Gentechnik: Wann hebelt der Mensch die Evolution aus?

Ein chinesischer Forscher soll Babys gentechnisch manipuliert haben. Kann das sein? Darf das sein? Es ist möglicherweise schon zu spät für solche Fragen, denn die Wissenschaft hat mittlerweile alle nötigen Werkzeuge zur Verfügung, um Designer-Menschen zu erschaffen. Alwin Schönberger über die Frage, wann wir die Evolution aushebeln.

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Es war eine kurze Karriere. Sie beschränkte sich im Wesentlichen auf ein paar Zitate in einem zweiminütigen TV- Bericht sowie einen Schwung zweifelnder bis empörter Schlagzeilen in internationalen Medien. So schnell es ihn ans Licht der Öffentlichkeit gespült hatte, so flott war er wieder im Schatten abgetaucht: Seit Wochen hat man nichts mehr von He Jiankui gehört, jenem Genetiker von der South University of Science and Technology in Shenzhen, der erstmals genmanipulierte Menschen zur Welt gebracht haben will: Nana und Lulu, zwei Mädchen, die nach Bearbeitung des Erbguts mit der Genschere CRISPR/Cas9 resistent gegen das HI-Virus sein sollen.

Laut letzten Informationen aus dem Umfeld des Forschers haben seine Vorgesetzten ein ernstes Wort mit ihm geredet. Vermutlich fragten ihn die in ethischen Fragen sonst eher nicht zimperlichen Chinesen, ob er noch ganz bei Trost sei, sich mit einer dermaßen heiklen Meldung über die Erschaffung von Designer-Babys vor die Fernsehkamera zu setzen, statt zuerst um Erlaubnis zu fragen und das übliche Prozedere in der Wissenschaft einzuhalten: zunächst eine präzise Dokumentation der Studien sowie eine Publikation in einem von Gutachtern geprüften Fachjournal anzufertigen.

Der umstrittene Gentechniker He Jiankui

Dem Vernehmen nach untersagte man dem vorlauten Forscher jeden weiteren Auftritt in den Medien. Das vielleicht Verblüffendste an der Episode ist aber, dass der öffentliche Aufschrei der Bevölkerung weitgehend ausblieb. Das ist insofern bemerkenswert, als es sonst zuverlässig und weltweit Proteste hagelt, wenn irgendwo ein paar Weizenhalme gentechnisch traktiert werden. Doch diesmal, als es immerhin um gezielte Korrekturen des biologischen Programms des Homo sapiens ging?

Ungläubige Irritation

Die Menschheit schien die Verlautbarungen aus China mit leicht ungläubiger Irritation zu verfolgen, sonst aber in schweigender Kenntnisnahme zu verharren. Nur Wissenschafter äußerten scharfe Kritik, freilich verpackt in nüchterne, fachlich differenzierte Kommentare. Zuletzt, Mitte Dezember, verfasste die Österreichische Akademie der Wissenschaften eine Stellungnahme über "Gefahr und Nutzen der Genschere". Darin betonten die Gelehrten zwar den Sinn sorgfältig kontrollierter genetischer Forschung, um beispielsweise gravierende Erbkrankheiten zu therapieren. Zugleich distanzierten sie sich deutlich von allen Versuchen des "Human Enhancement" - einer genetischen Optimierung des Menschen.

Wir sind bereits heute oder in naher Zukunft in der Lage, die Evolution selbst in die Hand zu nehmen und das bisher serienmäßig eingebaute Gesetz des Zufalls auszuhebeln.

Die Gleichmütigkeit abseits der Forscherkreise wirkt vor allem aufgrund der Tragweite der aus China gemeldeten Experimente einigermaßen erstaunlich. Zwar ist bis heute unklar, ob die Gentech-Babys überhaupt existieren. Doch am Ende spielt das keine allzu große Rolle (außer für die Mädchen selbst, sollten sie tatsächlich geboren worden sein). Denn die eigentliche Botschaft, durchaus auch als Alarmsignal zu verstehen, besteht im Hinweis darauf, was heute technisch prinzipiell möglich ist. Die Nachrichten aus China lenken die Aufmerksamkeit auf den aktuellen oder zumindest bald verfügbaren Stand von Methoden, die nicht weniger zulassen als Eingriffe in den Quellcode des Lebens. "Genome Editing" heißt das in der Fachsprache, also ein Umschreiben beziehungsweise gezieltes Redigieren jeglicher Erbinformation. Mit anderen Worten: Wir sind bereits heute oder in naher Zukunft in der Lage, die Evolution selbst in die Hand zu nehmen und das bisher serienmäßig eingebaute Gesetz des Zufalls auszuhebeln.

Woher weiß man das, wenn nicht einmal klar ist, ob die fragwürdigen Experimente funktioniert haben? Man darf aus mehreren Gründen davon ausgehen: CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) ist ein relativ unkompliziertes, leicht handhabbares Werkzeug, das es erlaubt, im Labor eine kurze Gensequenz herzustellen, an eine gewünschte Stelle im Erbgut zu lenken und dort mithilfe quasi automatisierter Zielerkennung sowie CRISPR-assoziierter Proteine (Cas) einen Schnitt durch die DNA vorzunehmen. Die Methode wurde in den vergangenen Jahren zigfach erfolgreich angewandt, bei Pflanzen, Tieren und auch bei menschlichen Embryozellen.

Wettlauf um die spektakulärsten Resultate

Der nunmehr erfolgte Dammbruch bestünde lediglich darin, den bisher verpönten, entscheidenden Schritt weitergegangen zu sein - bis zum lebenden Menschen. In technischer Hinsicht ist es aber einerlei, ob man beim Versuch in der Petrischale innehält oder das Experiment bis zur Geburt durchzieht. Das CRISPR-Konstrukt ist in beiden Fällen dasselbe, und dieses wird heute beinahe routinemäßig eingesetzt. Weiters herrscht längst eine Art Wettlauf um die spektakulärsten Resultate mit der Genschere. Im Sommer 2017 berichtete zum Beispiel ein Team von chinesichen, südkoreanischen und amerikanischen Forschern, im Labor genveränderte humane Embryonen hergestellt zu haben, denen auf einem Chromosom die Neigung zu einer erblichen Herzkrankheit entfernt wurde. Solche Eingriffe gelten als das typische Anwendungsgebiet für CRISPR: Per Schnitt durch den DNA-Doppelstrang lassen sich Gene ausschalten, die in Zusammenhang mit Erbleiden stehen.

Wenn eine Technologie einen gewissen Reifegrad erreicht hat und den Horizont des Möglichen aufzeigt, gibt es außerdem immer Abenteurer, die sich nicht mit dem engen Rahmen des allgemein Akzeptierten, mit dem Gebot zur Mäßigung und dem generellen Konsens in Bezug auf das Vertretbare abfinden und stattdessen lieber die Grenzen verschieben. Und die Erfahrung zeigt, dass es danach meistens sehr schnell geht. Als die Entschlüsselung des Humangenoms anstand, werkelten Institute in aller Welt mühsam, zunehmend lustlos und ohne große Fortschritte daran herum. Dann knackte Craig Venter den genetischen Code flugs im Alleingang. In diesem Fall war seinem Vorgehen nichts Verwerfliches zu unterstellen, doch es demonstrierte, wie flott die internationale Gemeinschaft mitunter ausgestochen wird.

Ein ähnliches Kaliber, dem überdies wenig Scheu vor Tabubrüchen nachgesagt wird, ist George Church. Er entwickelte DNA-Sequenziertechniken, bietet personalisierte Genomtests an, hält Dutzende biotechnologische Patente und ist längst auch im Bereich des Genome Editing tätig. Und während um CRISPR inzwischen Lizenzstreitigkeiten toben, kündigte Church an, elegant auf Alternativen auszuweichen. Denn in der Öffetlichkeit ist zwar ständig nur von der Genschere die Rede, doch es gibt auch andere, ältere Instrumente zur Bearbeitung des Erbguts, die ähnlich funktionieren und auch vergleichbare Ergebnisse erzielen, allerdings mit höherem Aufwand. Sie heißen TALEN oder Zinkfingernukleasen, sind vor allem an Pflanzen erprobt worden, und Church formulierte bereits die Absicht, sie weiterzuentwickeln und vor allem deutlich kostengünstiger zu gestalten. Jedenfalls: Beobachtet man, was sich global in den Labors der Genetiker abspielt, spricht wenig dagegen, dass der Tag näherrückt, an dem wir die Bauanleitung des Lebens selbst schreiben.

Integration in den Alltag

Freilich gibt es auch genügend historische Beispiele, die vor Augen führen, dass auf einen anfänglichen Hype die Mühen der Ebene folgen, dass plötzlich lästige, zähe Schwierigkeiten das Fortkommen behindern und alle Anstrengungen vergebens zu sein scheinen. Auf die extremen Phasen der haltlosen Begeisterung sowie der tiefgreifenden Ernüchterung folgt schließlich meist jene der pragmatischen, unaufgregten Anwendung, der Integration in den Alltag: Ohne übertriebene Erwartungen, aber mit solidem Nutzen in Teilbereichen ist man in der Realität angekommen.

Haben wir wirklich das Recht, jede Krankheit auszuschalten, unabhängig von Art und Schweregrad?

Trotzdem kann es nicht schaden, angesichts des Potenzials von Genome Editing schon jetzt zu überlegen, wie wir damit umgehen, wo wir die Grenzen ziehen und welches ethische Regelwerk wir definieren wollen. Denn kein Bereich der menschlichen Existenz ist der Möglichkeit einer Manipulation prinzipiell verschlossen. Alle Merkmale, die in der Erbsubstanz festgeschrieben sind, können auch "editiert", also nachbearbeitet werden. Mittels CRISPR und verwandten Verfahren können Gene lahmgelegt werden, die furchtbare Leiden hervorrufen. Mit denselben Instrumenten lassen sich eines Tages aber vielleicht auch Haar-und Augenfarbe oder Körpergröße bestimmen. Wo wäre das Limit? Bei der Einflussnahme auf die Intelligenz oder den Alterungsprozess? Bei der Erschaffung von Personen mit bestimmten Verhaltensweisen? Sollen wir Zuchtmenschen tolerieren, die etwa geduldig, fleißig, ausdauernd und gehorsam sind, weil sie dann optimale Arbeitskräfte darstellen?

Solchen Kunstgeschöpfen stünden momentan noch praktische Hürden entgegen. Für viele Krankheiten ist tatsächlich ein einzelnes Gen verantwortlich, das sich gezielt außer Gefecht setzen lässt. Das Verhalten (und viele andere Eigenschaften) hingegen wird durch das komplexe Zusammenspiel zahlreicher Gene sowie durch Umweltfaktoren bestimmt und ist daher ein viel schwierigeres und unschärferes Ziel für die Schere der Genetiker. Vollends ausgeschlossen sind solche Eingriffe in einer fernen Zukunft trotzdem nicht. In Südkorea steht heute schon die Kreation von Hunden mit erwünschtem Eigenschaftsprofil auf der Agenda, genau wie das Design von Haustieren, die keines der häufigen Hüftleiden entwickeln.

Heikle Fragen

Selbst wenn man sich auf den Einsatz der genetischen Werkzeuge gegen Krankheiten beschränkt, stellen sich heikle Fragen. Haben wir wirklich das Recht, jede Krankheit auszuschalten, unabhängig von Art und Schweregrad? Was ist ein korrekturwürdiger genetischer Defekt? Ein Erbleiden, das unweigerlich zum Tod führt, mag außer Diskussion stehen. Wie aber verhält es sich zum Beispiel mit Allergien, die erstens nicht tödlich verlaufen und denen man zweitens auch anders begegnen kann? Ein bereits laufendes Forschungsprojekt betrifft Allergien gegen Hühnereiweiß. Weil Kinder, die überempfindlich auf dieses Eiweiß reagieren, bestimmte Impfungen nicht vertragen, arbeiten Wissenschafter an genmanipulierten Hühnern. In diesen wäre jenes Gen abgeschaltet, das für die allergischen Reaktionen verantwortlich ist.

Angesichts des noch unzureichenden Wissensstandes verbieten sich genetische Manipulationen am Menschen derzeit erst recht.

Wie in diesem Fall betreffen viele Manipulationen der Gegenwart Tiere. Über den Umweg des tierischen Organismus würde aber der Mensch profitieren. Schweine tragen häufig Retroviren in sich, und Schweine sollen gleichzeitig genutzt werden, um humane Spenderorgane heranwachsen zu lassen. Steht es uns zu, den Tieren mittels CRISPR eine Resistenz gegen diese Viruserkrankung einzupflanzen? Technisch wäre dies kein großes Problem. Nach demselben Muster wurden zahlreiche Pflanzen immun gegen Krankheitserreger und Schädlingsbefall gemacht. Und nach demselben Prinzip könnte man Seuchen wie die Malaria oder das Zika-Virus eindämmen. Hier käme ein Spin-off von CRISPR zum Einsatz, das "Gene drive" heißt. Man implantiert Moskitos eine Resistenz gegen Malaria oder Zika, die dann an die Nachkommen weitergegeben und in der Natur großflächig verbreitet wird. Eine zweite, brachialere Methode bestünde darin, die Weibchen genetisch zu sterilisieren, womit die Population dezimiert und dadurch die Übertragung eingeschränkt werden könnte.

Klappt das Unterfangen, bliebe der Welt einerseits viel Leid erspart, indem Infektionskrankheiten, die schwere Behinderungen oder gar Todesfälle verursachen, gleichsam die Lebensader abgeschnitten wird - das Reservoir infizierter Mücken, in denen die Erreger überdauern. Andererseits: Wissen wir genau, was passiert, wenn wir gigantische Schwärme genetisch modifizierter Insekten in die freie Wildbahn entlassen? Zum Glück sind jüngeren Studien zufolge viele befürchtete Nebeneffekte nicht eingetreten; CRISPR scheint nach momentanem Stand der Erkenntnis tatsächlich nur in geplanter Weise an den anvisierten Stellen im Erbgut zu wirken. Dennoch können zumindest theoretisch sogenannte Off-Target-Effekte nicht gänzlich ausgeschlossen werden: unkalkulierbare Begleitschäden im Erbgut, die als Nebengeräusche der beabsichtigten Mutation entstehen.

Enorme Tragweite

Angesichts des noch unzureichenden Wissensstandes verbieten sich genetische Manipulationen am Menschen derzeit erst recht. Wir haben schlicht zu wenig Information über die Langzeitfolgen. Und der Begriff gilt in diesem Fall in maximaler Ausprägung, zumal die mit CRISPR und ähnlichen Verfahren erzeugten Einschnitte im Erbgut weitervererbt werden - sie bleiben in den Nachkommen erhalten, ob in Moskitos oder in Menschen. Die Tragweite (und somit die gebotene Vorsicht) wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen hält, welch strategisch durchgeplante Form des humanen Nachwuchsdesigns im Grunde jetzt schon möglich wäre. Dazu müsste man lediglich die bereits verfügbaren Methoden von Genetik und künstlicher Befruchtung kombinieren. Mithilfe tiefgefrorener Eizellen ließe sich der gewünschte Zeitpunkt einer Schwangerschaft bestimmen. Die Spermienqualität würde ebenfalls vorab im Labor festgelegt, Mediziner könnten präzise die optimalen Spermien herausfischen und zur Befruchtung verwenden.

Die Auswahl geeigneter Spermien stellt längst keine Hürde mehr dar. Dann würde ein Screening auf genetische Erkrankungen sowie gegebenenfalls eine Nachbesserung mittels Genome Editing erfolgen. Die Geburt schließlich wäre im Wege des Kaiserschnitts ebenso planbar. All dies ist keine allzu kühne Vision mehr, jedenfalls in technischer Hinsicht, weshalb manche Fachleute bereits davor warnen, dass auf natürliche Weise gezeugte Menschen eines Tages Personen zweiter Klasse sein könnten. Und die Frage lautet eben nicht mehr, ob wir die Werkzeuge für derlei Eingriffe besitzen, sondern zunehmend nur noch, ob wir deren Einsatz zulassen. Praktisch alle Experten plädieren für ein Verbot und für eine Ächtung genetischer Manipulationen an lebenden Menschen und fordern internationale Übereinkünfte, in denen sich die Staaten dazu verpflichten. Ob solche Regelungen durchsetzbar sind, ist angesichts der extrem unterschiedlichen Gesetze und Hemmschwellen aber höchst fraglich. Bisher herrscht ein inhomogenes, wenig praktikables Chaos nationaler Vorschriften.

Wenn wir nicht wollen, dass die bereits verfügbaren und immer präziseren Instrumente der Genetik am Menschen ausprobiert werden, brauchen wir entsprechende Bekenntnisse der globalen Gemeinschaft.

Es ist beispielsweise sinnlos, dass Österreich sogenanntes "Social Freezing" verbietet. (Damit ist gemeint, dass Frauen ihre eigenen Eizellen einlagern, um sie zu einem gewünschten späteren Zeitpunkt für eine geplante Schwangerschaft zu verwenden.) Ganz verständlich ist das Verbot ohnehin nicht, vollends nutzlos wird es aber dadurch, dass benachbarte Länder diesen Service problemlos anbieten. Andere Gesetze sind unbeholfen, in sich widersprüchlich und hinken den technischen Möglichkeiten chronisch hinterher. So beschloss die EU im vergangenen Sommer, CRISPR als Methode der Gentechnik zu definieren, wodurch es für Unternehmen größeren juristischen Aufwand bedeutet, mittels Genschere entstandene Pflanzensorten auf den Markt zu bringen. Gleichzeitig aber bleiben uralte Techniken wie die Mutagenese von der Regelung unberührt: Dabei werden durch radioaktive Strahlung Pflanzensamen zertrümmert und Unmengen ungeplanter Mutationen erzeugt. Diese Brachialmethode soll nicht unter die Gentechnik fallen?

Auch wenn es beinah naiv klingt: Wenn wir nicht wollen, dass die bereits verfügbaren und immer präziseren Instrumente der Genetik am Menschen ausprobiert werden, brauchen wir entsprechende Bekenntnisse der globalen Gemeinschaft. Vielleicht darf es sogar als kleiner Hoffnungsschimmer interpretiert werden, dass selbst den chinesischen Behörden die Ambitionen ihres tollkühnen Forschers zu weit gingen - und sie ihn daher zurückpfiffen und kaltstellten.

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Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft