Geboren, um zu sterben

Eltern von schwer kranken Kindern erhalten kaum Unterstützung

Alleingelassen. Eltern von schwer kranken Kindern erhalten kaum Unterstützung

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Von Tina Goebel, Mitarbeit: Salomea Krobath

Bernhard Propper vergleicht die tödlich verlaufene Krankheit seines Sohnes mit einem Flugzeugabsturz: "Du bist paralysiert und weißt, dass der Aufprall kommt. Nur der Zeitpunkt ist ungewiss - das ist das Schlimmste.“

Der Sturzflug dauerte bei Familie Propper acht Jahre lang und begann im Jahr 2005, als der achtjährige Sohn Samuel die Diagnose subakute sklerosierende Panenzephalitis erhielt - eine seltene Nachfolgekrankheit von Masern, die langsam das Gehirn zerstört.

"Meine Frau war völlig ausgebrannt"
In seinen letzten Jahren konnte sich Samuel nicht mehr bewegen, er erlitt epileptische Anfälle und musste Tag und Nacht betreut werden. Die Eltern übernahmen gemeinsam die Pflege, Vater Bernhard musste seine Autowerkstatt aufgeben. "Ich habe in dieser Zeit maximal drei Stunden am Stück geschlafen. Meine Frau war irgendwann völlig ausgebrannt und musste pausieren“, erzählt der Mechanikermeister.

Im April 2013 kam der "Aufprall“. Samuel hat es kurz vor seinem 17. Geburtstag "endlich geschafft“ - mit diesen Worten überbrachte Bernhard Propper seiner Frau die Todesnachricht.

Wenn er heute über seinen verstorbenen Sohn spricht, überkommt den frühpensionierten Wiener weniger Trauer, sondern vor allem Wut. Ein einziger "behördlicher Spießrutenlauf“ sei diese Zeit gewesen. Alleine sechs Stunden wöchentlich war er nur mit organisatorischen Tätigkeiten beschäftigt, lief von einer Förderstelle zur nächsten oder musste den Chefarzt persönlich um Bewilligungen aufsuchen.

Ewig lange Bearbeitungszeit von Anträgen
Sogar die Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely spricht diesbezüglich von "Transparenzproblemen“ und will nun eine zentrale Anlaufstelle schaffen. Diese wäre dringend nötig - denn momentan dauert die Bearbeitungszeit von Anträgen auf Prothesen oder Schienen so lange, dass die Kinder bei der Lieferung diesen mitunter bereits entwachsen sind.

Dieses politische Zugeständnis ist Bernhard Propper nicht genug. Er pocht vor allem darauf, dass endlich ein Hospiz für junge Menschen in Wien errichtet wird, das zumindest eine gewisse Lebensqualität bieten kann. Bislang werden die kleinen Patienten nämlich in Krankenhäuser oder Senioreneinrichtungen abgeschoben, sobald die häusliche Pflege nicht mehr möglich ist.

Bedarf an palliativen Angeboten steigt
Das fehlende Kinderhospiz ist jedoch nur ein Symptom einer prekären Unterversorgung, die auch den schulischen und sozialen Bereiche betrifft. Eine Tragödie - denn schließlich ist der Bedarf an palliativen Angeboten im Steigen. Während früher Kinder mit schweren Krankheiten oder Behinderungen oft noch im Säuglingsalter verstorben sind, erreichen sie mit Hilfe der modernen Medizin das junge Erwachsenenalter. Englische Untersuchungen ergaben, dass in den vergangenen zehn Jahren die lebensverkürzenden Krankheiten in der Altersgruppe der unter 19-Jährigen stark zugenommen haben. Im Jahr 2000 waren 25 von 10.000 Kindern und Jugendliche betroffen, im Jahr 2010 bereits 32.

Wie hoch der Bedarf an palliativer Betreuung ist, wurde in Österreich nicht erhoben. Experten schätzen daher äußerst ungenau, dass 170 bis 1700 Kinder und Jugendliche in Österreich Bedarf an einer solchen Pflege hätten.

Verlässliche Zahlen liefert nur die Sterbestatistik: Von den 581 Kindern und Jugendlichen, die 2011 verstorben sind, litten 440 an schweren Erkrankungen, 44 davon an Krebs. Erbkrankheiten und pränatale Schäden überwogen.

Mangel an Spezialkräften
Gesetzlich steht diesen betroffenen Familien nicht einmal eine mobile Pflegehilfe zu. Zwar gibt es gemeinnützige und spendenfinanzierte Vereine und Organisationen wie das Kinderhospiz MOMO, die Caritas und den Malteser Care-Ring, die ein Netz an mobilen Kinderkrankenschwestern aufgebaut haben, doch sind solche Spezialkräfte nicht in allen Bundesländern verfügbar.

Natalie Lottersberger, Geschäftsführerin des Malteser Care-Ringes, weist auf weitere Probleme hin: "Auch wir können nur begrenzt helfen. Da es an entsprechenden Betreuungsangeboten mangelt, sind viele Elternteile gezwungen, ihren Arbeitsplatz aufzugeben. Oft handelt es sich dabei um Alleinerzieherinnen, da Beziehungen unter solchen Bedingungen leicht zerbrechen. Die so entstehenden finanziellen Einbußen kann kein Pflegegeld wettmachen. Die Unterstützung der betroffenen Familien sollte vor allem auch die gesamte Familiengesundheit erhalten und die mitmenschliche Einbindung in der Gemeinschaft stärken.“

Die staatlichen Unterstützungen wurden nämlich seit Jahren nicht dem Index angepasst. Die höchste der sieben Stufen beträgt 1655,80 Euro monatlich, doch müssen davon meist auch teure Anschaffungen wie elektrische Rollstühle bezahlt werden.

Nicht verwunderlich, dass Bernhard Propper nicht der einzige Wutbürger unter den Eltern ist. Auch die betroffene Mutter Irene Promussas möchte die herrschenden Zustände nicht hinnehmen. Sie gründete den Verein Lobby4Kids, der auf seiner Website Informationen bereitstellt und ein Selbsthilfeforum betreibt. 96 Mütter oder Väter haben dort ihr Schicksal geschildert. Viele ähneln jenen, die profil für diese Reportage besucht hat.

Foto: Philipp Horak