Fragen und Antworten: Alles über Erkältungen, Viren und das Immunsystem
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Sheldon Cohen hat einen ungewöhnlichen Job. Er macht Menschen krank. Der Professor an der Carnegie Mellon University tropft Freiwilligen virenhaltige Flüssigkeiten in die Nase, sperrt sie in Quarantäne und zapft ihnen Blut ab. Ob ihm das Spaß macht, wissen wir nicht, aber auf jeden Fall konnte Cohen dadurch in mehr als drei Jahrzehnten eine Menge interessanter Fragen beantworten. Zum Beispiel: Steckt man sich sofort an, wenn man einem Virus begegnet? Bekomme ich immer Schnupfen, wenn ich mir ein Schnupfenvirus einfange? Und welche Faktoren und Lebensumstände schützen am besten vor Infekten? Derzeit, mitten in der aktuellen Erkältungswelle, stellen sich die Menschen aber vermutlich noch mehr Fragen zum Thema.
Was verursacht die aktuelle Erkältungswelle?
Schon eine Fahrt in der U-Bahn macht klar: Es ist Erkältungssaison. Verantwortlich für all das Geschniefe sind grippale Infekte: im Gegensatz zur Influenza, der echten Grippe, meist harmlose Infektionen der oberen Atemwege. Die größte Gruppe der Erreger sind Rhinoviren, die zur Familie der Picornaviren zählen (Pico, weil sie so klein sind; RNA, weil sie aus einem Strang Ribonukleinsäure bestehen). Unterwegs sind weiters Adeno- und Coronaviren, wobei mit Letzteren jene vier Varianten gemeint sind, die uns schon lange begleiten und typische Erkältungen verursachen. Aber auch deren Verwandter SARS-CoV-2, Auslöser der Pandemie, trägt seit Wochen zunehmend zum Infektionsgeschehen bei – und hat zuletzt massiv zugenommen, wie Abwasseruntersuchungen zeigen. „Noch keine Rolle spielen derzeit die Influenza und Respiratorische Synzytial-Viren (RSV), die im Vorjahr stark zirkulierten“, sagt der Wiener Virologe Norbert Nowotny. Viele Erkältungsviren lösen ähnliche Symptome aus, derzeit auch Kehlkopfentzündungen und Magen-Darm-Beschwerden. Aus den Symptomen lässt sich daher kaum ableiten, womit man sich angesteckt hat.
Im Moment zirkulieren vor allem Rhino-, andere Atemwegsviren und zuletzt sehr massiv Corona. Noch keine Rolle spielt die Influenza.
Wie steckt man sich an?
Rhinoviren werden vor allem durch Tröpfchen übertragen, die beim Niesen oder Husten im Raum verteilt werden. An zweiter Stelle steht die Kontaktübertragung. Eine Ansteckung erfolgt, wenn man mit Viren kontaminierte Oberflächen berührt, etwa Türschnallen, Haltegriffe in der U-Bahn oder Handys. „Im Allgemeinen sind solche respiratorischen Viren in der Umwelt aber nicht sehr langlebig“, so Nowotny. Regelmäßiges Händewaschen ist dennoch sinnvoll, um Infektionen zu vermeiden. Etwas anders ist die Sachlage beim neuartigen Coronavirus. Neben Tröpfchen spielen hier Aerosole eine wichtige Rolle: winzige Schwebeteilchen in der Luft, die mit Viren beladen sind. Besonders was respiratorische Viren angeht, schützen FFP2-Masken – sie also beispielsweise in knallvollen U-Bahnen zu tragen, ist durchaus sinnvoll und empfehlenswert.
Nieswolke
Hochgeschwindigkeitskameras zeichnen den Tröpfchenstrom auf, den eine infizierte Person ausstößt.
Wie lange ist eine infizierte Person infektiös?
Grundsätzlich gilt: Solange man Symptome hat, kann man auch ansteckend sein. Eine besonders hohe Virenlast tritt in den ersten zwei bis vier Tagen einer Infektion auf. Eventuell kann man schon kurz vor Einsetzen der Symptome ansteckend sein.
Warum immer im Herbst? Macht uns die Kälte krank?
Schon Oma war überzeugt, dass sie sich eine Erkältung oder „Verkühlung“ einfängt, wenn ihr kalt ist oder „es zieht“. In Wirklichkeit ist immer ein Virus im Spiel – in bis zu 50 Prozent der Fälle sind es Rhinoviren, von denen es mehr als 120 Serotypen (Unterformen) gibt, zu etwa 30 Prozent Coronaviren, der Rest entfällt auf Erreger wie Adeno-, Coxsackie-, Echo- oder Parainfluenzaviren. Wenn wir zu Beginn einer Erkältung frösteln, ist das nicht die Ursache, sondern Folge der Infektion: Der Körper zieht Wärme aus den Gliedmaßen ab und konzentriert sich auf die Erhöhung der Kerntemperatur, um Immunzellen zum Ort der Infektion abzukommandieren.
Kälte verursacht keine Erkältung, spielt aber indirekt eine Rolle: Rhinoviren mögen es kühl. Bei Lufttemperaturen von fünf bis zehn Grad sind sie besonders aktiv. Dass vor allem die Atemwege von herbstlichen Infektionen betroffen sind, liegt auch daran, dass Viren dort ein vergleichsweise kühles Klima vorfinden, speziell in der Nase. Dort ist die Temperatur niedriger als im Körperinneren. Bei sinkenden Außentemperaturen kühlt die Nase zusätzlich aus, was Infektionen begünstigt.
Auch der Zusammenhang von Temperatur und der Immunabwehr ist von Belang. Ist es kalt, sinkt die Durchblutung, und die Aktivität unserer Immunzellen ist reduziert – sie plagen sich nun mehr, unerwünschte Eindringlinge zu bekämpfen. Forschende prüften das im Labor: Sie infizierten Epithelzellen der Nasenschleimhaut bei 33 sowie bei 37 Grad mit Rhinoviren und stellten fest, dass die Immunantwort bei niedrigerer Temperatur geschwächt war. Die Viren konnten sich im kühleren Umfeld besser vermehren. Die Nase schön warm zu halten, könnte also das Ansteckungsrisiko reduzieren.
Einen weiteren Mechanismus beobachteten Forschende erst kürzlich: Unsere Nasenschleimhaut hat einen raffinierten Trick entwickelt, um Viren zu bekämpfen. Sie produziert winzige Sekretbläschen, sogenannte extrazelluläre Vesikel, die Viren in die Falle locken. Die Kügelchen gaukeln dem Virus Andockstellen an Wirtszellen vor, umschließen sie dann und machen sie unschädlich – und verhindern so eine Ansteckung. Tests des Wissenschafterteams zeigten, dass die Zahl der von der Nasenschleimhaut freigesetzten Vesikel bei einer Lufttemperatur von vier bis fünf Grad auf fast die Hälfte absank und somit viel weniger effektiv bei der Virenabwehr war.
Drinnen ist es aber warm. Warum werden wir trotzdem krank?
In Innenräumen ist es zwar auch im Herbst und Winter warm, aber erstens halten sich meist viele Leute gleichzeitig dort auf, weshalb die Räume oft von dichten Virenwolken durchzogen sind. Und zweitens ist die Luftfeuchtigkeit von Relevanz. Die Luft ist in der kalten Jahreszeit trockener, erst recht in gut beheizten Stuben, wo die relative Luftfeuchtigkeit rasch unter 20 Prozent sinken kann. Für die Schleimhäute der Nase ist das ein Problem: Sie bilden normalerweise eine perfekte Barriere, an der Krankheitserreger abprallen. Wenn alles glatt läuft, binden Schleim und ein Haarteppich, das Flimmerepithel, Staub, Bakterien und Viren. Die Flimmerhärchen wogen ständig vor und zurück und transportieren all den Unrat Richtung Rachen. Unwillkürlich wird er dann geschluckt und von der Magensäure zerstört. Trockene Luft beeinträchtigt jedoch die Funktion dieses Filtersystems, und Viren können die Barriere leichter durchbrechen.
Wie viele Infektionen sind normal?
Hie und da von Erkältungsviren erwischt zu werden, ist unvermeidlich. Bei Erwachsenen sind zwei, drei Infektionen pro Jahr normal, bei Kindern bis zu acht. Gut 80 Prozent der Infektionen treten in den Herbst- und Wintermonaten auf. Die Vielfalt der Erkältungsviren ist so groß, dass man sich im Lauf eines Winters mit mehreren davon anstecken kann, sogar innerhalb eines Monats. Eine vorangegangene Infektion bietet leider sehr oft keinen Immunschutz, eben weil die Viren zu verschieden sind. Man kann sich mehrere Viren gleichzeitig einfangen. Ob solche Koinfektionen die Symptome potenzieren oder sich die Viren gegenseitig Konkurrenz machen, ist nicht ausreichend geklärt – und hängt wohl auch vom Virus ab.
Man kann mit einer genetischen Veranlagung geboren werden, sich leichter zu infizieren.
Warum immer ich?
Immer dasselbe: Schon wieder eine Erkältung eingefangen, während Freunde und Kolleginnen völlig gesund durch den herbstlichen Virusregen spazieren. Ist das selektive Wahrnehmung? Oder bleiben manche Menschen wirklich von Infektionen verschont?
Hier kommt Sheldon Cohen ins Spiel: In einer seiner Studien träufelte der Professor an der Carnegie Mellon University Freiwilligen verschiedene Schnupfenviren in die Nase und analysierte deren Blut vier Wochen später. Ergebnis: Obwohl alle Personen den Viren ausgesetzt waren, infizierten sich – je nach Virus – lediglich 70 bis 85 Prozent von ihnen, und nur 25 bis 40 Prozent wurden krank. Es stimmt somit tatsächlich: Wir sind, besonders im Herbst, ständig mit Rhino- und anderen Erkältungsviren konfrontiert, doch die Erreger gewinnen nicht immer Oberhand. Und schon gar nicht bekommen alle Menschen Schnupfen oder Halsweh. Woran liegt das?
Zum einen spielen genetische Faktoren eine Rolle. Bei manchen Menschen sind Andockstellen für bestimmte Rhinoviren verändert, etwa ein Rezeptor namens ICAM-1, sodass die Erreger schlechter daran binden können. Forschungen deuten weiters darauf hin, dass das Mikrobiom in der Nase das Ansteckungsrisiko beeinflusst – die Zusammensetzung der Bakteriengemeinschaft. Forschende der University of Virginia identifizierten sechs vorherrschende Gruppen von Bakterien in der Nase und stellten fest, dass Menschen mit besonders vielen Staphylokokken am stärksten unter Erkältungen litten. Bakterienstämme in der Nase, folgerte das Studienteam, dürften wesentlich mitbestimmen, „wie man auf ein Virus reagiert und wie krank man wird“.
Allerdings: Mindestens so wichtig wie all die ererbten Faktoren ist der Lebensstil. Das zeigen Cohens Arbeiten mit Hunderten in vergleichenden Studien untersuchten Personen aus mehr als drei Jahrzehnten. Zusammengefasst: Am ehesten trotzt einer Erkältung, wer ausreichend Schlaf einplant, sich regelmäßig an der frischen Luft bewegt, chronischen Stress vermeidet und ein erfülltes Sozialleben pflegt.
Kann man das Immunsystem trainieren?
Eine gängige Annahme lautet: Wer ständig mit Viren in Kontakt gerät, trainiert dadurch sein Immunsystem und wird seltener krank. Deshalb seien Ärzte und Apotheker besonders widerstandsfähig. Demgegenüber stehen allerdings Berufsgruppen wie Lehrpersonal, von denen oft berichtet wird, dass sie häufiger Infekte aufschnappen, weil sie viel Zeit mit Kindern verbringen, die ständig Infektionen umherschleppen. Virologe Norbert Nowotny hält nicht allzu viel von der Vorstellung eines durch Viruskontakt trainierten Immunsystems. Es gebe dafür schlicht zu viele Erkältungsviren. Das Immunsystem muss sich daher in jeder Saison aufs Neue unbekannten Erregern stellen.
Es ist kaum möglich, ein gesundes intaktes Immunsystem zu stimulieren.
Wie bekomme ich ein starkes Immunsystem?
Gegenfrage: Was ist ein starkes Immunsystem? Darauf gibt es keine wirklich akzeptierte Antwort. Schon gar nicht existieren messbare Parameter dafür. Überdies kann eine „starke“ Immunreaktion ziemlich unangenehm sein. Ein Beispiel dafür ist der sogenannte Zytokinsturm: Das Immunsystem produziert dabei große Mengen von Botenstoffen, die Zytokine, die eine massive Entzündungsreaktion auslösen. Folge davon können Gewebsschäden sein.
Der texanische Mediziner Sunil Ahuja, der Erkältungskrankheiten studiert, spricht daher lieber von „Immunkompetenz“. Ein „kompetentes“, gut ausbalanciertes Immunsystem reagiere angemessen und nicht über Gebühr auf viralen Stress, so Ahuja im Fachjournal „Scientific American“. Ein gewisses Maß an Entzündung ist freilich notwendig, um Krankheitserreger zu bekämpfen. Hat uns ein Virus infiziert, treten der angeborene und der adaptive Arm der Immunabwehr in Aktion. Immunzellen wie die B-Lymphozyten (weiße Blutkörperchen) werden zum Ort der Infektion geschickt, der Körper schüttet Signal- und Botenstoffe wie sogenannte Chemokine aus und fährt die Produktion von Antikörpern hoch. Ziel der Offensive: Krankheitserreger aufspüren, markieren und der Vernichtung zuführen.
Die Reaktion des Immunsystems löst die bekannten Symptome aus, darunter Fieber, das bis zu einem gewissen Grad nützlich ist: Bei höherer Körpertemperatur steigt die Durchblutung, die Immunzellen sind dadurch agiler. Für Viren, die es gern kühler mögen, ist erhöhte Temperatur Gift. „Viren sind an ein bestimmtes Temperaturoptimum angepasst“, sagt Nowotny. „Fieber bringt Viren um.“ Allerdings: Bei länger anhaltendem Fieber jenseits der 38,5 Grad gehört man zum Arzt, so Nowotny.
Die beschriebene Kaskade der Immunantwort ist das, was wir gemeinhin „Entzündung“ nennen. Die Menschen unterscheiden sich allerdings stark im Ausmaß dieser Entzündung, so Ahuja, was vermutlich genetische Basis habe. Grundsätzlich gelte: Glücklich ist, wer über exakt die richtige Dosis davon zur passenden Zeit am rechten Ort verfüge – und das Entzündungsgeschehen sonst gut kontrollieren und auf ein Minimum beschränken könne. Dies ist für Ahuja Immunkompetenz, und der Mediziner glaubt sogar, dass sie einer der zentralen Faktoren für Langlebigkeit ist.
Viren sind an ein bestimmtes Temperaturoptimum angepasst. Fieber bringt die Viren um.
Kann man denn nicht nachhelfen?
Ein prinzipiell gut funktionierendes Immunsystem kann man schwer zusätzlich boostern – wozu auch? „Grundsätzlich ist es kaum möglich, ein gesundes, intaktes Immunsystem zu stimulieren“, befindet die deutsche Medizinerin Natalie Grams in „Spektrum der Wissenschaft“. Was unter Umständen jedoch sinnvoll sein kann, ist der Ausgleich eines nachgewiesenen Mangels an Vitaminen oder Mineralstoffen. Wobei ein solcher viel seltener sei als gemeinhin angenommen, so Grams. Eine ausgewogene Ernährung liefert im Normalfall alles, was wir brauchen.
Und wenn doch ein Mangel auftritt?
Der Klassiker waren über Jahrzehnte Nahrungsergänzungen mit Vitamin C. Heute weiß man: Sie sind ziemlich sinnlos. Wer ständig Vitamin-C-Präparate futtert, wird nicht seltener krank. Einzige Ausnahme: Menschen, die starker körperlicher Beanspruchung ausgesetzt sind. Und Vitamin D? Über den Sinn einer Supplementierung geraten selbst Expertinnen und Experten in hitzigen Streit. Der kleinste gemeinsame Nenner lautet: Ist der Vitamin-D-Spiegel ständig erheblich erniedrigt, kann ein Ausgleich durch Präparate ratsam sein, auch zur Abwehr von Infekten. Einigermaßen gute Evidenz liegt in Bezug auf Zink vor. Länge und Dauer einer Erkältung scheinen sich beeinflussen zu lassen, vor allem wenn Zink gleich zu Beginn der Infektion eingenommen wird.
Was ist von Hausmitteln zu halten?
Durchaus einiges. Honig beruhigt einen gereizten Hals, hat antientzündliche Eigenschaften und hilft beim Abtransport von Schleim und Sekret. Holunderbeeren sind reich an Vitaminen und Spurenelementen, Ingwer wirkt antiviral gegen Rhinoviren und erwärmt den Körper, was ebenfalls die Virenabwehr unterstützt. Flüssigkeitszufuhr – ob in Form von Tee oder der legendären Hühnersuppe – ist immer sinnvoll, schon deshalb, um die Schleimhäute zu befeuchten. Gleiches gilt für Inhalationen, wobei Virologe Nowotny zusätzlich rät, ein paar Tropfen Zitronensaft beizumengen: „Denn Rhinoviren sind säurelabil und werden dadurch geschädigt.“ Und noch ein weiteres Hausmittel hat sich bewährt, und zwar seit Jahrtausenden: einfach mal Ruhe geben.
Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft