich einen Tunnel nach draußen, was Experten an charakteristischen Löchern und am Auswurf von Holzmehl erkennen. Der erwachsene Käfer ist ein stattliches Exemplar: Rund vier Zentimeter misst der schwarze, mit weißen Punkten verzierte Körper, die Fühler erreichen zehn Zentimeter. Zur Plage wird das Insekt im Larvenstadium: Die Geschöpfe fressen sich durchs Holz von Bäumen wie Ahorn, Pappel und Weide, graben sich in die Saftgänge und unterbrechen den Wassertransport zur Krone, was unweigerlich zum Absterben betroffener Bäume führt.

Wird ein Käferbefall entdeckt, tritt umgehend ein rigoroses Maßnahmenpaket in Kraft: Geschädigte Bäume werden gefällt, gehäckselt und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen verbrannt. Behörden richten eine Sicherheitszone um das Zentrum des Befalls ein und stellen das Gebiet unter Quarantäne. Zugleich startet penibles Monitoring: Fachleute inspizieren auf Leitern oder Hebebühnen Baum um Baum in der fraglichen Region und halten nach verdächtigen Spuren der Insekten Ausschau. Mittlerweile kommen sogar speziell ausgebildete Suchhunde zum Einsatz.

Schildern wir hier ein exotisches Problem, wie es typisch für ferne Gefilde unseres Planeten sein mag? Keineswegs: Inzwischen haben acht europäische Länder Bekanntschaft damit gemacht, darunter die Nachbarn Deutschland, Italien und die Schweiz. Der erste Fall trat jedoch in Österreich auf: 2001 wurde der Laubholzbockkäfer im oberösterreichischen Braunau aufgespürt. Zwölf Jahre dauerte es, bis die Insekten als ausgerottet galten. Dann gab es gleich wieder Alarm: In Gallspach, ebenfalls in Oberösterreich, breitet sich der Käfer seit 2013 aus und konnte bislang nicht gestoppt werden.

Heute ist auch ermittelt, wie das vormals nur in Asien heimische Insekt nach Österreich gelangte: Gemeinden wie Gallspach ließen ihre Straßen neu pflastern und bestellten Granitsteine in China. Die Steine wurden in Holzpaletten geliefert, und als blinde Passagiere steckten darin die Käferlarven, die sich als erwachsene Insekten rasch nahe Bäume aussuchten, um darin ihre Eier abzulegen.

Invasive Arten

Der Käfer aus China fällt in eine Kategorie von Lebewesen, die Forschern rund um den Globus zunehmend Sorgen bereitet: Neobiota oder invasive Arten heißen Tiere oder Pflanzen, die sich - durch kräftiges Zutun des Menschen - weit von ihrem angestammten Lebensraum entfernt haben und recht forsch fremdes Territorium erobern. Es sind die unterschiedlichsten Geschöpfe, die derart auch den europäischen Kontinent erschließen. In Deutschland streift der Waschbär durchs Gelände, der giftige Rotfeuerfisch vermehrt sich im Mittelmeer und gilt dort als Bedrohung für die Artenvielfalt, der chinesische Zwerghirsch Muntjak wurde in England zur Plage, und vor dem Riesenbärenklau wird auch hierzulande gewarnt: Inhaltsstoffe der Staude können bei Berührung Hautreizungen, Verätzungen und in der Folge Atemnot auslösen.

Studien der Universität Konstanz zufolge wuchern mittlerweile mehr als 13.000 Pflanzen in Gebieten dieser Welt, an denen sie ursprünglich nicht vorkamen. Diese auch Neophyten genannten Gewächse machen damit fast vier Prozent der globalen Flora aus. Für die EU-Staaten wird die Zahl der gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten auf zusammen 12.000 geschätzt. "In Österreich gehen wir davon aus, dass es 1200 nicht heimische Pflanzenarten und etwa 600 solche Tierarten gibt“, sagt Franz Essl, Botaniker an der Universität Wien sowie Experte für Bioinvasoren im Umweltbundesamt. "Viele haben keine erkennbaren Auswirkungen. Wirklich problematisch sind nur einige wenige Arten.“

Manche sind einfach hochgradig lästig: Nahezu jeder Gartenbesitzer kennt die alljährliche Plage, welche wir der Spanischen Wegschnecke verdanken: Bei feuchtem Wetter gleitet man förmlich auf einem glitschig-braunen Teppich aus Nacktschnecken zum Gemüsebeet, wo ganze Kompanien der Biester alles kahl fressen. In den 1970er-Jahren mit Blumenerde eingeschleppt, hat die Schnecke hier keine natürlichen Feinde und kann sich ungehindert ausbreiten. Wer die Zahl der Invasoren dezimieren will, kann sie nur händisch vom Salat pflücken oder sich indische Laufenten anschaffen - alle anderen Tiere verschmähen die Schnecke.

Ein weiterer Eindringling ist der Asiatische Marienkäfer, der sich seit zwölf Jahren bei uns breitmacht. Er ist inzwischen die vorherrschende Marienkäferart und könnte heimische Arten wie den klassischen "Siebenpunktmarienkäfer“ sukzessive nahezu verdrängen. Der Einwanderer aus Asien ist schlicht konkurrenzfähiger als seine lokalen Verwandten. Außerdem frisst er deren Larven, was seine Überlegenheit zusätzlich befördert. In diesem Fall beruht die Einschleppung nicht auf einem Missgeschick, sondern auf Vorsatz: Weil die Käfer hocheffizient Blattläuse vernichten, wurden sie zum Einsatz in holländischen Glashäusern gezielt importiert. Von dort aus eroberten sie allmählich den Kontinent.

Umwälzungen in Flora und Fauna kein neues Phänomen

Nun könnte man fragen: Was macht es schon, wenn Tiere oder Pflanzen mit der Zeit durch andere ersetzt werden? Schließlich war der Pool der jeweils regionalen Lebewesen nie ein statisches Gebilde, und viele für uns heute selbstverständliche Arten waren einst genauso neu. So stammen die meisten Getreidesorten aus dem Nahen Osten, der Fasan wurde vermutlich von den Römern in Mitteleuropa ausgesetzt, und selbst die Reblaus, die zu Österreich zu gehören scheint wie der Weiße Spritzer, hat exotische Wurzeln: Sie fuhr Mitte des 19. Jahrhunderts über den großen Teich. Tatsächlich sei es eine nicht immer ganz leichte Bewertungsfrage, wie man Umwälzungen in Flora und Fauna beurteilt, so Essl. Die Expansion der Marienkäfer münde, von der emotionalen Komponente abgesehen, die dem Verschwinden einer uns seit Kindestagen vertrauten Tierart anhaftet, zunächst lediglich in eine ökologische Verschiebung.

Bei einem höchst bedenklichen Pilz, der zurzeit die Eschenbestände gefährdet, verhält sich dies anders: Das Falsche Weiße Stengelbecherchen, ebenfalls ein Neuzugang aus Asien, lässt die Triebe der Eschen absterben und die Wurzeln abfaulen, sodass die Bäume ziemlich abrupt umkippen können. Aufgrund dieser Gefahr wurden vergangenen Dezember die Donauauen bei Korneuburg in Niederösterreich gesperrt. Etwa die Hälfte aller Eschen im Auwald soll betroffen sein, die Forstverwaltung sprach von einer "Naturkatastrophe“. Mittlerweile sind mehr als 20 europäische Länder vom Eschensterben betroffen. Experte Essl nennt den Pilz "hyperinfektiös“, und gegenwärtig sei man dem Eindringling recht hilflos ausgeliefert. Nun wird versucht, einzelne Bäume zu identifizieren, die gegen das Gewächs immun oder zumindest einigermaßen gewappnet erscheinen - diese sollen gezielt weitergezüchtet werden, um resistente Bestände zu schaffen.

Nicht immer müssen die Effekte durch eine heikle invasive Art so drastisch ausfallen. Doch auch harmlosere Auswirkungen können eine unliebsame Kettenreaktion in Gang setzen. Die Robinie beispielsweise, vor etwa zwei Jahrhunderten wegen ihres äußerst belastbaren Holzes aus Nordamerika nach Europa geholt, hat nicht nur die Angewohnheit, Unmengen an stacheligen, schier unausrottbaren Trieben zu produzieren, die in weitem Umfeld um die Pflanze aus dem Boden schießen, sondern beeinflusst auch die Chemie im Erdreich: In den Wurzeln der Robinie - des heute häufigsten fremdartigen Baums in Ostösterreich - sitzen symbiotische Bakterien, die exzellente Stickstoffspeicher sind und dadurch die Böden massiv düngen. Auf diesen extrem nährstoffreichen Flächen sprießen dann unerwünschte Unkräuter sonder Zahl.

In anderen Fällen stehen ökonomische und ökologische Erwägungen in recht scharfem Kontrast zueinander, wie etwa das Beispiel der Douglasie zeigt: Sie löst in unseren Breiten allmählich die Fichte als "Brotbaum“ der Forstwirtschaft ab, was aus Sicht der Waldbesitzer klare Vorteile bietet: Die aus den USA stammende Douglasie wächst um gut ein Drittel schneller als die Fichte, gedeiht auch anstelle von Laubwäldern und an trockenen Standorten hervorragend und ist resistent gegen Schädlinge wie den Borkenkäfer. Zugleich stellt die Umwandlung naturnaher Laubwälder in Douglasienforste einen gravierenden Eingriff ins lokale Ökosystem dar.

Pollen-Schleuder Ragweed

Weniger zwiespältig ist die Sachlage bei der Ambrosie, auch Ragweed genannt, deren Samen gegen Mitte des 19. Jahrhunderts mit Vogelfuttertransporten nach Europa übersetzten. Es mag verwundern, dass man trotz derart lang zurückliegender Ereignisse von neu zugewanderten Arten spricht - doch dies erklärt sich durch die oft langsamen Wachstums- und Ausbreitungszyklen von Pflanzen. Invasive Tierarten, die Neozoen, erschließen neue Lebensräume meist deutlich schneller. Die Ambrosie, ein äußerst widerstandsfähiges Gestrüpp, hat mittlerweile Teile Österreichs, Deutschlands, Italiens, Frankreichs sowie Ungarn, Kroatien, Slowenien, Serbien, Rumänien und die Slowakei erobert. Die Krux liegt nun darin, dass der Ragweed-Pollen eines der stärksten Allergene ist. Zudem blühen die Pflanzen bis Oktober und verlängern die Allergiesaison damit bis weit in den Herbst hinein.

In deutschen Kommunen sind bereits "Ambrosia-Scouts“ unterwegs, die das Unkraut systematisch ausreißen - womit der Kampf gegen Ragweed zu den beträchtlichen Kosten beiträgt, die invasive Arten verursachen. Mit zwölf Milliarden Euro pro Jahr beziffert die EU die Schäden durch Neobiota. Darunter fallen Maßnahmen zur Eindämmung dieser Arten ebenso wie wirtschaftliche Verluste, die etwa aus der Zerstörung von Waldflächen resultieren.

Nicht zuletzt deshalb ist eines der vorrangigen Ziele, die Mechanismen der Ausbreitung solcher Spezies besser zu verstehen. Woher genau kommen die meisten? Welche Faktoren begünstigen die Besiedelung vormals fremder Gebiete und die Verdrängung heimischer Arten? Und welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit wir überhaupt von einer invasiven Art sprechen können?

Bei der Antwort auf letztere Frage besteht mittlerweile weitgehend Einigkeit: Das Zeitalter der Neobiota beginnt mit dem Jahr 1492: Die Entdeckung Amerikas wird mit dem Auftakt allen interkontinentalen Austauschs gleichgesetzt. Das Gros aller Wanderbewegungen fand indes erst seit 1900 statt: Da erschlossen fast 80 Prozent aller bekannten Invasoren ihre neuen Lebensräume. Weiters können Wissenschafter heute erklären, warum sich Neuankömmlinge oft weitgehend ungehindert ausbreiten können. Überwindet eine Spezies große Distanzen, entledigt sie sich eines ganzen Kosmos von Parasiten, der die Artgenossen im Heimatgebiet belastet. "Ohne Parasiten hat diese Gründerpopulation nun einen Konkurrenzvorteil. Das erhöht die evolutionäre Fitness“, sagt Essl. Hinzu kommt das Fehlen natürlicher Feinde am neuen Ort.

Doch woher kommen die meisten Aliens nun? Wo liegen die Hotspots der Einschleppungen? Zu dieser Frage liegt eine erst im Jänner publizierte Studie vor, an der Franz Essl federführend beteiligt war. Für ihre Arbeit packten die Forscher mehrere Datensätze in ein statistisches Modell: einerseits 1380 Spezies, geordnet nach ihren biologischen Unterschieden zu heimischen Arten; und zweitens die Handelsvolumina mit diversen Weltregionen, aufgeschlüsselt nach geografischer Entfernung. Denn eine Ausgangsthese war die Annahme, dass der zunehmend globalisierte Handel auch zentraler Motor für die Ausbreitung von Invasoren ist.

Der Datenabgleich ließ sich letztlich in Form einer Kurve abbilden, deren Ausschlag die Entfernung zu den wichtigsten Herkunftsregionen fremder Spezies anzeigte. Ergebnis: Eine Spitze erschien stets bei mittleren Distanzen von rund 10.000 Kilometern. Das entspricht dem Abstand zu vielen bedeutenden Destinationen in Nordamerika, Brasilien oder Ostasien. Damit korreliert die Zahl der Neobiota tatsächlich eindeutig mit dem Ausmaß der internationalen Warenströme.

Hauptrouten der Invasoren erkannt

Doch warum gerade diese Entfernung? Essl nennt mögliche Gründe: Zwar ist der Handel mit Ländern wie Deutschland viel intensiver - doch hier sind Fauna und Flora so ähnlich zu unserer, dass Einwanderer aus den Daten gar nicht hervorstechen würden. Ziemlich exakt das Gegenteil trifft auf Weltgegenden zu, die noch weiter entfernt liegen: Neobiota von dort würden ganz gewiss auffallen, doch sie kämen kaum mit unserem Klima zurande. So mögen sie ab und zu hierher verfrachtet werden, wohnhaft können sie jedoch kaum werden. Allein unsere Winter wären ein "starker Filter“, wie es Essl ausdrückt. In mittlerer Distanz kreuzen einander hingegen zwei Einflussgrößen: ein reger Handel sowie das Vorkommen von Arten, die sich zwar von den unseren deutlich unterscheiden, hier aufgrund des tendenziell ähnlichen Klimas aber dennoch lebensfähig sind. Damit sind nun erstmals Hauptrouten der Invasoren erhoben, was wiederum Voraussetzung für bessere Prognosen und künftig vielleicht für die Entwicklung von Gegenmaßnahmen ist.

Schweizer Wissenschafter fanden vor einigen Jahren noch einen weiteren Indikator dafür, wo invasive Arten besonders konzentriert vorkommen: in dicht besiedelten Gebieten mit einem Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 250.000 Dollar. Die Forscher stellten dabei auf den Umstand ab, dass begüterte Menschen zusätzlich zum Import von "Risikoarten“ beitragen, indem sie sich exotische Heimtiere oder Pflanzen ins Haus holen. Auch andere Erhebungen zum Thema bemängelten einen kaum überblickbaren Handel, vorwiegend via Internet, mit Saatgut aus fernen Ländern.

Das gilt freilich auch in umgekehrter Richtung: Europas Versandhändler verschicken bis zu 20 Prozent ihrer Pflanzensortimente an weit entfernte Adressen. Ohnehin ist die Problematik anderswo mindestens so ausgeprägt wie hier: So ist Nordamerika jene Region, die mit rund 6000 fremden Pflanzenarten die höchste Dichte solcher Invasoren aufweist. Und in Australien treibt die verwilderte Form eines eingewanderten und furchtbar marodierenden Raubtiers sein Unwesen, dessen Konto das Aussterben von mehr als 30 Vogelarten belastet.

Wir kennen dieses Geschöpf als Hauskatze.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft