Ex-Minister Faßmann: „Es gab Einschüchterungen“
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Stimmt es, dass Sie ursprünglich Lkw-Fahrer werden wollten?
Faßmann
Ja, das stimmt. Mich hat fasziniert, dass man dabei die Welt kennenlernt. Auch die Vorstellung der Autarkie hat mich begeistert. Man sitzt im Auto, schläft im Auto, ist unabhängig und frei. Es war halt ein Bubentraum.
Ist so das Interesse an Geografie erwacht?
Faßmann
Ja, das Fach versprach die Möglichkeit, die Welt zu erkunden.
Warum haben Sie sich für die Wissenschaft entschieden?
Faßmann
Ich war ein sehr guter Student. Irgendwann wurde eine Professorin auf mich aufmerksam und fragte, ob ich in ihr Institut kommen und Wissenschaft betreiben möchte. Es war also keine strategische Absicht.
Aber Sie kamen auf den Geschmack.
Faßmann
Genau. Denn Wissenschafter zu sein, ist ein wunderbarer Beruf. Man ist in einem gewissen Sinn auch so frei wie ich es für den Lkw-Fahrer erhofft hatte. Man kann Themen aufgreifen, die einen interessieren, und man wird am Ende eines Forschungsprozesses klüger sein als am Beginn. Das ist wunderbar.
Warum sollten sich alle Menschen für Wissenschaft interessieren?
Faßmann
Weil Wissenschaft auf Erkenntnisprozessen mit besonderer Qualität basiert. Es geht um Wissen, welches einigermaßen objektiv und überprüfbar ist. Es unterscheidet sich daher vom Alltagswissen signifikant. Was herauskommt, sind letztlich Erklärungen der Welt, und diese sollten möglichst viele Menschen kennen. Wissenschafter liefern Welterklärungen, die nicht ideologisch eingefärbt sind und das macht diese so wichtig. Ich hoffe, dass sich viele Menschen dafür interessieren.
Ich höre gleich die Gegenstimmen: Nichts geht über meinen Hausverstand!
Faßmann
Hausverstand ist eben nicht Wissenschaft. Hausverstand ist das, was wir alle individuell besitzen, basierend auf nicht überprüfbaren Einzelbeobachtungen.
Soeben erschien das jüngste ÖAW-Wissenschaftsbarometer, das die Einstellung der Bevölkerung zur Wissenschaft abfragt. Demnach interessiert sich ungefähr ein Fünftel sehr für Wissenschaft, mehr als ein Viertel fühlt sich relativ schlecht informiert. Man könnte sagen, das ist eh ganz okay, man könnte es aber auch als dramatisch bezeichnen, wenn 28 Prozent sehr oder eher schlecht informiert sind.
Faßmann
Ja, je nachdem, wie man es sieht. Ich als Funktionär einer Wissenschaftsinstitution sage, da müssen wir etwas tun, mir ist das Glas zu leer. Es gibt zu viele, die uninformiert sind. Information ist aber immer eine Bring- und Holschuld. Wir müssen die Bringschuld erfüllen und hoffen, dass die Menschen Informationen abholen. Deswegen kommt es auch immer darauf an, dass man Informationen interessant verpackt, sodass die Holschuld Lust und Freude macht.
Es gibt zu viele Menschen, die uninformiert sind. Information ist aber immer eine Bring- und Holschuld. Wir müssen die Bringschuld erfüllen und hoffen, dass die Menschen Informationen abholen.
Aber wie?
Faßmann
Man muss Geschichten erzählen. Die Archäologie kann hochinteressant sein, wenn man von einer Gesellschaft berichten kann, die heute nicht mehr existiert. Manchmal sind es Personen, die besonderes Interesse wecken. Und manchmal gelingt es den Personen, richtige Assoziationen herzustellen. So war es bei Nobelpreisträger Anton Zeilinger und dem Begriff des „Beamens“. Plötzlich konnten sich die Menschen vorstellen, was Quantenverschränkung bedeuten könnte.
Und eine Erscheinung ist Zeilinger obendrein.
Faßmann
Absolut, er ist sehr authentisch. Deswegen ersuchen wir, dass Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit ihrer Authentizität hinausgehen und von ihrer Wissenschaft berichten. Wir schicken sie in Klassenzimmer, und die Begeisterung kann dabei wie ein Funke überspringen.
Als schwieriger gilt es, Falschbehauptungen zu entkräften. Bevor man sie richtigstellen kann, muss man sie aufgreifen und ansprechen. Dadurch kann es passieren, dass sich Unsinn erst recht verfestigt.
Faßmann
Ja, aber höchstens kurzfristig. In der Hinsicht wäre ich ein langfristiger, aufklärerischer Optimist. Wir setzen uns schon durch mit dem wissenschaftlichen Wissen.
In der Umfrage zeigen sich nur 40 Prozent davon überzeugt, dass Wissenschaft das Leben besser macht. Fast die Hälfte sagt, Wissenschaft verändert unser Leben zu schnell. Macht Wissenschaft den Menschen Angst?
Faßmann
Die wissenschaftliche Welt verändert sich wirklich schnell. Was heute möglich ist, war vor zehn, 15 Jahren noch undenkbar. Ich denke an Innovationen wie die Genschere oder Weltraumteleskope. Wir können aus dem Abwasser einer Gemeinde rückschließen, welche Virenlast dort herrscht. Wir können sogar sagen, ob es sich um ein Grippe- oder ein Coronavirus handelt. Wir können im Abwasser auch feststellen, ob in einer Gemeinde beispielsweise Rauschgift konsumiert wird. Es gibt also unglaublich viel, was sich in der Wissenschaft entwickelt hat. Und das geht manchen zu schnell.
Es ist auch bemerkenswert, dass manche Menschen glauben, dass Wissenschaft für sie keine Bedeutung hat, zugleich aber sagen, sie verändert mein Leben zu schnell.
Faßmann
Und greifen zum Handy, welches voll von Technologie ist und letztlich auf wissenschaftlichen Grundlagen basiert.
In der Medizin müsste man ja darauf hoffen, dass möglichst viel Fortschritt unser Leben verändert.
Faßmann
Da müssten wir alle jubeln und sagen, großartig, was sich an Fortschritt getan hat.
Eine fortschrittliche Technologie waren auch mRNA-Impfstoffe. Doch egal, was man heute dazu sagt, man erntet fast immer Ablehnung. Was haben wir falsch gemacht?
Faßmann
Aber hier werden nicht mRNA-Impfstoffe geprügelt, sondern die politischen Maßnahmen, dass Impfungen eigentlich verpflichtend stattfinden sollten. Das war so etwas wie ein Sündenfall.
In welchen Bereichen müsste man speziell mehr Verständnis für Wissenschaft erzeugen?
Faßmann
Ich glaube, das ist ein immanenter und umfassender Auftrag, auch für jede einzelne Disziplin selbst. Die authentischen Wissenschafter müssen vor den Vorhang gehen und erklären, in Vorträgen, und auch in Sozialen Medien. Wir machen das mit unserem Videoprojekt FÄKT, mit dem wir wissenschaftliche Inhalte für eine junge Zielgruppe auf Instagram und Youtube vermitteln Als Institution müssen wir unseren Wissenschaftern aber auch ein Backing bieten, auch dann, wenn etwas passiert, zum Beispiel in sozialen Medien. An der ÖAW nennen wir die „Science Care“.
Gab es denn Fälle von Shitstorms gegen Wissenschafter?
Faßmann
Ja, und wir wollen, dass sich Betroffene an uns wenden können. Wir helfen ihnen rechtlich, psychologisch und kommunikationsstrategisch. Das ist mir persönlich wichtig. Es kann nicht immer nur heißen, geht hinaus und erklärt, wir müssen auch helfen, mögliche Konsequenzen des Hinausgehens zu bewältigen.
Es gab Einschüchterungen in Form von Hinweisen, jemand sei in Wahrheit gar kein Wissenschafter und müsse von uns entlassen werden.
Forschende wurden bedroht oder eingeschüchtert?
Faßmann
Es gab Einschüchterungen, etwa in Form von Hinweisen, jemand sei in Wahrheit gar kein Wissenschafter und müsse von uns entlassen werden. Für junge Forschende, die am Beginn ihrer Karriere sind, ist das unglaublich belastend. Diesen Menschen muss man sagen, wir stehen hinter euch.
Denunzianten wandten sich an die Akademie im Versuch einer Intervention?
Faßmann
Natürlich. Das geht über soziale Medien sehr einfach.
Ich vermute, im Zusammenhang mit Covid.
Faßmann
Ja. Ein Fall war zum Beispiel ein Wissenschafter, der die Geschichte der Impfungen referiert hat.
Die nächsten Viren stehen womöglich schon in den Startlöchern. Wenn ich mir jetzt vorstelle, ein potenzieller Gesundheitsminister Kennedy könnte als erste Krise die Vogelgrippe zu bewältigen haben…
Faßmann
Ja, schwierige Sache. Aber ich kenne Kennedy zu wenig.
In Österreich haben wir vielleicht bald einen Kanzler, der gegen jede Evidenz Antiparasiten-Mittel gegen Covid favorisierte und Covid-Impfungen mit Gehirntumoren in Verbindung brachte. Wie wird eine Akademie der Wissenschaften damit umgehen?
Faßmann
Das ist schwierig vorherzusagen. Denn ein möglicher zukünftiger Kanzler Kickl, der bisher Oppositionsführer war, wird eine andere Rolle einnehmen. Da kann man nicht mehr wie zuvor als Oppositionspolitiker sehr griffige, manchmal auch untergriffige Reden halten. Da muss man Brücken bauen und die Gesellschaft zusammenbringen.
Müsste.
Faßmann
Hinsichtlich der Wissenschaft werden wir aufpassen, ob Wissenschaftsskepsis transportiert wird oder Wissenschafterinnen und Wissenschafter angegriffen werden. Ich werde mir erlauben zu wachen und gegebenenfalls auf Probleme aufmerksam zu machen. Alle wissenschaftlichen Einrichtungen werden gut beraten sein, sensibel und wachsam zu sein und ihre Forschenden vor Angriffen zu schützen. Das ist unsere Aufgabe, und die werden wir erfüllen.
Man kann sich schwer vorstellen, dass sich jemand, der bisher ein eher originelles Verhältnis zu Fakten pflegte, plötzlich völlig anders verhält.
Faßmann
Ich war ja eine Zeit im politischen Geschäft, und auch jetzt kann man beobachten, wie flexibel, wie pragmatisch Politik ist. Was gestern gesagt wurde, muss nicht unbedingt heute und morgen gelten. Dieser Pragmatismus wohnt der Politik inne.
Alle wissenschaftlichen Einrichtungen werden gut beraten sein, sensibel und wachsam zu sein und ihre Forschenden vor Angriffen zu schützen. Das ist unsere Aufgabe, und die werden wir erfüllen.
Eines Ihrer Großprojekte ist der Aufbau eines neuen Zentrums zur Wissensvermittlung. Was planen Sie?
Faßmann
Es soll ein Austrian Science Communication Center werden. Kein Wissenschaftsmuseum, kein technisches Museum, sondern ein lebendiger Ort mitten in der Stadt und damit hoffentlich mitten in der Gesellschaft, in dem man über Wissenschaft spricht, gerade jüngeren Leuten Wissenschaft vermittelt und ihnen ermöglicht, Wissenschaft zu erfahren. Wir denken nicht an Statuen oder alte Bilder, sondern an moderne Kommunikation zur Veranschaulichung, an Hologramme, 3D-Technologie Ausstellungen, Vorträge, Workshops.
Der Ort soll laufend bespielt werden?
Faßmann
Ja, der Ort ist reserviert für diesen Zweck. Wir wollen insbesondere jüngere Menschen erreichen, Schüler und Schülerinnen, Lehrlinge, aber im Grunde alle Personen, die daran interessiert sind. Wir wollen sie erreichen, bevor sie zu jenen 25 bis 30 Prozent Wissenschaftsskeptikern werden, die ihr Weltbild gefestigt haben.
Wann wollen Sie starten?
Faßmann
Wir starten jetzt. Es wird umgebaut, dann werden die ersten Ausstellungen konzipiert. Das Band wird bei der Eröffnung 2027 durchschnitten, also in zwei Jahren.
Es wird ein bestimmter Ort bespielt?
Faßmann
Ja, die Aula der Wissenschaften in der Innenstadt. Sie hat ein Erdgeschoß, einen ersten und einen zweiten Stock. Es sind über 4000 Quadratmeter Fläche. Das ist respektabel. Und wir investieren gemeinsam mit der TU Wien und der Uni Wien. Das sind drei Spitzenforschungseinrichtungen. Es ist also sehr solide, was hier passiert.
Sie denken an eine Art Science-Erlebniszentrum?
Faßmann
Ja, genau. Die Zeiten haben sich geändert, die Autorität der Professoren alleine ist nicht ausreichend.
Was braucht man? Das überzeugende Experiment?
Faßmann
Genau, Überzeugung durch Argumentation und empirischen Beleg.
Auch durch Überraschung?
Faßmann
Ja, natürlich. Überraschung ist ein wunderbares Stilmittel.
Und Unterhaltung?
Faßmann
Unterhaltung auch, wir wollen ja Aufmerksamkeit haben, und über Unterhaltung bekommt man Aufmerksamkeit.
Eine These besagt, dass sich Falschinformationen ähnlich ausbreiten wie Viren. Es ist quasi ein Infektionsmodell von Fake News, bei dem empfängliche Wirte Fake News verbreiten und zu deren Wachstum in sozialen Medien beitragen. Zugleich gibt es die Idee einer Art Immunisierung, indem man Menschen mit abgeschwächten Dosen von Falschinformationen konfrontiert, damit sie nicht echter Desinformation aufsitzen. Wäre eine Science-Erlebniswelt nicht ein ideales Umfeld, um Menschen gegen Desinformation zu immunisieren?
Faßmann
Das ist eine gute didaktische Idee, dass wir sozusagen die Antikörper bei uns erzeugen. Es ginge um Resilienz gegenüber Desinformation.
Was denken Sie sich eigentlich, wenn im ORF eine Astro-Show programmiert wird?
Faßmann
Ich muss offen sagen, was denken sich die Programmgestalter dabei? Eine Astro-Show in einem seriösen öffentlich-rechtlichen Sender muss es nicht geben. Es gibt andere Unterhaltungsmöglichkeiten ohne pseudowissenschaftliche Basis.
Es ist gerade Halbzeit Ihrer Präsidentschaft. Was haben Sie in der zweiten Hälfte noch vor?
Faßmann
Es gibt zwei wirkliche Jahrzehnte-Projekte. Das eine ist eben das Science-Communication-Center. Das zweite große Projekt, mit dem wir uns in den nächsten Jahren befassen werden, ist der Aufbau von AITHYRA, unserem neuen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz in der Biomedizin. Wir haben es vor einigen Monaten gegründet, verbunden mit einer privaten Forschungsförderung, die Österreich so noch nicht erlebt hat. 150 Millionen Euro fließen von der gemeinnützigen Boehringer Ingelheim Stiftung in den kommenden Jahrzehnten nach Österreich, um dieses Institut zu finanzieren.
Was ist der Zweck des Instituts?
Faßmann
Das Ausloten der Aussichten, mithilfe künstlicher Intelligenz zu neuen Erkenntnissen zu kommen, die letztlich uns allen helfen werden. Es wird um neue Wirkstoffe und Medikamentenentwicklung gehen. Das ist eine sehr faszinierende Sache. Und da müssen Österreich und Europa aufholen.
Ein großes Thema ist Proteinentschlüsselung zur Entwicklung neuer Medikamente.
Faßmann
Genau darum geht es. Um Proteinentschlüsselung, um Wirkstoffe aus Proteinen auch über Robotic Labs zu testen und diese dann mithilfe von künstlicher Intelligenz zu konstruieren, weil man dann schon sehr profunde Hinweise hat, wie diese wirken können. Exakt in diese Richtung geht es.
Heinz Faßmann, 69,
wurde am am 13. August 1955 geboren, studierte ab 1974 Geografie und Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Er war Professor an der Technischen Universität München und der Universität Wien sowie Vizerektor an der Uni Wien. Zu seinen Forschungsgebieten zählen Humangeografie, Raumplanung und Migration. Von 2017 bis 2019 und von 2020 bis 2021 fungierte Faßmann als Minister für Bildung beziehungsweise für Wissenschaft und Forschung. Seit 2022 ist er Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er folgte auf den Quantenphysiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger.
Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft