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Farbe, Temperatur, Symbole: Subtile Einflüsse steuern unser Denken

Kognition. Wie subliminale Botschaften unser Verhalten beeinflussen

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Von Hubertus Breuer

Dass sonniges Wetter die Stimmung hebt und schöne Frauen Männer in geistige Verwirrung stürzen, ist bekannt. Doch es gibt noch ungezählte andere Einflüsse, die unsere Psyche steuern, ohne dass wir uns dessen bewusst wären. Christen etwa verhalten sich angesichts eines Kruzifixes moralischer als ohne das an ein rechtes Leben gemahnende Religionssymbol. Menschen neigen auch dazu, spontan höhere Zahlen zu nennen, wenn sie nach links unten sehen, während sie beim Blick nach rechts oben niedrigere Ziffern angeben.

Vielseitige subtile Einflüsse
Unsere Welt steckt voller subtiler Einflüsse, die, wenn man sie kennt, dafür eingesetzt werden können, unser Leben zu steuern und teils sogar zu verbessern - beispielsweise, um Aggressionen zu senken oder die Kreativität zu fördern. Psychologen versuchen deshalb seit einigen Jahren, mithilfe ausgeklügelter Versuchsanordnungen den unterschwelligen Einfluss der Welt auf unsere Psyche experimentell zu erfassen. So konnten sie nachweisen, dass Körperhaltung, haptische Eindrücke, Gerüche, Farben, Formen, Symbole, die bloße Präsenz anderer Menschen oder uns umhüllende Faktoren wie Wetter, Natur oder Kultur ihre Spuren in unserem Denken und Handeln hinterlassen - Einsichten, die unter anderem der Psychologe Adam Alter von der New York University im Vorjahr im Buch "Drunk Tank Pink" (Penguin Press, 261 Seiten) dokumentierte. Im Folgenden einige überraschende Entdeckungen, die von klassischer Forschung in den 1970er-Jahren bis zu einer aktuellen Ausgabe des Forschungsmagazins "Nature" reichen - und demonstrieren, wie Körper, Sinne und Umwelt unsere Psyche prägen.

Macht der Farbe
Ein schlechter Tag in der Arbeit. Man ist bereit, mit jedem, der einem über den Weg läuft, Streit anzufangen. Doch dann betritt man ein Büro, das in einem bestimmten Pink gestrichen ist - dem sogenannten Baker-Miller-Pink. Und allmählich verflüchtigt sich jede Kampfeslust. Diese beruhigende Kraft verdankt sich, zumindest in den Augen vieler Gefängnispsychologen in den USA und auch mancherorts in Europa, diesem besonderen Farbton, und deshalb sind Einzelzellen für besonders aufbrausende Gefangene in einem solchen Rosa gestrichen. Wenn Männer länger auf eine Tafel in diesem Farbton blicken, wurde bei einem Experiment bereits in den späten 1970er-Jahren festgestellt, konnten sie nicht ihre volle Kraftleistung erbringen. Das macht das Baker-Miller-Pink wohl zu dem wirkungsmächtigsten unter den in aller Regel beruhigenden Pastellfarben.

Die Macht der Farbe Rot
Aber nicht nur sedierendes Rosa haben Wissenschafter auf ihre psychologische Wirkung hin untersucht. So fühlen sich Männer stärker zu Frauen hingezogen, die ein rotfarbenes Oberteil tragen. Statistisch gewinnen außerdem rot gekleidete Sportteams öfter als Mannschaften in anderen Outfits. Offenbar signalisiert die Farbe Rot in unserem Kopf romantisches Interesse und Dominanz. Die Vielseitigkeit von Rot zeigt sich auch anderswo: Im Vergleich zu Blau etwa, das offenbar eher kreatives Denken fördert, hilft Rot Versuchspersonen bei Aufgaben, bei denen auf die Details geachtet werden muss.

Blau und Rot gelten aber auch als Indikatoren für Temperatur. Wir glauben gern, dass die Farbe Rot warm wirkt, Blau hingegen kalt. Das mag der Erfahrung mit glühenden Herdplatten, Feuer oder kaltem Wasser geschuldet sein, aber es trifft keineswegs immer zu. Wie Forscher um Hsin-Ni Ho von den NTT Communication Science Laboratories in der japanischen Stadt Atsuki Anfang Juli im Wissenschaftsmagazin "Nature" feststellten, mögen Rot und Blau auf unsere Augen so wirken, doch wenn wir sie berühren, kehrt sich der Eindruck erstaunlicherweise um. Demnach wirken bei gleicher Temperatur blaue Gegenstände wärmer als rote. Hsin-No Ho erklärt sich dieses Phänomen damit, dass Menschen erwarten, dass die blauen Gegenstände sich kälter anfühlen, rote hingegen wärmer. Wenn man sie berührt, wird die Erwartung enttäuscht - und so wirkt dann ein blaues Objekt wärmer als ein rotes, auch wenn beide dieselbe Temperatur haben.

Das Gewicht der Welt
Nils Jostmann, Psychologe an der Universität Amsterdam, überreichte zwei Studentengruppen im Rahmen eines Experiments ein Klemmbrett. Auf der Schreibunterlage lag ein Blatt Papier, auf dem stand, dass die Universitätsleitung plane, Studentenrechte einzuschränken. Dann wurden die Probanden gefragt, für wie wichtig sie diese Rechte hielten. Als die Antworten ausgewertet wurden, fiel auf, dass eine Gruppe den Rechten im Schnitt deutlich mehr Bedeutung beimaß als die andere. Die nicht ganz rationale Erklärung : Das Klemmbrett dieser Gruppe wog 400 Gramm mehr. Und schon fielen ihre Rechte stärker ins Gewicht.

"Könnten Sie bitte kurz die Tasse halten, damit ich mir Ihren Namen notieren kann?", fragt der Psychologe den Studenten im Aufzug. Der Wissenschafter hat keine Hand frei: In der einen hält er ein Klemmbrett, in der anderen eine Tasse Kaffee. Der Student nimmt die Tasse hilfsbereit, der Psychologe notiert sich den Namen des Studenten und die Uhrzeit. Als die Türe sich automatisch öffnet, gehen sie zum Versuchslabor. Dort muss der Student im Rahmen eines Experiments mithilfe eines Fragebogens angeben, wie sympathisch er eine Person einschätzt.

Und da gibt es eine Überraschung: Jene Studenten, die kurz den heißen Kaffee im Aufzug gehalten hatten, schätzen ihr Gegenüber durchweg positiver ein als jene, die statt Kaffee eine Tasse Eistee für den Psychologen hielten. Erstaunlich: Nur eine kurze Empfindung von Kälte oder Wärme - schon sah die Welt ganz anders aus. Das gilt übrigens nicht nur für reale Empfindungen. So konnte der Psychologe C. Neil Macrae von der University of Aberdeen 2012 nachweisen, dass allein die Vorstellung, eine warme Tasse Kaffee in der Hand zu halten, unsere Einschätzung anderer Personen ebenfalls noch positiv beeinflusst.

Zeichensprache
In einer Studie aus dem Jahr 2005 ersuchte eine Forschungsgruppe rund um die Sozialpsychologin Paula Niedenthal von der University of Wisconsin Personen, die nur Englisch sprachen, chinesische Schriftzeichen nach ihrer Schönheit zu bewerten. Wenn diese Personen gleichzeitig eine Tischplatte nach oben drückten, erschienen ihnen die Zeichen gefälliger, während die Zeichen, wenn sie den Tisch nach unten drückten oder gar nichts machten, weniger attraktiv waren.

Hass und Liebe
In einem anderen Experiment der Psychologen Chen Bargh baten Forscher ihre Probanden, einen Hebel abwechselnd zu sich zu ziehen oder wegzudrücken, wenn sie ein Wort auf einem Bildschirm sahen. War das Wort positiv konnotiert, so wie "Liebe", und mussten sie den Hebel zu sich ziehen, geschah das schneller, als wenn das Wort neutral oder negativ besetzt war.
Erschien ein negatives Wort - etwa "Hass" - und mussten sie den Hebel von sich wegdrücken, geschah das ebenfalls schneller. Die Erklärung: Wer an Liebe denkt, bei dem schwingt auch das Gefühl mit, etwas an sich zu ziehen; bei Hass ist es genau umgekehrt. Das wiederum legt nahe, dass viele unserer Emotionen ebenfalls in motorischen Arealen unseres Gehirns verarbeitet werden. Schließlich beeinflusst offenbar die reine Blickrichtung allein unser Denken. Der Verhaltensforscher Tobias Loetscher von der australischen Universtiy of Melbourne bat 2010 Versuchspersonen, willkürlich eine Reihe von Zahlen zwischen 1 und 30 zu nennen. Dabei, so stellte sein Team fest, neigten die Personen dazu, niedrigere Zahlen als die vorhergehende zu nennen, wenn sie nach unten links blickten, aber höhere, wenn ihre Augen nach oben rechts schweiften.

Die Erklärung Loetschers: Menschen assoziieren unten und links mit niedriger, rechts und oben mit höher.

Kasten-Denken
In dem ländlichen Regierungsbezirk Hardoi in Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens, scheint das traditionelle Kastenwesen aufgehoben. Äußerlich unterscheiden sich die dort lebenden Familien kaum, ob sie nun zur Kaste der Krieger, der Brahmanen oder Unberührbaren gehören. Der Grund dafür ist die weit verbreitete Armut. Sie diktiert, welche Kleidung die Menschen tragen, wie sie wohnen, was sie essen. Armut ist der große Gleichmacher - aber noch mehr, wie die Ökonomen Karla Hoff und Priyanka Pandey von der Weltbank in einer vergangenen Januar erschienenen Studie im "Journal of Development Economics" feststellten: Es fanden sich auch bei Intelligenztests von über 500 Schuljungen keine nennenswerten Unterschiede - solange die Kastenzugehörigkeit der Kinder verborgen blieb. Sobald sie jedoch offensichtlich wurde - wenn man die Kinder etwa in Gruppen nach Kasten separierte -, änderten sich die Leistungen. Die Jungen, die den Unberührbaren angehörten, heute "Dalit" genannt, verschlechterten sich deutlich. Die Kinder höherer Kasten verbesserten sich dagegen bei Spielen, bei denen sie gegen andere antraten. Spielten sie jedoch für sich allein, sank ihre Erfolgsquote - wahrscheinlich, wie Hoff und Pandey vermuten, weil die Jungen höherer Kasten dann eingedenk ihrer Abstammung glaubten, sich nicht anstrengen zu müssen, da ihnen die Überlegenheit ohnehin in die Wiege gelegt sei.

"Wenn die Kastenzugehörigkeit situativ deutlich wird, beeinflusste es klar das Denken der Kinder", sagt Hoff: "Ein Umfeld, in dem die traditionellen Kasten weiter eine Rolle spielen, ist ein klares Hindernis für sozialen Wandel."

Symbolträchtig
Menschen denken anscheinend kreativer, wenn sie das Apple-Logo wenige Millisekunden sehen - das zumindest ergab ein Experiment einer Forschungsgruppe um den Psychologen Gavan Fitzsimons von der Duke University. Das Logo erschien auf einem Computerbildschirm zu kurz, um direkt bemerkt zu werden. Dennoch lösten die Versuchspersonen - Studenten in diesem Fall - die Aufgabe, sich kreative Anwendungen für eine Büroklammer auszudenken, erfolgreicher als jene Probanden, die für den Bruchteil einer Sekunde das IBM-Logo gesehen hatten. Eine Studie anderer Forscher konnte ähnlichen Erfolg mit einem anderen Logo vorweisen: mit dem Bild einer strahlenden Glühbirne, dem Inbegriff eines Heureka-Moments.

Wer sich für einen Christen hält, benimmt sich wiederum angesichts eines Kruzifixes besser. Das zumindest zeigte ein Experiment, bei dem Probanden erst den Wert von Schmuckstücken schätzen sollten. In einigen Fällen war unter diesem Schmuck auch ein Goldkreuz. Danach mussten die Versuchspersonen einen Fragebogen zu ihren persönlichen Tugenden und Schwächen beantworten. Es zeigte sich, dass unter den Personen jene Christen, die das Schmuckkreuz zuvor gesehen hatten, ehrlicher antworteten als jene, die zuvor keinen symbolisch aufgeladenen Schmuck taxieren mussten.

Dieser Trick funktioniert auch bei konfessionslosen Menschen. In einem Experiment von Forschern der britischen Newcastle University rissen sich Menschen eher am Riemen, wenn sie ein Paar Augen auf sich gerichtet sahen - selbst wenn dieses nur auf einem Poster abgebildet war. In der Universitätskantine konnten Personen sich aus einem Kühlregal Getränke nehmen. Dabei sollten sie den Preis in eine kleine Kassette daneben entrichten. Niemand kontrollierte sie. Solange an der Wand ein großes Blumenbild hing, schummelten viele, doch als statt dessen plötzlich ein Paar stechender Augen zu sehen war, zahlten die durstigen Personen laut der Studie 2,76 Mal so viel wie zuvor. Ähnlich gutes Benehmen lässt sich auch mit Vaterlandsliebe erreichen.

Wenn patriotisch gesinnte Amerikaner vor einer "Stars & Stripes"-Flagge sitzen, so ergab ein Experiment, schätzten sie Muslime positiver ein, wohl eingedenk der in der US-Verfassung garantierten Rechte der Chancengleichheit und Freiheit.

Wetterfühlig
Dass wir uns bei schönem Wetter in aller Regel besser fühlen als an verregneten Tagen, ist keine große Überraschung. Doch ist es schon weniger selbstverständlich, dass atmosphärische Phänomene Einfluss auf Sachentscheidungen haben. Analysen der Aktienkurse in den USA belegen, dass die Kurse zwischen 1927 und 1997 an sonnigen mehr als an verregneten, bewölkten oder Schneetagen stiegen - das Wetter beeinflusst offenbar die Einschätzung, welche Unternehmen prosperieren werden. Montags, wenn die Börsenhändler womöglich betrübt über das Ende des Wochenendes sind, fallen die Aktien in aller Regel - aber an sonnigen Montagen zumindest weniger. Die Ökonomen David Hirshleifer von der University of California, Irvine, und Tyler Shumway von der University of Michigan, Ann Arbor, fanden dieses Phänomen zudem an Börsenplätzen weltweit bestätigt: in Helsiniki, Kuala Lumpur, Sydney und auch in Wien.

Gebäude, in denen wir uns aufhalten, formen unser Denken offenbar ebenfalls - ein Thema, dessen sich die noch junge Disziplin der Architekturpsychologie angenommen hat. So konnte die Psychologin Joan Meyers-Levy von der University of Minnesota 2007 in einem Experiment einen Einfluss der Deckenhöhe auf unser Denken feststellen. Waren die Räume niedrig, lösten die Versuchspersonen schneller Anagramme, die Enge assoziierende Wörter beinhalteten. Dagegen waren die Probanden in hohen Räumen besonders gut darin, Rätsel zu lösen, deren Lösungen mit dem Thema Freiheit zu tun hatten. Levy interpretierte das Ergebnis so, dass uns luftige Räume das Gefühl von Freiheit geben. Menschen in diesen großzügigen Räumen dächten auch eher in größeren Zusammenhängen.

Gruppendynamik
Bekanntlich denken und fühlen Menschen in ostasiatischen Ländern anders als jene im Westen - mehr kollektiv als individualistisch. Das drückt sich beispielsweise darin aus, dass sich ein Westeuropäer in einer engen Freundschaft weiterhin als Individuum wahrnimmt, während in Korea oder China die Menschen glauben, dass unsere Identitäten nicht fein säuberlich abgezirkelt sind, sondern ineinander übergehen - man Teil eines größeren Ganzen sei. Das konnte der amerikanische Sozialpsychologe Solomon Asch bereits in den 1950er-Jahren feststellen. Er entwarf ein einfaches Experiment . Versuchspersonen sollten unter mehreren Linien jene mit gleicher Länge identifizieren. Die Antwort fiel leicht, doch wenn man die Probanden informierte, die Mehrheit anderer Studienteilnehmer hätte eine andere (jedoch falsche) Wahl getroffen, wurden sie unsicher. 30 Prozent amerikanischer Versuchspersonen änderten daraufhin ihre Meinung, in Japan hingegen 50 Prozent.

Doch kulturelle Prägungen sind nicht in Stein gemeißelt. Der Psychologe Adam Alter von der New York University stellte vor einigen Jahren fest, dass heute viele Amerikaner mit dem Konzept von Yin und Yang des Taoismus vertraut sind. Dieses geht davon aus, dass die Welt von Gegensätzen wie männlich und weiblich, Tag und Nacht geprägt ist, die zueinander in einer ständigen Spannung stehen. Mit dieser Vermutung ausgerüstet, ließ Alter weiße Durchschnittsamerikaner auf der Upper East Side und im Financial District New Yorks einen Fragebogen ausfüllen, wie sie 1000 Dollar anlegen würden. Zum Zeitpunkt der Befragung, vor der Finanzkrise 2008, stiegen die Aktienkurse, und die Befragten nahmen an, so würde es weitergehen. Also investierten sie eifrig. Wenn der Fragesteller jedoch ein T-Shirt trug, auf dem ein kleines Yin-und Yang-Symbol zu sehen war, änderte sich ihre Haltung. Ihre Antworten spiegelten plötzlich eine mehr taoistisch geprägte Sicht der Dinge. Demnach würden die Aktien wieder sinken, und so investierten die Befragten deutlich weniger. "Heute sind wir aufgrund von Reisen, Internet und einer globalen Unterhaltungsindustrie deutlich mehr kulturellen Einflüssen ausgesetzt", sagt Alter.

"Dem kommen wir nicht aus, und das verändert subtil unser Denken."