VON MEHLTAU BEFALLENER WEIZEN: Mit modernem Genome Editing lässt sich ein Gen abschalten, das die Krankheit verursacht. Ob der Eingriff aber Gentechnik ist, muss noch geklärt werden.

Gentechnik: Heikle Entscheidung über die Zukunft der Pflanzenzucht

Der EU-Gerichtshof muss eine heikle Entscheidung treffen: Sollen ausgerechnet die modernsten Methoden der DNA-Manipulation nicht als Gentechnik gelten? Die Antwort ist knifflig - und sie wird die Pflanzenzucht der Zukunft prägen.

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Behutsam bohrt sich das spitze, metallene Instrument in die Pflanze und holt winzige weiße Bällchen daraus hervor. Es sind Weizenembryonen, die sogleich in einer Petrischale landen. Nun greift der Forscher zu einer Pipette und träufelt eine klare Flüssigkeit auf die Embryonen. Mit dieser Prozedur hat der Weizen eine Behandlung erfahren, die als neue Wunderwaffe der Gentechnologie gilt: Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats, kurz CRISPR. Die Methode verspricht extrem präzise Veränderungen im Erbgut binnen weniger Stunden und um Kosten von nicht mehr als rund 20 Euro pro Anwendung.

Dem Weizen trainierten Wissenschafter derart eine Resistenz gegen einen Pilz an, der Mehltau verursacht. Die Erkrankung führt zu Ernteausfällen und wird mit massivem Spritzmitteleinsatz bekämpft - zumindest bisher, denn CRISPR könnte dies überflüssig machen. Der Pilz benötigt ein bestimmtes Protein im Weizen, um andocken zu können. In wilder Gerste ist dieses MLO-Protein aber gleichsam stumm geschaltet, wodurch eine Infektion ausbleibt. Im Labor können Forscher die nützliche Mutation heute auf den Weizen übertragen. Dazu benötigen sie eine "Genfähre". Diesen Job erfüllt die Flüssigkeit in der Petrischale, in der Agrobakterien schwimmen: Mikroorganismen, die einen kurzen Erbgutstrang sowie ein Enzym in die Weizenembryonen schleusen. Damit ist die MLO-Mutation an der gewünschten Stelle im Weizengenom platziert. Anschließend können Pflanzen gezogen werden, die immun gegen Mehltau sind.

Und nun das Preisrätsel: Handelt es sich dabei um Gentechnik oder nicht?

Streitpunkt "Genome Editing"

Die Frage zielt auf das momentan heißeste Thema unter Europas Pflanzenzüchtern ab: Definieren wir Sorten, die sogenanntem "Genome Editing" wie CRISPR entspringen, künftig als gentechnisch verändert? Oder setzen wir sie mit Gewächsen gleich, die aus klassischer Kreuzung stammen? Soll man die modernsten Tricks biotechnologischer Eingriffe so regeln, als wäre Mutter Natur am Werk gewesen?

Die Antwort hängt davon ab, worauf man den Fokus richtet: auf die angewandte Technik oder auf das Produkt, das sie hervorbringt. Ohne Zweifel verdankt der Weizen seine Resistenz einer Präzisionsmethode der Gentechnik. Doch gleichzeitig lässt sich die neue Pflanze nicht vom Ergebnis konventioneller Züchtung unterscheiden, wie sie Menschen seit Jahrtausenden betreiben, und von der gentechnischen Intervention findet sich nicht die geringste Spur.

Die Debatte kocht zurzeit im Vorfeld einer heiklen Richtungsentscheidung hoch, die Forscher, Züchter, Saatguthersteller und Umweltschutzorganisationen mit Spannung erwarten. Es wird angenommen, dass der Europäische Gerichtshof im Lauf des Aprils festlegt, ob Genome Editing den strengen Regeln unterworfen ist, die für genetisch veränderte Organismen (GVO) gelten. Falls es nicht zu einer Verzögerung kommt, werden wir bald wissen, ob zum Beispiel gegen Mehltau resistenter Weizen formal eine Kreation der Gentechnik ist, was mit auf wendigen Zulassungs-und Kennzeichnungsbestimmungen verbunden wäre. Das Zulassungsprozedere entfällt hingegen, wenn die Juristen meinen, dass eine derartige Züchtung "natürlichen" Ursprungs ist. Dann dürften solche Sorten ohne besondere Einschränkung oder Information der Konsumenten auf den Markt gelangen.

Das Urteil nimmt eine Weichenstellung von weitreichender Bedeutung vor - nicht nur deshalb, weil Gentechnik ein Reizwort ist. Vor allem entscheiden die Richter, sofern sie sich zu einem Spruch von hinlänglicher Klarheit durchringen, welchen Bestimmungen Pflanzen, die auf unseren Äckern wachsen, in den kommenden Jahrzehnten unterliegen - und welche Methoden unter welchen Bedingungen angewandt werden dürfen. Letztlich geht es darum, welche Kontrollen für die Nahrung der Zukunft gelten.

Dass die EU-Richter am Zug sind, geht auf die Klage eines französischen Verbandes bäuerlicher Betriebe zurück. Dieser fordert eine Aktualisierung der GVO-Richtlinie -eines aus dem Jahr 2001 stammenden Papiers, das die "absichtliche Freisetzung" genetisch veränderter Organismen regelt. Gentechnische Manipulation findet nach offizieller Definition statt, wenn "genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist". Im Regelfall bedeutet dies, dass in eine Pflanze fremdes Erbgut eingebracht wird, was "transgen" heißt. Von der GVO-Richtlinie ausgenommen sind jedoch Eingriffe wie die sogenannte "Mutagenese". Auch dabei kommt es zu vorsätzlichen Veränderungen im Erbgut, allerdings ohne fremdes Genmaterial einzuschleusen. Und CRISPR? Von solchen Methoden war vor mehr als 25 Jahren, als die Richtlinie formuliert wurde, noch nicht einmal die Rede. Genome Editing ist letztlich eine Art Zwitter:

"Sicherheit geht vor"

Mit Methoden der Gentechnik wird zwar eine Variation im Erbgut erzeugt, im Endprodukt ist aber keine Fremd-DNA enthalten. Fallen diese Verfahren damit unter die Mutagenese-Ausnahme oder nicht? Die französischen Bauern fordern eine Klärung dieser Frage. Sie plädieren dafür, die Gesetze dem Stand der Technik anzupassen und die Editing-Methoden unter Gentechnik einzureihen. Ähnlich argumentiert der österreichische Verein Arche Noah, der sich für den Erhalt alter Kultursorten einsetzt. "Wir sind nicht gegen Innovation, verstehen aber unter Innovation einen ganzheitlichen Ansatz, nicht die Manipulation bestimmter Gene. Die Gesetzgebung muss weiterhin einen risikobasierten Ansatz verfolgen", sagt Katherine Dolan, Leiterin der politischen Abteilung der Arche Noah. "Sicherheit geht vor", findet auch Helmut Gaugitsch, Abteilungsleiter für Landnutzung und Biologische Sicherheit beim Umweltbundesamt. Gaugitsch tritt ebenfalls für eine Regelung der Erzeugnisse durch neue Techniken ein, damit deren Auswirkungen nicht unter dem Radar der Risikobewertung bleiben und eine Grundlage für eine Kennzeichnung existiert. Viele Wissenschafter sind weniger skeptisch, weitgehende Einigkeit besteht jedoch in einem Punkt: Das geltende Recht hinkt den technologischen Möglichkeiten dramatisch hinterher.

In der Vergangenheit war die Sachlage deutlich überschaubarer. Alles begann damit, dass der Mensch vor rund 10.000 Jahren sesshaft wurde und Wildpflanzen domestizierte. Er wählte jene aus, die ihm aufgrund des Erscheinungsbildes - des Phänotyps -gefielen, und pflanzte diese wieder an, während er andere ausschied, die seinen Vorlieben nicht entsprachen. So wurde aus wilden Gräsern Getreide, aus der mickrigen Teosinte der Mais mit prallen Kolben, aus den ungenießbaren Urahnen der Kartoffel bekömmliches Speisegemüse. Durch seine Auslese setzte der Mensch schon damals eine Reduktion der biologischen Vielfalt in Gang, indem er nur die bevorzugten Nachkommen einer Pflanze behielt. Es war lange Zeit ein beschaulicher Prozess, geprägt von Versuch und Irrtum.

Mit der Formulierung der Vererbungslehre von Gregor Mendel kam im 19. Jahrhundert Systematik in die Züchtung. Fortan kreuzten wir verwandte Arten , deren Eigenschaften wir in einer Sorte vereinen wollten. In den Nachkommen dieser Pflanzen mischen sich Mutter-und Vaterlinie. Gewünschte Merkmale können, müssen aber nicht vererbt worden sein. Zugleich können unabsichtlich Eigenschaften eingekreuzt werden, die man in der Kultursorte gar nicht haben wollte. Dann ist Rückzüchtung erforderlich: Man versucht, in den folgenden Generationen die unliebsamen Eigenheiten wieder aus dem Erbgut zu spülen. Daher ist konventionelle Züchtung ein langwieriges Verfahren, das leicht 25 Jahre dauern kann. Eines geschah zu allen Zeiten: ein Eingriff ins Erbgut. Züchtung, egal nach welcher Methode, umfasst somit genetische Veränderung.

Vor gut einem halben Jahrhundert ersann der Mensch Techniken, um der Natur nachzuhelfen - jene, die als "Mutagenese" erfasst sind. Dabei werden Mutationen, also Veränderungen im Erbgut, künstlich angestoßen, und zwar mit Chemikalien oder mit radioaktiver Strahlung. Das mag gespenstisch klingen, wird aber ständig und bis heute angewandt, und die Erzeugnisse daraus bedürfen keiner speziellen Kennzeichnung. Auch Bioprodukte können der Mutagenese entstammen. Das Verfahren ahmt im Zeitraffer nach, was jede DNA erfährt, auch die menschliche: Umwelteinflüsse hinterlassen Schäden und Brüche im Genstrang. Bei Pflanzensamen können DNA-Mutationen hervorgerufen werden, indem man sie in einem kleinen Reaktor ionisierender Strahlung aussetzt. Als die Technologien aufkamen, herrschte helle Begeisterung über den Fortschritt, und derart entstandenes Saatgut wurde als "Super Atomic Energized Seeds" angepriesen. Die Werbeleute malten sogar einen schmucken Atompilz dazu und versprachen: "New Gardening Experience!"

Wenig zielgenaue Methode

Sinn der Übung war und ist die Herstellung neuer Sorten, denn Mutationen bedeuten Evolution und erzeugen Pflanzen mit veränderten Eigenschaften. Allerdings ist die Methode alles andere als zielgenau. Wie mit einem Schrotgewehr wird auf das Erbgut gefeuert, und danach sitzt man vor einem Pool beschossener Samen und muss ausprobieren, ob vielversprechende Sorten entstanden sind.

Mitte der 1990er-Jahre folgten die ersten transgenen Gewächse: Seit damals bestücken Genetiker Pflanzen mit fremdem Genmaterial, sei es aus anderen Pflanzen jenseits der Artbarriere, sei es aus Mikroorganismen. Nutzpflanzen erwerben dadurch eine Toleranz gegenüber Spritzmitteln oder Immunität gegen Fraßfeinde. Dies gilt als "klassische Gentechnik", bei der Genmaterial so verändert wird, wie es die Natur nicht zuwege bringt. Damit waren die Anwendungsbereiche sauber getrennt: Hier echte Gentechnik, die von den Regeln der GVO-Richtlinie erfasst ist, dort alle anderen Verfahren, die auf herkömmlicher Kreuzung beruhen oder, wie die Mutagenese, auf Variation innerhalb des pflanzeneigenen Erbguts abzielen und als Ausnahmen von der Richtlinie gelistet sind.

Mittlerweile ersannen Forscher jedoch viele weitere biotechnologische Eingriffe. "Smart Breeding" kombiniert klassische Kreuzung mit Molekularbiologie. Statt den Züchtungserfolg schrittweise zu verfolgen, verrät das genetische Profil einer Pflanze - der Genotyp -sofort, ob gewünschte Merkmale vererbt wurden. Die RNA-dirigierte DNA-Methylierung (RdDM) wiederum imitiert das An-oder Abschalten von Genen unter Umwelteinflüssen. Es kommt zu keiner Veränderung der DNA-Sequenz, beeinflusst wird die Expression von Genen: deren Aktivität. Und bei der Cisgenetik wird nicht fremdes "transgenes" Material übertragen, sondern solches der Pflanze selbst sowie verwandter oder auch auf natürliche Weise kreuzbarer Pflanzen. Statt durch Rückkreuzungen unliebsame Eigenschaften eliminieren zu müssen, lassen sich passgenau nur die gewünschten Gene übertragen. Derart pickten Wissenschafter aus Wildäpfeln Gene, die Speiseobst resistent gegen die Pilzerkrankung Apfelschorf machen.

Die aktuelle Debatte dreht sich nun vorwiegend um Genome Editing. Um eine Ahnung davon zu vermitteln, welches Potenzial diese Verfahren besitzen, werden gern plakative Vergleiche strapaziert: punktgenau, scharfe Klinge, Skalpell statt Schrotflinte, Textverarbeitung im Erbgut. CRISPR, auch "Genschere" genannt, mag die bekannteste Methode sein, doch es gibt auch andere: zum Beispiel TALEN (Transcription Activator-Like Effector Nuclease), die Zinkfingernukleasen, basierend auf Proteinen mit fingerähnlicher Form, oder Meganukleasen. In Aufwand und Effizienz unterscheiden sich die Techniken, doch das Prinzip ist ähnlich: suchen, finden, korrigieren, reparieren. Tatsächlich drängen sich Parallelen zur Textverarbeitung auf. Wie ein Korrekturprogramm steuert Genome Editing per Suchfunktion einzelne Buchstaben im genetischen Alphabet an und "redigiert" diese Stellen. Man kann sich das Prozedere auch wie analogen Filmschnitt vorstellen, bei dem einzelne Kader entfernt oder eingefügt werden.

Komplexer Vorgang

Spielen wir solch einen Eingriff am Beispiel CRISPR durch. Nehmen wir an, wir wollen jenes Gen abschalten, das eine Mehltau-Infektion bewirkt. Zunächst müssen wir wissen, wo im Genom es steckt. Da inzwischen das Erbgut vieler Pflanzen entschlüsselt wurde, ist bekannt, wo bestimmte Gene liegen, und dies gilt auch für das hier relevante MLO-Gen. Nun müssen wir das CRISPR-Werkzeug an die richtige Stelle manövrieren. Diese Aufgabe erledigt eine "Gensonde", ein kurzer DNA-Abschnitt, welcher der Suchfunktion in der Textverarbeitung entspricht. Die Sequenz kann künstlich im Labor hergestellt werden, indem man Buchstabe für Buchstabe in gewünschter Reihenfolge kombiniert - eine spezielle Serie der DNA-Bausteine A, C, G und T. Diese passen wie der Schlüssel ins Schloss zu exakt jener Stelle im Pflanzenerbgut, die anvisiert werden soll. Jetzt muss dieser Abschnitt noch dorthin gelangen. Dabei helfen die Agrobakterien, die mit dem synthetisch zubereiteten DNA-Abschnitt beladen werden. Sobald man sie in einer wässrigen Lösung mit Pflanzenembryonen in Kontakt bringt, sucht sich die maßgeschneiderte Sonde ihr Ziel selbst - anhand der DNA-Buchstabenfolge, eben wie der Schlüssel sein Schloss.

Ist das Ziel erreicht, tritt die zweite Komponente des CRISPR-Systems in Aktion: ein Enzym namens CRISPR-associated protein, kurz Cas. Deshalb heißt das gesamte Instrument CRISPR/Cas. Das Enzym reagiert an der gewünschten Position mit dem DNA-Strang der Pflanze: Es schneidet ihn entzwei. Dieser Bruch wird allerdings umgehend wieder geflickt, und zwar selbstständig vom zelleigenen Reparatursystem der Pflanze. Dabei kommt es aber zu biologischen Systemfehlern -und genau die sind beabsichtigt, denn sie bewirken die gewünschte Mutation, die das MLO-Gen abschaltet. "Knock out" heißt das im Fachjargon. Damit ist die Operation beendet, zielgenau wurde soeben eine "Punktmutation" durchgeführt. Nach dem gleichen Prinzip kann man nicht nur kurze Buchstabenfolgen im Genom löschen, man kann auch kleine Abschnitte einfügen oder umschreiben, also den Text bearbeiten. Das Abschalten von Genen -ob sie nun Schädlingsbefall begünstigen oder beispielsweise Allergien auslösen - kann ebenso Zweck sein wie der Import von DNA-Sequenzen, die in wilden Sorten stecken, Geschmack oder Nährstoffgehalt beeinflussen und im Lauf der Züchtungsgeschichte verloren gegangen sind.

Wichtig ist: Nicht alle Pflanzen, die mit Genome Editing entstanden sind, werden weitergezogen. Es kommen nur jene Nachkommen in die Zucht, die (nach Mendels Gesetzen) die Werkzeuge der Gentechnik nicht mehr enthalten. Das bedeutet: Die Mutation wird vererbt, das CRISPR-Werkzeug aber nicht. Deshalb lässt sich der Eingriff gegenwärtig auch nicht nachweisen. Die Folgegenerationen unterscheiden sich in keinem Merkmal von auf natürliche Weise veränderten Pflanzen. Die Grenzen zwischen klassischer Züchtung und Gentechnik verschwimmen damit, und viele Experten stellen die Frage, ob die einst klare begriffliche Trennung überhaupt noch sinnvoll und zeitgemäß ist.

Marktreife Entwicklungen

Eine Antwort ist schon deshalb dringend nötig, weil immer mehr Entwicklungen marktreif sind. So verfügt das amerikanische Bioscience-Start-up Calyxt, das mit der TALEN-Methode arbeitet, über ein halbes Dutzend Pflanzen mit veränderten Eigenschaften, darunter Soja mit einem verringerten Gehalt gesundheitsschädlicher Transfette. Das US-Unternehmen Cibus, das auch eine europäische Filiale betreibt, hat bereits um Auskunft ersucht, ob eine herbizidresistente Rapssorte unter Gentechnik fällt. Cibus benutzt eine weitere Methode des Genome Editing, die Oligonukleotid-dirigierte Mutagenese (OdM). Auch dabei wird ein kurzer DNA-Abschnitt präzise zu einer bestimmten Stelle im Erbgut gelenkt und löst dort eine Punktmutation aus. Und wie bei den anderen Verfahren ist das verwendete Genkonstrukt in späteren Generationen nicht mehr vorhanden.

Soll man all die modernen Techniken nun als Gentechnik deklarieren oder nicht? Für beide Varianten gibt es Argumente. Befürworter einer liberalen Lösung, zu denen viele Forscher, aber sogar manche Bio-Verbände zählen, meinen: Die neuen Methoden sind sicher, einfach und kostengünstig. Sie stünden daher auch kleinen Züchtern offen und nicht nur Konzernen. Sobald jedoch umfassende Zulassungsverfahren nötig seien, könnten nur die Großen mithalten. Ein Verzicht auf das Etikett Gentechnik sei deshalb "demokratischer". Gegner dieser Ansicht wie die Arche Noah wenden ein, dass auch im Hinblick auf Genome Editing bereits Patentrechtsstreitigkeiten anhängig sind und die angebliche Verfügbarkeit für alle fraglich sei. Und wolle man Nutzpflanzen fit für die Zukunft machen, vor allem resistent gegen Stress durch Hitze oder Dürre infolge des Klimawandels, sei konventionelle Züchtung auch gut geeignet. "Man sollte die Resilienz durch Vielfalt und Diversität erhöhen", sagt Katherine Dolan.

Für einen breiten Einsatz von Genome Editing spricht indes vor allem die Planbarkeit der Eingriffe: Man weiß, was man tut, wenn man eine klar abgegrenzte Stelle im Erbgut ansteuert, unternimmt nichts, was die Natur nicht auch könnte, und verursacht weniger Nebengeräusche als bei anderen Verfahren. Bei der Mutagenese durch Chemie oder Strahlung sitzt man quasi vor einem Scherbenhaufen zerschossener Genstränge und probiert mehr oder minder blind aus, ob sich darin etwas Brauchbares versteckt. Selbst bei klassischer Kreuzung können Hunderte Gene ausgetauscht werden, deren Funktion man nicht kennt - im Gegensatz zu den punktgenauen Editing-Methoden. Stimmt nicht ganz, entgegnet Helmut Gaugitsch vom Umweltbundesamt. Tatsächlich erbringe Genome Editing "viel höhere Genauigkeit als alles andere. Aber hundertprozentig genau gibt es nicht." Mittlerweile sei nachgewiesen, dass CRISPR nicht immer ausschließlich an den gewünschten Stellen Schnitte vornimmt, sondern auch an anderen -an Orten im Genom, deren DNA-Sequenz aus einer ähnlichen Buchstabenabfolge besteht. Gaugitsch: "Jede Veränderung kann Erwünschtes mit sich bringen, aber auch Unbeabsichtigtes. Und das geht eben jetzt viel schneller. Langsame Züchtung kann über die längere Beobachtungsdauer auch ein wichtiges Korrektiv sein."

Die Meinungsverschiedenheiten enden aber in einer Hinsicht: Alle Kenner der Materie hoffen, dass der EU-Gerichtshof eine möglichst klare Entscheidung trifft, die kaum Interpretationsspielraum zulässt - und nicht Forschung und Landwirtschaft für Jahre lähmt.

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Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft