Staubtrockene Wissenschaft? Forschende aus aller Welt beweisen in ihren Laboren das Gegenteil. Sieben Studien zwischen saunierenden Fröschen, alternden Barbies und Adele-Songs schmetternden Probandinnen.
Die Fruchtfliege ist zwar das am intensivsten beforschte Versuchstier der Welt – auf die Idee, ihr einen Flugsimulator zu bauen, kam aber nur eine kleine Gruppe von Forschern rund um den jungen Neurobiologen Lukas Groschner. Mit seinem Team von der Medizinischen Universität Graz ist er den Nervenzellen im Gehirn der winzigen Insekten auf der Spur. Wie reagieren einzelne Zellen auf Sinnesreize? Wie verarbeiten sie Informationen aus der Umgebung? Wie tragen sie zur Entscheidungsfindung bei?
Um Fragen wie diese zu beantworten, lässt sich Groschner Experimente im Minimaßstab einfallen. Und weil Fruchtfliegen Facettenaugen und dadurch ein viel größeres Gesichtsfeld haben als zum Beispiel Menschen, reichte es Groschner nicht, sie vor einen Flachbildschirm zu setzen, wie das bereits Forschende vor ihm getan hatten. Zusammen mit Stefan Prech und Alexander Borst vom Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz entwickelte er eine schüsselförmige Arena, die den Fruchtfliegen ein 180-Grad-Bild liefert und ihnen etwa vorgaukeln kann, über eine Wiese zu fliegen. Die Werkzeuge dafür bastelte sich der Grazer Biologe selbst. „Wir kaufen die feinsten Pinzetten, die es auf dem Markt gibt, und schleifen sie unter dem Mikroskop in Form“, erklärt Groschner im profil-Gespräch. Seine Studierenden müssen mehrere Wochen lang üben, bis sie mit den Instrumenten hantieren dürfen.
In der Schüssel-Arena werden die Fruchtfliegen mithilfe von Bienenwachs fixiert, während ihnen – wie in einem IMAX-Kino – eine virtuelle Realität vorgespielt wird. Über Elektroden misst Groschner, wie die einzelnen Nervenzellen im Fliegengehirn auf bestimmte visuelle Reize reagieren. Erste Versuche brachten gleich ein spektakuläres Ergebnis: Er zeigte, wie Nervenzellen die Bewegungsrichtung berechnen. Lange glaubte man, dass Menschen visuelle Informationen wie Bewegung erst in höheren Gehirnregionen wie der Hirnrinde errechnen. Doch mittlerweile geht man davon aus, dass auch Affen und Menschen komplexe visuelle Reize bereits durch Schaltkreise in der Netzhaut verarbeiten. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit verwenden Fruchtfliegen dabei einen ähnlichen Algorithmus wie der Mensch“, sagt Groschner. Als Nächstes will er testen, wie eine Nervenzelle ein Signal verzögern kann – und es damit im Arbeitsgedächtnis hält.
Knochenarbeit in Ägypten
Den Überresten alter Ägypter möglichst viele Geheimnisse zu entlocken, ist die Aufgabe von Petra Brukner Havelková vom tschechischen Nationalmuseum in Prag. 69 männliche Skelette standen im Mittelpunkt ihrer gerade abgeschlossenen Analyse, 30 davon waren Schreiber. Eine prestigeträchtige Arbeit im alten Ägypten, von dessen Bevölkerung nur ein Prozent der Menschen lesen und schreiben konnte. Dementsprechend reich bestückt waren die Gräber der in der Nekropole Abusir zwischen 2700 und 2180 vor Christus bestatteten Männer (Frauen war der Beruf verwehrt). Die Schriftstücke in ihren Gräbern belegen, um welch wichtige Personen es sich handelte: „Unter ‚unseren Schreibern‘ waren ein Wesir, der ranghöchste Beamte, der direkt dem Pharao berichtete, und ein Schreiber, der über die königlichen Kinder Buch führte“, schreibt Brukner Havelková im Magazin „The Conversation“.
Ihr Interesse galt vor allem den Haltungsschäden von Schreibern: Sie hatten weder höhenverstellbare Schreibtische noch ergonomische Sessel, sondern saßen mit vorgebeugtem Kopf im Schneidersitz oder knieten am Boden. Das Ergebnis: Ihre Abnützungserscheinungen waren zwar ausgeprägter als jene von heutigen Büroleuten, ähnelten diesen aber mehr als jenen ihrer Zeitgenossen mit anderen Berufen. Besonders mitgenommen waren Halswirbelsäule, Knie, Fußgelenke, die rechte Schulter, der rechte Daumen vom Halten des Pinsels – und die Kiefergelenke.
Warum gerade die Kiefer? „Die Schreiber nutzten Binsen-Stängel, deren Enden sie kauten, bis pinselartige Fransen entstanden“, sagt Petra Brukner Havelková. Nutzten sich die Pinsel ab, schnitten sie die Beamten weg und kauten sich neue Fransen zurecht. „Damit überlasteten sie ihre Kiefer mit der Zeit enorm“, so die Ägyptologin. Mausarm, arthritische Lenden- und Halswirbel: Künftige Archäologinnen werden in den Gebeinen heutiger Büromenschen auch typische Leiden finden, so Brukner Havelková, „aber immerhin müssen sie nicht an Stiften kauen, um die Tinte fließen zu lassen“.
Spieltheorie
Der junge Physiker Merlin Füllgraf und sein Professor Jochen Gemmer von der Universität Osnabrück wissen, wie man Hobby und Wissenschaft verbindet. In ihrer aktuellen Forschungsarbeit berechneten sie, wie man beim Dart die meisten Punkte macht – und das auch dann, wenn der Pfeil danebengeht.
Anfängerinnen kennen das: Man zielt auf das Feld mit der Nummer 20, trifft aber die direkt daneben liegende 1. Sollte man also besser die zweite Beginner-Strategie verfolgen und die Pfeile in Richtung des Bullseye in der Mitte werfen? „Das hängt davon ab, wie genau man zielen kann“, sagt Gemmer. Sehr gute Werfer sollten klarerweise auf die dreifache 20 zielen. Landet der Pfeil aber häufig daneben, zielt man besser auf den Bereich zwischen der dreifachen 19 und dem Bullseye (siehe Bild oben). Hier kommt es auf die eigene Zielgenauigkeit an: Je schlechter man wirft, desto mehr rückt das Ziel auf einer Linie, die in einem Bogen über die 7 und die 16 verläuft, immer näher an das Bullseye. Wer Probleme hat, die Scheibe überhaupt zu treffen, zielt tatsächlich am besten in die Mitte.
Die beiden Forscher haben auch Tipps für Werfer mit Linksdrall. Sollten die Pfeile auf ihrer Flugbahn eher nach rechts oder links abdriften, sollte man auch den Bereich zwischen dreifach 19 und Bullseye anvisieren. Ziehen die Pfeile hingegen oft nach oben oder unten, empfehlen Füllgraf und Gemmer, zwischen die dreifach 11 und das Bullseye zu zielen. Oberhalb liegen die 14 und 9, darunter 8 und 16.
Fazit: Im Vergleich zu den üblichen Strategien können Spielerinnen so pro Runde, die aus drei Würfen besteht, bis zu siebeneinhalb Punkte mehr erreichen. Zum Vergleich: Ein Anfänger erzielt mit drei Würfen im Schnitt um die 30 Punkte, ein Profi etwa 90. „Unsere Strategie basiert auf einer mathematischen Formel, die davon ausgeht, dass die Streuung der Pfeile einer Normalverteilung folgen. Außerdem nehmen wir an, dass es keine Bereiche auf der Scheibe gibt, in denen ein Wurf genauer ist als in anderen“, erklärt Merlin Füllgraf.
Eine Sauna für Frösche
Wie verkühlte Menschen auch suchen Frösche die Wärme, wenn sie sich krank fühlen. Wie Anthony Waddle von der Macquarie University in Sydney herausfand, tun sie das vor allem, wenn sie an einer Pilzerkrankung leiden – was immer häufiger der Fall ist. Schuld ist, wie so oft, der Mensch: Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckte die Medizin, dass sich der Krallenfrosch aus Südafrika für Schwangerschaftstests eignet. Injizierte man den weiblichen Amphibien den Urin einer schwangeren Frau, legten sie binnen ein bis zwei Tagen Eier als Reaktion auf das menschliche Schwangerschaftshormon Choriongonadotropin. Deshalb eroberten die Krallenfrösche schnell die Arztpraxen und bald auch die Ökosysteme rund um den Globus – mit im Gepäck war der Chytridpilz. Während aber die südafrikanischen Frösche immun sind gegen den Erreger, raffte er in allen anderen Weltgegenden ganze Populationen dahin. Etwa 90 Froscharten starben durch ihn bereits aus, weltweit dezimiert er bis heute die Amphibienbestände.
Was der Pilz allerdings nicht gut verträgt, ist Wärme. Der Biologie Anthony Waddle hatte deshalb eine Idee: Warum nicht eine Art Sauna bauen, in denen die Frösche den tödlichen Erreger quasi ausschwitzen können? Er bohrte Löcher in Beton- und Ziegelsteine, die er aufeinanderstapelte und australischen Gold-Laubfröschen, die von dem Pilz besonders geplagt sind, ins Terrarium stellte. Tatsächlich hockten sich die Tiere freiwillig in die durch Lampen erwärmten Waben und wurden gesund. „Es ist wie eine Minikur für Frösche“, schreibt Waddle im Fachmagazin „Nature“. Die Amphibien erholten sich nicht nur, sie wurden auch immun. Sogar bei kälteren Temperaturen infizierten sie sich mehrere Wochen nach der ersten Erkrankung nicht mehr mit dem Pilz. Waddle wiederholte seine Experimente später in Freilandgehegen, wo sich die Bauten durch die Sonne aufheizten – mit demselben Ergebnis. Nun hofft er, dass seine billigen, leicht nachzubauenden Frosch-Saunen Biologinnen und Wildhüter weltweit inspirieren. „Sie könnten entscheidend dafür sein, ob eine Amphibienart ausstirbt oder nicht.“
Barbies Verfall
Grüne Ohren, klebrige Beine, weiße Flecken: Barbiepuppen bekommen zwar keine Falten, das Alter steht ihnen trotzdem nicht gut. Besonders die Exemplare aus den späten 1950er- und den 1960er-Jahren, von denen viele als Sammlerstücke in Museen stehen, leiden am Verfall. Die meisten dieser Barbies bestehen aus PVC, gemischt mit heute weitgehend verbotenen Weichmachern. „Diese Textur imitiert die Haut besser als jedes andere Material“, sagt die Restauratorin und Chemikerin Yvonne Shashoua vom Dänischen Nationalmuseum in Kopenhagen.
Das Problem: Die Weichmacher bewegen sich frei zwischen den Polymerketten des Kunststoffs und können mit der Zeit verdampfen; übrig bleibt eine klebrige Oberfläche. Grüne Ohren sind ebenfalls eine häufige Alterserscheinung der beliebtesten Puppe der Welt. Schuld daran ist der Chlorwasserstoff, der bei der Oxidation des Kunststoffs freigesetzt wird. Shashoua und ihre Kolleginnen experimentierten rund um den Globus mit allen möglichen Methoden, um die Barbie vor der Zersetzung zu retten – bisher ohne großen Erfolg. Manche Restauratoren plädieren dafür, die ausgetretenen Weichmacher zu entfernen, um die Puppenhaut wieder glatt und staubfrei zu bekommen. Dabei besteht aber das Risiko, dass sich die restlichen Weichmacher auf den Weg an die Oberfläche machen.
Andere wie die Materialwissenschafterin Odile Madden raten, die Puppen mit dem absurden Schönheitsideal bestmöglich zu lagern und damit zu konservieren. Das heißt, sie möglichst sauerstoffarm, bei niedrigen Temperaturen und vor allem ohne UV-Licht, den größten Feind des PVC, unterzubringen. Zugluft lässt die Weichmacher außerdem schneller entweichen. Madden wacht unter anderem über die Barbie-Kollektion am Smithsonian National Museum of Natural History in Washington, D. C. „Wenn man bedenkt, wie unrealistisch diese überlangen Beine sind und wie viele Komplexe sie Generationen von Mädchen beschert haben, dann hat es schon eine gewisse Ironie, dass gerade die Beine nun die größte Schwachstelle der Barbie sind.“
Schamesröte beim Karaokesingen
Adeles „Hello“ und Mariah Careys „All I want for Christmas is you“ unter der Dusche zu schmettern, ist mangels Publikum nicht besonders schwer. Die anspruchsvollen Songs auf einer Karaokebühne zum Besten zu geben, werde der einen oder anderen aber die Schamesröte ins Gesicht treiben, so das Kalkül der Neurologin Milica Nikolić von der Universität Amsterdam. Ihre Forschungsfrage: Warum werden die Wangen rot, wenn man sich schämt? Und stimmt die Theorie von Charles Darwin, dass Menschen dann erröten, wenn sie darüber nachdenken, was andere von ihnen denken?
Nikolić lud 40 junge Frauen zwischen 16 und 20 Jahren ein, Karaoke zu singen und sich die Videos von der eigenen Performance später anzuschauen – allerdings unter verschärften Bedingungen. Während ein Magnetresonanztomograf die Gehirnaktivität der Probandinnen aufzeichnete und Temperatursensoren auf ihren Wangen den Grad der Errötung maßen, erhöhte Nikolić den Peinlichkeitsfaktor. Sie erzählte den Frauen, ihre Aufzeichnungen würden gerade einem großen Publikum gezeigt, und spielte ihnen zudem Gesangseinlagen von professionellen Sängerinnen vor, von denen sie behauptete, diese seien ebenfalls Versuchsteilnehmerinnen.
Die Ergebnisse der Hirn-Scans widersprachen Darwins Theorie. Ausgerechnet jene Regionen des Gehirns, die normalerweise am Grübeln über eigene und fremde Verhaltensweisen beteiligt sind, blieben wenig aktiv. Möglicherweise sei das Nachdenken über die Gedanken anderer für das Erröten gar nicht nötig, schlussfolgerte Nikolić. „Erröten könnte Teil der automatischen Erregung sein, die man fühlt, wenn man exponiert ist und etwas Relevantes für einen selbst passiert.“
Die sehr jungen Frauen hatte die Forscherin bewusst ausgewählt, in der Annahme, sie würden besonders stark auf soziale Bewertung reagieren. Ihre Erkenntnisse will sie nun mit Experimenten mit Kleinkindern überprüfen, die noch nicht die Fähigkeiten besitzen, sich Gedanken darüber zu machen, was andere von ihnen halten.
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Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.