Demnächst fällt Beschluss, ob Senioren das AstraZeneca-Vakzin erhalten

Experten: Kein Zusammenhang zwischen AstraZeneca-Impfung und Thrombosen

Zuletzt herrschte große Verunsicherung über den Impfstoff des britisch-schwedischen Unternehmens AstraZeneca.

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Selbst viele Ärzte weigern sich, das Präparat AZD1222 anzuwenden, manche raten Patienten vehement davon ab, sich damit impfen zu lassen. Rational sind diese Warnungen nicht: Zwar kam es im Design der Wirsamkeitsstudien zu Pannen und verwirrenden Aussagen über die Effektivität. Doch inzwischen ist die Datenlage recht solide und zeigt: AstraZeneca schneidet in manchen Punkten eine Spur schlechter ab als andere Imfstoffe, in anderen dafür sogar besser. Unterm Strich lässt sich heute sagen: Das Präparat ist – genau wie jene von Biontech / Pfizer und Moderna – hoch wirksam und schützt jüngsten Daten zufolge zu etwa 80 Prozent vor dem Coronavirus.

Nun aber kam die Befürchtung auf, der AstraZeneca-Impfstoff könne Thrombosen auslösen, also Verschlüsse von Blutgefäßen infolge einer Gerinnungsstörung. In Österreich und Dänemark wurde je ein Todesfall nach einer Impfung berichtet, hinzu kamen mehrere Erkrankungsfälle. Dänemark, Norwegen und Island setzten daraufhin Impfungen mit AstraZeneca für vorerst zwei Wochen aus.

Personen, denen eine Impfung mit der Vakzine bevorsteht, fragen sich logischerweise, ob sie nun ein unvertretbar hohes Risiko eingehen. Um eine zuverlässige Antwort geben zu können, muss zunächst geklärt sein, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und den Komplikationen besteht. Eine letztgültige Klärung steht noch aus, doch inzwischen kann vorsichtig Entwarnung gegeben werden. Am Freitag dieser Woche veröffentlichte das deutsche Science Media Center Einschätzungen der Sachlage von zwölf deutschen und britischen Experten. Die Wissenschafter kamen unisono zum Schluss: Ein Zusammenhang ist noch nicht ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich.

Diese Ansicht beruht auf einer Bewertung jener europäischen Behörde, die Fälle von möglichen Nebenwirkungen von Arzneimitteln prüft: des Pharmakovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der europäischen Arzneimittelagentur EMA. Wie kann man aber zur Einschätzung gelangen, dass ein Kausalzusammenhang unwahrscheinlich ist? Schließlich lässt sich nicht in jedem einzelnen Fall unzweifelhaft herausfinden, was tatsächlich zu einer Thrombose geführt hat. Man kann aber eine andere Methode anwenden: Man kann zwei Datensätze vergleichen: erstens, wieviele Menschen im Zuge der Impfungen eine Thrombose erlitten haben. Und zweitens, wieviele Personen üblicherweise an Thrombosen erkranken – also ganz ohne Impfung in einem durchschnittlichen Jahr. Und dabei zeigt sich: Es ist keine Häufung der Erkrankungszahlen unter Geimpften im Vergleich zur Gesamtbevölkerung festzustellen – eher im Gegenteil.

Etwa fünf Millionen Menschen in der europäischen Union hatten bis zum Zeitpunkt der Auswertung eine Impfung mit AstraZeneca erhalten. Im selben Zeitraum wurden 30 Thrombosefälle gemeldet. Das Risiko beträgt somit etwa 1:170.000. Zum Vergleich: Üblicherweise kommt es pro 1000 Personen zu ein bis drei Thrombosen. Es handelt sich also um eine relativ häufige Erkrankung. Unter älteren Personen ist die Zahl dieser Komplikationen sogar noch höher. Zudem steigert auch eine Covid-19-Erkrankung die Gefahr von Thrombosen, und zwar deutlich: 15 bis 16 Prozent der Patienten sind Studien zufolge davon betroffen. Clemens Wendtner, Infektiologe an der Münchner Klinik Schwabing, vertritt daher die Ansicht, dass der größte Schaden nicht durch die Impfung droht, sondern vielmehr durch das Verabsäumen einer solchen.

Zwar plädieren alle Experten für eine weitergehende detaillierte Untersuchung der beobachteten Fälle, doch schon jetzt würden die Daten nahelegen, dass vermutlich ein klassisches Beispiel von anlassbezogen erhöhter Aufmerksamkeit vorliegt: Probleme, die mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ohnehin aufgetreten wären, erfahren besondere Beachtung, weil sie in zeitlicher Nähe zu einer Impfung eingetreten sind. Denn schließlich erleiden Menschen andauernd Thrombosen, ohne dass dies öffentlich debattiert würde – genau wie Herzinfarkte oder Schlaganfälle. Für die USA wurde in dem Zusammenhang bereits folgendes Rechenbeispiel erstellt: Während über einen Zeitraum von zwei Monaten zehn Millionen Menschen geimpft werden, erleiden, statistisch betrachtet, acht Personen Herzinfarkte oder Schlaganfälle, zehn erhalten eine Krebsdiagnose, 14.000 versterben aus unterschiedlichsten Gründen – parallel und in zeitlicher Nähe zur Impfung, aber nicht deshalb. Die Zahlen gelten auch für Phasen, in denen keine Impfkampagnen laufen.

Dennoch lautet das vorläufige Fazit: Ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Impfung mit AZD1222 ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber im Moment auch noch nicht ausgeschlossen. Oder wie Wissenschafter stets sagen: Es bedarf weiterer Studien. Das PRAC rät zur weiteren Anwendung des Impfstoffs parallel zu den Untersuchungen.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft