Entscheidungsforschung: Wie man die beste Wahl trifft
Von Franziska Dzugan
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Die britische Sängerin Blythe Pepino wusste bereits beim ersten Date 2017, dass sie mit ihrem Partner Joshua Kinder bekommen wollte. „Ich spürte diesen überwältigenden Drang, mit ihm eine Familie zu gründen“, sagte sie der Tageszeitung „The Guardian“. Nur: Dazu kam es nie. Kurz nachdem die beiden ein Paar wurden, begann die heute 37-Jährige, sich mit der Erderhitzung zu beschäftigen. Anschließend machte sie ihm klar: „Solange es keinen politischen Willen gibt, den Klimawandel ernsthaft zu bekämpfen, sehe ich keine Chance.“ In der Klimabewegung traf Blythe Pepino viele junge Frauen, denen es ähnlich ging. 2019 riefen sie zum Gebärstreik auf – „bis die Menschheit ihre sozialen, ökonomischen und klimaschädlichen Probleme gelöst hat“. Damit habe sie die Trauer über ihre Entscheidung, keine Kinder zu bekommen, in den Griff bekommen, so die Sängerin.
Blythe Pepino ist nicht die Einzige, die so denkt. Der Kinderwunsch lässt auch in Österreich merklich nach, wie eine Umfrage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), der Uni Wien und der Uni Salzburg zeigte. 2009 wollte eine Frau im Schnitt noch 2,1 Kinder bekommen, aktuell sind es nur noch 1,68. Liegt es wie bei Pepino an der Klimakrise, dass sich vor allem die Jungen eine Familienplanung immer weniger vorstellen können? Treffen Menschen große Lebensentscheidungen eher aus dem Bauch heraus oder nach gründlicher Analyse? Und wer entscheidet was im Familienalltag? profil hat bei Entscheidungsforscherinnen und -forschern nachgefragt.
Kinderwunsch in der Krise
Einigeln zu Hause, endlose Stunden in trauter Zweisamkeit: Während der Corona-Pandemie prophezeiten viele einen Babyboom. Aber das Gegenteil war der Fall. Stress und eine unsichere Zukunft führen fast immer zum Geburtenrückgang, das zeigt auch die erwähnte Umfrage unter 8000 Österreicherinnen und Österreichern. Zu den klassischen Faktoren wie eine längere Ausbildung, schwierige Partnerfindung und die immer noch schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesellten sich in den vergangenen Jahren multiple Krisen: Corona, Kriege und die Teuerung schrecken die Menschen hierzulande ab, sich fortzupflanzen. Knapp ein Drittel der Befragten änderte deswegen entweder den Kinderwunsch (elf Prozent) oder ist sich unsicher (19 Prozent). Frauen gaben dies öfter an als Männer. „Vor allem die Belastung durch die Preisentwicklungen ist hoch“, sagt Studienautorin Isabella Buber-Ennser von der ÖAW.
Das zeigt, dass große Lebensentscheidungen eher selten aus dem Bauch heraus getroffen werden. Das sei auch gut so, sagt Erich Kirchler, Wirtschaftspsychologe an der Universität Wien. Beim Wohnungskauf zum Beispiel lohnt es sich durchaus, den Markt genau zu beobachten, nach Preis, Lage, Größe und Zustand der Immobilie zu filtern – und nicht schon nach der ersten Besichtigung zuzuschlagen. Wer das tut, hat einen „impliziten Favoriten“ auserkoren, wie das in der Entscheidungsforschung heißt. Alle folgenden Angebote werden zugunsten der ersten abgewertet.
Ein Schnellschuss ist also nicht das Richtige, wenn es um große Entscheidungen geht. Mit einer Ausnahme: Expertinnen und Experten können sich auf ihre Intuition verlassen, wenn die Kriterien stabil sind. Eine Maklerin zum Beispiel hat durchaus die Kompetenz, sich prompt in eine Wohnung zu verlieben.
Was ist aber, wenn man sich vor lauter Zweifeln gar nicht mehr entscheiden kann? Von ewigem Zaudern rät Wirtschaftspsychologe Kirchler ab. Das sei oft die schlechteste Variante von allen: „Dann überholt einen das Leben, und die ideale Wohnung wird einem vor der Nase weggeschnappt.“
Hat man sich einmal entschieden, stellen sich durchaus sinnvolle psychologische Mechanismen ein. Man freut sich über seine Wahl, blendet weitere Angebote aus, verteidigt die Entscheidung vor sich und anderen – und ist zufrieden, auch wenn es nach objektiven Kriterien vielleicht nur die zweitbeste Option war.
Wer sich im Familienalltag durchsetzt
Wer bestimmt, welches neue Auto gekauft, welche Versicherungen angeschafft werden, wohin es in den Urlaub geht und wie viel die Weihnachtsgeschenke kosten dürfen? Das fand Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler in einer aufwendigen Studie heraus. Mit seinem Team wählte er 45 österreichische Durchschnittsfamilien aus, bestehend aus einem Elternpaar mit einem oder mehreren Kindern. Die Eltern füllten ein Jahr lang jeden Abend einen Fragebogen aus, in dem sie über jede Entscheidung des Tages berichteten – und zwar getrennt voneinander. Wer setzte sich häufiger durch, der Mann oder die Frau? Entschied die- oder derjenige öfter, der oder die mehr verdiente?
Kirchler fand drei wichtige Einflussfaktoren. Erstens die Kompetenz: Jener Partner, der über ein Produkt mehr wusste als der andere, gute Argumente brachte und beharrte, setzte sich eher durch. Zweitens zählte das Interesse: Nutzte eine Partnerin eine Anschaffung häufiger, hatte sie eher die Entscheidungsgewalt. Mit dem dritten Einflussfaktor hatte Kirchler allerdings nicht gerechnet: Hatte einer der Partner bei den letzten drei oder vier Entscheidungen nachgegeben, setzte er sich in der Regel durch – auch wenn er weniger Kompetenz oder Interesse an der Anschaffung hatte. Schließlich berechnete Kirchner die Einflussverteilung zwischen Mann und Frau. „Beide Partner hatten über das Jahr verteilt etwa gleich oft das Sagen“, sagt der Psychologe.
Diese Balance der Macht spielt übrigens nicht nur in Familien, sondern auch in Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Sie funktioniert meist als versteckte Agenda, die den Beteiligten gar nicht bewusst ist. Umso wichtiger sei es, die Machtdynamik immer wieder anzusprechen und von der Sachentscheidung zu trennen, rät Forscher Kirchler.
Freizeitstress: Auch einmal für ein Nein entscheiden
Für all jene, die während der Feiertage mehr Einladungen annahmen als ihnen guttat, bringt eine eben erschienene Studie des New York Institute of Technology Erleichterung. Drei Viertel der 2000 Probandinnen und Probanden hatten in einer Vorbefragung angegeben, bereits Unternehmungen zugestimmt zu haben, auf die sie keine Lust gehabt hatten – aus Angst vor negativen Konsequenzen. Die Entscheidungsforscherin Colleen Kirk wollte wissen, ob sich die Menschen möglicherweise umsonst gequält hatten.
Fünf Experimente entwarfen Kirk und ihr Kollege Julian Givi, eines davon ging so: Die Teilnehmerinnen lasen folgendes Szenario. Ein Bekannter lädt jemanden am Samstag in ein Restaurant ein, in dem ein berühmter Chefkoch gastiert. Die Eingeladene hat am Samstag aber viel zu tun und möchte abends lieber auf der Couch entspannen. Ein Drittel der Probanden sollte sich in die Lage des Eingeladenen versetzen, ein Drittel die Perspektive des Einladenden einnehmen, ein Drittel sollte die Geschichte neutral verfolgen. Danach beantworteten alle mehrere Fragen: Wie enttäuscht wäre der Einladende auf einer Skala von eins (gar nicht) bis sieben (sehr)? Wie sehr würde ein Nein der Beziehung schaden? Wie groß war die Gefahr, beim nächsten Mal nicht mehr eingeladen zu werden? Ergebnis: Die „eingeladenen“ Versuchspersonen schätzten die negative Wirkung einer Absage bei Weitem drastischer ein als jene, die das Nein kassierten. Die anderen vier Experimente, darunter reale Situationen, zeigten exakt dasselbe Muster.
Die logische Erklärung wäre, dass die meisten Menschen ihre eigene Wichtigkeit überschätzen. Daneben aber unterschätzen sie einen weiteren psychologischen Effekt, wie Colleen Kirk in ihrer Untersuchung schreibt: Die Eingeladenen vergessen, dass für die Abgewiesenen auch die Ursache für die Absage zähle. Diese konzentrieren sich weniger auf das Nein an sich, sondern nehmen an, dass ihr Gegenüber gute Gründe hatte, abzulehnen – auch wenn diese nicht genannt werden. „Burnout ist eine echte Gefahr, vor allem während der Feiertage. Man sollte keine Angst haben, ab und zu eine Einladung auszuschlagen“, so Forscherin Kirk. Damit habe man wieder mehr Energie, zu den richtigen Unternehmungen ja zu sagen.
Die Sängerin Blythe Pepino hat ihre Entscheidung übrigens nicht bereut. In einem Interview mit dem rechtskonservativen US-Sender Fox fragte sie der Krawall-Moderator Tucker Carlson, ob sie dadurch nicht ein total tristes, klösterliches Leben führe. Pepino antwortete: „Klösterlich? Sie sollten einmal kommen und mit mir abhängen. Ich bin umgeben von den Kindern meiner Freunde. Es ist ihre Zukunft, für die ich kämpfe.“
Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.