Alwin Schönberger

Alwin Schönberger: Ein Zauberelixier, ziemlich entzaubert

Leitartikel profil wissen. Ein Zauberelixier, ziemlich entzaubert

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An zwei Stellen in diesem Heft ist von einem wahren Dauerbrenner der Medizin die Rede: von Antioxidantien, die uns über Jahre als eine Art Wundermittel gegen Gebrechen sonder Zahl präsentiert wurden, als Zauberelixier für Gesundheit, Jugendlichkeit und ein fittes langes Leben. Dieser Lehre liegt die Annahme zugrunde, dass Individuen vor allem deshalb den Unbilden des Alterns unterliegen, weil Oxidationsprozesse – bedingt durch Moleküle wie die sogenannten freien Radikale – die Körperzellen schädigen. Dem oxidationsbedingten Stress müsse man folglich entgegenwirken, und zwar mit antioxidativ wirkenden Präparaten wie Vitamin C, erhältlich als Nahrungsergänzung zum sprichwörtlichen Apothekerpreis.

Diese Argumentation klingt schön und logisch, scheint aber leider grundfalsch zu sein. Auf die fragwürdigen Behauptungen bezüglich solcher Präparate weisen auch die Cover-Autoren Norbert Regitnig-Tillian und Robert Buchacher in ihren Texten in diesem Heft hin, doch die Realität dürfte dermaßen weit von den langjährigen Verheißungen der Medizin entfernt sein, dass es gestattet sei, nochmal näher darauf einzugehen.

Was ja der Menschheit mit Nachdruck eingebläut wurde, lautet, komprimiert dargestellt: Schluckt Antioxidantien, reinigt euren Körper von stressbedingtem Zellmüll, dann ist euch eine ausgedehnte, frohe Existenz beschieden. Doch in jüngster Zeit legt eine beeindruckende Fülle von Studien dar, dass das gehorsame Futtern von Vitamin C oder Resveratrol – etwa in Trauben enthalten – nicht nur wirkungslos sein dürfte, sondern bis zu einem gewissen Grad sogar kontraproduktiv: Wer sich an die traditionellen Empfehlungen hält, befördert womöglich Krankheiten und verkürzt seine Lebenserwartung. Einige Beispiele aus der aktuellen Fachliteratur:

• Britische Forscher manipulierten das Genom von Modellorganismen so, dass sie freie Radikale nicht mehr inaktivieren konnten. Die Tiere hätten, derart zellulär gestresst, nach gängiger Ansicht eigentlich früher versterben müssen als naturbelassene Artgenossen – doch das geschah nicht.

• Untersuchungen am Nacktmull, dem langlebigsten Nagetier, zeigen anschaulich, dass dessen Organismus kaum natürliche Antioxidantien herstellt. Dennoch leben die Nager etwa achtmal länger als zum Beispiel Mäuse. Studienreihen an Mäusen wiederum demonstrieren, dass die Konzentration freier Radikale im Körper die Lebensspanne rein gar nicht beeinflusst.

• Fast noch deutlicher die Resultate kanadischer Wissenschafter: Setzten die Forscher Zellstrukturen von Fadenwürmern mutwillig unter oxidativen Stress, lebten die Tiere verblüffenderweise länger. Reduzierten die Experten indes die chemische Stressbelastung durch die Gabe von Vitamin C, sank die Lebenserwartung wieder. Daran knüpft sich nun die Frage: Ist zellulärer Stress eventuell gar sinnvoll, weil er bestimmte vitale Funktionen trainiert?

• Ein Vergleich von rund 70 Studien, die den Nutzen von Antioxidantien thematisierten, ergab, dass die Einnahme entsprechender Nahrungsergänzung keinerlei Effekt auf die Lebenserwartung hatte. Beinahe ein Fünftel der Arbeiten beinhaltete vielmehr die Konklusio, dass die Pillenschlucker ihr Sterberisiko sogar steigerten.

• Wenig erbaulich sind auch manche der jüngeren Erkenntnisse über den angeblichen Anti-Aging-Wunderstoff Resveratrol, der Entzündungen mildern und ebenfalls Zellschäden eindämmen soll. Zumindest an Mäusen zeigte sich jedoch, dass die Auswirkungen von Virusinfekten verstärkt und Symptome von Multipler Sklerose forciert werden.

• Österreichische Forscher führten den Nachweis, dass Antioxidantien kritisch für die Ausprägung von Allergien sein können. Werden Vitamine beispielsweise Fruchtsäften künstlich zugesetzt – eine beliebte Praxis der Lebensmittelindustrie, steigert dies offenkundig die Aktivität von Helferzellen des Typs Th2 – was allergische Reaktionen begünstigt.

Nun mag man gegen die alarmierenden Befunde einwenden, dass sie ebenso gut unvollständig, punktuell oder irreführend sein können wie die einst vorbehaltlosen Empfehlungen. Zudem könnte man ins Treffen führen, dass es sich vielfach um Daten aus Tierstudien handelt, die nicht zwangsläufig auf den Menschen übertragbar sind. Alles richtig, aber allein das Faktum der extrem widersprüchlichen Datenlage sollte zur Erkenntnis leiten, dass man das Elixier für ein gutes, zufriedenes Leben vielleicht doch nicht an der Apothekentheke erwerben kann.

Andererseits: Ist das wirklich eine Überraschung?

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Lesen Sie außerdem im neuen profil wissen: Mit Nachdruck versuchen Forscher zu entschlüsseln, warum der Mensch altert – und wie man diesen Prozess bremsen oder sogar stoppen könnte.