Kiweno: Fragwürdige Selbsttests für Unverträglichkeiten
Wie viel Verwirrung können drei Tropfen Blut stiften? Ziemlich viel - zumindest dann, wenn man sie dazu verwenden möchte, Nahrungsmittelunverträglichkeiten zu ermitteln. Michael Zechmann, Ernährungsbiologe in Innsbruck und Experte für genau solche Intoleranzen und Allergien, machte im Selbsttest die Probe aufs Exempel, und zwar bei gleich mehreren Unternehmen. Unter ihnen war auch eines, das in jüngster Vergangenheit die Vorzüge entsprechender Heimtests besonders intensiv bewarb: das in Tirol gegründete Start-up-Unternehmen Kiweno Gmbh, das höchst öffentlichkeitswirksam verspricht, das Blut seiner Kundschaft auf Dutzende Unverträglichkeiten gegenüber Lebensmitteln zu untersuchen, und damit beachtliche mediale Aufmerksamkeit erregte (siehe profil 16/2016). Eine flotte Blutabnahme daheim unter Verwendung eines speziellen Testskits, und schon soll der Konsument wissen, welche Nahrung ihm Unwohlsein bereitet - ein Service, mit dem Kiweno gewiss im Trend liegt, da sich mittlerweile der Eindruck verfestigt hat, die gesamte Bevölkerung werde von grassierenden Unverträglichkeiten gepeinigt.
Einziges Problem an dem breit in TV und Internet gepriesenen Test: Seriöse Experten sind weitgehend einhellig der Meinung, dass man mit jenen Antikörpern der Klasse IgG, die bei dem Screening zum Einsatz kommen, gar keine Unverträglichkeiten feststellen kann. Denn bis jetzt gibt es in der Literatur keine handfesten Hinweise darauf, dass solche Antikörperbestimmungen auf Nahrungsmittel sinnvoll wären. Der gängige Ratschlag von Allergologen lautet daher: Da solche Tests keine zuverlässigen Resultate erbringen, solle man das Geld besser sparen.
Doch vielleicht haben ja die Wissenschafter, bekanntlich notorische Spielverderber, unrecht, und all die in solchen Fällen gerne strapazierten fantastischen Erfahrungsberichte treffen zu? Genau deshalb beschloss Zechmann, den Test selbst auszuprobieren. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten und publiziert sein Wissen darüber auch auf einem von ihm gegründeten Informationsportal (nahrungsmittel-intoleranz.com).
Die Vorbereitungen
Zechmann wollte herausfinden, was die Anbieter solcher IgG-Tests bei ihm diagnostizieren würden. Im Vorfeld hielt er es jedoch für angebracht, sich etablierten medizinischen Testverfahren zu unterziehen, um allfällige Intoleranzen mit anerkannten Methoden aufzuspüren oder aber auszuschließen. So absolvierte er Blut- und Atemlufttests sowie eine Allergieuntersuchung mittels Hautreaktionstest. Das zentrale Ergebnis kannte der Biologe schon aus früheren Diagnosen: Er verträgt Frucht- und Milchzucker schlecht, und er hat Allergien gegenüber Gräserpollen, Katzenhaaren und Hausstaubmilben. Von einer Kreuzallergie, bei der man auf Nahrungsmitteleiweiße reagiert, die den Gräserpollen ähnlich sind, ist er nicht betroffen - ein wesentlicher Befund im Hinblick auf die Frage, ob Nahrungsmittelunverträglichkeiten vorliegen. Außerdem, ebenso relevant: Ein Bluttest zur Feststellung einer Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) fiel ebenfalls negativ aus. Sofern er seine Milch- und Fruchtzuckerunverträglichkeit berücksichtigt, ist Zechmann vollkommen beschwerdefrei. Insgesamt, so sagt er, fühle er sich bestens.
Die Testdurchführung
Es klingt simpel: Mit einem Pieks, drei Tropfen Blut und einer Laboruntersuchung sollen Unverträglichkeiten auf zahlreiche Nahrungsmittel festgestellt werden können. Gespannt startete Zechmann den Selbsttest, der im Online-Shop begann. Ein paar Mausklicks sowie ein grünes Scheinchen plus Versandkosten, und wenige Tage später lag das bestellte Testkit im Briefkasten.
Nach Studieren der mitgelieferten Anleitung war die Sache schnell erledigt. Erst die Fingerkuppe desinfizieren, dann mit einer Lanzette die Haut durchstechen, mehr oder weniger problemlos das Röhrchen bis zur Markierung mit Blut befüllen und ab damit in den Briefkasten. Ein paar Tage dürfe die Probe ungekühlt unterwegs sein, ohne Schaden zu nehmen, heißt es.
Schließlich loggte sich Zechmann mithilfe eines mitgelieferten Codes in einem speziellen Bereich auf der Website ein, wo die Ergebnisse und dazugehörigen Empfehlungen zu sehen sein sollten. Und tatsächlich: Nach einigen Tagen waren die Resultate online abrufbar. Der erste Blick auf die Ergebnisse ließ Zechmann allerdings ungläubig die Stirn runzeln.
Die Ergebnisse
Auf 31 Nahrungsmittel soll Zechmann unverträglich reagieren - bei subjektiv völliger Symptomfreiheit. Er fand die betreffenden Lebensmittel aufgelistet in einem internen Bereich der Website und konnte anhand von farbigen Balken auf einer sechsstufigen Skala erkennen, wie gravierend die jeweils festgestellte Unverträglichkeit angeblich ausfällt. Auf Gluten, Weizen, Roggen, Dinkel, Hafer, Milchprodukte, Haselnüsse und Mandeln soll Zechmann eine schwere Unverträglichkeit ausgeprägt haben (ein krasser Widerspruch zum Ergebnis der im Vorfeld absolvierten anerkannten Tests). Leicht reagiere er auf Quinoa, Amaranth, Johannisbrotkernmehl, Erbsen, Erdnüsse, Linsen, Soja, Weintrauben, Avocados, Karotten, Leinsamen, Walnüsse, Senf, Cashewnüsse und Hühnereier.
Eines fiel Zechmann sofort auf: Es handelt sich um Lebensmittel, die er alle gerne isst. Er konsumiert das Milcheiweiß Kasein in Form von Eiweißpulver nach dem Sport und schätzt Brot und Getreide in jeglicher Form. Und aufgrund seiner Milchzuckerunverträglichkeit verwendet er Mandel- und Haselnussmilch als Milchersatz.
Für Allergologen ist dieses Ergebnis kein Mirakel. Sie weisen seit Langem darauf hin, dass IgG-Tests, wie auch Kiweno sie benutzt, nicht mehr sind als ein Indikator dafür, was man gegessen hat. Verzehrt man bevorzugt bestimmte Lebensmittel, produziert der Körper als Antwort darauf entsprechende IgG-Antikörper. Das sei aber keine krankhafte Reaktion, sondern eine völlig unverdächtige - in Bezug auf Unverträglichkeiten seien IgG-Werte daher ohne jede Aussagekraft, kritisieren Mediziner. Eher im Gegenteil, wie Heinz Kofler, Dermatologe und Allergieexperte aus Hall in Tirol, erklärt: Untersuchungen zeigen, dass IgG-Antikörper sogar auf eine verbesserte Verträglichkeit von Lebensmitteln hindeuten.
Besonders irritierend fand Zechmann die stattliche Zahl der ausgewiesenen Intoleranzen. 31 Unverträglichkeiten - eine Ziffer, die vermutlich bei fast jedem Konsumenten einen bleibenden Eindruck hinterlassen würde.
Wer genauer nachprüft, stellt allerdings fest, dass gar nicht alle davon extra abgetestet wurden. Wie kommt Kiweno trotzdem auf diese Zahl? Indem nicht auf jedes Nahrungsmittel einzeln überprüft wird, sondern einige in sogenannten Pools zusammengefasst sind. Beispielsweise wird für die Milch von Kuh, Schaf, Ziege und Stute nur eine Untersuchung gemacht - und das Ergebnis dann auf die übrigen ausgewiesenen Arten übertragen, was die wundersame Unverträglichkeitsvermehrung erklärt.
Die Empfehlungen
Was sollte Zechmann, der gänzlich beschwerdefreie Biologe, nun also angesichts des vorliegenden Befundes tun? Den Speiseplan komplett entrümpeln, jeden Bissen sorgsam überlegen, sich in Verzicht üben, kurz: eine sogenannte Eliminationsdiät beginnen. Je nach "Schwere“ seiner Unverträglichkeit soll er gewisse Lebensmittel vorübergehend meiden. Das bedeutet für vier bis sechs Monate keine Haselnüsse und Mandeln sowie für drei Monate kein Gluten, Weizen, Roggen, Dinkel, Hafer und auch keine Milchprodukte. Jene Lebensmittel, auf die er eine leichte Unverträglichkeit ausgeprägt haben soll, dürfen alle drei bis vier Tage auf dem Speiseplan stehen. Für jedes Nahrungsmittel, das wegzulassen ist, sind Vorschläge für Alternativen angeführt.
Jemand, der laut ärztlichem Attest keinerlei Probleme mit Nahrungsmitteln hat (Fructose und Lactose zählen hier nicht; diese Substanzen waren gar nicht Gegenstand des Tests), soll also plötzlich viele seiner bevorzugten Produkte weglassen, weil ein Test um rund 100 Euro die epochale Information erbracht hat, dass er bisher viel von genau diesen Lebensmitteln konsumiert hat.
Wer ganz interessiert ist, kann sich im Kiweno-Blog noch ein paar Tipps holen. Ob Empfehlungen zur Paläo-Ernährung oder ein paar hippe vegane Smoothie-Rezepte: Es ist für jeden etwas dabei. In dem Wirrwarr aus unzureichend erforschten Thesen, Modediäten und tatsächlich wissenschaftlich fundierten Infos wird es hier Laien schwer gemacht, gute von fragwürdigen Vorschlägen zu trennen.
Die Konsequenzen
Zechmann müsste, wenn er den Empfehlungen des Tests folgen wollte, hauptsächlich Milchprodukte und glutenhaltige Getreide meiden. Einerseits wäre das eine unnötig grobe Einschränkung im Alltag, da es sich um Grundnahrungsmittel handelt. Andererseits würde es seinen Geldbeutel nicht unerheblich belasten, da glutenfreie Backwaren und Milchersatzprodukte wesentlich teurer sind als herkömmliche Produkte. Die finanzielle Belastung hört also, je nach vermeintlicher Unverträglichkeit, auch nach der Durchführung des Tests nicht auf.
Nehmen wir für einen Moment an, Zechmann hätte tatsächlich Beschwerden und würde die Diät wie empfohlen einhalten. Würde es ihm besser gehen? Möglicherweise schon, weil Verdauungsbeschwerden häufig mit Nahrungsmitteln zusammenhängen. Laut Professor Herbert Tilg, Gastroenterologe und Klinikdirektor der Inneren Medizin der Klinik Innsbruck, ist dies ganz besonders beim Reizdarmsyndrom der Fall, von dem immerhin 20 Prozent der Bevölkerung betroffen seien. "Eine gewisse Form von Diät ist in der Behandlung von Erkrankungen sehr wirksam. Deshalb wird eine Diät anhand von IgG-Bestimmungen auch immer wieder einen Treffer landen, aber diesen Treffer würde man auch landen, wenn man diese Bestimmung nicht macht und nur zufällig Lebensmittel auswählt“, sagt Tilg.
Und all jene, denen die Methode nicht hilft, finden sich irgendwann eben in den Sprechstunden der Fachärzte wieder, Kofler und Tilg schildern zahlreiche Fälle eigener Erfahrung. Auch Zechmann würde ein weiterer Arztbesuch wahrscheinlich nicht erspart bleiben, da, wie bei vielen Betroffenen, die Beschwerden mit einer IgG-basierten Eliminationsdiät nicht dauerhaft in den Griff zu bekommen sind.
Vielleicht hätte er aber sogar mehr Beschwerden als vorher, denn: Was der IgG-Test nicht erfassen konnte, ist seine Fruchtzuckerunverträglichkeit. So wurde ihm empfohlen, statt den vermeintlich unverträglichen Weintrauben, die bei dieser Intoleranz wirklich nicht die beste Wahl sind, Alternativen wie Kirschen, Pfirsiche oder Wassermelonen zu wählen. Diese zählen nicht gerade zu den fruchtzuckerärmesten Obstsorten, und unangenehme Nachwirkungen wären programmiert. Das ist eine weitere Schwäche des Selbsttestkonzepts: Es ist weder eine Anamnese noch eine körperliche Untersuchung möglich.
Die Stellungnahme
Und was meint Kiweno zu dem wenig überzeugenden Befund? profil ersuchte den medizinischen Leiter des Unternehmens, Roland Fuschelberger, um eine Interpretation der Ergebnisse. Er meint dazu: "Man sieht an den Ergebnissen, dass eine leichte Immunreaktion gegen gewisse Lebensmittel da ist, deswegen empfehlen wir hier eine Elimination von zwei bis drei Monaten.“
Dass Michael Zechmann über keinerlei Beschwerden klagt, irritiert Fuschelberger nicht: Der Körper könne niedrige Werte an Antiköpern gut kompensieren, deshalb träten keine Beschwerden auf. Eine Eliminationsdiät wäre, beharrt Fuschelberger, dennoch sinnvoll, um eine weitere Sensibilisierung im Sinne der Prävention zu vermeiden. Er fügt hinzu: "Ich sehe immer wieder Betroffene, die Beschwerden schildern, den Test machen und nach einer zwei- bis dreimonatigen Elimination sagen, dass sich andere Dinge auch geändert haben, die sie bisher als normal und gar nicht als Beschwerden gesehen hätten.“
Zum Hinweis, dass der Verzicht auf glutenhältige Lebensmittel und Milchprodukte relativ große Einschränkung bedeuten würde, meint Fuschelberger: "Natürlich ist es eine Umstellung, und er muss sich damit beschäftigen. Er kann in den zwei bis drei Monaten aber durchaus mit den Empfehlungen einen Ersatz finden.“
Bei Detailfragen von Klienten, etwa im Hinblick auf eine Fruchtzuckerunverträglichkeit, würden Fachkräfte der Firma telefonisch Auskünfte geben oder an eine Ernährungsberatungsstelle weitervermitteln.
Das Fazit
Diese Selbsttests werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Zechmann hatte eher das Gefühl, vor einem Ernährungstagebuch zu sitzen als vor den Ergebnissen eines medizinbasierten Tests. Und die Empfehlungen zur Umstellung der Ernährung hätten eine echte Einschränkung dargestellt. Die vermeintlich einfache Lösung eines bequemen Selbsttests erwies sich zumindest in diesem Fall als Flop.
Freilich ist Kiweno nicht der einzige österreichische Anbieter solcher Tests. Allerdings verhalten sich andere bei der Werbung zurückhaltender und verhehlen nicht, worum es sich letztlich handelt: um eine komplementärmedizinische Methode. Könnte man die oft komplexen, verwirrenden und verzwickten Unverträglichkeiten mit einem simplen Test feststellen, wäre er schon längst medizinischer Standard. Ärzte wie Kofler und Tilg hätten jedenfalls große Freude damit, wenn eine so simple Schnelllösung verfügbar wäre.