Exoplaneten: Gibt es da draußen eine zweite Erde?
Von Florian Freistetter
Der 6. Oktober 1995 war ein Freitag. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich an diesem Tag getan habe. Vermutlich habe ich mein erstes Wochenende als Student gefeiert. Das Wintersemester an der Universität Wien, an der ich gerade mein Studium der Astronomie begonnen hatte, war erst ein paar Tage alt. Es war anstrengend, und an diesem Wochenende hatte ich wohl anderes im Kopf und bemerkte nicht, dass sich gerade eine wissenschaftliche Revolution ereignete: Als ich meine ersten Universitätserlebnisse verdaute, verkündeten die Schweizer Astronomen Michel Mayor und Didier Queloz auf einer Konferenz in Florenz die Entdeckung des ersten extrasolaren Planeten. Sie lieferten damit die Antwort auf eine Frage, die sich die Menschheit seit Jahrtausenden stellt.
"Ob es nur eine Welt oder viele Welten gibt, ist eine der erstaunlichsten Fragen über die Natur. Es ist eine Frage, die der menschliche Geist aus sich selbst heraus verstehen will. Deswegen ist es wünschenswert, dass wir uns darüber Gedanken machen." Das sagte Albert Magnus, der im 13. Jahrhundert ein bedeutender Gelehrter und Bischof von Regensburg war. Schon lange vor ihm spekulierten Philosophen der Antike wie Demokrit und Aristoteles darüber, ob es neben der Erde auch andere Welten geben könnte. Aus den religiösen und philosophischen Spekulationen wurden im Lauf der Zeit konkrete wissenschaftliche Fragen nach der wahren Natur der Sterne und Planeten am Himmel.
Noch bis ins 18. Jahrhundert war der Unterschied zwischen Sternen und Planeten nicht ganz klar. Die Sonne stellte man sich als ein Objekt ähnlich der Erde vor, mit fester Oberfläche. Nur eben sehr viel größer und von einer heißen, leuchtenden Wolkenschicht umgeben. Sogar Leben auf der Sonne erschien den Forschern damals durchaus plausibel. So absurd es heute klingt, dass jemand auf der Sonne leben könnte, erschien es den Menschen jener Zeit unlogisch, dass all die Objekte "einfach so" entstanden sein sollten, ohne Schöpfer und irgendeinen speziellen Zweck: Wenn da ein Himmelskörper vorhanden war, musste auch jemand darauf leben.
Wissenschaftliche Revolution
Wie Planeten und Sterne wirklich entstehen, verstand man im Detail erst im 20. Jahrhundert. Sterne sind gigantische Kugeln aus Gas, die durch Kernfusion in ihrem Inneren Energie freisetzen. Planeten bilden sich aus den Gas- und Staubresten der Sternentstehung. Sie sind kleiner und nicht dazu fähig, dauerhaft Energie zu produzieren. Das Verständnis dieser Prozesse ließ auch die Frage nach anderen Welten konkreter werden. In ihrer modernen Form lautete sie nun: Sind auch bei anderen Sternen Planeten entstanden? Oder sind die dazu nötigen Bedingungen so außergewöhnlich, dass wir und unser Sonnensystem einzigartig im Universum sind? Man war sich zwar mehr oder weniger einig, dass es solche "extrasolaren Planeten" geben müsste. Aber um es genau zu wissen, war eine konkrete Entdeckung erforderlich. Ab den 1980er-Jahren suchten Forscher daher intensiv nach diesen Himmelskörpern. Die Suche dauerte bis zu jenem 6. Oktober vor einem Vierteljahrhundert: Da lieferten Michel Mayor und Didier Queloz die Antwort auf die mehr als 2500 Jahre alte Frage nach der Existenz anderer Welten, und sie lautete ja.
Damit wurde eine wissenschaftliche Revolution angestoßen, die uns heute, 25 Jahre später, einen völlig neuen Blick auf das Universum ermöglicht. Zu Beginn meines Studiums bekam ich wenig davon mit. Das änderte sich, als ich mich für meine Diplomarbeit intensiver mit den Eigenschaften von Planetensystemen und damit auch mit jenen der neu entdeckten Exoplaneten beschäftigte. Damals waren erst ein paar Dutzend dieser Himmelskörper bekannt; man konnte den Überblick bewahren, und wer auf diesem Gebiet forschte, kannte alle extrasolaren Planeten quasi beim Namen. Im neuen Jahrtausend änderte sich das ziemlich schnell. Weltraumteleskope wie Kepler und CoRoT fanden Hunderte und Tausende neuer Planeten. 25 Jahre nach dem Fund des ersten Exoplaneten enthalten die Kataloge der Astronomie fast 4400 weitere Planeten, die andere Sterne umkreisen. Und das sind nur jene, die wir direkt nachweisen konnten. Mit indirekten Methoden und ein wenig Statistik (etwa wie die Hochrechnungen am Wahlabend, nur deutlich exakter) können wir abschätzen, wie viele Planeten insgesamt da draußen zu finden sind: mehr, als es Sterne am Himmel gibt! Im Durchschnitt wird jeder Stern von mindestens einem Planeten umkreist. Oder anders gesagt: Planeten sind ein völlig normaler Bestandteil des Universums und zahlreicher als die Sterne selbst.
Die Entdeckung eines neuen extrasolaren Planeten liefert heute längst kein Material mehr für Schlagzeilen, sondern ist schlicht Forschungsalltag. Als ich mein Astronomiestudium absolvierte, bot der Fund eines Planeten bei einem anderen Stern ausreichend Stoff für eine Dissertation. Heute würde es vermutlich nicht einmal für eine Diplomarbeit reichen. Aber genau diese Normalität, mit der wir die Planeten anderer Sterne mittlerweile erforschen, ist auch ein Anzeichen für den Umbruch, der zwischenzeitlich stattgefunden hat. Dank der Tausenden entdeckten extrasolaren Planeten können wir nun auch unsere eigene Rolle im Universum besser einschätzen. Einerseits mussten wir ein weiteres Mal zur Kenntnis nehmen, dass wir keine besondere Stellung im Kosmos einnehmen. Das Sonnensystem ist nur eines von unzähligen Planetensystemen im Universum. Andererseits hat sich uns aber auch eine kosmische Vielfalt erschlossen, die wir beim schmalen Blick auf die acht Planeten unseres eigenen Sonnensystems niemals bemerkt hätten.
Entdeckung von "Supererden"
Wir haben etwa "Supererden" gefunden, also Planeten, die größer und massereicher sind als die Erde und dabei trotzdem noch eine feste Oberfläche besitzen. Solche Himmelskörper existieren in unserem Sonnensystem nicht. Bei uns gibt es große Gasplaneten wie Jupiter und Saturn, die keine feste Oberfläche haben. Und wir kennen kleinere Gesteinsplaneten wie Mars, Venus oder eben die Erde. Von diesen felsigen Himmelskörpern ist die Erde der größte. Der nächstschwerere Himmelskörper ist Uranus, der die 14,5-fache Masse der Erde hat. Diese Massenlücke beschreibt aber kein fundamentales Gesetz der Planetenentstehung.
Anderswo ist sie gut gefüllt: Wir haben Sterne ausgespäht, die von Planeten umkreist werden, die das Vier- oder Fünffache der Erdmasse besitzen und trotzdem eine feste Oberfläche aufweisen. Die Entdeckung solcher Supererden erlaubt uns völlig neue Einblicke in die Entstehungsprozesse von Planeten. Wir kennen weiters Planeten, die Teil von Doppel-oder Mehrfachsternsystemen sind und an deren Himmel zwei Sonnen stehen. Wir haben Planeten entdeckt, die ihren Stern in so geringem Abstand umkreisen, dass wir regelrecht dabei zusehen können, wie sie verdampfen. Es gibt Planeten, die fast komplett aus Metall bestehen, und solche, die kaum mehr als große Gaswolken sind. Wir haben Planeten gefunden, die gerade in Entstehung begriffen sind, und Planeten an Orten entdeckt, an denen sie eigentlich gar nicht vorkommen dürften-etwa genau jenen, dessen Existenz im Oktober 1995 von Mayor und Queloz verkündet wurde: Es handelt sich um einen Gasplaneten mit ungefähr der halben Jupitermasse, der sich extrem nahe an seinem Stern befindet. In so geringer Distanz herrschen Bedingungen, welche die Entstehung eines Gasriesen eigentlich unmöglich machen. Deswegen gab es anfangs auch Zweifel an der Entdeckung der Schweizer-die aber schnell verflogen, als man sich die Sache genauer ansah und feststellte, dass Planeten nicht immer dort bleiben müssen, wo sie entstehen: Ein Himmelskörper kann sich fern vom Stern bilden und dann näher an ihn heranwandern. Das Phänomen heißt planetare Migration und tritt in der turbulenten Entstehungszeit eines Planetensystems auf. Dass wir es so gut verstehen, liegt daran, dass wir dank der Exoplaneten regelrecht mit der Nase darauf gestoßen wurden. Mittlerweile wissen wir auch, dass es in unserem eigenen Sonnensystem ebenfalls stattgefunden hat. Der Planet Neptun entstand näher an der Sonne und bewegte sich erst danach auf seine heutige, fernere Umlaufbahn-und hat dabei eventuell sogar mit dem Uranus die Plätze getauscht.
Die Planeten anderer Sterne zeigen uns, was im Universum alles möglich ist. Was wir trotz aller Suche aber noch nicht gefunden haben, ist ein Himmelskörper, auf dem die gleichen lebensfreundlichen Bedingungen wie auf der Erde herrschen. Schon von Anfang an war vor allem die Öffentlichkeit daran interessiert, ob unter den vielen extrasolaren Planeten auch eine "zweite Erde" ist. Deren angebliche Entdeckung wurde zwar immer wieder von diversen Medien verkündet. In allen Fällen handelte es sich aber um eine Fehlinterpretation der realen Forschungsergebnisse. Mit den uns derzeit zur Verfügung stehenden Beobachtungsmethoden können wir Planeten zwar aufspüren, jedoch nur wenige ihrer konkreten Eigenschaften bestimmen. Es lässt sich herausfinden, wie groß und schwer ein Himmelskörper ist und berechnen, ob es sich eher um einen erdähnlichen Planeten mit fester Oberfläche handelt-oder aber um einen lebensfeindlichen Gasplaneten wie Jupiter. Aber nur, weil ein Objekt circa so groß und schwer wie die Erde ist, muss es deshalb dort noch lange kein Leben geben. Damit ein Planet lebensfreundlich ist, darf es nicht zu heiß und nicht zu kalt sein. Die Temperatur hängt unter anderem vom Abstand zum Stern (und dessen Leuchtkraft) ab. Nur in der richtigen Region, der sogenannten habitablen Zone, könnte die Temperatur auf der Oberfläche eines Planeten die Existenz von flüssigem Wasser erlauben, das die Grundlage allen Lebens darstellt.
Eine "zweite Erde"?
In den vergangenen Jahren wurden immer wieder erdgroße und erdschwere Planeten in der habitablen Zone ihrer Sterne registriert und von manchen Medien begeistert als zweite Erde bezeichnet. Bei meiner Arbeit als Wissenschaftsvermittler muss ich mich dann immer besonders intensiv mit solchen Schlagzeilen beschäftigen. Es ist zwar absolut verständlich, dass wir fasziniert von der Existenz solch einer "zweiten Erde" sind. Vielleicht gibt es dort Leben? Vielleicht sogar intelligentes Leben? Und vielleicht können wir dorthin sogar auswandern, wenn wir unseren eigenen Planeten zugrunde gerichtet haben? Die Hoffnungen, die mediale Berichte über eine zweite Erde wecken, kann die Astronomie aber leider nicht stützen. Denn die Bedingungen auf einem Planeten hängen von sehr viel mehr Faktoren ab als nur von Masse, Größe und Abstand zum Stern. Gibt es dort zum Beispiel eine Atmosphäre? Wie dicht ist diese, und aus welchem Gasgemisch besteht sie? Ist der Planet geologisch aktiv, gibt es Plattentektonik und Vulkanismus (was unter anderem wichtig für einen stabilen Kohlenstoffhaushalt und damit für ein stabiles Klima ist)? Hat der Planet ein Magnetfeld, das ihn vor der gefährlichen kosmischen Strahlung schützt? All diese Fragen sind von enormer Bedeutung, mit unseren derzeitigen Beobachtungsmethoden können wir sie allerdings nicht beantworten.
In den vergangenen 25 Jahren hat sich vielfach bestätigt, dass Planeten allerorten vorhanden sind, sogar zahlreich und durchaus sehr anders als die in unserem Sonnensystem. Die Zukunft der Exoplanetenforschung wird vor allem darin bestehen, dieser ersten Bestandsaufnahme einen intensiven Blick auf die Eigenschaften der Himmelskörper selbst folgen zu lassen. Mit Großteleskopen, die in den nächsten Jahren den Betrieb aufnehmen werden (zum Beispiel dem James-Webb-Space-Telescope der NASA oder dem Extremely Large Telescope der Europäischen Südsternwarte) können wir die Planeten nicht nur finden, sondern auch charakterisieren. Erst dann werden wir wissen, wie einzigartig unser eigener Planet im Universum ist.
Wenn es da draußen tatsächlich eine echte zweite Erde gibt, werden wir sie in den nächsten Jahrzehnten gewiss entdecken. Als Alternative zur Erde kann sie uns aber auch dann nicht dienen. Sie wird viele Lichtjahre weit entfernt und für uns absolut unerreichbar sein. Der uns nächstgelegene extrasolare Planet umkreist den sonnennächsten Stern Proxima Centauri-und schon bis dort sind es mehr als vier Lichtjahre. Wir haben es gerade mal geschafft, ein paar Menschen für kurze Zeit auf den nahen Mond zu schicken. Selbst die anderen Planeten unseres eigenen Sonnensystems hat der Mensch noch nicht erreicht. Ein Flug zu den Planeten anderer Sterne ist derzeit reine Science-Fiction. Die Übersiedlung der Menschheit ist somit wahrlich keine Option.
Aber vielleicht hilft uns der Blick hinaus ins All, um unsere eigene Heimat mehr wertzuschätzen. Die Erforschung der extrasolaren Planeten hat uns gezeigt, dass wir nichts Besonderes sind, denn Planeten gibt es überall. Ebenso deutlich hat sie uns allerdings auch demonstriert, dass ein Ort wie die Erde, wenn vielleicht auch nicht einzigartig, so doch auf jeden Fall nicht sehr häufig ist. Wir haben nur unsere Erde, und um sie müssen wir uns kümmern. Ein "Planet B" ist nicht in Sicht.
FLORIAN FREISTETTER ist Astronom, Buchautor und Mitglied der Science Busters. Der passionierte Wissenschaftserklärer verfasst regelmäßig Science Blogs, publiziert Podcasts und schreibt die Kolumne "Freistetters Formelwelt" für das Magazin "Spektrum der Wissenschaft".