Forscher wollen das Rätsel der Welt knacken: Wie entstand das Leben?
Es ist eine bizarre Welt unter Wasser. Bis zu 60 Meter ragt das Ensemble aus etwa 30 spröden Kalktürmen vom Grund des Atlantiks empor. Aus Öffnungen dieser Schlote brodelt eine 40 bis 90 Grad warme Flüssigkeit, die Wasserstoff und Methan ins Meerwasser spuckt. In den Spalten und Poren der Kalkformationen hausen Schnecken, Muscheln, Würmer, kleine Krebse und urzeitlichen Mikroben ähnelnde Archaebakterien. Lost City wird diese vor eineinhalb Jahrzehnten entdeckte Landschaft im Ozean genannt: eine Art Unterwasser-Geysir, ein hydrothermales Feld. Erst Mitte April wurde bekannt, dass die Schlote eine ganz besondere Bedeutung haben könnten als Brutstätte für die Geburt des Lebens auf der Erde, wie ein Forscherteam des Jet Propulsion Laboratory in Pasadena vermutet.
Denn in der Frühzeit herrschten hier chemische Bedingungen, die als Zündfunke für die Bildung der allerersten Biomoleküle infrage kämen, glauben die Experten um Michael Russell. Das Wasser des damaligen Ozeans war sauer, das aus den Schloten quellende Wasser dagegen alkalisch. Es bestand daher ein chemisches Ungleichgewicht, und genau solche Dysbalancen können jenen energetischen Schub liefern, den komplexe Prozesse benötigen in diesem Fall zur Komposition organischer Materie. Das wohlig warme, aber nicht zu heiße Klima im Umfeld der Lost City könnte dazu beigetragen haben, dass dieses Experiment der Natur auch Bestand hatte.
Dass solche Gegebenheiten vor fast vier Milliarden Jahren in eine Vorstufe des Lebens mündeten, ist für die Wissenschafter um Russell keineswegs eine Überraschung, sondern eher logische Konsequenz der chemischen Konstellation: Unter solchen Umständen sei Leben geradezu unvermeidlich.
Die Argumente der Amerikaner sind der jüngste Beitrag zu einer Debatte, die Forscher und Denker vieler Disziplinen im Grunde seit jeher beschäftigt: Wie, wann und wo entstand das Leben auf unserem Planeten? Welche Faktoren mussten sich wie fügen, welche Rädchen ineinandergreifen, welcher Motor in Gang gesetzt werden, damit jener entscheidende Impuls erfolgte, der half, Totes in Lebendiges zu verwandeln?
Mögliche Antworten auf diese Fragen versuchen zahlreiche Hypothesen zu formulieren, die teils konkurrieren, teils einander ergänzen, jedoch stets an eine gewaltige Hürde stoßen: Es gibt kaum Fossilien aus jenen fernen Tagen, selbst aufschlussreiche Gesteinsreste sind rar, und auch hinsichtlich der Mechanismen von Plattentektonik und Erdklima begibt man sich häufig ins Reich der Mutmaßung. Die Fachwelt ist daher oft auf Simulationen, Schlussfolgerungen und Spekulationen angewiesen. Je weiter man in die Vergangenheit blickt, desto trüber wird die Linse, sagt Christian Köberl, Geochemiker und Direktor des Naturhistorischen Museums in Wien: Vieles ist mit großen Unsicherheiten behaftet.
Gerade die Daten der jüngsten Zeit liefern zumindest punktuell solide Befunde über die ältesten Lebensformen, und vielen ist gemeinsam, dass sie die Uhr des Lebens sukzessive zurückdrehen.
Lesen Sie die Titelgeschichte von Alwin Schönberger in der aktuellen Printausgabe oder als E-Paper (www.profil.at/epaper)!