"Darf man eine Tyrannin ermorden?"
profil: Was interessiert eine Staatsrechtlerin an der fiktiven Herrscherfamilie Targaryen?
Gamper: Seit der Antike wird in der Staatslehre diskutiert, ob es zulässig ist, einen Tyrannen zu töten, um dem Volk die Freiheit zu schenken. Das lässt sich anhand des Hauses Targaryen wunderbar erläutern. Jaime Lannister trägt den Beinamen "Königsmörder", weil er den verrückt gewordenen Aerys Targaryen getötet hat, als dieser seine eigene Hauptstadt niederbrennen wollte.
profil: Dessen Tochter Daenerys widerfährt am Ende der Saga dasselbe Schicksal.
Gamper: Genau. Daenerys macht eine Wandlung durch. Zuerst verspricht sie Gleichheit und Freiheit aller Menschen. Dann gleitet sie ab in eine Art Cäsarenwahn, in dem sie nicht mehr erkennt, dass sie selbst zur Schreckensherrscherin wird.
profil: Jon Snow tötet sie. Zu Recht?
Gamper: Würde man die Frage quantitativ angehen, könnte man sagen, Jon Snow hat eine Frau getötet und damit vielleicht Hunderttausende gerettet, die Daenerys wahrscheinlich mit ihren Drachen terrorisiert und verbrannt hätte.
profil: Wie begegnet man so einer Frage in der Realität?
Gamper: In einem Verfassungsstaat geht man davon aus, dass es erst gar nicht so weit kommt. Aber der 11. September 2001 hat die Frage aufgeworfen: Ist es legitim, ein von Attentätern gekapertes Flugzeug mit Unschuldigen an Bord abzuschießen, wenn es Kurs auf eine Stadt nimmt, um eine noch größere Anzahl Menschen zu retten?
profil: Zu welchem Schluss kommen Rechtswissenschaft und Staatenlehre hier?
Gamper: Die Frage ist umstritten, aber eine vertretene Ansicht lautete: Die Menschenwürde ist für alle gleich und darf nicht rein nach Zahlen abgewogen werden. Man darf das Flugzeug also nicht abschießen, zumindest nicht, solange auch Unschuldige darin sitzen.
profil: Das Schicksal der Familie Stark werden Sie in Ihrem Vortrag ebenfalls aufgreifen. Warum?
Gamper: Der Norden ist zunächst ein Teil der sieben Königreiche, den die Starks, österreichisch ausgedrückt, als "Landeshauptleute" kontrollieren. Doch dann macht sich der Norden unabhängig und ruft Robb Stark zu seinem König aus. Das ist eine klassische Sezession. Sie hat in Europa heute mehr Aktualität denn je: Denken wir an die Unabhängigkeitsbewegungen in Schottland oder Katalonien.
profil: War die Abspaltung durch die Starks legitim?
Gamper: Das Völkerrecht steht Sezessionen eher feindselig gegenüber. Es befürwortet sie nur in ehemaligen Kolonien oder wenn es in einer Region zu krassen Grundrechtsverstößen kommt. Damit kann das Haus Stark durchaus argumentieren: Der Norden war einst unabhängig, Ned Stark und seine Getreuen wurden umgebracht, seine eine Tochter arrestiert, während die andere floh.
profil: Das Publikum war mit dem Serienende nach acht Staffeln gar nicht zufrieden. Verstehen Sie das?
Gamper: Viele hätten sich wohl ein Happy End gewünscht mit dem Paar Daenerys Targaryen und Jon Snow. Einige beliebte Charaktere starben noch auf den letzten Metern, andere sehen einem ungewissen und einsamen Leben entgegen.
profil: Hat aber nicht doch das Gute gesiegt, als Bran Stark am Ende zum König gewählt wurde?
Gamper: Die Wahlversammlung wirkt demokratisch, aber das täuscht. Hier trafen sich ein paar Adlige, die sich ausmachten, wer der neue König werden soll.
profil: "Game of Thrones" hat Millionen begeistert, gerade wird das Spin-off "House of the Dragon" gedreht. Können Sie sich die enorme Faszination erklären?
Gamper: Es war wohl die Mischung aus der Ambivalenz der Charaktere, der Komplexität der Welt aus Eis und Feuer und den vielen Überraschungseffekten.
ANNA GAMPER, 45,
ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre an der Uni Innsbruck und Fan der Serie "Game of Thrones". Mit ihrem Kollegen Thomas Müller organisiert sie eine Tagung zu Fragen wie: Warum klingt die deutsche Übersetzung so holprig? Religion als identitätsstiftendes Modell in "Game of Thrones"? Psychoanalytische Überlegungen: Die Serie als Spiegel der Gesellschaft?
Beyond the Wall: "Game of Thrones" aus interdisziplinärer Perspektive: 12. Mai 2021 ab 9 Uhr, Anmeldung zum Zuhören via Zoom bis 10. Mai auf uibk.ac.at/events/info/2021