Forscherin Pepperberg über den klügsten Papagei aller Zeiten
INTERVIEW: FRANZISKA DZUGAN
profil: Ein Pyromane war der Grund, dass Sie als ausgebildete Chemikerin in die Biologie wechselten. Wie kam das? Irene M. Pepperberg: Ich schrieb gerade an meiner Doktorarbeit in theoretischer Chemie, die mich zunehmend langweilte. Mein Mann und ich lebten damals in einer kleinen Wohnung in Cambridge. In einer Novembernacht 1973 legte ein ortsbekannter Pyromane Feuer an den Garagen von fünf Häusern, unser Haus in der Hammond Street war das letzte auf seiner Liste. Weil die Feuerwehr bereits mit den anderen Bränden beschäftigt war, brannte unser Wohnblock völlig nieder. Zum Glück konnten wir vorübergehend beim Doktorvater meines Mannes unterkommen, wo wir auf dessen Kinder aufpassten. Beim Fernsehen mit den Kleinen sahen wir die TV-Serie "Nova“, die über Schimpansen berichtete, die unter der Anleitung von Wissenschaftern schreiben lernten. Da wurde mir erst bewusst, dass es Verhaltensforschung als Fachgebiet überhaupt gab. Zu Hause hätte ich die Serie niemals gesehen, weil wir gar keinen Fernseher besaßen.
profil: Warum haben Sie sich für einen Graupapagei als Forschungsobjekt entschieden? Pepperberg: Ich war schon als Kind von Tieren fasziniert. Als ich vier Jahre alt war, schenkte mir mein Vater einen Wellensittich. Er war mein einziger Gefährte, weil in unserem Wohnblock im New Yorker Stadtteil Brooklyn keine Kinder lebten. Ich wollte also mit Vögeln arbeiten. Ich habe recherchiert und herausgefunden, dass die einzigen Untersuchungen mit Papageien an Graupapageien durchgeführt worden waren. Die wenigen Studien, die es gab, zeigten, dass die Vögel sehr intelligent waren.
profil: Welchen Konsens gab es damals über die Intelligenz von Tieren? Pepperberg: In den 1970er-Jahren waren Tiere und Denken noch Widersprüche. Der Behaviorismus sah Tiere als Automaten, die keinerlei kognitive Fähigkeiten besaßen und nicht denken konnten. In der Biologie gab es eine gewisse Weiterentwicklung, jedoch sahen auch Biologen tierisches Verhalten als weitgehend vorbestimmt an.
profil: Haben Sie den Papagei Alex, der später eine Berühmtheit wurde, nach bestimmten Kriterien ausgesucht? Pepperberg: Nein. Da ich ja herausfinden wollte, welche Fähigkeiten Graupapageien im Allgemeinen haben, überließ ich dem Zoohändler die Wahl. Er entschied sich für jenen der acht Vögel, der der Käfigtür am nächsten saß. Ich nannte ihn Alex, ein Akronym für Avian Learning Experiment, übersetzt Vogellernexperiment.
profil: Sie entwickelten eine eigene Trainingsmethode. Wie funktioniert sie? Pepperberg: Mein Training basierte auf einem Lernkonzept, das völlig von der damaligen Lehrmeinung abwich. Damals ließ man die Tiere auf 80 Prozent ihres Gewichts hungern, damit sie möglichst gut auf die Belohnung reagierten. Beim Lernen mussten sie in einer Box sitzen, um die Reize möglichst genau kontrollieren zu können. Mir kam das völlig verrückt vor. Leuchtet es nicht unmittelbar ein, dass Kommunikation ein sozialer Vorgang ist und das Erlernen von Kommunikation ebenso? Man weiß doch auch, dass sich Kinder besser entwickeln, wenn sie viel Interaktion und ein anregendes Umfeld haben. Viele Forscher waren mit ihren Experimenten gescheitert und schrieben das den Fehlleistungen im Gehirn der Tiere zu.
Man gab mir zu verstehen, dass nur ein Verrückter annehmen könne, ein Vogelhirn von der Größe einer Nuss sei in der Lage, komplizierte kognitive und linguistische Leistungen zu erbringen.
profil: Was machten Sie anders? Pepperberg: Mir fiel ein Aufsatz des deutschen Verhaltensforschers Dietmar Todt in die Hände, in dem er die von ihm entwickelte Model-Rival-Methode beschrieb. Dieses Modell baut auf Beobachtung, was sehr wichtig ist. Ein Tier hat hier zwei Trainer. Trainer A fragt Trainer B, wie ein bestimmter Gegenstand heißt. Wenn Trainer B korrekt antwortet, bekommt er eine Belohnung, wenn nicht, wird er gescholten. Zwischendurch wird auch das Tier gefragt. Trainer B ist einerseits das Modell für das Tier, aber auch ein Rivale um die Aufmerksamkeit von Trainer A. Da ich sicher sein wollte, dass Alex auch tatsächlich verstand und nicht nur Laute produzierte, ließ ich die Trainer die Rollen tauschen. Und Alex erhielt die Gegenstände zur Belohnung, wenn er mit seiner Antwort richtig lag. Er liebte zum Beispiel Schlüssel, mit denen er sich gerne kratzte. Auf diese Weise wurde zwischen Bezeichnung und Gegenstand in seinem Gehirn eine klare Verbindung gestiftet. Wir nennen das referenzielle Belohnung.
profil: Wie schwer ist es für Papageien, die menschliche Sprache zu lernen? Pepperberg: Es ist für sie ähnlich wie für uns, wenn wir eine neue Sprache lernen. Sie verständigen sich untereinander mit Pfiffen und Schreien und müssen völlig neue Laute lernen. Wir versuchen es ihnen zu erleichtern, indem wir anfangs Wörter aussuchen, die ihren Schreien ähnlich sind, wie das englische Wort für Schlüssel, "key“. Sie lernen erst "iiii“, später das "k“.
profil: Ihr erster Forschungsantrag wurde abgelehnt. Warum? Pepperberg: Auf den Punkt gebracht, fragte man sich, was diese Frau wohl rauchte. Man gab mir zu verstehen, dass nur ein Verrückter annehmen könne, ein Vogelhirn von der Größe einer Nuss sei in der Lage, komplizierte kognitive und linguistische Leistungen zu erbringen. Und dann noch mit der Methode der sozialen Interaktion!
profil: Aber Haustierbesitzer waren auch damals schon überzeugt, dass ihre Tiere gescheit sind, oder? Pepperberg: Ja klar, viele wussten, dass ihre Tiere klug waren. Mein Job war es, das endlich wissenschaftlich zu beweisen. Wir ließen die Anekdoten der Haustierbesitzer in unsere Arbeit einfließen.
profil: Sie hatten anfangs mit großen finanziellen Problemen zu kämpfen. Stimmt es, dass Sie manchmal mit Keksen bezahlten? Pepperberg: Ja. Ich war auf der Suche nach jemandem, der mir Dreiecke, Vierecke und anderes aus Holz zurechtschnitt, das Alex regelmäßig mit seinem Schnabel zerstörte. Also schloss ich mit den Arbeitern einer Schreinerei einen Deal: Sie versorgten mich mit Klötzchen aus hartem Ahornholz, ich sie mit Keksen. Meine Studenten und Mitarbeiter konnte ich so natürlich nicht bezahlen, weshalb ich pausenlos versuchte, an Forschungsgelder zu kommen. Inzwischen finanziere ich unsere Arbeit in Harvard hauptsächlich über Spendengelder, die wir über die Alex Foundation sammeln. In den USA wurden die Forschungsgelder nach der Finanzkrise extrem gekürzt. In Europa passiert derzeit viel mehr auf dem Gebiet der tierischen Intelligenz, besonders in Wien, London und Oxford.
Ein großer Schritt war, dass Alex lernte, die Konzepte ‘gleich‘ und ‘verschieden‘ zu begreifen.
profil: Lernte Alex schnell? Pepperberg: Ja, nach nur einem Jahr hatten wir ihn gelehrt, sieben Gegenstände zu benennen, und er erkannte zwei Farben. Wenn er nicht arbeiten wollte, kreischte er, biss oder ignorierte mich. Ich konnte ruhig versuchen, ihm eine Banane zu geben, wenn er Trauben wollte. Sie landete garantiert an meinem Kopf. Doch nach einem Jahr lernte er plötzlich von selbst, Nein zu sagen, wenn er etwas nicht wollte. Er hatte den Begriff oft von uns gehört.
profil: Er lernte auch von selbst, sich zu entschuldigen, oder? Pepperberg: Das war eine sehr emotionale Situation. Ich hatte ihn im Labor allein gelassen, und als ich wieder kam, hatte er eine Tasse zerbrochen. Zuerst schimpfte ich mit ihm wie mit einem Kind, bis mir klar wurde, dass er ein Papagei war und ich mir vor allem Sorgen um ihn machte, wie er da so zwischen den Scherben saß. Also sagte ich zu ihm: "Es tut mir leid, es tut mir leid.“ Da lernte er, dass "es tut mir leid“ meine Wut stoppte. Reue hingegen lernte er nie. Er tat etwas Ungezogenes, sagte mit säuselnder Stimme "es tut mir leid“ und kurz darauf tat er das Gleiche wieder.
profil: Sie fanden auch heraus, dass Papageien üben, wenn sie alleine sind. Pepperberg: Ja, wir nahmen Alex’ abendliche Plapperstunden auf, in denen er Bezeichnungen übte, bevor er einschlief. Kleine Kinder machen genau das Gleiche. Wie die Kinder übte er Wortteile und kombinierte sie mit anderen. Er schuf neue Worte. Als er zum Geburtstag eine Torte bekam, nannte er sie "leckeres Brot“, weil er die Bezeichnung für Torte nicht kannte.
profil: Welche Leistungen, die Alex vollbrachte, haben Sie am meisten beeindruckt? Pepperberg: Ein großer Schritt war, dass Alex lernte, die Konzepte "gleich“ und "verschieden“ zu begreifen. Wir trainierten ihn, die Kategorien Farbe, Form und Material zu unterscheiden. Es dauerte einige Monate, dann hatte er es kapiert. Wir zeigten ihm ein grünes, viereckiges Holzstück und ein blaues, und fragten ihn: "Was ist gleich?“ Er antwortete: "Form.“ Auf die Frage, was verschieden sei, sagte er: "Farbe.“ Dazu musste Alex zum einen die Attribute dieser beiden Gegenstände korrekt erfassen, musste verstehen, was er vergleichen sollte, den Vergleich durchführen und mir dann die Antwort geben. Keine leichte Aufgabe für ein "Spatzenhirn“! Der Forscher David Premack hatte einen ähnlichen Test mit Schimpansen durchgeführt, allerdings mussten die Tiere nur signalisieren, ob zwei Objekte gleich oder verschieden waren. Auf dem internationalen Primatenforscherkongress 1986 in Göttingen stellte ich meine Ergebnisse vor, als ein Forscher aufsprang und fragte: "Wollen Sie sagen, Ihr Vogel mache dasselbe, was Premacks Schimpansen tun, nur auf eine elegantere Art und Weise?“ Sie waren sprachlos.
profil: Unter anderem deswegen wurde Ihr Papagei berühmt. Pepperberg: Seine Leistungen zogen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich. Alle großen Fernsehsender schickten Filmteams in unser Labor, und Alex kam sogar auf das Cover des "Wall Street Journal“ unter dem Titel "Der Einstein-Vogel“.
profil: Sie forschten mit Alex auch am MIT, wo sie mit Computern experimentierten. Worum ging es da? Pepperberg: Wir entwickelten ein Lernsystem, mit dem Papageien ihren Wortschatz erweitern konnten. Es eignet sich übrigens auch für die Arbeit mit autistischen Kindern. Wir entwarfen Spielsachen, die einen kleinen Radiosender trugen. Wurde das Spielzeug, zum Beispiel ein Schlüssel, aufgehoben, schaltete sich ein kleiner Bildschirm ein, auf dem ein Mensch erschien und sagte: "Das ist ein Schlüssel. Toll! Sieh dir diesen Schlüssel an!“ Langeweile ist ein Dauerthema für Papageien. Ihre Besitzer lassen die intelligenten Tiere täglich acht Stunden oder länger alleine im Käfig sitzen. Das ist ein Drama. Wir arbeiteten auch mit Computern, die Tieren ermöglichen sollten, miteinander zu kommunizieren. Sie sollten miteinander "skypen“ können. Leider war ich nur zwei Jahre am MIT, weshalb wir bisher noch nicht herausgefunden haben, ob die Tiere durchschauen, dass sie mit dem anderen Papagei auf dem Bildschirm sprechen können.
profil: Ihr Papagei lernte auch von allein, zu addieren. Wie das? Pepperberg: Alex wusste damals, was zwei Nüsse waren, und konnte ebenso die Ziffern 1 bis 6 identifizieren. Ich hatte damals bereits unseren jüngeren Papagei, Griffin, dem wir nun ebenfalls Zahlen beibrachten, indem ich klickte und ihn fragte, wie oft ich geklickt hatte. Ich klickte zwei Mal und frage Griffin: "Wie oft?“ Doch der Vogel wollte nicht und alberte nur herum. Also klickte ich wieder zwei Mal und fragte ihn noch einmal. Wieder kam keine Antwort. Dafür antwortete Alex: "Vier.“ Ich ignorierte Alex und klickte noch zwei Mal, um Griffin wieder zu fragen. Diesmal sagte Alex: "Sechs.“ Da begannen wir, ihn weiter zu fördern. Zum Schluss konnte er arabische Zahlen addieren.
Dieser kleine Papagei schien ein Konzept zu kennen, das sogar dem großen griechischen Mathematiker Euklid fremd war.
profil: Alex hatte mit Zahlen noch einen zweiten Durchbruch. Pepperberg: Ja. Er langweilte sich bei den Tests immer sehr schnell, weshalb er eines Tages anfing, immer Zahlen zu nennen, die nicht auf dem Tablett lagen, das ich ihm zeigte. Fragte ich ihn, welche Farbe die 3 habe, antwortete er 5. Die 5 lag nicht auf dem Tablett. Gut, du Schlauberger, dachte ich und fragte: "Welche Farbe hat 5?“ Alex sagte: "Keine.“ Ich war verblüfft. Wie Alex dieses nullähnliche Konzept benutzte, ist von enormer Bedeutung. Die Vorstellung von Null ist etwas hochgradig Abstraktes. Das Konzept der Null wurde im abendländischen Kulturraum erst um 1600 entwickelt. Dieser kleine Papagei schien ein Konzept zu kennen, das sogar dem großen griechischen Mathematiker Euklid fremd war. Und Alex war ganz allein darauf gekommen!
profil: Alex starb 2007 ganz unerwartet. Was wären Ihre weiteren Pläne mit ihm gewesen? Pepperberg: Alex hatte das Intelligenzniveau eines fünfjährigen Kindes erreicht, sein Potenzial war damit aber noch lange nicht ausgeschöpft. Wir waren gerade dabei, ihm das Buchstabieren beizubringen, als er mit nur 31 Jahren in der Nacht an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall starb. Graupapageien können mindestens doppelt so alt werden.
profil: War Alex ein außergewöhnlich kluger Vogel? Pepperberg: Er war mit Sicherheit ein sehr kluger Vogel, aber das Training machte enorm viel aus. Er war 15 Jahre lang unser einziger Papagei. Eine kleine Armee an Studenten und ich arbeiteten pausenlos mit ihm. Wir sprachen den ganzen Tag mit ihm, auch wenn wir ihn nicht testeten. Jetzt haben wir zwei Papageien, Griffin und Athena, die natürlich nicht mehr in den Genuss dieser uneingeschränkten Aufmerksamkeit kommen können. Alex selbst erschwerte in späteren Jahren die Arbeit mit Griffin, weil er dem jungen Vogel immer einsagte.
profil: Gibt es einen Unterschied zwischen der Einstellung zu Tieren heute und der Zeit, als Sie angefangen haben, mit Papageien zu arbeiten? Pepperberg: Der Unterschied ist enorm. Sowohl die Menschen als auch die Wissenschaft sind heute sehr interessiert an tierischer Intelligenz. Ich werde in letzter Zeit häufig zu Tierarztkonferenzen eingeladen, wo ich vortrage, dass Hauspapageien große Käfige brauchen und eine Menge herausforderndes Spielzeug. Was mir aber am wichtigsten ist: Wenn die Menschen sehen, dass Tiere sehr kluge Wesen sind, liegt ihnen mehr daran, sie und ihre Lebensräume zu schützen.
profil: Welche außergewöhnlichen Leistungen erbringen Ihre jüngeren Vögel? Pepperberg: Die zweijährige Athena überraschte uns kürzlich. Wir leerten dieselbe Menge Wasser einmal in ein breites, niedriges Glas, einmal in ein schmales hohes und fragten sie, in welchem Glas mehr Wasser sei. Sie durchschaute sofort, dass in beiden Gefäßen gleich viel Wasser war. Kinder können diesen Test erst ab dem Alter von fünf Jahren bestehen, jüngere glauben, dass in dem hohen Glas mehr Wasser sei.
Irene M. Pepperberg, 66, studierte Chemie an der renommierten Harvard University, bevor sie sich für die Biologie entschied. Ihre Studien mit dem Graupapagei Alex sind ein Meilenstein in der Kognitionsforschung: Sie bewiesen, dass Vögel zu besonderer Gehirnleistung und Intelligenz fähig sind. In ihrem Bestseller "Alex und ich“ erzählt Pepperberg über ihre einzigartige Freundschaft zu dem Vogel, ihren Forschungsalltag und Alex’ grandiose Fortschritte. Am 9. Oktober wird Pepperberg in Österreich sein und beim Biologicum Almtal, einem jährlichen Symposium, über die kognitiven Fähigkeiten von Graupapageien sprechen.
Denken. Die Psychologie des Verstandes. 8. bis 11. Oktober, Grünau im Almtal, biologicum-almtal.at
Irene M. Pepperberg: "Alex und ich. Die einzigartige Freundschaft zwischen einer Harvard-Forscherin und dem schlausten Vogel der Welt“, mvg Verlag, 203 Seiten, EUR 10,30.